Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.01.2017, Az.: 1 WF 241/16

Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für ein Scheidungsverfahren; Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
04.01.2017
Aktenzeichen
1 WF 241/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 35506
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 25.05.2016 - AZ: 247 F 128/16

Amtlicher Leitsatz

1. Liegen die Voraussetzungen sowohl der Ehescheidung als auch der Eheaufhebung vor, haben die Ehegatten die Wahl zwischen beiden Anträgen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist nicht mutwillig.

2. Beide Ehegatten trifft eine gesteigerte Pflicht, Rücklagen für die Kosten eines bereits absehbaren Eheaufhebungs- oder Scheidungsverfahrens zu bilden, wenn sie rechtsmissbräuchlich die Ehe geschlossen haben. Verfahrenskostenhilfe kann nur versagt werden, wenn ein Vermögen oder Einkommen vorhanden war, aus dem Rücklagen hätten gebildet werden können. Liegt die Eheschließung lange zurück, dürfen die Anforderungen an die Darlegung einer fehlenden Möglichkeit der Rücklagenbildung nicht überspannt werden.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Verfahrenskostenhilfe versagende Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 25.05.2016 abgeändert. Dem Antragsteller wird ratenlose Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt D., S., bewilligt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Der am 18.07.1975 geborene Antragsteller und die am 16.10.1958 geborene Antragsgegnerin haben am 31.07.2000 vor dem Standesbeamten in Braunschweig (Heiratsregisternummer ...) die Ehe geschlossen. Die Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige, der Antragsteller hatte zur Zeit der Heirat die syrische Staatsangehörigkeit.

Gegen die Beteiligten wurde das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig zum Aktenzeichen ... wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz geführt. Die Antragsgegnerin akzeptierte den in diesem Verfahren erlassenen Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 30.06.2003 (...), in dem ihr vorgeworfen wurde, am 11.08.2000, 15.10.2001 und 28.10.2002 dem Antragsteller vorsätzlich zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat, nämlich unrichtige Angaben gemacht zu haben, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu schaffen, Hilfe geleistet zu haben, indem sie erklärt habe, mit ihm in einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu leben, obwohl die Ehe am 31.07.2000 nur zum Schein eingegangen sei. Gegen die Antragsgegnerin wurde eine Gesamtgeldstraße von 70 Tagessätzen zu je 15,00 € verhängt, die sie erfüllt hat. Gegen den Antragsteller erging ebenfalls ein Strafbefehl. Auf seinen Einspruch wurde das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 07.10.2004 gemäß § 153 a Abs. 2 StPO gegen die Zahlung einer Auflage vorläufig und nach Erfüllung der Auflage endgültig eingestellt.

Der Antragsteller beantragt die Scheidung der Ehe. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 13.06.2016 ebenfalls die Scheidung der Ehe beantragt. Mit weiterem Schriftsatz vom 06.09.2016 beantragt sie, die Ehe der Beteiligten gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB aufzuheben. Sie behauptet, die Ehe sei nur zum Schein eingegangen worden, eine Lebensgemeinschaft habe nie bestanden.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 29.07.2016 hat das Amtsgericht den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragstellers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil es sich um eine Scheinehe gehandelt habe, die nicht geschieden, sondern nur gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB aufgehoben werden könne. Gegen den ihm am 02.08.2016 zu Händen seines Verfahrensbevollmächtigten zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit am 23.08.2016 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung bestreitet der Antragsteller das Vorliegen einer Scheinehe und trägt vor, die Beteiligten hätten vom 17.08.2000 bis zum 13.08.2003 einen gemeinsamen Wohnsitz in Braunschweig gehabt, und zwar zunächst in der L.-straße und sodann in der C. Straße. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i. V. m. §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff. ZPO statthaft und im Übrigen zulässig, sie ist auch in der Sache begründet.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Voraussetzungen einer Scheidung gemäß §§ 1565, 1566 BGB liegen vor, da die Beteiligten in den letzten 3 Jahren unstreitig nicht zusammen gelebt haben; die Voraussetzungen einer Eheaufhebung dürften ebenfalls vorliegen. Beide Anträge können zulässigerweise nebeneinander gestellt werden, wie sich aus § 126 Abs. 3 FamFG ergibt. Wenn sowohl die Voraussetzungen des § 1314 BGB als auch die der §§ 1565 ff. BGB vorliegen, haben die Ehegatten die Wahl zwischen beiden Möglichkeiten und können ohne Weiteres von dem einen auf den anderen Antrag übergehen (§ 113 Abs. 4 Nr. 2 FamFG; vgl. Staudinger-Voppel, BGB, Neubearbeitung 2015, Vorbem. z. §§ 1313 ff., Rn. 27 m. w. N., Rn. 35 m. w. N.; BGH FamRZ, 1989, 153 Rn. 18). Der Antrag auf Aufhebung der Ehe ist erst dann vorrangig, wenn über beide Anträge zu entscheiden ist und beide begründet sind (§ 126 Abs. 3 FamFG; Staudinger-Voppel a. a. O., Rn. 27; Musielak-Borth-Grandel FamFG, 5. Aufl., § 126 Rn. 5). Dasselbe gilt, wenn der eine Ehegatte die Scheidung der Ehe und der andere Ehegatte deren Aufhebung beantragt (wegen weiterer Besonderheiten des Verfahrens, insbesondere der Behandlung der Folgesachen vgl. Staudinger-Voppel, Vorbemerkung zu §§ 1313 ff. BGB, Rn. 38-40).

Die Verfahrenskostenhilfe ist auch nicht wegen Mutwilligkeit zu versagen (vgl. BGH, FamRZ 2011, 872, Rn. 11 ff.; BVerfG, FamRZ 1984, 1206 ff.). Da ein Eheaufhebungs- oder ein Scheidungsverfahren die einzigen Möglichkeiten zur Auflösung einer Scheinehe sind, kann zwar die Eingehung der Scheinehe als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, nicht aber die Beseitigung der dadurch eingetretenen Rechtsfolgen (vgl. BGH, FamRZ 2011, 872, Rn. 13).

Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe liegen ebenfalls vor. Der Antragsteller hat den Leistungsbescheid des Jobcenters Wolfenbüttel vom 07.10.2016 vorgelegt, durch den ihm Leistungen für die Zeit von November 2016 bis Oktober 2017 bewilligt wurden. Hierdurch und durch die Versicherung, dass er kein Vermögen besitzt, hat er glaubhaft gemacht, dass er nicht in der Lage ist, die voraussichtlich auf ihn entfallenden Verfahrenskosten aus seinem Einkommen oder Vermögen aufzubringen.

Auch für die Frage der Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit ergeben sich im vorliegenden Fall keine Besonderheiten aus dem Umstand, dass es sich bei einer im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren zulässigen Beweisantizipation nach dem Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakte um eine Scheinehe handeln dürfte. Zwar trifft einen Beteiligten, der rechtsmissbräuchlich die Ehe geschlossen hat, grundsätzlich eine gesteigerte Pflicht, Rücklagen für die Kosten eines bereits absehbaren Eheaufhebungs- oder Scheidungsverfahrens zu bilden, insbesondere aus einer für die Eheschließung erhaltenen Geldzahlung (BGH, FamRZ 2011, 872 Rn. 17 ff.; FamRZ 2005, 1477). Diese Grundsätze müssen auch auf den Ehegatten angewendet werden, der keine Zahlung erhalten, sondern geleistet hat. Voraussetzung ist aber, dass bereits bei der Eheschließung die Scheidung absehbar ist und dass ein Vermögen oder Einkommen vorhanden war, aus dem Rücklagen hätten gebildet werden können. Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte dafür, wann der Antragsteller den Scheidungswunsch entwickelt hat und ob er seitdem Vermögen oder ein Einkommen hatte, aus dem er Rücklagen hätte bilden können. Da die Eheschließung bereits 16 Jahre zurückliegt, erscheint es fraglich, ob eine Scheidung von vornherein beabsichtigt und damit absehbar war. Zudem würde es die Darlegungspflicht des Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten und die Prüfungspflicht des Gerichts überspannen, wenn geprüft werden sollte, ob in einem Zeitraum von 16 Jahren die Möglichkeit bestanden hätte, Rücklagen zu bilden.

Gerichtskosten hat der Antragsgegner nicht zu tragen, da sein Rechtsmittel Erfolg hat. Die Kostenentscheidung in Bezug auf die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 113 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.