Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 05.03.2002, Az.: 2 Ss BZ 6/02

Beurkundung; Hauptverhandlung; Wesentliche Förmlichkeit; Bußgeldbescheid; Verurteilung; Vorsätzliche Begehungsweise; Vorsatz; Beweis; Protokoll

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
05.03.2002
Aktenzeichen
2 Ss BZ 6/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 16295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2002:0305.2SS.BZ6.02.0A

Fundstellen

  • NStZ 2004, 21 (Kurzinformation)
  • NStZ-RR 2002, 179-180 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Der Hinweis, dass entgegen dem Bußgeldbescheid auch die Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise in Betracht komme, stellt eine wesentliche Förmlichkeit i. S. d. § 273 StPO dar, deren Beachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann; die Unterrichtung des Betroffenen bzw. Verteidigers über die Veränderung durch den Gang der Hauptverhandlung genügt nicht.

Gründe

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I. Durch das angefochtene Urteil ist die Betroffene wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Meldepflicht gegenüber dem Arbeitsamt zu einer Geldbuße von 300, 00 DM verurteilt worden. Hierzu hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Betroffene u. a. in dem Zeitraum vom 01. 08. bis 31. 12. 2000 vom Arbeitsamt Göttingen Arbeitslosenhilfe bezogen habe; obwohl sie in diesem Zeitraum ein Nebeneinkommen bei der Firma Rolf R. erzielt habe, habe sie dies dem Arbeitsamt bewusst und gewollt nicht mitgeteilt, sodass in diesem Zeitraum eine Überzahlung vonseiten des Arbeitsamtes in Höhe von 1. 575, 00 DM eingetreten sei. Gegen dieses Urteil hat die Betroffene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und diese mit der Verfahrens- und Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.

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II. Der Zulassungsantrag ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet. Er hat auch in der Sache selbst einen Zwischenerfolg. Denn das Amtsgericht hat die Betroffene wegen vorsätzlicher Begehungsweise der Ordnungswidrigkeit verurteilt welche ihr nach dem Bußgeldbescheid nur in fahrlässiger Form vorgeworfen worden ist ohne auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes gemäß den §§ 265 Abs. 1 u. 2 StPO, 71 Abs. 1 OWiG hinzuweisen.

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Im Rahmen der Zulassungsbeschwerde ist diesbezüglich in zulässiger Weise eine entsprechende Verfahrensrüge erhoben worden, welcher der Erfolg nicht versagt werden kann. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass der Betroffenen durch Bußgeldbescheid des Arbeitsamts Göttingen vom 20. April 2001 nur ein fahrlässiger Verstoß gegen die Meldepflicht gegenüber dem Arbeitsamt vorgeworfen worden ist. Wenn das Amtsgericht gleichwohl wegen einer vorsätzlichen Begehung dieser Ordnungswidrigkeit verurteilt hat, ohne gemäß den §§ 265 Abs. 1 u. 2 StPO, 71 Abs. 1 OWiG darauf hinzuweisen, dass ein anderes Gesetz i. S. d. § 265 Abs. 1 StPO angewandt werden soll, so liegt hierin ein verfahrensrechtlicher Verstoß. Von einem solchen ist auch auszugehen, wenn sich im Rahmen der Hauptverhandlung ergibt, dass der Angeklagte bzw. der Betroffene statt wegen Fahrlässigkeit wegen Vorsatzes zu verurteilen ist selbst wenn beide Begehungsweisen in demselben Tatbestand erfasst werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , § 265 Rdnr. 11 m. w. N. ). Diese strafprozessuale Vorschrift ist auch im Ordnungswidrigkeitenrecht anzuwenden (Göhler, OWiG, 12. Aufl. , § 71 Rdnr. 50 m. Rspr. Nw. ).

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Dieser Verfahrensverstoß ist bereits dadurch als bewiesen anzusehen, dass der erforderliche Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 u. 2 StPO nicht in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden ist. Denn bei diesem Hinweis handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit i. S. d. § 273 StPO, deren Einhaltung gemäß § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (OLG Brandenburg DAR 2000, 40, 41 [OLG Brandenburg 29.07.1999 - 1 Ss OWi 60B/99]; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl. , § 71 Rdnr. 104 a. E. ; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 273 Rdnr. 7). Insbesondere ist der Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NStZ 1994, 347 = NZV 1994, 204) nicht zu folgen, wonach der entsprechende Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 u. 2 StPO - auch in jener Entscheidung ging es um einen erforderlichen Hinweis auf die Möglichkeit der Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise, nachdem der Bußgeldbescheid ohne Angabe der Schuldform war - weder förmlich erfolgen müsse noch protokollpflichtig sei. Soweit sich das Oberlandesgericht Düsseldorf diesbezüglich auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt in Strafverteidiger 1985, 224 berufen hat, ist dies unzutreffend, weil es in jener Entscheidung nicht um eine Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 u. 2 StPO ging, sondern um eine solche nach § 265 Abs. 4 StPO; in jenem Fall genügt es, wenn der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung unterrichtet wird, was im Wege des Freibeweises ermittelt werden kann (BGH NStZ 1981, 190; insoweit missverständlich Göhler, a. a. O. , § 71 Rdnr. 50 a. E. unter Hinweis auf OLG Düsseldorf und OLG Frankfurt, a. a. O. , wonach im Falle des § 265 StPO ein förmlicher, protokollpflichtiger Hinweis nicht erforderlich sei und die Unterrichtung des Betroffenen bzw. Verteidigers über die Veränderung durch den Gang der Hauptverhandlung genüge, ohne die diesbezügliche unterschiedliche Behandlung zwischen Absatz 1 und Absatz 4 der Vorschrift durch die Rechtsprechung des BGH herauszustellen, vgl. insoweit BGH, a. a. O. ).

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Da vorliegend das Protokoll über einen Hinweis nach den §§ 265 Abs. 1 und 2 StPO, 71 Abs. 1 OWiG schweigt, gilt der Hinweis als nicht erteilt (OLG Brandenburg, a. a. O. , m. w. R). Damit ist es für den Senat nicht zulässig, beispielsweise über eine dienstliche Erklärung des entscheidenden Richters am Amtsgericht im Freibeweisverfahren festzustellen, ob die Betroffene durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes unterrichtet worden ist.

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Auf dem genannten Verfahrensfehler beruht das Urteil auch i. S. d. §§ 337 StPO, 79 Abs. 3 S. 1, 80 Abs. 3 S. 1 OWiG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Betroffene, hätte sie den Hinweis gemäß § 265 StPO erhalten, ihre Verteidigung in anderer Weise geführt hätte (nur in Ausnahmefällen kann das Beruhen verneint werden, Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O. , § 265 Rdnr. 48) oder den Einspruch möglicherweise zurückgenommen hätte (tatsächlich ist im Bußgeldbescheid eine niedrigere Geldbuße festgesetzt worden).

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III. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da die Gefahr besteht, dass sich ein derartiger Verfahrensfehler wiederholen wird (vgl. Göhler, a. a. O. , § 80 Rdnr. 5). Dies gilt gerade im Hinblick darauf, dass in Bußgeldbescheiden die Schuldform meist nicht genannt oder aber ausdrücklich Fahrlässigkeit vorgeworfen wird, sich aber im Rahmen der eingehenderen Hauptverhandlung die vorsätzliche Begehungsweise der vorgeworfenen Tat ergibt.

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IV. Da die Hauptverhandlung erneut durchzuführen und damit erneut Feststellungen zu treffen sind, hatte der Senat die Sache gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht Göttingen zurückzuverweisen.

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Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde war dem Amtsgericht vorzubehalten, da der Senat derzeit den endgültigen Erfolg des Rechtsmittels nicht absehen kann.

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