Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.07.2022, Az.: L 12 R 122/21

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.07.2022
Aktenzeichen
L 12 R 122/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 64277
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 16.08.2021 - AZ: S 83 R 204/20

In dem Rechtsstreit
B.
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
C.
gegen
Deutsche Rentenversicherung Bund,
vertreten durch das Direktorium,
Ruhrstraße 2, 10709 Berlin
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
hat der 12. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 28.7.2022 in Bremen durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht D. sowie die ehrenamtlichen Richter E. und F.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 16.8.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1971 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Er absolvierte eine Ausbildung zum Verkäufer und war bis 2016 erwerbstätig.

Die Beklagte hat den im Juli 2017 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 3.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.4.2020 abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass vom Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente lediglich bis April 2018 ausgegangen werden könne. Laut dem von ihr veranlassten Gutachten des Neurologen und Psychiaters G. vom 1.3.2019 sei der Kläger mit den bei ihm festgestellten Leiden (Anpassungsstörung, Nystagmus, leichte Visusminderung, Neurodermitis, Asthma und Allergien) noch in der Lage, als Verkäufer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich zu arbeiten. Dem Gutachten des Dermatologen H. vom 29.11.2019 zufolge sei bis Mitte 2019 von einer medikamentös gut behandelten Neurodermitis auszugehen. Erst ab Juni 2019 seien dem Kläger aufgrund eines starken Krankheitsausbruches nur noch Arbeiten von weniger als sechs Stunden arbeitstäglich möglich gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die am 20.5.2020 erhobene Klage, die der Kläger mit einem Leistungsfall bereits vor Juni 2019 begründet hat, nach Einholung von mehreren Befundberichten mit Gerichtsbescheid vom 16.8.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Bescheide bezogen. Der den Kläger behandelnde Hautarzt I. habe den von H. geschilderten Krankheitsverlauf bestätigt.

Der Kläger hat gegen den ihm am 19.8.2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 17.9.2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass bei ihm eine rentenberechtigende Leistungsminderung spätestens ab Januar 2018 aufgrund der Neurodermitis, einer Sehstörung und einer Asthmaerkrankung eingetreten sei. Es bedürfe der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt,

Beweis zu erheben durch Einholung von Sachverständigengutachten auf allen in Frage kommenden Fachgebieten hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Klägers im April 2018 sowie zu der Frage, dass der Kläger bis zum heutigen Zeitpunkt aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert ist.

Der Kläger beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 16.8.2021 und den Bescheid der Beklagten vom 3.4.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.4.2020 aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen seit der Antragstellung eine Rente wegen voller, hilfsweiser wegen teilweiser, Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Begründungen ihrer mit der Klage angefochtenen Bescheide und auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Der Senat hat die Entscheidung über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 27.6.2022 gem. § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Berichterstatter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf das Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung, den sonstigen Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und der Entscheidungsfindung des Senats zu Grunde gelegen haben.

Entscheidungsgründe

Der Senat kann vorliegend in der Besetzung mit einem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden, da die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 SGG auf den Berichterstatter übertragen worden ist.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 16.8.2021 sowie der Bescheid der Beklagten vom 3.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.4.2020 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert im Sinne einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI (36 Kalendermonate Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit innerhalb des Fünfjahreszeitraumes vor Eintritt der Erwerbsminderung) sind nach dem Versicherungskonto des Klägers lediglich bis zum Monat April 2018 erfüllt. Vorliegend fehlt es zur Überzeugung des Senats bis zu diesem Zeitpunkt an den medizinischen Voraussetzungen zur Gewährung einer Rente wegen einer seitdem durchgängig bestehenden, mindestens teilweisen Erwerbsminderung. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des SG in dessen mit der vorliegenden Berufung angefochten Entscheidung verwiesen.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass von dem Ergebnis des erstinstanzlichen Klageverfahrens abzuweichen. Soweit er vorträgt, dass ihm wegen seiner Erkrankungen bereits im April 2018 durchgehend bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinerlei Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr möglich gewesen seien bzw. sind, stehen dem die vorliegenden Befundberichte der ihn behandelnden Ärzte entgegen. So hat sein Hausarzt J. unter dem 12.1.2022 über die Behandlungen des Klägers bis April 2018 (u.a. wegen Bindehautentzündungen und Schlafstörungen) berichtet, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten durch ihn nie festgestellt wurden und es nicht zu erheblichen Befundverschlechterungen oder -verbesserungen gekommen sei. Laut Bericht der den Kläger seit Juni 2017 wegen Insomnie und einer Angststörung behandelnden Neurologen K. und L. vom 21.12.2021 habe der Kläger bei Vorstellung am 16.4.2018 - wie schon in den Monaten zuvor - angegeben, aktuell keine wesentlichen Belastungsfaktoren zu haben; am 28.5.2018 habe er angegeben, es gehe im relativ gut, "er könne sich nicht beklagen". Soweit die Augenärztin M. unter dem 6.1.2022 und die Augenklinik des N., Bremen, unter dem 9.12.2014 und 2.2.2016 von einer okulären Hypertension (erhöhter Augeninnendruck), einer Drusenmakulopahie (Frühform der trockenen Makuladegeneration) und einer Cataracta corioconuclearis (Linsentrübung) berichteten, folgen hieraus ersichtlich keine rentenrelevanten Funktionseinschränkungen. Dem letztgenannten Bericht zufolge zeigte sich insbesondere die Sehschärfe (Visus) bei dem Kläger, der ausweislich des Gutachtens des O. vom 1.3.2019 in der Untersuchung angab mit seiner Sehminderung (links 14%, rechts 50%) noch Auto zu fahren, stabil. Dem Arztbrief des Pneumologen P. vom 12.11.2020 sind Befunde in zeitlicher Nähe zum Frühjahr 2018 nicht zu entnehmen, sodass auch von rentenrelevanten Leistungseinschränkungen aufgrund einer Lungenerkrankung nicht ausgegangen werden kann.

Die Hautarztpraxis Q., R., S. und I. schließlich hat hinsichtlich des "führenden" Leidens des Klägers mit Bericht vom 28.9.2020 an das SG sowie mit Arztbrief vom 22.8.2018 mitgeteilt, dass sich bei der Kontrolluntersuchung am 8.2.2018 - also sehr zeitnah zum April 2018 - (lediglich) eine leichte Trockenheit der Hände und drei kleine Erosionen am rechten Handgelenk im Sinne von Kratzeffekten gezeigt hätten, aber keine offenen, nässenden Areale. Die eingeleitete Systemtherapie mit dem Medikament Dupixent (300 mg) habe bei (zunächst) guter Verträglichkeit sehr gut angesprochen; (erst) im März 2019 habe sie wegen Unverträglichkeit in Form von Husten und Konjunktivitis abgesetzt werden müssen. Hiermit in Einklang steht die Einschätzung des H. in seinem für die Beklagte erstellten Gutachtgen vom 29.11.2019, wonach den Angaben des Klägers zufolge die Haut von 2017 bis 2019 unter Dupixent gut geblieben sei und die Therapie mit diesem Medikament erst später wegen Nebenwirkungen (Bindehautentzündung, Husten) abgebrochen werden musste, woraufhin es zwei Monate später, ca. im Juni 2019, erneut zu einem starken Krankheitsausbruch gekommen sei. Hiernach spricht vorliegend nichts für eine durchgängig zur Erwerbsminderung führende erhebliche Hauterkrankung des Klägers im April 2018.

Die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers sind durch die seitens der Beklagten veranlassten Gutachten und die zur Akte gelangten ärztlichen Berichte und Stellungnahmen erschöpfend ermittelt und dokumentiert. Der Senat sieht sich nicht zu einer Sachverhaltsaufklärung durch Einholung weiterer fachärztlicher Gutachten oder Stellungnahmen gehalten. Der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten zur Frage des Vorliegens einer durchgehenden Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen im bzw. seit April 2018 ist abzulehnen. Der Antrag bestimmt bereits kein konkretes, fachmedizinisches Beweisthema. Vor allem aber fehlt es an aussagekräftigen medizinischen Befundunterlagen, von denen nicht nur auf bestimmte psychische und/oder körperliche Erkrankungen des Klägers, sondern auch auf hieraus resultierende zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente berechtigende Leistungsminderungen zu diesem Zeitpunkt geschlossen werden könnte. Da die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens insofern einer Anknüpfung an befundgestützte medizinische Unterlagen ermangelt, stellt der hierauf gerichtete Beweisantrag einen sog. Ausforschungsantrag zu einer gerichtlichen Ermittlung "ins Blaue hinein" dar. Hiervon ist dann auszugehen, wenn ein beweispflichtiger Beteiligter, wie vorliegend der Kläger, für seine Behauptung mangels genügender Anhaltspunkte erst aus der Beweisaufnahme die Grundlage für seine Behauptungen gewinnen will. In Anbetracht der vorliegenden Befundberichte, insbesondere der den Kläger behandelnden Hautarztpraxis (s.o.), die eindeutig gegen durchgängige Leistungseinschränkungen aufgrund einer erheblichen Hauterkrankung des Klägers im Frühjahr 2018 sprechen, bedürfte es zur Substantiierung der behaupteten Erwerbsminderung in dieser Zeit wesentlich mehr als nur einer bloßen Behauptung derselben. Dass Gericht muss nicht nach Tatsachen forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R -, juris Rn. 26 f. m.w.N.).

Der Kläger hat, da er nicht vor dem 2.1.1961 geboren wurde, schließlich auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Er ist mithin zumutbar auf alle leidensgerechten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, liegt hierbei nach ständiger Rechtsprechung nicht im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern in demjenigen der Arbeitsverwaltung (vgl. insoweit bereits BSG, Urteil vom 27.4.1979 - 4 RJ 107/77).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.