Amtsgericht Westerstede
Beschl. v. 21.07.2007, Az.: 87 F 7101/06 S
Bibliographie
- Gericht
- AG Westerstede
- Datum
- 21.07.2007
- Aktenzeichen
- 87 F 7101/06 S
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 62916
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGWESTS:2007:0721.87F7101.06S.0A
Fundstelle
- FamRZ 2008, 1206-1207
Tenor:
Der Beschwerde der Landeskasse vom 07.06.2007 gegen den Beschluss des erkennenden Gerichts vom 24.01.2007 wird nicht abgeholfen.
Die Sache soll dem Oberlandesgericht Oldenburg zur Entscheidung vorgelegt werden.
Gründe
I.
Mit der Beschwerde wendet sich die Landeskasse gegen den für die Scheidung auf 4 080,00 € festgesetzten Streitwert und beantragt die anderweitige Festsetzung auf 2 000,00 €. Zur Begründung wird angeführt, dass für die Streitwertbemessung offensichtlich ausschließlich auf die Einkommensverhältnisse der Parteien, denen beide Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden ist, abgestellt worden sei. Der Streitwert müsse aber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bemessen werden, insbesondere auch des Umfangs und der Bedeutung der Sache. Beides habe sich sehr gering gestaltet. Der Sachverhalt sei einfach gelagert gewesen. Es habe sich um eine einverständliche Scheidung gehandelt mit nur einem Verhandlungstermin zur Anhörung der Parteien. Die Landeskasse meint, die Bedeutung der Sache dürfe gering gewesen sein. Aus der Ehe seien keine Kinder hervorgegangen, die Trennung bereits nach einem Jahr Ehe erfolgt. Auch die Einkommensverhältnisse der Parteien seien unterdurchschnittlich gewesen. Deshalb sei wegen der deutlich unterdurchschnittlichen Gesamtumstände auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nur der Mindeststreitwert in Höhe von 2 000,00 € angemessen.
Die Parteien hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragsgegnerin hält die Ausführungen in der Beschwerdebegründung für unbeachtlich. Sie weist auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hin und hält das Prozedere für unzumutbar, weil es dazu führt, dass auch rund 6 Monate nach Abschluss des Verfahrens die PKH-Gebühren nicht zur Auszahlung gelangt sind.
II.
Die Sache war dem Oberlandesgericht Oldenburg vorzulegen, weil die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
Denn der Streitwert ist unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Kriterien des § 48 GKG, wozu auch das richtige Verständnis der Vorschrift anhand der verfassungsgemäßen Vorgaben der Norm zählt ( BVerfG Beschlüsse vom 23.08.2005, 1 BvR 46/05, FamRZ 2006, 24; vom 28.03.2006, 1 BvR 838/05; vom 21.02.2007, 1 BvR 2407/06 und 2679/06, FamRZ 2007, 1080 [BVerfG 21.02.2007 - 1 BvR 2407/06] und 1081), in Ausübung des Ermessens des Gerichts im Ergebnis auf einen Wert bis 4 500,00 € zutreffend festgesetzt worden.
In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten, zu denen Ehesachen und damit auch die Scheidungsverfahren zählen, ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfanges und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach gerichtlichem Ermessen zu bestimmen, § 48 II Satz 1 GKG. Dabei ist in Ehesachen für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen, § 48 III Satz 1 GKG. Der Streitwert darf in Ehesachen nicht unter 2 000,00 € angenommen werden, § 43 III Satz 2 GKG. Ausgangspunkt der Wertbemessung ist das von den Eheleuten in den letzten drei Monaten vor Klageerhebung erzielte Nettomonatseinkommen (so ausdrücklich Bundesverfassungsgericht a.a.O.). Der auf diese Weise ermittelte Wert kann anhand der Kriterien des § 48 II Satz 1 GKG angehoben oder herabgesetzt werden. Eine einverständliche Scheidung erlaubt keinen generellen Wertabschlag ( OLG Dresden, FamRZ 2003, 1678; OLG Karlsruhe, FamRZ 2002, 1135; OLG Hamm, FamRZ 2001, 431; OLG Jena, FamRZ 1999, 602; OLG Frankfurt, JurBÜRO 1996, 194; Hartmann Kostengesetze, 37. Auflage, § 48 GKG, Rand-Nr. 22 a.E. aber streitig Übersicht zur Gegenmeinung bei Zöller-Herget ZPO, 26. Auflage, § 3, Rand-Nr. 16 "Ehesachen"). Ein Höchstwert erfordert nicht das Zusammentreffen von Höchstwerten bei allen Einzelfaktoren (Hartmann a.a.O.).
Das Nettoeinkommen des Ehemannes beträgt nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung durchschnittlich 1 000,00 €. Die Ehefrau bezieht SGB II-Leistungen von 311,00 €. Die vom Ehemann mit monatlich 70,00 € zurückgeführten Schulden bei der Gemeinde Rastede (in Höhe von 1 445,00 € - Stand Juli 2006) stellen keine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse dar und können vernachlässigt werden (zur Streitfrage der Berücksichtigung von Schulden vgl. die Übersicht bei Zöller-Herget, a.a.O.).
Zu berücksichtigen ist weiter die tatsächliche und rechtliche Bedeutung der Sache. Welche tatsächliche Bedeutung die Ehescheidung für die Parteien hat, dürfte von außen nur schwerlich beurteilt werden können. Dies gilt insbesondere für die persönliche Betroffenheit auch in Abhängigkeit von der Ehedauer. Wegen der tatsächlichen Auswirkungen in den Wohn- und Lebensverhältnissen dürften sie aber sicher von einigem Gewicht sein. Die rechtliche Bedeutung der Ehescheidung ist vielfältig. Sie durchzieht praktisch alle Lebensbereiche. Denn es macht aus (renten-, steuer-, arbeits-, sozial-, erb-, status-, verfassungs-) rechtlicher Sicht einen großen Unterschied, ob die Parteien "nur" getrennt leben oder aber geschieden sind. Die Scheidung ist daher für die Betroffenen von erheblicher unmittelbarer Auswirkung und elementarer Bedeutung. Dies verkennt die Ansicht, wonach die Bedeutung der Sache grundsätzlich für alle Eheleute gleich und deshalb ziemlich belanglos sei (so Zöller-Herget, a.a.O.).
Vermögen, welches nach seinem Ertrag zu berücksichtigen ist (und streitwerterhöhend wirkt, vgl. Zöller-Herget, a.a.O.), ist hier nicht vorhanden.
Der tatsächliche und rechtliche Umfang der Sache (für das Gericht) - orientiert am Leitbild der ZPO vom Ablauf einer streitigen Verhandlung - ist wegen des (geringen) Umfangs der Ausführungen der Parteien, der (durchschnittlichen) Verfahrensdauer und der (fehlenden) Schwierigkeit bei der Klärung des Sachverhaltes (vgl. Hartmann, a.a.O., Rand-Nr. 23 ff.) eher unterdurchschnittlich.
Aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Schlussfolgerungen für den Streitwert zu ziehen, ist verfassungswidrig (BVerfG a.a.O.). Das Ziel der Schonung öffentlicher Kassen stellt eine an sich vernünftige Erwägung des Gemeinwohls dar, ist aber bereits umfassend bei den spürbar reduzierten Vergütungssätzen der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte, § 49 RVG, berücksichtigt. Die am Klägerinteresse orientierte Wertermittlung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten entzieht sich einer Berücksichtigung der Reduzierung öffentlicher Ausgaben (so ausdrücklich BVerfG, a.a.O.). Trotz dieser eindeutigen verfassungsrechtlichen Vorgaben scheint die Landeskasse nach Überzeugung des Gerichts weiter an ihrem (im Rahmen der Streitwertfestsetzung verfassungswidrigen) Ziel der Schonung öffentlicher Kassen festzuhalten. Das zeigt sich zunächst daran, dass bei allen Verfahren, in denen beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt und der Streitwert auf mehr als 2 000,00 € festgesetzt worden ist, die allgemeine Anweisung besteht, sie vor Abrechnung der Vergütungsanträge der Anwälte zur Überprüfung vorzulegen. Zudem werden die (inzwischen vielfachen) Beschwerden auf (neun) Entscheidungen des Oberlandesgerichts (aus dem Zeitraum 02.11.2005 bis 08.11.2006) gestützt, von denen viele den vom Bundesverfassungsgericht formulierten Vorgaben, insbesondere aus den beiden Beschlüssen vom 21.02.2007, gar nicht mehr Stand halten. Auch dürften die angeführten Entscheidungen veraltet sein. Inzwischen hat das OLG Oldenburg (2 WF 162/06) mit Beschluss vom 08.03.2007 (nach Aufhebung der vorangegangenen Streitwertbeschwerdeentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht, FamRZ 2007, 1080 [BVerfG 21.02.2007 - 1 BvR 2407/06]) in einem vergleichbaren Verfahren wie dem hier zu entscheidenden Fall "aus den Gründen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ... den Streitwert für die Scheidung anhand des dreifachen gemeinsamen Nettoeinkommens der Parteien" bemessen (ebenso OLG Hamm FamRZ 2006, 806 [OLG Hamm 10.02.2006 - 11 WF 293/05]).
Bei Abwägung aller entscheidungserheblichen Umstände sieht das Gericht in Ausübung seines Ermessens keine Veranlassung, beim Ausgangspunkt der Wertbemessung (3-faches Nettoeinkommen als Regelwert) Veränderungen vorzunehmen.