Amtsgericht Wolfenbüttel
Beschl. v. 16.06.2021, Az.: 20 F 1171/20 SO

Bibliographie

Gericht
AG Wolfenbüttel
Datum
16.06.2021
Aktenzeichen
20 F 1171/20 SO
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70726
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Der Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für das Kind …, geboren am … wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kindeseltern je zur Hälfte.

3. Der Verfahrenswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I. Der Kindesvater und Antragsteller erstrebt die gemeinsame Sorgerechtsausübung mit der Kindesmutter für den jetzt 2 Jahre alten … .

Der am … geborene … ist aus der nichtehelichen Beziehung der Beteiligten zu 3. und 4. hervorgegangen. Die elterliche Sorge steht der Kindesmutter allein zu. Eine gerichtliche Entscheidung zum Sorgerecht für … ist bisher nicht ergangen.

Die Kindeseltern lebten jahrelang in einer On-Off-Beziehung und trennten sich im Januar 2019 endgültig voneinander. Nachdem die Kindesmutter die Vaterschaft des Beteiligten zu 3. für … zunächst in Abrede genommen hatte, wurde dessen Vaterschaft mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 29.06.2020 (609 F 3238/19 AB) nach Einholung eines Abstammungsgutachtens festgestellt.

Die Kindeseltern haben ein weiteres gemeinsames Kind, und zwar die am … geborene jetzt 8 Jahre alte …, die seit der Trennung der Eltern im mütterlichen Haushalt lebt. Nach einem Umgangsabbruch zwischen … und dem Kindesvater im Verlauf der Trennung der Kindeseltern wurde vom Amtsgericht Hannover eine dreiwöchige Umgangspflegschaft angeordnet, um die Umgänge zwischen … und dem Vater begleitet wiederanzubahnen. In dem Umgangsverfahren vor dem Amtsgericht Hannover 609 F 1843/19 UG kam es am 20.06.2019 zu einem Umgangsvergleich, der in dem einstweiligen Umgangsverfahren 609 F 2921/19 EAUG durch Vereinbarung vom 08.07.2019 abgeändert wurde. Schließlich verständigten sich die Kindeseltern in einem vor dem Amtsgericht Hannover am 27.08.2019 geschlossenen Umgangsvergleich (609 F 1843/19 UG) auf einen regelmäßigen Umgang des Kindesvaters mit … 14-tägig in den geraden Kalenderwochen von Freitag nach der Schule bis Sonntag 18:00 Uhr und in den ungeraden Kalenderwochen mittwochnachmittags von Schulende bis 18:00 Uhr. Darüber hinaus verpflichtete sich die damals noch in … wohnende Kindesmutter, den Kindesvater für den Fall der Planung eines Wegzugs mit … von mehr als 100 km zwei Monate vorher zu informieren. Umgang des Kindesvaters mit … findet inzwischen regelmäßig 14-tägig am Wochenende von Freitag bis Sonntag statt, wobei eine Begegnung der Kindeseltern nicht erfolgt. Ferien- und Feiertagsumgang wird außergerichtlich per WhatsApp geregelt. Wegen der Einzelheiten der Umgangsvergleiche wird auf die beigezogenen Akten des Amtsgerichts Hannover verwiesen.

Die Kindesmutter verzog zum 01.10.2019 nach Wolfenbüttel, wobei sie den Mietvertrag bereits im August 2019 unterschrieben hatte. Seitdem findet der Umgangskontakt mit … am Mittwoch nur noch in Form von unregelmäßigen Videoanrufen statt.

Der in der Vergangenheit drogen- und alkoholabhängige Kindesvater lebt seit Mitte 2019 in einer neuen Beziehung.

Nachdem das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover mit Beschluss vom 12.09.2019 in dem Sorgerechtsverfahren 609 F 1842/19 SO den Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge - hilfsweise der gemeinsamen elterlichen Sorge - für … zurückgewiesen hatte, wurde auf die Beschwerde des Kindesvaters mit Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 19.03.2020 (10 UF 264/19) der Beschluss des Amtsgerichts Hannover geändert und die elterliche Sorge für … beiden Eltern gemeinsam übertragen. Beide Eltern erklärten im Anhörungstermin vor dem Oberlandesgericht Celle am 25.02.2020, dass sie zeitnah den Kurs „Kinder im Blick“ besuchen werden. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf die Gründe des Beschlusses des Oberlandesgerichts Celle Bezug genommen. Die Klärung sorgerechtsrelevanter Angelegenheiten für … findet seitdem per WhatsApp statt.

Im Termin zur Erörterung am 02.06.2021 in dem vorliegenden Verfahren haben die Beteiligten zu dem ebenfalls anhängigen und mitverhandelten Umgangsverfahren 20 F 1177/20 UG eine Zwischenvereinbarung getroffen, wonach eine Anbahnung des Umgangs des Kindesvaters mit dem gemeinsamen Kind … stattfinden soll, indem dem Kindesvater anlässlich der Übergaben im Rahmen des Umgangs mit … am Freitag und am Sonntag ermöglicht werden soll, von der Großmutter väterlicherseits begleiteten Kontakt zu … sowie mittwochs Telefonkontakte zu haben. Ferner verpflichteten sich die Kindeseltern zur Aufnahme von Beratungsgesprächen bei der Erziehungsberatungsstelle des Landkreises … . Das Umgangsverfahren wird am 17.09.2021 fortgesetzt.

Der Kindesvater hat sein Begehren auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für … damit begründet, dass weder eine Gefährdung des Kindeswohls noch das illoyale Verhalten der Kindesmutter einer gemeinsamen Sorge entgegenstehen könne. Auf die Aufforderung des Kindesvaters zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge habe die Kindesmutter in gewohnter Weise mit Stillschweigen und Untätigkeit reagiert. Er trägt vor, dass die Beziehung der Beteiligten nach wie vor schwierig sei und die Kindesmutter ihm bewusst beide Kinder entzogen habe. Die einvernehmlich getroffene Umgangsregelung für … habe die Kindesmutter durch ihren bewusst verheimlichten Umzug eingeschränkt. Den Umgang mit … habe die Kindesmutter seit dessen Geburt bis heute in gewohnter Weise vereitelt, indem sie die Vaterschaft des Antragstellers bestritten habe. Auf seine Umgangswünsche betreffend … habe sie nicht reagiert. Die Kindesmutter habe in den Vorverfahren beim Amtsgericht Hannover mehrfach bewusst falsche Behauptungen aufgestellt, was belege, dass die Kindesmutter unter Realitätsverlust bzw. einer Persönlichkeitsstörung leide. Sie erfinde immer wieder Situationen und unwahre Fakten. Sie habe ihn als Erzeuger benutzt und die Kinder ohne ihn aufziehen wollen. In diesem von egoistischem Handeln geprägten Verhalten seien offensichtliche Bindungsstörungen der Kindesmutter zu erkennen. Seiner Auffassung nach sei auch die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge aufgrund der offenkundigen Erziehungsdefizite der Kindesmutter gerechtfertigt, wobei er einen solchen Antrag zur Ermöglichung einer schnellen Entscheidung über die gemeinsame elterliche Sorge zurückstelle. Die gemeinsame Sorge bestehe auch zum Vorteil von … .

Er beantragt,

ihm die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind …, geboren am … zu übertragen.

Die Kindesmutter beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie trägt vor, das Verhältnis zwischen den Kindeseltern sei von gegenseitigem tiefsten Misstrauen und Ablehnung geprägt. Die Kindesmutter sehe sich von Seiten des Kindesvaters stetiger Missachtung und Herabsetzung ausgesetzt. Der Kindesvater sehe die Kindesmutter nicht als gleichberechtigte Erziehungspartnerin an. Er sei nicht in der Lage, vertrauensvoll mit ihr zusammen zu wirken. In den Kindschaftsverfahren vor dem Amtsgericht Hannover habe der Kindesvater ihr vorgeworfen, dass sie unglaubwürdig sei, erziehungsunfähig, bildungsfern und arbeitsintolerant. Die ständigen Herabsetzungen und Beleidigungen hätten die bereits bestehenden Kommunikationsschwierigkeiten weiter verstärkt und seien einer Vertrauensbildung abträglich. Im Rahmen der Trennung sei es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Kindesmutter fürchte weitere Gewalt. Der Kindesvater würde … bei Umgangskontakten auch Backpfeifen geben. Sie habe Bedenken im Hinblick auf die Suchterkrankungen des Kindesvaters. Der Kindesvater habe während der Schwangerschaft mit … zu … gesagt, dass sie so lange auf dem Bauch ihrer Mama herum hüpfen solle, bis das Baby tot sei. Im Hinblick auf die vom Oberlandesgericht Celle beschlossene gemeinsame elterlichen Sorge sei es bereits zu Problemen gekommen. Zu dem Elterngespräch in der Schule wegen der Zurückstufung von … sei der Kindesvater zu spät und alkoholisiert gekommen. Die Unterlagen für eine von der Schule empfohlene Testung von … auf ADS habe der Kindesvater erst nach langem Hin und Her unterschrieben. Einem geplanten Urlaub der Kindesmutter mit den Kindern im Sommer 2020 habe er nicht zustimmen wollen. Sie befürchte, dass der Kindesvater über ein gemeinsames Sorgerecht nur Macht ausüben wolle und es ihm nicht um gemeinsame Erziehungsverantwortung gehe.

Das Gericht hat die Beteiligten angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.06.2021, die Stellungnahmen des Verfahrensbeistandes vom 03.12.2020 und 27.04.2021 und die mündlichen Stellungnahmen des Jugendamtes … und des Verfahrensbeistandes im Temin am 02.06.2021 verwiesen.

Der Kindesvater vertritt die Auffassung, dass der Bericht des Verfahrensbeistandes vom 03.12.2020 nicht verwertbar sei und inhaltlich als unqualifiziert zurückgewiesen werden müsse. Er beantragt, die Geeignetheit des Verfahrensbeistandes zu prüfen und die Entpflichtung vorzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten zu diesem Antrag wird auf den Schriftsatz des Kindesvaters vom 15.04.2021 Bezug genommen.

Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Umgangsverfahrens 20 F 1177/20 UG sowie auf die beigezogenen Akten des Amtsgerichts Hannover 609 F 1842/19 SO und 609 F 2921/19 EAUG, die Gegenstand der Erörterung waren, Bezug genommen.

II. Der Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für … war zurückzuweisen.

Nach den vorliegenden Ermittlungen, insbesondere den Anhörungen der Beteiligten, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es unter den gegenwärtigen Umständen dem Kindeswohl widerspricht, das die elterliche Sorge für Joshua von den Kindeseltern gemeinsam ausgeübt wird.

Gemäß § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB überträgt das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils, der nicht mit dem anderen Elternteil verheiratet ist, die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Nach dem Willen des Gesetzgebers bedarf es für die Schaffung der gemeinsamen elterlichen Sorge keiner positiven Feststellung, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht. Vielmehr sollen grundsätzlich beide Eltern bereits dann, wenn keine Gründe vorliegen, die gegen die gemeinsame Sorge sprechen, diese übertragen bekommen. Entscheidungsmaßstab bleibt jedoch vorrangig das Kindeswohl, wobei der Prüfungsmaßstab der negativen Kindeswohlprüfung sicherstellen soll, dass die Belange des Kindes hinreichende Berücksichtigung finden und zugleich die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden. Mit der negativen Kindeswohlprüfung wird die Überzeugung des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht, dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich dem Bedürfnis des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen. Dabei wird der gemeinsamen elterlichen Sorge jedoch kein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt und es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Die Vorschrift des § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB bestimmt, dass der Kindesvater nicht von vornherein deshalb von der elterlichen Sorge ausgeschlossen bleiben darf, weil die Kindesmutter einer entsprechenden Antragstellung nicht zustimmt, verlangt aber weiterhin, dass das Familiengericht diejenige Entscheidung zu treffen hat, die sich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten am Wohl des Kindes orientiert, § 1697a BGB.

Voraussetzung für eine gemeinsame Sorge ist - ebenso wie im umgekehrten Fall, bei dem nach § 1671 BGB geprüft wird, ob die gemeinsame elterliche Sorge aus Gründen des Kindeswohls aufgehoben werden muss - eine zwischen den Kindeseltern bestehende tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmung in den wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge, wofür wiederum beide Elternteile über die für eine gemeinsame Sorgetragung erforderliche Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft verfügen sowie kooperations- und konsensfähig sein müssen, um gemeinsam dem Wohl des Kindes dienende Entscheidungen treffen zu können.

Ausgehend von diesen Voraussetzungen ist festzustellen, dass eine gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes Joshua widerspricht. Im vorliegenden Einzelfall liegen Gründe vor, die gegen die gemeinsame elterliche Sorge sprechen.

Eine gemeinsame elterliche Sorge widerspricht bereits dem Kindeswohl, weil der Kindesvater keine Beziehung und keine Bindung zu dem Kind … hat. Zwar entspricht es grundsätzlich dem Kindeswohl, wenn das Kind seine Eltern in wichtigen Entscheidungen für sein Leben als gleichberechtigt erlebt und beide Elternteile für das Kind Verantwortung tragen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Kind zu beiden Elternteilen eine gute Beziehung hat und wenn sich beide um das Kind kümmern und Kontakt zu ihm pflegen. Anders als bei der gemeinsamen Tochter … besteht jedoch zwischen dem Kindesvater und … (noch) keine Beziehung und auch keinerlei Bindung. Beide haben es zu keinem Zeitpunkt in einem Haushalt zusammengelebt, da die Trennung der Kindeseltern vor der Geburt erfolgt ist. Es gab auch bisher keinen Kontakt. Der Kindesvater hat keinerlei Kenntnis von der Persönlichkeit und den Eigenheiten des Kindes. Aufgrund der im Termin am 02.06.2021 geschlossenen Zwischenvereinbarung soll erst vorsichtig versucht werden, einen Kontakt des Kindesvaters mit … anzubahnen. Dabei kann dahinstehen, aus welchen Gründen es bisher nicht zum Aufbau einer Vater-Kind-Beziehung gekommen ist. Entscheidend ist vorliegend das Wohl des Kindes und dieses erfordert, dass ein Elternteil das Kind kennt, um kindeswohlentsprechende Entscheidungen fällen zu können. Bei einem Elternteil, der keinen Kontakt zu seinem Kind hat, ist das nicht möglich.

Darüber hinaus widerspricht die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge auch dem Kindeswohl, weil zwischen den Kindeseltern eine tragfähige soziale Beziehung und ein Mindestmaß an Übereinstimmung nicht besteht. Das Verhältnis der Kindeseltern zueinander ist von einem starken Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Beide Kindeseltern haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass eine Kommunikation zwischen ihnen nicht stattfindet und auch nicht möglich ist. Nach dem beiderseitigen schriftsätzlichen Vorbringen und dem vom Gericht in der Anhörung der Beteiligten gewonnenen Eindruck bestehen gegenwärtig bei beiden Elternteilen so erhebliche Vorbehalte gegen den jeweils anderen, dass sie ein vertrauensvolles Zusammenwirken im Interesse des Kindeswohls ausschließen. Eine sachliche Kommunikation zwischen den Kindeseltern ist wegen des hohen Konfliktpotenzials nicht möglich. Der Kindesvater wirft der Kindesmutter wie auch schon in den Vorverfahren weiterhin vor, durch den nicht abgesprochenen Umzug nach Wolfenbüttel das Umgangsrecht mit den Kindern eingeschränkt bzw. vereitelt zu haben. Er lastet der Kindesmutter offenkundige Erziehungsdefizite an und wirft ihr egoistisches Handeln und einen Realitätsverlust bzw. eine Persönlichkeitsstörung vor. Er bezichtigt sie der Lügen und Täuschungen. Die Diktion im Schriftsatz vom 15.04.2021 lässt ebenso wie der gesamte Schriftwechsel in den Vorverfahren deutlich die negative Einstellung des Kindesvaters zur Kindesmutter erkennen mit dem Bestreben, diese in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Kindesmutter bringt in ihrem Vortrag ebenfalls weiterhin ihre negative Einstellung zum Kindesvater zum Ausdruck, die sie auf ihr Erleben und Vorkommnisse in der Beziehung stützt. Sie wirft dem Kindesvater ständige Herabsetzungen, Beleidigungen sowie ein Gewaltpotenzial vor und befürchtet, dass es dem Kindesvater lediglich um Machtausübung über die Kindesmutter geht. Sie äußert Bedenken daran, dass der Kindesvater seine Suchterkrankungen überwunden hat. Das Fehlen jeglicher Wertschätzung des anderen Elternteils ist offensichtlich. Die Kommunikation und Kooperation zwischen den Kindeseltern ist unter diesen Umständen nachhaltig gestört und beide Elternteile sind derart in ihrem persönlichen Paarkonflikt verhaftet, dass eine ausreichende Basis für eine gemeinsame Sorgerechtsausübung nicht gesehen wird.

Den Kindeseltern gelingt ohne Inanspruchnahme des Gerichts keine Verständigung. Es gab bereits mehrere Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht Hannover seit dem Jahr 2016 bezüglich der älteren Tochter … und auch beim Amtsgericht Wolfenbüttel ist sowohl ein Verfahren zum Sorgerecht als auch zum Umgangsrecht betreffend … anhängig. Zudem musste die Vaterschaft von … in einem gerichtlichen Verfahren geklärt werden. Umgangsvereinbarungen gelangen den Kindeseltern hinsichtlich … bisher nur nach mehrstündigen gerichtlichen Verhandlungen und auch bezüglich … ist im Termin am 02.06.2021 nach mehrstündiger Erörterung lediglich eine Zwischenvereinbarung zu einer vorsichtigen Anbahnung des Umgangs gelungen. Eine Verständigung zum Sorgerecht, auch zu der Option einer derzeitigen Zurückstellung des Sorgerechtsantrags des Kindesvaters für …, war nicht möglich.

Der derzeit allein funktionierende Wochenendumgang des Kindesvaters mit … ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich die Kindeseltern bei den Übergaben nicht begegnen und aufgrund der getroffenen Regelungen keinerlei Kommunikation stattfinden muss und Konfliktpotential nicht zu Tage treten kann. Anhaltspunkte für eine verbesserte und vor allem sachliche Kommunikation der Kindeseltern lassen sich daraus nicht ableiten. Dies bestätigen auch die von beiden Eltern vorgetragenen Schwierigkeiten hinsichtlich der unregelmäßig stattfindenden Telefonkontakte am Mittwoch, deren Gründe die Kindeseltern jeweils beim anderen Elternteil sehen.

Zu einer verbesserten Kommunikation und Kooperation der Eltern ist es auch aufgrund der Sorgerechtsentscheidung des Oberlandesgerichts Celle für … nicht gekommen, was bereits die nunmehr beim Amtsgericht Wolfenbüttel anhängig gemachten Kindschaftssachen zeigen. Die erzwungene Kommunikation und Kooperation der Kindeseltern ist von fortwährendem gegenseitigen Misstrauen geprägt und hat nicht zu sachdienlicher Konsensfindung geführt. Der auf gemeinsame Sorgerechtsentscheidungen für … gerichtete Kontakt der Kindeseltern findet ausschließlich per WhatsApp statt. Der von der Kindesmutter vorgelegte WhatsApp-Verlauf hinsichtlich der beabsichtigten Urlaubsreise mit dem Kind ins Ausland im Sommer 2020 lässt eine Auseinandersetzung erkennen, die nicht auf eine sachgerechte und zeitnahe Wahrnehmung gemeinsamer Elternverantwortung gerichtet ist. Es wurden tagelang Nachrichten ausgetauscht ohne Ergebnis. Der Kindesvater kündigte sogar an, der Kindesmutter den Urlaub zu verderben und erteilte sein Einverständnis zur Auslandsreise letztlich nicht. Die Kindesmutter wiederum benutzte die Umgangskontakte als Druckmittel für die erwünschte Zustimmung zur Reise. Zwar kam es letztlich nicht auf eine Einigung an, weil der Urlaub aufgrund der Coronasituation ohnehin nicht stattfand. Es wurde aber deutlich, dass die gemeinsame Sorge zu gegenseitigen Machtspielchen missbraucht wird und der Kindesvater die Trennung offensichtlich nicht überwunden hat. Auch bezüglich der ADHS-Diagnostik bei … war es den Kindeseltern nicht möglich, sachlich einen Konsens zu erzielen, vielmehr war die nach langem Hin und her erteilte Zustimmung des Kindesvaters von Vorwürfen gegen die Kindesmutter begleitet.

Zwischen den Kindeseltern besteht keine tragfähige soziale Beziehung. Der Elternkonflikt es vorliegend so nachhaltig und schwerwiegend, dass er der Errichtung einer gemeinsamen elterlichen Sorge für Joshua entgegensteht. Es wäre im Fall einer gemeinsamen elterlichen Sorge aufgrund der konträren Einstellungen der Kindeseltern mit weiteren Gerichtsverfahren über einzelne sorgerechtliche Angelegenheiten zu rechnen, was dem Kindeswohl widerspricht. Bei den zu erwartenden Konflikten der Kindeseltern würde … immer wieder in das Zentrum der Spannungen geraten, was nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Die Eltern sind zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung nicht in der Lage. Die Begründung einer gemeinsamen elterlichen Sorge würde zu einem Mehr an Konflikten zwischen den Eltern führen, sodass es dem Kindeswohl am besten entspricht, die elterliche Sorge allein bei der Kindesmutter zu belassen.

Anhaltspunkte dafür, dass sich an der Kooperations- und Konsensfähigkeit der Kindeseltern zeitnah etwas ändern wird, kann das Gericht nicht erkennen. Die von beiden Kindeseltern in dem Vorverfahren erklärte Inanspruchnahme von professioneller Beratung und der Besuch des Kurses „Kinder im Blick“ wurde nicht konsequent umgesetzt. Zwar hat der Kindesvater einige Termine Erziehungsberatung in Anspruch genommen und zwei Termine des Kurses „Kinder im Blick“ besucht, diesen jedoch dann abgebrochen, weil er für sich keinen Sinn darin gesehen habe. Die Kindesmutter hat ebenfalls einige Termine Erziehungsberatung wahrgenommen, sich jedoch bei dem Kurs nicht angemeldet. Der Erwartung des Oberlandesgerichts Celle in seinem Beschluss vom 19.03.2020, wonach durch den Besuch des Kurses „Kinder im Blick“ in absehbarer Zeit eine Verbesserung des Kommunikationsverhaltens der Kindeseltern zu erwarten sei, ist damit die Grundlage entzogen.

Vorliegend ist wegen fehlender Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft und - fähigkeit mit fortwährenden erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen und die Beziehung von starken Spannungen und wechselseitigen Vorwürfen und Abwertungen geprägt und vorbelastet, sodass die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts dem Kindeswohl zuwiderläuft, weil die Beziehungsfähigkeit und Entwicklung des Kindes erheblich beeinträchtigt ist. Der Verlauf der bisherigen Auseinandersetzungen zwischen den Kindeseltern erlaubt nicht die Prognose, dass in absehbarer Zukunft eine gemeinsame Kommunikations- und Kooperationsbasis gefunden wird, sodass die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge mehr Nachteile als Vorteile für das Kind mit sich bringen würde. Es besteht das hohe Risiko, dass das Kind durch die gemeinsame Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird.

Das Gericht hat aufgrund der vorstehenden Ausführungen auch die Befürchtung, dass sich die Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen den Kindeseltern verschärfen würden, wenn ein gemeinsames Sorgerecht eingerichtet wurde. Durch die zu erwartenden Konflikte der Eltern würde das Kind voraussichtlich zunehmend belastet, während das Gericht sich von einer Entscheidung, nach der es bei der bisherigen Regelung verbleibt, verspricht, dass Ruhe in das Verhältnis zwischen den Kindeseltern einkehrt und sich vielleicht doch im Laufe der Zeit ein normales und entspanntes Verhalten im Umgang miteinander ergibt, was sich positiv auf das Kind auswirken würde.

Zwar sind den Kindeseltern Bemühungen um eine gelingende Kommunikation und Kooperation abzuverlangen und sie sind grundsätzlich gehalten, sich beraten zu lassen. Wird dies - wie hier - aber nicht erreicht, weist dies auf einen Elternkonflikt hin, der sich auf das Kindeswohl schwerwiegend auswirken kann. Eine mit Vorwürfen und Abwertungen einhergehende Uneinigkeit über die Herbeiführung der gemeinsamen elterlichen Sorge lässt erwarten, dass es auch bei deren Ausübung zu Auseinandersetzungen kommen wird.

Auf die Frage, wer diese Situation verursacht hat, kommt es nicht an. Einer Entscheidung gemäß § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB kommt weder Bestrafungs- noch Belohnungsfunktion für die Eltern zu. Für das Wohl des Kindes kommt es nicht entscheidend darauf an, welcher Elternteil sein Verhalten in der Vergangenheit oder Gegenwart den aktuellen Lebenszustand herbeigeführt hat. Es ist in erster Linie entscheidend, dass für die weitere Entwicklung in der Zukunft sichergestellt wird, dass die aus einer nicht funktionierenden Kommunikation und Kooperation entstehenden nachteiligen Folgen und Streitereien zwischen den Eltern beendet werden. Die Pflicht zur Konsensfindung kann jedoch eine tatsächlich nicht funktionierende Kommunikation nicht ersetzen und ist dem Kindeswohl nicht dienlich. Die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist vorliegend nicht geeignet, um das nötige Mindestmaß an Übereinstimmung und eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern herzustellen. Vielmehr sind zunächst die Grundlagen für eine gemeinsame Sorgerechtsausübung zu schaffen, wofür die erneute Aufnahme von Beratungsgesprächen notwendig ist.

Die Gefahr von eigenmächtigen, das Kindswohl von … beeinträchtigenden Entscheidungen sieht das Gericht nicht. Die derzeit funktionierenden Wochenendumgänge mit … lassen keine Anhaltspunkte erkennen, dass die Kindesmutter gegen ihre Wohlverhaltenspflicht verstößt und Umgänge mit dem Vater vereitelt. Insoweit wird das Gericht der Kindesmutter auch nicht ihren für die übrigen Verfahrensbeteiligten überraschenden, von der Kindesmutter jedoch geplanten und verheimlichten Umzug nach Wolfenbüttel im Sommer 2019 und den dadurch bedingten Wegfall der Mittwochskontakte des Kindesvaters mit … oder ihr Verhalten im Zusammenhang mit der Vaterschaftsfeststellung für … im Hinblick auf die zu treffende Sorgerechtsentscheidung negativ anlasten. Die Verpflichtung der Kindesmutter zur Information des Kindesvaters über einen geplanten Wegzug mit … entsprechend des Umgangsvergleichs vom 27.08.2019 bestand nur für eine Entfernung von 100 km, was im Fall des Umzugs von … nach … nicht der Fall ist. Der Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge kommt keine Sanktionswirkung zu. Sie dient nicht dazu, Elternteile für ein Verhalten zu bestrafen und möglichen Alleingängen vorzubeugen. Die Sorgerechtsentscheidung des Oberlandesgerichts Celle betreffend … kann auch nicht Grundlage einer gemeinsamen Sorge für … sein. Die Voraussetzungen der Übertragung der gemeinsamen Sorge sind in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen und liegen für … nicht vor.

Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass die Kindesmutter ihre Zustimmung zur gemeinsamen elterlichen Sorge willkürlich und aus Eigeninteresse mit dem Ziel, den Kindesvater aus der Entwicklung des Kindes auszuschließen und ihre Macht zu demonstrieren, verweigert hat. Vielmehr sind nach den gegenwärtigen Verhältnissen kindeswohlgerechte Absprachen zwischen den Kindeseltern in keiner Weise möglich. Dies haben beide Eltern in den Terminen in den zahlreichen Umgangs- und Sorgeverfahren eindringlich gezeigt.

Sowohl der Verfahrensbeistand als auch das Jugendamt haben einen Fortbestand der schwerwiegenden Kommunikationsstörung festgestellt und sehen ein erhebliches Konfliktpotential auf der Elternebene zulasten des Kindes. Sie sind der Auffassung, dass zunächst eine Basis für eine gemeinsame Kommunikation der Eltern und ein Vertrauen aufgebaut werden muss, bevor eine gemeinsame Sorge in Betracht kommt.

Für das Gericht bestehen keine Gründe, die von dem Kindesvater angeregte Entpflichtung des Verfahrensbeistandes wegen Ungeeignetheit vorzunehmen. Dass die Empfehlung des Verfahrensbeistandes nicht dem Willen des Kindesvaters entspricht, rechtfertigt keine Entpflichtung. Das Gericht hält den Verfahrensbeistand aufgrund seiner besonderen Qualifikation und langjährigen Erfahrung mit Verfahrensbeistandschaften für persönlich und sachlich geeignet, das Interesse des Kindes in subjektiver und objektiver Hinsicht festzustellen und sachgerecht in das Verfahren einzubringen. Er hat entsprechend der Beauftragung auch Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen geführt und sich die für die Verschaffung eines verlässlichen Bildes der kindlichen Wünsche notwendigen Informationen beschafft. Zu den Aufgaben des Verfahrensbeistandes gehört es nicht, die Angaben der Eltern auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und aufzuklären. Er ist auch nicht berechtigt, Tatsachen zu ermitteln. Vorliegend ist weder eine Pflichtverletzung des – nicht der Aufsicht des Gerichts unterliegenden - Verfahrensbeistandes zu erkennen noch begründen sonstige Umstände eine Ungeeignetheit.

Es hat bei der bisherigen Alleinsorge der Kindesmutter zu bleiben, weil nur dies gegenwärtig dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Es bestehen überdies keine Zweifel, dass die von der Kindesmutter bisher getroffenen sorgerechtlichen Entscheidungen im Einklang mit dem Wohl des Kindes … erfolgt sind.

Unter den gegebenen Umständen hat das Gericht auch davon abgesehen, dem Kindesvater in Teilbereichen der elterlichen Sorge ein Mitsorgerecht einzuräumen. Derzeit entspricht es nach Auffassung des Gerichts dem Kindeswohl am besten, wenn es beim alleinigen Sorgerecht der Kindesmutter bleibt. Dies wird auch von dem Verfahrensbeistand und dem Jugendamt … befürwortet.

Es bleibt für die Zukunft zu hoffen, dass es den Kindeseltern gelingt, eine sachliche Elternebene zu finden. Sie müssen begreifen, dass ein kooperatives und nicht gegeneinander gerichtetes Handeln der Kindeseltern der Entwicklung der Kinder am besten dient und dass gegenseitiges Misstrauen und Anspruchsdenken sich nachteilig auf das Wohl des Kindes auswirken.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswertes hat ihre Rechtsgrundlage in § 45 FamGKG.