Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 05.06.2009, Az.: 26 Qs 112/09
Schutz von Sozialhilfebedürftigen gegenüber der Vollstreckung einer Geldbuße im Wege der Erzwingungshaft; Eintritt der Zahlungsunfähigkeit hinsichtlich der Bezahlung einer Geldbuße
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 05.06.2009
- Aktenzeichen
- 26 Qs 112/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 22190
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2009:0605.26QS112.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Dannenberg - 31.03.2009 - AZ: 10 OWi 518/08
Rechtsgrundlagen
- § 96 Abs. 1 OWiG
- § 96 Abs. 2 OWiG
Fundstellen
- DAR 2009, 471
- NZV 2009, 574-575
- VRR 2009, 363
- ZAP EN-Nr. 300/2010
- ZAP EN-Nr. 0/2010
Amtlicher Leitsatz
Zahlungsunfähigkeit hinsichtlich der Bezahlung einer Geldbuße (hier: wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit) liegt erst dann vor, wenn der Betroffene auch bei Ausschöpfung aller zumutbaren Möglichkeiten - hierzu gehören auch der Verkauf von Gegenständen, die Einschränkung der Lebenshaltung sowie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeitstätigkeit - aus Mangel an Geld schlechterdings nicht in der Lage ist, die Geldbuße zu bezahlen.
In der Bußgeldsache
...
hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg
- Kammer für Bußgeldsachen -
auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen
vom 08. April 2009
gegen
den Beschluss des Amtsgerichte Dannenberg (Elbe)
vom 31. März 2009
durch
den Richter am Landgericht K....,
den Richter am Landgericht M.... und
die Richterin am Landgericht B....
am 05. Juni 2009
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
Gründe
I.
Der Betroffene wendet sich mit seiner nicht eigenhändig oder durch elektronische Signatur unterschriebenen, per E-Mail eingereichten sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Dannenberg (Elbe) vom 31. März 2009, mit dem wegen einer restlichen Geldbuße aufgrund einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Höhe von noch 37,98 EUR zzgl. Kosten eine Erzwingungshaft von 1 Tag angeordnet wurde. Zur Begründung führt der Betroffene an, er sei finanziell nicht in der Lage, die restliche Geldbuße zu zahlen und verweist hierzu auf umfangreiche Korrespondenz zwischen ihm und der ARGE.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 22. April 2009 nicht abgeholfen und zur Begründung u.a. ausgeführt, es sei ein "wirksames unterschriebenes Rechtsmittel fristgerecht nicht eingegangen."
Die Kammer hat dem Betroffenen mit Verfügung vom 13. Mai 2009 ergänzend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wovon der Betroffene mit Schreiben vom 29. Mai 2009 Gebrauch gemacht hat.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1.
Die statthafte und fristgerechte sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 08. April 2009 ist entgegen der Annahme des Amtsgerichts formwirksam schriftlich erhoben worden. Soweit das Amtsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 22. April 2009 meint, dass es an der erforderlichen Unterschrift des Betroffenen fehle, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Amtsgericht zu einer Abhilfeentscheidung aufgrund der Natur des Rechtsbehelfs als sofortige Beschwerde gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 311 Abs. 3 S. 1 StPO gar nicht befugt war. Ungeachtet dessen setzt die Schriftform i.S.d. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 306 Abs. 1 StPO auch nicht voraus, dass der Betroffene die Erklärung eigenhändig geschrieben und unterschrieben hat, solange er als Urheber der Erklärung und sein Wille, sofortige Beschwerde zu erheben, zweifelsfrei feststehen (vgl. BGHSt 2, 77; BGH, NStZ-RR 2000, 305 sowie KK-Engelhardt, 6. Aufl. 2008, § 306 StPO Rdn. 8). Dies ist hier der Fall, da der Betroffene seine per E-Mail eingereichte, ausdrücklich als "Beschwerde" bezeichnete Erklärung vom 08. April 2009 ausweislich der Akten gegenüber der Serviceeinheit des Amtsgerichts offenbar telefonisch angekündigt hat und aus der bereits zuvor bei seiner Korrespondenz mit dem Amtsgericht gewählten Absenderkennung der E-Mail sowie dem Briefkopf der Beschwerdeschrift eindeutig als Absender hervorgeht. Zudem ist er als Empfänger der zahlreichen in der Anlage zu seiner Beschwerdeschrift eingereichten Schreiben der ARGE genannt, was zusätzlich belegt, dass der Betroffene Urheber der elektronisch übersandten, als sofortige Beschwerde zu qualifizierenden Erklärung ist.
2.
Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme des Betroffenen vom 29. Mai 2009 keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht gem. § 96 Abs. 1 OWiG eine eintägige Erzwingungshaft gegen den Betroffenen angeordnet.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag der Vollstreckungsbehörde im Falle der Nichtzahlung der rechtskräftig verhängten Geldbuße gegen den zuvor belehrten Betroffenen die Erzwingungshaft anordnen, wenn dieser seine Zahlungsfähigkeit nicht dargetan hat, und auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, die eine Zahlungsunfähigkeit begründen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Nach § 96 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4, Abs. 2 OWiG ist zwar im Rahmen der Anordnung von Erzwingungshaft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betroffenen zu überprüfen. Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne liegt jedoch erst dann vor, wenn der Betroffene auch bei Ausschöpfung aller zumutbaren Möglichkeiten - hierzu gehören namentlich auch der Verkauf von Gegenständen, die Einschränkung der Lebenshaltung sowie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeitstätigkeit - aus Mangel an Zahlungsmitteln schlechterdings nicht in der Lage ist, die Geldbuße zu bezahlen (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1992, 194 sowie Göhler/Seitz, 14. Aufl. 2006, § 96 OwiG Rdn. 13). Auch wenn der Betroffenen Sozialhilfe bezieht - wie es hier der Fall ist - und/oder nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung kein pfändbares Einkommen zur Verfügung steht, bewirkt dies daher keinen generellen Schutz gegenüber der Vollstreckung einer Geldbuße im Wege der Erzwingungshaft. Denn die Sozialhilfebedürftigkeit und die Schuldnerschutzvorschriften der Zivilprozessordnung sind nicht ohne Weiteres mit Zahlungsunfähigkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes gleichzusetzen. Würde man davon abweichend die Durchsetzung von Bußgeldern gegenüber sozialhilfeberechtigten Personen oder solchen mit Einkommen bzw. Vermögen unterhalb der Pfändungsfreigrenzen generell für unzulässig erachten, wäre diesem Personenkreis die sanktionslose Begehung von Ordnungswidrigkeiten möglich, was nach Auffassung der Kammer mit dem Sinn und Zweck des Ordnungswidrigkeitenrechts unvereinbar wäre. Dies gilt nach der Rechtsprechung der Kammer im Übrigen selbst dann, wenn der Beschwerdeführer die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat (vgl. auch LG Amsberg, NStZ-RR 2006, 184 und LG Münster, NStZ 2005, 711), wofür hier jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Die vorgenannten Maßstäbe sind umso strenger zu handhaben und eine Zahlungsunfähigkeit daher umso weniger anzunehmen, je geringer der rückständige Betrag der Geldbuße ist.
Vor diesem Hintergrund fehlt hier ein schlüssiges Vorbringen des Betroffenen dahingehend, dass er arbeitsunfähig oder zur Erzielung eines Einkommens nicht in der Lage sei. Er hat somit eine Zahlungsunfähigkeit im zuvor genannten strengen Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts trotz der Vorlage seiner Korrespondenz mit der ARGE nicht ausreichend dargelegt.
Dass und ggf. warum es dem Betroffenen nicht möglich sein soll, eine auch nur geringfügige und vorübergehende Arbeitstätigkeit aufzunehmen, um die restliche Geldbuße von nur noch 37,98 EUR zu bezahlen, hat dieser weder in seiner E-Mail vom 08. April 2009, noch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. Mai 2009 dargetan. Zwar findet sich dort beiläufig die Erwähnung von Krankengeld. Dies hat der Betroffene jedoch nicht weiter erläutert und konkretisiert. Dass ihm alle Arten von Berufstätigkeit wegen einer bestehenden Erkrankung oder aus sonstigen Gründen gänzlich verschlossen sind, hat der Betroffene daher jedenfalls nicht schlüssig vorgebracht.
Der Betroffene hat darüber hinaus auch nicht ausreichend dargelegt, dass es ihm unmöglich ist, Gegenstände aus seinem Vermögen zu veräußern, um den geringen Restbetrag der Geldbuße von 37,98 EUR erzielen zu können. Sein pauschaler Hinweis in der ergänzenden Stellungnahme vom 29. Mai 2009, er habe bereits Verkäufe aus seinem "Bestand" getätigt, "was aber nicht einen solchen Erlös brachte", reicht insoweit nicht aus. Welche Gegenstände hiervon betroffen sein sollen, welche Verkaufsbemühungen er unternommen haben will, und welche Gegenstände er als unverkäuflich bzw. unverzichtbar ansieht, hat der Betroffene nicht weiter erläutert.
Ferner ergibt sich aus der ergänzenden Stellungnahme des Betroffenen vom 29. Mai 2009 und der angefügten Aufstellung, dass dem Betroffenen und den mit ihm in einer Bedarfegemeinschaft lebenden Personen nach Abzug aller Kosten und Ausgaben in einigen Monaten ab April 2009 durchaus nicht völlig zu vernachlässigende monatliche Restbeträge verblieben sind bzw. voraussichtlich verbleiben werden. So ist insbesondere für den Monat Mai ein verbleibender Betrag von 339,90 EUR angegeben. Warum der Betroffene hiervon die restliche Geldbuße von lediglich 37,98 EUR nicht begleichen können soll, um die Erzwingungshaft abzuwenden, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene ausweislich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29. Mai 2009 offensichtlich Eigentümer und/oder Halter eines Kraftfahrzeugs ist und darüber hinaus einen Internet-Zugang unterhält. Warum es ihm unzumutbar sein sollte, die Ausgaben für diese beiden Posten zwecks Bezahlung der restlichen Geldbuße zu verringern oder seinen Lebensstandard insoweit zeitweise zu beschränken, hat der Betroffene nicht dargetan. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass er aus zwingenden Gründen auf ein Kraftfahrzeug und einen Internet-Zugang angewiesen ist. Überdies ist es anerkannt und entspricht auch der Rechtsprechung der Kammer, dass es einem Betroffenen, der imstande ist, ein Kraftfahrzeug zu halten, zugemutet werden kann, das erforderliche Geld für die Bezahlung einer Geldbuße wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit aufzubringen (vgl. Göhler/Seitz, 14. Aufl. 2006, § 96 OWiG Rdn. 13 m.w.N.).
Zudem hat die Kammer nicht außer Acht gelassen, dass die finanziellen Engpässe des Betroffenen anscheinend maßgeblich darauf zurück zu führen sind, dass die zuständige ARGE aufgrund vorsätzlicher oder zumindest grob fahrlässiger falscher oder unvollständiger Angaben bei der Antragstellung durch den Betroffenen Veranlassung gesehen hat, gewährte Leistungen in Höhe von 1 251,48 EUR von ihm zurück zu fordern. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der ARGE vom 18. Februar 2009. Da der Betroffene seine finanzielle Leistungsschwäche somit zumindest mitverursacht hat, kam es umso weniger in Betracht, die Zahlung der restlichen Geldbuße von nur noch 37,98 EUR als unzumutbar anzusehen.
Wie ausgeführt, schuldet der Betroffene aus dem Bußgeldbescheid im Übrigen lediglich noch 37,98 EUR zzgl. Kosten, wobei zur Abwendung der Erzwingungshaft die Zahlung der geschuldeten Geldbuße hinreichend wäre. Aufgrund dieses auch unter Berücksichtigung der beengten finanziellen Verhältnisse des Betroffenen durchaus noch überschaubaren Betrages sind bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit hier besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Dafür, dass der Betroffene zur Begleichung dieser geringen Geldbuße unter keinem Gesichtspunkt in der Lage ist, fehlen nach alledem ausreichende Anhaltspunkte.
Die Anordnung der Erzwingungshaft war mit 1 Tag zuletzt auch verhältnismäßig. Hierbei hat die Schwangerschaft der Ehefrau des Betroffenen außer Betracht zu bleiben, da diese allenfalls zu einer Haftunfähigkeit der Ehefrau führen könnte, nicht jedoch des Betroffenen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO.