Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.04.2005, Az.: Ss 8/05 (I 21)
Bestimmung des Verfahrensgegenstandes durch einen zuvor erlassenen Strafbefehl; Vorwurf der Beihilfe zur Hinterziehung von Steuern auf Zinsen aus Inhaberschuldverschreibungen; Widersprüchlichkeit und Lückenhaftigkeit eines Urteils; Bestimmung des Eintritts der Verfolgungsverjährung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 04.04.2005
- Aktenzeichen
- Ss 8/05 (I 21)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 34266
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2005:0404.SS8.05I21.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 05.11.2004 - AZ: 13 Ns 436/04 (I)
Rechtsgrundlagen
- § 407 Abs. 1 S. 4 StPO
- § 370 AO
- § 27 StGB
- § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB
Fundstelle
- wistra 2005, 352-353 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Beihilfe zur Steuerhinterziehung
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
in der Hauptverhandlung vom 4. April 2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht ...,
Richterin am Oberlandesgericht ... als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt ...als Verteidiger,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 5. November 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Tatbestand
A.
Der Angeklagte war früher Leiter der Filiale der Landessparkasse zu Oldenburg (LzO) in Garrel. Einer seiner Kunden war Herr B.T.. Dieser erwarb unter Mitwirkung des Angeklagten verzinsliche Inhaberschuldverschreibungen im Wert von über 200.000 DM. Dabei ließ er sich die Wertpapiere im so genannten Tafelgeschäft körperlich aushändigen, um die gegen Vorlage der Zinskupons bar auszuzahlenden Zinsen vor den Finanzbehörden verheimlichen zu können und nicht zu versteuern. Herr T. ließ sich unter Mitwirkung des Angeklagten die Zinsen jährlich bei einer holländischen Bank auszahlen. Er verschwieg diese Einkünfte in seinen Einkommensteuererklärungen der Jahre 1993 bis 1998 und hinterzog dadurch erhebliche Einkommensteuerbeträge.
Dem Angeklagten wird durch Strafbefehl des Amtsgerichts Oldenburg vom 16. Februar 2004 u.a. vorgeworfen, bei den Steuerhinterziehungen des Herrn T. dadurch Beihilfe geleistet zu haben, dass er ihm den Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen im Tafelgeschäft empfahl, die Zinskupons persönlich bei einer Bank in den Niederlanden einlöste, die Zinsen in bar nach Deutschland brachte und Herrn T. aushändigte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Strafbefehls einschließlich der darin in Bezug genommenen Anlagen verwiesen, Band I Bl 183-191 der Akten.
Der Angeklagte hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. In der daraufhin am 29. Juni 2004 durchgeführten Hauptverhandlung hat ihn der Strafrichter des Amtsgerichts Oldenburg der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig gesprochen, ihn verwarnt und die Verhängung einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 50 EUR vorbehalten; ferner hat es dem Angeklagten nach § 59a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB aufgegeben, an eine gemeinnützige Einrichtung 1.500 EUR zu zahlen.
Über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil hat das Landgericht Oldenburg am 5. November 2004 entschieden. Es hat das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben, das Verfahren hinsichtlich der Beihilfe zur Einkommensteuerhinterziehung des Herrn T. der Jahre 1993 bis 1995 wegen Strafverfolgungsverjährung eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen.
Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, der Gehilfenvorsatz des Angeklagten habe sich nur auf die Hinterziehung von Steuern für Zinsen der von Herrn T. zunächst besessenen und 1995 auslaufenden Inhaberschuldverschreibungen der LzO erstreckt, nicht hingegen für die sodann von Herrn T. erworbenen Inhaberschuldverschreibungen der Westfälischen Hypothekenbank. Insoweit sei die Strafverfolgung bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten im Jahre 2002 bereits verjährt gewesen. In Hinblick auf die Steuerhinterziehungen des Herrn T. der Jahre 1996 bis 1998 habe der Angeklagte freigesprochen werden müssen, weil diesbezügliche Beihilfehandlungen des Angeklagten nicht Gegenstand des Verfahrens seien. Denn im Strafbefehl seien nur Steuerhinterziehungen wegen der Zinsen aus Inhaberschuldverschreibungen der LzO, nicht hingegen aus solchen der Westfälischen Hypothekenbank angeführt worden. Letztere seien zwar in der Anlage "Verkürzungsberechnung" des Strafbefehls aufgeführt, diese sei aber nur für die Höhe der Steuerverkürzung und nicht für den Umfang der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat maßgeblich.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des sachlichen Rechts. Das Landgericht habe rechtsirrig verkannt, dass auch eine Beihilfe des Angeklagten zu den Steuerhinterziehungen des Herrn T. der Jahre 1996 bis 1998 Gegenstand des Strafverfahrens sei. Der Angeklagte habe deshalb insoweit verurteilt werden müssen. Da diese später begangene mit der vorangegangenen Beihilfe des Angeklagten rechtlich eine Einheit bilde, sei auch insgesamt keine Verjährung eingetreten.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts.
1.
Das Landgericht hat die auf Steuerhinterziehung für die Jahre 1996 bis 1998 bezogenen Handlungen des Angeklagten zu Unrecht nicht als
Verfahrensgegenstand angesehen. Der Gegenstand des Strafverfahrens wird hier durch den Strafbefehl vom 16. Februar 2004 bestimmt, durch den gemäß § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO die öffentliche Klage erhoben worden ist, und der festlegt, welche Tat im strafprozessualen Sinne dem Angeklagten vorgeworfen wird. In dem Strafbefehl wird der Angeklagte beschuldigt, Beihilfe zu den Hinterziehungen von Steuern auf Zinsen aus Inhaberschuldverschreibungen des Herrn T. der Jahre 1993 bis 1998 begangen zu haben. Es werden das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten geschildert und die Steuerverkürzungsbeträge der genannten 6 Jahre im einzeln aufgelistet. Der Umstand, dass im Text des Strafbefehls nur Steuerhinterziehungen wegen der Zinsen aus Inhaberschuldverschreibungen der LzO, nicht hingegen aus solchen der Westfälischen Hypothekenbank angeführt werden, ist entgegen der Ansicht des Landgerichts schon deshalb unerheblich, weil Letztere ausdrücklich in der Anlage des Strafbefehls genannt sind, auf die in diesem ausdrücklich Bezug genommen wird und die deshalb ein Teil desselben ist. Dass die Staatsanwaltschaft insoweit keinen Tatvorwurf hätte erheben wollen, kommt angesichts des entgegenstehenden sonstigen Inhalts des Strafbefehls nicht in Betracht. Auch der Angeklagte konnte nicht im Zweifel sein, dass ihm für die Jahre 1993 bis 1998 Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Herrn T. vorgeworfen wird, die dieser durch Verschweigen der Zinseinkünfte aus den beiden Arten von Inhaberschuldverschreibungen beging. Ob die Zinseinkünfte der Jahre 1996 bis 1998 Gegenstand der Ermittlungen war, ist als solches unerheblich. Es kommt vielmehr nur darauf an, ob sich die öffentliche Klage hierauf erstreckt. Das ist der Fall.
Entgegen der Ansicht der Verteidigung bezeichnet der Strafbefehl auch ausreichend konkret die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungsweisen, nämlich das Empfehlen der steuerfreien Einlösung von Zinskupons im Ausland und das persönliche Einlösen von Kupons bei der ABN-AMRO-Bank in Winschoten/NL.
Dass hierbei in dem Strafbefehl die Einzelheiten des tatsächlichen Ablaufs nicht detailliert geschildert werden, ist unschädlich. Denn die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat wird so genau bezeichnet, dass die Identität des geschichtlichen Vorganges klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist, die sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen eindeutig unterscheiden lässt, sodass nicht unklar bleibt, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll, vgl. BGH StV 1995, 113. Insoweit wird der Strafbefehl - unter Berücksichtigung seiner Anlage - auch den für ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung spezifizierten Anforderungen an den Inhalt eines Strafbefehls gerecht, wie sie das Oberlandesgericht Düsseldorf (NStZ 19991, 99) aufgestellt hat, sodass offen bleiben kann, ob dieser Entscheidung zu folgen ist (ablehnend u.a. OLG Karlsruhe, wistra 1994, 319 und BayObLG, MDR 1992, 889).
Das Landgericht hätte mithin in Hinblick auf den Zeitraum ab 1996 den Angeklagten nicht wegen insoweit fehlender öffentlicher Klage freisprechen dürfen, sondern von seinem Standpunkt zur begrenzten Reichweite des Vorsatzes des Angeklagten aus (hierzu s.u.) eine Strafbarkeit wegen einer zweiten, 1996 einsetzenden Beihilfe prüfen und den Angeklagten hierauf hinweisen müssen.
2.
Dem Landgericht kann auch nicht in seiner Feststellung gefolgt werden, der Gehilfenvorsatz des Angeklagten habe sich inhaltlich nur auf Zinsen aus den Papieren der LzO und zeitlich damit nur auf die Jahre 1993 bis 1995 erstreckt. Insoweit ist das Urteil widersprüchlich und lückenhaft; es erlaubt dem Senat nicht die ihm obliegende Prüfung auf Rechtsfehler und kann vor der Sachrüge der Staatsanwaltschaft keinen Bestand haben.
Das Landgericht begründet seine ohne eine Beweiswürdigung getroffene Feststellung damit, es sei "davon auszugehen", dass sich der Gehilfenvorsatz des Angeklagten auf die zunächst im Besitz des Herrn T. befindlichen LzO-Papiere bezogen habe, weshalb mit deren Endfälligkeit 1995 der Vorsatz "gewissermaßen verbraucht" sei.
Das widerspricht zum einen den Feststellungen des Amtsgerichts, die in dem landgerichtlichen Urteil in Bezug genommen werden (UA S. 3). Das Amtsgericht war danach für den gesamten Zeitraum 1993 bis 1998 von einem einheitlichen Gehilfenvorsatz des Angeklagten ausgegangen, der auf Unterstützung des Herrn T. bei dessen Hinterziehung der Steuern auf Zinsen von im Tafelgeschäft erworbenen Wertpapieren gerichtet war. Diese Abweichung von den in Bezug genommenen Feststellungen des Amtsgerichts findet in dem landgerichtlichen Urteil keine schlüssige Erklärung. Namentlich ist die Erwägung des Landgerichts, ein sich über das Jahr 1995 erstreckender zu Beginn des Tatgeschehens gefasster Vorsatz komme nur in Betracht, wenn von Anfang an der Erwerb gleichartiger Papiere nach Endfälligkeit der seinerzeit besessenen beabsichtigt gewesen wäre, nicht schlüssig. Auch wenn der Angeklagte und Herr T. insoweit anfangs noch keine konkreten Pläne hatten, konnten Täter- und Gehilfenvorsatz gleichwohl auf ein zeitlich nicht begrenztes Hinterziehen von Zinsen aus selbst verwahrten Wertpapieren in den folgenden Jahren gerichtet sein, wie dies das Amtsgericht festgestellt hat. Dem Umstand, welche Papiere genau dies waren oder sein würden, müsste dabei keine erhebliche Bedeutung zugekommen sein.
Zum anderen ist das Urteil in diesem Punkte lückenhaft, weil es wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt. So stellt sich der festgestellte äußere Geschehensablauf im gesamten Zeitraum 1993 bis 1998 weitestgehend identisch dar. Jedes Jahr begab sich der Angeklagte in gleicher Weise zu der holländischen Bank, löste die Zinskupons ein und überbrachte die bar ausgezahlten Zinsen ohne irgendwelche Belege an Herrn T. in Deutschland. Diese Gleichartigkeit des Ablaufs spricht für einen anfänglich gefassten einheitlichen Vorsatz, künftig so zu verfahren, wobei der Vorsatz des Angeklagten durch einen später notwendig gewordenen Austausch der Tafelpapiere nur unwesentlich modifiziert worden sein könnte. Das Landgericht ist in diesem Zusammenhang auch nicht auf die Motivation des Angeklagten eingegangen, obwohl dies nahe liegt, weil sich hieraus wesentliche Aufschlüsse über die Art und Reichweites seines Gehhilfenvorsatzes gewinnen lassen dürften. Insoweit könnte es insbesondere erheblich sein, ob der Angeklagte seine Hilfstätigkeit für Herrn T. auf Grund seiner persönlichen Beziehung zu diesem sowie deshalb vornahm, weil er selbst einen finanziellen Vorteil davon hatte. Denn in diesem Fall hätte aus Sicht des Angeklagten vieles dafür gesprochen, den lukrativen Freundschaftsdienst von Anfang an zeitlich unbegrenzt zu planen und namentlich nicht von der Identität der jeweils gehaltenen Wertpapiere abhängig zu machen.
3.
Ob insgesamt oder teilweise Verfolgungsverjährung eingetreten ist, kann im derzeitigen Verfahrensstand nicht entschieden werden, weil tragfähige Feststellungen zum Gehilfenvorsatz des Angeklagten fehlen.
Die gemäß §§ 370 AO, 27; 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünfjährige Verjährungsfrist begann nach § 78a Abs. 1 Satz 1 StGB frühestens mit der Beendigung der Tat. Liegt - u.a. wegen Feststellung eines entsprechenden Vorsatzes - für den gesamten Zeitraum von 1993 bis 1998 eine einheitliche Beihilfetat vor, wovon im übrigen das Amtsgericht und für die Jahre 1993 bis 1995 auch das Landgericht mit guten Gründen ausgehen, so wäre diese mit der letzten Einlösung von Zinskupons durch den Angeklagten im Jahre 1998 beendet worden und deshalb insgesamt nicht verjährt.