Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.08.1977, Az.: IV OVG A 54/77

Fehlerhafte Ermessensentscheidung der Behörde; Rechtfertigung einer Kündigung eines Schwerbehinderten; Anfoderungen an die Gleichstellung eines Schwerbehinderten durch das Arbeitsamt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.08.1977
Aktenzeichen
IV OVG A 54/77
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1977, 11959
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1977:0824.IV.OVG.A54.77.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 22.12.1976 - AZ: I A 20/76
nachfolgend
BVerwG - 12.06.1978 - AZ: BVerwG 5 B 79.77

Verfahrensgegenstand

Anfechtung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Redaktioneller Leitsatz

  1. I)

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird das Ermessen in der Weise ausgeübt, dass das Interesse des Arbeitgebers, die vorhandenen Arbeitsplätze wirtschaftlich zu nutzen, gegen das Interesse des betroffenen Schwerbeschädigten, seinen Arbeitsplatz zu behalten, abgewogen wird. Das Schwerbehindertengesetz ist ein Fürsorgegesetz. Dem Schwerbeschädigten soll weitgehend geholfen werden, so dass er gegenüber dem Gesunden nicht ins Hintertreffen gerät und er sich als vollwertiges Mitglied der menschlichen Gemeinschaft fühlen kann.

  2. II)

    Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht wird der Kündigungsschutz ohne Rücksicht darauf gewährt, ob die Pflichtzahl erfüllt ist und ohne Rücksicht auf Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbeschädigteneigenschaft.

In der Verwaltungsrechtssache
hat der IV. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 1977
durch
die Richter am Oberverwaltungsgericht Fischer, Jacobi und Dr. Gehrmann sowie
die ehrenamtlichen Richter Wempe und Zimmermann
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - I. Kammer Hildesheim - vom 22. Dezember 1976 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer eigenen Kosten, die sie selbst tragen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

I.

Der 1926 geborene Kläger ist verheiratet und hat ein Kind.

2

Er erlitt am 23. April 1956 als Lastkraftwagenfahrer einen schweren Autounfall. Er wurde von einem Pkw angefahren, als er unter seinem Lkw lag und dort arbeitete; dabei wurde sein linker Arm schwer verletzt, er erlitt ferner unter anderem einen Schulterblattbruch und eine Gehirnerschütterung, vielleicht sogar eine Gehirnquetschung, die nach seinen Angaben eine zweitägige Bewußtlosigkeit zur Folge hatte.

3

Sein linker Vorderarm ist seitdem teilweise drehsteif, das linke Handgelenk und die Finger links sind bewegungsbehindert, die linke Hand und der linke Arm sind muskelgeschwächt; die Folgen des linken Schulterblattbruches sind behoben.

4

Er erhält von der Großhandels- und Lagereiberufsgenossenschaft eine Dauerrente von 30 % der Vollrente seit dem 1. September 1959.

5

Der Kläger war seit 1964 bis 1968 unter anderem als Fahrer des Chefs in einer großen Zentralheizungsfirma beschäftigt gewesen und hatte seine Aufgaben ausweislich zweier Zeugnisse zufriedenstellend erfüllt. Im Jahre 1972 wurde er aufgrund eines amtsärztlichen Befundes zum Führen eines Kraftomnibusses geeignet erklärt.

6

Die Beigeladene stellte den Kläger zum 1. Januar 1971 arbeitsvertraglich als Angestellten nach BAT VIII ein. Er war als Direktionsfahrer tätig und fuhr überwiegend den vom Verwaltungsgericht als Zeugen vernommenen Direktor ....

7

Auf seinen Antrag stellte das Arbeitsamt ... ihn mit Bescheid vom 8. August 1974 bis zum 31. August 1979 gemäß § 2 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz den Schwerbehinderten gleich.

8

Im Jahre 1974 war es zwischen dem Kläger und dem Direktorium der Beigeladenen zu persönlichen Spannungen gekommen. Die Beigeladene beantragte deshalb am 20. August 1974 bei dem Beklagten die Zustimmung zur Kündigung des Klägers, nachdem sie ihm am 1. Juli 1974 vergeblich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1974 angeboten hatte. Ihre Kündigungsabsicht begründete die Beigeladene wie folgt:

9

Der Kläger habe im Jahre 1972 einen Bescheid vorgelegt, wonach er wegen einer Kopfverletzung, Schulterblattbruchs links und kompletten Bruchs der linken Elle um 40 v. H. in der Erwerbsfähigkeit gemindert sei. Diese Behinderung bedeute eine Einschränkung seiner Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Seit März 1972 klage er außerdem in zunehmendem Maße über Beschwerden. Er habe deswegen den Einbau einer Servolenkung für das von ihm geführte Dienstkraftfahrzeug angeregt. Offensichtlich fühle er sich auch subjektiv nicht in der Lage, weiterhin Dienstwagen zu führen. Das ergebe sich aus seiner wiederholten Bitte, ihm eine andere Beschäftigung zuzuweisen. Der Kläger sei auch sehr zugempfindlich; dies sei Ursache für seine häufigen Erkrankungen gewesen. Mit dem Vorstandsvorsitzenden, dem Zeugen ..., den er vorwiegend zu fahren habe, gerate er häufig in Auseinandersetzungen über die Art der Belüftung des Fahrzeugs. Nach allem sei der Kläger als Fahrer nicht mehr geeignet. Außerdem passe er sich nicht in der gebotenen Weise dem Betrieb an, seine Arbeitsauffassung lasse zu wünschen übrig. Besonders schwerwiegend sei, daß er am 27. Mai 1975 eine Urlaubsreise mit dem 3. Juli 1975 als Abflugtag gebucht habe. Von diesem geplanten Urlaub habe die Beigeladene erst am 26. Juni 1975 beiläufig erfahren. Dem Kläger sei bekannt gewesen, daß er als Fahrer zu einer besonders wichtigen Sitzung ihres Kuratoriums am 3. Juli 1975 zur Verfügung stehen sollte.

10

Der Kläger ist diesem Vorbringen entgegengetreten: Er sei uneingeschränkt als Fahrer einsetzbar. Das ergebe sich schon allein aus einem Zeugnis des Staatlichen Gesundheitsamtes für die Stadt ... vom 9. November 1972, wonach er sogar zum Führen von Kraftomnibussen geeignet sei. Zwar treffe es zu, daß zwischen ihm und dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Schmidt häufig Meinungsverschiedenheiten entstünden, wenn es um die Frage der Art der Belüftung des Dienstkraftwagens gehe. Hierbei handele es sich jedoch im Grunde nicht um schwerwiegende Differenzen. Andere wechselnde Ursachen hätten zu seinen mehrfachen Erkrankungen geführt. Seine Leistungen als Berufskraftfahrer seien 20 Jahre lang nicht beanstandet worden.

11

Die Beigeladene wies dem Kläger am 13. September 1975 Behelfstätigkeiten in ihrem Lager in ... zu, die aufzunehmen er sich unter Hinweis auf seine Tätigkeit als Angestellter der Vergütungsgruppe VIII BAT weigerte. Dies führte am 26. September 1975 zu seiner außerordentlichen Kündigung, der vom Beklagten nicht zugestimmt wurde und die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

12

Der Beklagte verweigerte nach Anhörung des Arbeitsamtes und nach Zustimmung des Personalrates - ein Vertrauensmann für Schwerbehinderte war bei der Beigeladenen nicht vorhanden - mit Bescheid vom 15. Oktober 1974 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers mit folgenden Erwägungen: Der Kläger sei offensichtlich als Fahrer voll einsatzfähig. Der Kündigungsgrund liege allein in den Unstimmigkeiten zwischen ihm und Dr. ... Hierin könne aber kein triftiger Grund für eine Kündigung gesehen werden; der Beigeladenen sei die weitere Beschäftigung des Klägers als Kraftfahrer zuzumuten.

13

Auf den Widerspruch der Beigeladenen hob der Widerspruchsausschuß der Hauptfürsorgestelle mit Bescheid vom 18. September 1975 diese Entscheidung auf und erteilte die Zustimmung zur Kündigung. Er legte zur Begründung dar: Es sei deutlich geworden, daß der Kläger sich aufgrund seines persönlichen Verhaltens bei den von ihm gefahrenen Vorstandsmitgliedern mißliebig gemacht habe und diese es ablehnten, von ihm gefahren zu werden. Letztlich könne dahinstehen, warum die Mißhelligkeiten entstanden seien, denn es lägen so erhebliche Spannungen im Arbeitsverhältnis vor, daß es nicht geraten erscheine, die Erfüllung des Arbeitsvertrages zu erzwingen. Mit einer auf Dauer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen der Beigeladenen und dem Kläger könne nicht mehr gerechnet werden. Eine dahingehende Entscheidung würde dem Sinn und Zweck des Schwerbehindertengesetzes als eines Gesetzes des guten Willens widersprechen.

14

Der Kläger hat mit seiner Klage sein bisheriges Vorbringen wiederholt und beantragt,

den Bescheid des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten vom 18. September 1975 aufzuheben.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben über die Gründe, die zur Kündigung des Klägers geführt haben, durch Vernehmung des Vorstandsvorsitzenden der Beigeladenen Dr. ... und ihres Personalratsvorsitzenden ... als Zeugen.

17

Es hat mit Urteil vom 22. Dezember 1976 den Bescheid des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten vom 18. September 1975 aufgehoben.

18

Die Beigeladene hat gegen dieses am 25. Februar 1977 zugestellte Urteil am 22. März 1977 Berufung eingelegt und unter anderem vorgetragen: Sie sei vergleichsbereit, sehe aber keinen Ansatz für Verhandlungen, da der Kläger seine weitere Beschäftigung als Fahrer des Vorstandes erzwingen wolle. Diese Stelle sei aber längst besetzt. Auch würde sich eine Wiederverwendung des Klägers in dieser Position aus verschiedenen Gründen verbieten. Erwähnt sei nur das besondere Vertrauensverhältnis, das zwischen Vorstand und Vorstandsfahrer vorauszusetzen sei. Im übrigen habe der Kläger inzwischen einen Antrag auf Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetz gestellt, die zuständige Berufsgenossenschaft dann aber gebeten, während des schwebenden Verwaltungsgerichtsverfahrens seinen Antrag nicht zu bearbeiten. Die Berufung müsse vor allem deshalb Erfolg haben, weil der Beklagte nach Ermessen habe entscheiden können und auch entschieden habe, ohne daß ihm ein Ermessensmißbrauch oder Ermessensfehlgebrauch unterlaufen sei.

19

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

20

Der Beklagte schließt sich diesem Antrage an.

21

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

22

Er meint: Die Beigelade habe bisher alle Vergleichsvorschläge des Klägers abgelehnt. Die Vorstellungen der Beigeladenen seien ausschließlich in die Richtung gegangen, dem Kläger noch für ein paar Monate das Gehalt zu zahlen, gegebenenfalls verbunden mit einigen Sonderregelungen, um ihm Nachteile bei der Altersversorgung der Beigeladenen zu ersparen. Außerdem weigere sich die Beigeladene ohne überzeugende Begründung, dem Kläger irgendeine andere Tätigkeit in dem Betrieb zu offerieren. Die Beigeladene wisse aus den zuvor erfolgten Verhandlungen, daß der Kläger auch mit einer anderen Tätigkeit in ihrem Hause einverstanden sei und daß er keineswegs darauf bestehe, wieder als Cheffahrer für Dr. ... tätig zu sein. Er sei sogar bereit, andere Arbeiten als das Fahren eines Pkw's auszuführen, sofern man ihm nicht gerade zumute, rostige Armaturen zu säubern oder andere schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Umschulungsmöglichkeiten beständen bei ihm nicht mehr, da er über 50 Jahre alt sei.

23

Auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten wird zur Ergänzung Bezug genommen.

24

Auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, wird ebenfalls zur Ergänzung Bezug genommen. Dem Senat haben ferner die Vorgänge der Großhandels- und Lagereiberufsgenossenschaft Bezirksverwaltung Bremen Nr. 5/09734/58 betr. den Kläger vorgelegen.

Entscheidungsgründe

25

II.

Die zulässigen Berufungen sind unbegründet.

26

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Hauptfürsorgestelle eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird das Ermessen in der Weise ausgeübt, daß das Interesse des Arbeitgebers, die vorhandenen Arbeitsplätze wirtschaftlich zu nutzen, gegen das Interesse des betroffenen Schwerbeschädigten, seinen Arbeitsplatz zu behalten, abgewogen wird. Das Schwerbeschädigtengesetz ist ein Fürsorgegesetz. Dem Schwerbeschädigten soll weitgehend geholfen werden, so daß er gegenüber dem Gesunden nicht ins Hintertreffen gerät. Er soll sich als vollwertiges Mitglied der menschlichen Gemeinschaft fühlen könne. Das Gesetz will in erster Linie die Nachteile des Schwerbeschädigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen. Es bezweckt aber auch dessen Rehabilitation (BVerwGE 29, 150 [BVerwG 29.02.1968 - VIII C 49/67] [141]). Der Spielraum des behördlichen Ermessens für die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung ist klein. Das Ermessen der Behörde erschöpft sich darin, daß in Grenzfällen ihre Auffassung maßgebend ist und die Verwaltungsgerichte dann nicht die vertretbaren Ansichten der Verwaltungsbehörde korrigieren dürfen, weil sie sonst in das behördliche Ermessen eingreifen würden (BVerwGE 19, 327). Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß im Fall des Klägers kein Grenzfall gegeben ist, sondern ein Fall der Verpflichtung des Beklagten zur Ablehnung der Zustimmung zur Kündigung des Schwerbehinderten.

27

1.

Der Widerspruchsausschuß der Hauptfürsorgebehörde hat bei der Abwägung der in der Sache gegenüberstehenden Interessen dem Rehabilitationsinteresse, d.h. dem Interesse der Allgemeinheit an einer Wiedereingliederung der Schwerbehinderten, nicht den ihm gebührenden Rang eingeräumt, so daß ein Ermessensfehlgebrauch (§ 114 VwGO) gegeben ist.

28

Der für die Ermessensentscheidung bedeutsame Belang der Rehabilitation ist von dem Beklagten nicht seiner Bedeutung entsprechend gewürdigt worden. Die Gleichstellung des Klägers mit Schwerbehinderten durch das Arbeitsamt ... mit Bescheid vom 8. August 1974 gemäß § 2 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz in der Fassung vom 9. April 1974 (BGBl I S. 1006) hatte den Zweck, die Rehabilitation des Klägers zu erleichtern. Die Gleichstellung erfolgte, weil der Kläger infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung seinen Arbeitsplatz nicht behalten konnte. Sie war im Hinblick auf die erheblichen Behinderungen des Klägers infolge seiner Unfallverletzungen sinnvoll: Sein linker Vorderarm ist teilweise drehsteif, das linke Handgelenk und die Finger links sind bewegungsbehindert, die linke Hand und der linke Arm sind muskelgeschwächt; ferner liegen ausgedehnte Vernarbungen mit Muskeldefektion und Muskelverwachsungen am linken Vorderarm vor.

29

Eine Kündigung des Klägers würde dem wichtigen Öffentlichen Belang der Rehabilitation Schwerbehinderter zuwiderlaufen:

30

a)

Die beim Kläger vorhandenen Unfallfolgen behinderten ihn bei der Tätigkeit als Fahrer der Direktion nicht wesentlich. Nach der Aussage des vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen Dr. Schmidt hat der Kläger zwar über Schmerzen im Arm geklagt, und deshalb den Wunsch nach dem Einbau einer Servolenkung geäußert. Ferner gab es unterschiedliche Auffassungen über das Öffnen der Fenster während der Fahrt. Der Zeuge betont aber, daß es insoweit keine ernsthaften Differenzen oder Auseinandersetzungen gegeben habe. Mithin konnten diese Vorgänge nicht der Anlaß für die Aufhebung des Kündigungsschutzes für einen Schwerbehinderten sein. Der Schutz des Schwerbehinderten stellt gesteigerte Anforderungen an die zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führenden Gründe, wenn sie in der Beschädigung selbst ihre Ursache haben (BVerwG, Urt. v. 27.10.1971 - V C 78.70, BVerwGE 39, 36). Dies hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt. Das Rehabilitationsinteresse der Allgemeinheit bat gegenüber den von der Beigeladenen geltend gemachten Gründen das stärkere Gewicht und verbietet eine Kündigung allein aus diesen Gründen.

31

b)

Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus zutreffend festgestellt, daß weitere schwerwiegende Umstände, die die Kündigung rechtfertigten, ebenfalls nicht ersichtlich sind. Der Kläger mag zwar durch sein Verhalten Anlaß zur Verärgerung gegeben haben. Es läßt sich jedoch nicht feststellen, daß dadurch der Betriebsfrieden in ernsthafter Weise gestört und nicht lediglich im üblichen Rahmen beeinträchtigt worden ist. Auch die gelegentlichen Abwesenheiten des Klägers von seiner Arbeitsstelle und die vielleicht unzulängliche Erfüllung seiner Verpflichtung zur Wartung und Pflege der Kraftfahrzeuge rechtfertigt nicht seine Kündigung. Das Verwaltungsgericht führt insoweit überzeugend aus, daß die Beigeladene den Kläger nachdrücklich auf etwaige Pflichtverletzungen hätte hinweisen müssen, bevor sie eine Kündigung auf eine vom Kläger begangene Vertragsverletzung stützte. Es hätte zudem einer klaren arbeitsvertraglichen Regelung bedurft, aus der hätte hervorgehen müssen, ob der Kläger angesichts seiner Behinderung zur Pflege aller Kraftfahrzeuge der Beigeladenen mit herangezogen werden sollte oder ob sich seine Verpflichtung zur Wagenpflege nur auf die von ihm gefahrenen Wagen beschränken sollte.

32

2.

Der Widerspruchsausschuß hat in seiner Entscheidung auch nicht genügend berücksichtigt, daß das Schwerbehindertengesetz ein Fürsorgegesetz ist, das verhindern soll, daß der Schwerbeschädigte gegenüber Gesunden nicht ins Hintertreffen gerät und sich als vollwertiges Mitglied der menschlichen Gemeinschaft fühlt (BVerwGE 29, 141 [BVerwG 28.02.1968 - V C 33/66]). Das Arbeitsamt hat im Anhörungsverfahren am 16. September 1974 festgestellt, daß die Beigeladene bei 165 männlichen und zwei weiblichen Beschäftigten zehn Pflichtplätze für Schwerbeschädigte bat; es wurden seinerzeit aber nur fünf Schwerbeschädigte und Gleichgestellte beschäftigt. Für den Kläger bestanden unter Berücksichtigung der Behinderung, seines Lebensalters und der mangelnden beruflichen Qualifikation im Arbeitsamtsbezirk keine Vermittlungsmöglichkeiten. Der Kläger bat bisher auch noch keine andere Arbeitsstelle gefunden.

33

Gerade mit Rücksicht auf den fürsorgerischen Zweckgedanken des Schwerbehindertengesetzes reichen die von dem Widerspruchsausschuß für ausschlaggebend gehaltenen Gründe nicht aus, um die Fortdauer des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen als unzumutbar erscheinen zu lassen.

34

Die Dispositions- und Gestaltungsmöglichkeiten der Beigeladenen in ihrem Betrieb sind auch nicht soweit eingeschränkt, daß eine anderweitige Verwendung des Klägers auf einem ihm angemessenen Arbeitsplatz ausgeschlossen erscheint.

35

a)

Die Verwendung des Klägers als Direktionsfahrer oder in gleichwertiger Position ist nicht dadurch unmöglich geworden, daß die Beigeladene den Posten inzwischen anderweitig besetzt hat. Soweit er in dieser Position nicht wieder eingesetzt werden kann, muß die Beigeladene, die als Prozeßbeteiligte auch mit einem ungünstigen Ausgang des Verfahrens für sie rechnen mußte, ihn anderweitig angemessen beschäftigen.

36

b)

Die von der Beigeladenen benannten Krankheitstage wiegen nicht so schwer, daß die anderweitige Verwendung des Klägers für sie unzumutbar ist. Nach ihren Angaben fehlte der Kläger in folgendem Zeitraum:

197223 Arbeitstage
197360 Arbeitstage
1974 - August45 Arbeitstage.
37

Der Kläger hat in seiner Stellungnahme zu dem Antrag der Beigeladenen verständliche Gründe für seine Krankheitstage genannt: Er sei 1971 überhaupt nicht krank gewesen, 1972 habe er im Zuge einer Grippewelle eine sehr heftige und langwierige Grippe gehabt. Die Fehlzeiten im Jahre 1973 seien dadurch zustande gekommen, daß er sich im Urlaub infolge eines Unfalles einen Zehenbruch zugezogen hatte und infolgedessen nicht arbeitsfähig gewesen sei, 1974 habe er eine Zyste im Afterkanal gehabt, eine Krankheitserscheinung, die ein typisches Berufsleiden von Kraftfahrern sei. Die Krankheitsausfälle des Klägers stützen mit Rücksicht auf diese überzeugenden Einlassungen nicht die Annahme, daß seine Weiterbeschäftigung die Beigeladene übermäßig belasten wird.

38

c)

Hinsichtlich der Qualifikation des Klägers als Kraftfahrer bestehen ausweislich seiner Zeugnisse keine Bedenken.

39

Sein früherer Arbeitgeber, die Zentralheizungsfirma ... und ... GmbH hat ihn in zwei Zeugnissen vom 4. und 31. Oktober 1968 günstig beurteilt. Er wird in den Zeugnissen über seine vierjährige Dienstleistung als umsichtiger und zuverlässiger Fahrer, dem man sich jederzeit anvertrauen könne, bezeichnet. In dem Zeugnis vom 31. Oktober wird darauf hingewiesen, daß er in den letzten zwei Jahren seiner Dienstzeit aufgrund seiner abgeschlossenen kaufmännischen Lehre mit Abrechnungsarbeiten in der Abteilung Rechnungswesen beschäftigt gewesen sei und sich hier bemüht habe, auch auf diesen Gebieten die gestellten Anforderungen zu erfüllen. Darüber hinaus hat das Staatliche Gesundheitsamt für die Stadt ... dem Kläger mit Zeugnis vom 9. November 1972 bescheinigt, daß er aufgrund der erhobenen Befunde weiterhin gesundheitlich zum Führen von Kraftomnibussen geeignet sei. Dieses Zeugnis ist am 18. März 1977 verlängert worden. Der Zeuge Dr. ... hat bekundet, daß der Kläger zwar ein riskanter Fahrer sei, daß es aber keine Situation gegeben habe, in der es bei einer Fahrt nahe an einem Unfall vorbeigegangen sei.

40

d)

Die von der Beigeladenen im übrigen gerügten angeblichen Pflichtverletzungen des Klägers haben kein so schweres Gewicht, daß sie die Kündigung zu rechtfertigen vermögen. Insbesondere war die zu späte Bekanntgabe der beabsichtigten Urlaubsreise im Jahre 1974 nicht geeignet, den Betriebsfrieden in ernsthafter Weise zu stören und die Arbeit der Direktion entscheidend zu behindern, zumal der Kläger sich bereit erklärt hatte, auf seine Urlaubsreise zu verzichten, um seine Pflichten zu erfüllen.

41

Die vom Gesamtpersonalrat der Beigeladenen in seiner für den Verwaltungsrechtsstreit abgegebenen Stellungnahme vom 4. Mai 1977 enthaltenen Werturteile sind zu allgemein und unsubstantiiert, als daß sie an der rechtlichen Beurteilung etwas zu ändern vermögen. Das angebliche "unkollegiale" Verhalten des Klägers und seine angeblich "lässige Arbeitsauffassung" hätte seitens der Firmenleitung eingehend mit ihm besprochen werden müssen, vor allem hätte es - wie oben ausgeführt - genauerer vertraglicher Vereinbarungen über seine einzelnen Pflichten bedurft. Die Nichterfüllung konkreter Arbeitsverpflichtungen hätte die Kündigung erst dann gerechtfertigt, wenn die Belastung für die Beigeladene unzumutbar geworden wäre und wenn die Weiterbeschäftigung des Klägers sein "Durchschleppen" zur Folge gehabt hätte.

42

e)

Der Kündigungsschutz des schwerbeschädigten Klägers wird auch nicht etwa dadurch beeinflußt, daß er bei seiner Einstellung nicht auf seine Behinderungen hingewiesen hat, die im Jahre 1974 zu seiner Gleichstellung als Schwerbehinderter führten. Wie schon erörtert, hatte das Arbeitsamt Hildesheim bei der Untersuchung der betrieblichen Verhältnisse der Beigeladenen festgestellt, daß die Beigeladene von zehn Pflichtplätzen für Schwerbehinderte und Gleichgestellte 1974 nur fünf besetzt hatte. Die Beigeladene erfüllte mit der Beschäftigung des 1974 gleichgestellten Klägers nur ihre Rechtspflicht gemäß § 4 SchwbG. Hiervon abgesehen wird nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Kündigungsschutz ohne Rücksicht darauf gewährt, ob die Pflichtzahl erfüllt ist und ohne Rücksicht auf Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbeschädigteneigenschaft (BAG AP Nr. 4, 9 zu § 14 SchwBeSchG, w.N. bei Wilrodt/Neumann, Schwerbehindertengesetz 4. Aufl. 1976 § 12 RdNr. 39).

43

Diese Auffassung des BAG gilt auch nach der Neufassung des SchwbG vom 29. April 1974 (Wilrodt/Neumann, RdNr. 40).

44

4. Das Verwaltungsgericht hat schließlich im Einklang mit der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle vom 15. Oktober 1974 darauf hingewiesen, daß die dem Kläger angebotene Aushilfstätigkeit im Lager ... für ihn nicht angemessen war. Der Kläger war am 24. September 1970 als Angestellter nach der Vergütungsgruppe BAT VIII eingestellt worden. Die Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsgruppe VIII werden im BAT mit schwierigerer Angestelltentätigkeit umschrieben. Es fallen Magazin-, Lager- und Lagerhofvorsteher darunter, ferner Meister mit mehrjähriger Tätigkeit als Handwerker oder Facharbeiter etc. Aushilfstätigkeiten in einem Lager mit einfachsten Handarbeiten, wie der Kläger sie beschreibt (Reinigung von Armaturen mit Sandstrahlgebläse), können unter diese Tätigkeitsmerkmale nicht gebracht werden. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend darlegt, bedurfte es zur Beschäftigung des Klägers mit Aushilfstätigkeiten einer Änderungskündigung (Wilrodt/Neumann,§ 12 RdNr. 62).

45

Es ist davon auszugehen, daß der Kläger weiterhin als Fahrer der Direktion geeignet erscheint; wenn die Beigeladene ihn anderweitig beschäftigen will, so muß sie dem Kläger eine anderweitige gleichwertige Arbeit zuweisen. Es ist von ihr bisher weder dargetan noch bewiesen, daß im Betrieb kein weiterer Fahrer beschäftigt werden kann.

46

Nach allem waren die Berufungen, d.h. die Berufung der Beigeladenen (§ 124 VwGO) und die Anschlußberufung des Beklagten, die er durch Stellung seines Antrages in der mündlichen Verhandlung eingelegt hat (§ 127 VwGO), zurückzuweisen.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO, 188 VwGO.

48

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 7 ZPO.

49

Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Revisionszulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO gegeben war.

Fischer
Jacobi
Dr. Gehrmann