Amtsgericht Westerstede
Urt. v. 29.06.2006, Az.: 28 C 1188/05 (II)

Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflichten als Speerwurftrainer; Verkehrssicherungspflichten eines Speerwurftrainers auf dem Sportplatz; Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten als Speerwurftrainer durch bloßes Aufstellen von der Weitenmessung dienenden Pylonen im Abstand von 10 m; Mitverschuldensanteil der durch den Speerwurf Geschädigten

Bibliographie

Gericht
AG Westerstede
Datum
29.06.2006
Aktenzeichen
28 C 1188/05 (II)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 39090
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGWESTS:2006:0629.28C1188.05II.0A

Fundstelle

  • SpuRt 2007, 39-41 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Westerstede
auf die mündliche Verhandlung vom 08.06.2006
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1)

    Der Beklagte zu 2.) wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.600,00 € und 40,80 € Schadensersatz, jeweils nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2005, sowie Nebenkosten in Höhe von 48,14 € zu zahlen.

  2. 2.)

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.)

    Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben die Klägerin zu 60 % und der Beklagte zu 2.) zu 40 % zu tragen.

    Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1.) trägt die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2.) hat die Klägerin zu 40 %, der Beklagte zu 2.) zu 60 % zu tragen.

  4. 4.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten zu 1.) und 2.) abwenden, falls nicht die jeweilige Gegenseite Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1.800,00 € und Schadensersatz in Anspruch, weil sie am 16.08.2004 auf dem Sportplatz in Friedrichsfehn von einem vom Beklagten zu 1.) geworfenen Speer getroffen wurde. Der Beklagte zu 2.) war der Trainer des Beklagten zu 1.).

2

Die Klägerin befand sich am Montag, 16.08.2004, gegen 19:10 Uhr auf dem Weg zu der Sportabzeichengruppe, die sich im Bereich der Weitsprunganlage aufhielt. Sie betrat das Sportplatzgelände über den an ihrem Hausgrundstück angrenzenden Wall in Höhe der Mittellinie, bückte sich unter der Zuschauerbarriere hindurch und wurde von einem vom Beklagten zu 1.) geworfenen Speer seitlich im Brustbereich getroffen. Der Speer durchdrang die rechte Brust der Kläger glatt (Tunnelung) und verletzte ihren Oberbauch. Die erlittenen Wunden mussten in der Notfallaufnahme des .... Krankenhauses ... gereinigt und genäht werden. Eine stationäre Behandlung war nicht erforderlich. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den Verletzungen der Klägerin wird auf den zu den Akten gereichten Notfallaufnahmebericht des behandelnden Arztes Dr. ... Krankenhaus ... vom 16.08.2004 Bezug genommen (Bl. 28 d.A.). Der Beklagte zu 2.) hatte als verantwortlicher Übungsleiter der Speerwurfgruppe den Wurf des Beklagten zu 1.) freigegeben.

3

Die Klägerin begehrt mit der den Beklagten jeweils am 21.12.2005 zugestellten Klage neben der Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 1.800,00 € die Erstattung von Fahrtkosten für insgesamt 15 Arztbesuche in Höhe von 209,00 € sowie der ihr durch die außergerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwaltes abzüglich des auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anrechenbaren Teils der Geschäftsgebühr entstandenen Kosten in Höhe von 120,34 €. Wegen der Einzelheiten der Berechnung der Fahrtkosten wird auf die Klageschrift vom 28.11.2005 (Seite 6, Bl. 6 d.A.) Bezug genommen.

4

Die Klägerin ist der Ansicht, der Speerwurfsektor sei unzureichend gesichert gewesen. Hierzu behauptet sie, der Wurfsektor sei weder durch Pylonen noch sonst durch irgendwelche Absperrungen abgegrenzt gewesen. Für sie sei das Speerwerfen auch nicht erkennbar gewesen. Sie habe zwar eine Gruppe von Sportlern neben der Speerwurfbahn wahrgenommen. Diese Gruppe habe aber nicht den Eindruck erweckt, sportlich aktiv zu sein. Es habe so ausgesehen, als ob sich die Gruppe nur unterhalten wolle. Von einem regelmäßigen Speerwurftraining montags abends zwischen 18:00 und 20:00 Uhr wisse sie nichts.

5

Des Weiteren behauptet die Klägerin, die Beklagten hätten den Wurfsektor vor Ausführung des Wurfes nicht beobachtet bzw. kontrolliert. Ansonsten hätte sie bei dem Betreten des Wurfsektors noch gewarnt werden können. Diese Warnung wäre auch noch rechtzeitig erfolgt, da sie lediglich langsam auf das Spielfeld gegangen sei.

6

Die Klägerin sei durch die erlittenen Verletzungen über die unstreitige Arbeitsunfähigkeit von einer Woche hinaus weitere 3 Wochen in ihren sportlichen Aktivitäten eingeschränkt gewesen. Ebenso seien alle erfolgten Nachuntersuchungen - so auch die bei der Gynäkologin Dr. ... am 06.10.2004 und bei der Radiologin Dr. ... am 02.11.2004 - erforderlich gewesen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld und zusätzlich Schadensersatz in Höhe von 209,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf den Gesamtbetrag seit Klagezustellung sowie Nebenkosten in Höhe von 120,34 € zu zählen.

8

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

9

Die Beklagten behaupten, der Wurfsektor sei auf jeder Seite mit 5 bis 6 Pylonen im Abstand von 10 m abgesichert gewesen, die zugleich als Orientierungshilfe für die Weitenmessung gedient hätten. Darüber hinausgehende Schutzmaßnahmen würden auch bei internationalen Wettkämpfen nicht getroffen. Sowohl der Beklagte zu 1.) als auch der Beklagte zu 2.) hätten sich vor dem Wurf vergewissern müssen, dass sich keine Person innerhalb des Wurfsektors befinde. Die Klägerin sei in den Wurfsektor hineingelaufen, da sich ihre Sportabzeichengruppe bereits um 19:00 Uhr getroffen habe und sie zu spät gewesen sei. Die Klägerin hätte die Speerwurfaktivitäten bereits vom Wall aus wahrnehmen müssen und können und dementsprechend um die Speerwurfanlage herumgehen müssen. Darüber hinaus seien der Klägerin aus vergangenen Trainingseinheiten mit der Sportabzeichengruppe die Speerwurftrainingszeiten bekannt gewesen. Das Speerwurftraining werde regelmäßig montags in der Zeit von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr auf dem Sportplatz trainiert.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

11

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ....

12

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 08.06.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist zum Teil begründet.

14

Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2.) wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflichten als Speerwurftrainer ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 1.600,00 € gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB zu. Ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1.) besteht nicht.

15

Das Gericht hat bereits im Beweis- und Hinweisbeschluss vom 20.04.2006 unter Ziffer II. 4.) (Bl. 93 d.A.) - auf den Bezug genommen wird - darauf hingewiesen, dass der Klägerin im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung größtmöglichen Mitverschuldens, was mit 75 % zu bewerten gewesen wäre, ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 1.000,00 € zugestanden hätte. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme trifft die Klägerin indes lediglich ein Mitverschulden in Höhe von 60 %. Es ergibt sich demnach ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 1.600,00 €.

16

Der Beklagte zu 2.) hat durch fahrlässiges Verhalten die Verletzungen der Klägerin herbeigeführt. Als verantwortlicher Übungsleiter des Speerwurftrainings hatte er die Pflicht, den Wurfsektor ausreichend kenntlich zu machen und zu beobachten. Wie bereits im Beschluss vom 20.04.2006 (S. 4, Bl. 94 d.A.) ausgeführt, reicht das bloße Aufstellen von Pylonen im Abstand von 10 m, die hauptsächlich der Weitenmessung dienen, nicht aus. Pylonen ist auf einem Sportplatz nicht die abschreckende Wirkung beizumessen, die ihnen beispielsweise im Bereich des Straßenverkehrs zukommt. Sie werden auf dem Spielfeld für verschiedene Zwecke (Slalomstangen, Wendepunkte etc.) eingesetzt - was auch die Beweisaufnahme bestätigt hat - und vermitteln nicht automatisch eine Gefahr. Um seinen Verkehrssicherungspflichten gerecht zu werden und um zu verhindern, dass Personen den Sektorenbereich versehentlich betreten, hätte es dem Beklagten zu 2.) als verantwortlichem Übungsleiter oblegen, z.B. den Sektor mit einem rot/weißen, an Stangen befestigten Flatterband zu umgrenzen. Der materielle und zeitliche Aufwand dafür ist gering und - gerade im Verhältnis zu den besonderen Gefahren des Speerwurftrainings - zumutbar. In einen Rasenplatz können innerhalb kürzester Zeit Stangen in den Boden gesteckt und mit einem Flatterband versehen werden, um sich nähernde Personen zu warnen.

17

Solche Maßnahmen waren insbesondere unter dem Gesichtspunkt erforderlich, dass das Sportgelände des SV ... nicht von einem festen Zaun umgeben ist.

18

Dieser wäre hier unbedingt empfehlenswert, da das Ergebnis der Beweisaufnahme ergeben hat, dass vom Ende der schräg nach hinten verlaufenden Speerwurfanlaufbahn der Bereich des Walls nicht einmal vollständig einsehbar ist. Er ist mit Sträuchern bewachsen. Athleten, die die volle Länge der Anlaufbahn nutzen, sind schon von daher in besonderer Weise auf die Freigabe durch den Trainer angewiesen. Dritten ist es möglich, das Sportgelände über den angrenzenden Wall zu betreten. Der eigentliche Sportplatz, auf dem sich auch die Speerwurfbahn befindet, wird nur noch stellenweise von einer leicht überwindbaren Zuschauerbarriere umgrenzt. Aus diesem Grunde ist es auch nicht ausreichend, ein Warnschild am Eingangsbereich des Sportgeländes aufzustellen - was zusätzlich indes zu empfehlen ist.

19

Die Beweisaufnahme hat bestätigt - wie bereits im Beschluss auf Seite 4, vierter Absatz ausgeführt -, dass bei internationalen Wettkämpfen Weitenrichter den Speerwurfsektor kontrollieren. Auf die Ausführungen wird Bezug genommen.

20

Erschwerend gegenüber der Ausgangssituation für die Feststellung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000,00 € in dem Beschluss vom 20.04.2006 kommt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nunmehr hinzu, dass nach der glaubhaften Aussage der seitens des Beklagten zu 2.) sistierten Zeugin ... davon ausgegangen werden muss, dass der Beklagte zu 2.) die Klägerin hätte sehen müssen, als sie vom Wall herunter den Speerwurfsektor betrat. Er hätte den Wurf nicht freigeben dürfen. Er hätte die Klägerin auch durch Zuruf warnen können. Die Zeugin hat ebenso wie weitere Zeugen bestätigt, dass die Klägerin gegangen, nicht gerannt ist. Gerade bei dem Beklagten zu 1.) bestand für den Beklagten zu 2.) die besondere Verpflichtung, den Speerwurfsektor gründlich zu kontrollieren. Der Beklagte zu 1.) lief regelmäßig vom Ende der Anlaufbahn an und warf am weitesten von allen Speerwerfern bis in den Bereich der Mittellinie. Beklagter zu 1.) und Beklagter zu 2.) haben glaubhaft geschildert, dass der Beklagte zu 1.) sich in besonderer Weise auf seinen Speerwurf konzentriert und deshalb der Wurf für ihn eigens durch den Trainer freigegeben wird. Er könne sich zuvor nicht so darauf konzentrieren, ob der Wurfbereich frei sei. Er als Rechtshänder schaue zudem unmittelbar vor dem Wurf nach rechts oben, also nicht in Wurfrichtung. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 1.) vom Ende der Anlaufbahn startet, von welchem aus die Sicht zum Wall versperrt ist (s.o.).

21

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann ferner nicht davon ausgegangen werden, dass der Klägerin ein regelmäßiges Speerwurftraining bekannt war. Mehrere Zeugen haben bestätigt, dass das Speerwurftraining längst nicht jeden Montag zwischen 18:00 und 20:00 Uhr stattfand und insbesondere nicht während der gesamten 2 Stunden, sondern nur in der Zeit zwischen 18:00 und 20:00 Uhr für eine halbe Stunde oder länger mit unterschiedlichem Beginn. Mehrere Zeugen haben darüber hinaus bestätigt, dass bis zu dem Vorfall der Speerwurfsektor während des Trainings nicht einmal regelmäßig mit Pylonen abgesichert wurde. Das habe sich erst nach dem Vorfall geändert.

22

Nach Würdigung der Umstände des konkreten Falles, der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Klägerin und des Beklagten zu 2.), ihrer Verletzungen und der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes erscheint ein solches in Höhe von 1.600,00 € angemessen. Das Mitverschulden der Klägerin besteht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Wesentlichen darin, dass sie in den mit Pylonen sichtbar trichterförmig markierten Speerwurfsektor hineingegangen ist, obwohl sie auch die Sportlergruppe neben der Anlaufbahn hatte stehen sehen. Wäre sie aufmerksam gewesen, wäre ihr bei dieser Konstellation aufgefallen, dass die Pylonen nicht lediglich als Slalomstangen für Fußballer aufgestellt waren.

23

Andererseits ist gerade im Freizeitbereich damit zu rechnen, dass auch Benutzer eines Sportplatzes nicht immer voll konzentriert sind. Bei im Abstand von 10 m aufgestellten Pylonen drängt sich die Gefahrenquelle aus den dargelegten Gründen nicht zwangsläufig auf. Gerade bei einer so gefährlichen Sportart wie Speerwerfen trifft die Verantwortlichen deshalb eine besondere Verkehrssicherungspflicht. Dieser hat der Beklagte zu 2.) nicht hinreichend genügt.

24

Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2.) ein Schadensersatzanspruch zu aus § 823 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat einen materiellen Schaden in Höhe von 102,00 € für die Arztfahrten. Diesbezüglich wird auf den Beschluss vom 20.04.2006 zu Ziffer II. 3.) (Bl. 93 d.A.) Bezug genommen. Unter Berücksichtigung ihres 60igen Mitverschuldens steht ihr ein Anspruch in Höhe von 40 %, also 40,80 € zu.

25

Der Beklagte zu 1.) ist auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von jeder Haftung frei. Auf die Hinweise in dem vorgenannten Beschluss unter II. 2.) (Bl. 92 d.A.) wird Bezug genommen.

26

Der Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen folgt aus Verzug (§§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB).

27

Die Klägerin kann die vorgerichtlichen Anwaltskosten in voller Höhe geltend machen. Sie wären, hätte die Klägerin lediglich die zugesprochenen Beträge geltend gemacht, in gleicher Höhe entstanden. Durch die geringfügig höhere Geltendmachung ist kein Gebührensprung ausgelöst worden.

28

Die Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.