Arbeitsgericht Nienburg
Urt. v. 15.10.1997, Az.: 1 Ca 1002/97

Wirksamkeit einer ausserordentlichen Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses

Bibliographie

Gericht
ArbG Nienburg
Datum
15.10.1997
Aktenzeichen
1 Ca 1002/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 10008
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGNIE:1997:1015.1CA1002.97.0A

Fundstellen

  • KHuR 1998, 31
  • PflR 1998, 26-28

In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht Nienburg
auf die mündliche Verhandlung vom 15.10.1997
durch
die Richterin am Arbeitsgericht als Vorsitzende/n und
die ehrenamtlichen Richter als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, daß die Kündigung vom 14.07.1997 das Ausbildungsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Der Streitwert wird auf 3.698,58 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses.

2

Die am 6. Juni 1979 geborene Klägerin wird seit dem 1. Oktober 1996 beim Beklagten zur Krankenschwester ausgebildet. Auf den Ausbildungsvertrag vom 22. August 1996 (Bl. 3-6 d.A.) wird Bezug genommen. Die praktische Ausbildung findet in den Kreiskrankenhäusern ... und ... die theoretische in der vom Beklagten betriebenen Krankenpflegeschule statt. Die theoretischen Leistungen der Klägerin wurden bereits am Ende der Probezeit nur als ausreichend beurteilt. Ausweislich eines Vermerks der Pflegedienstleitung am Ende der Probezeit (Bl. 15/R d.A.) bekam die Klägerin aufgrund ihres jugendlichen, kindlichen Verhaltens eine Chance, obwohl im Normalfall angesichts ihrer Ausbildungsleistungen die Ausbildung beendet worden wäre. Die theoretischen Leistungen der Klägerin verschlechterten sich weiter. In Gesprächen vom 13. Mai und 3. Juni 1997 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, daß ihre Leistungen sich bessern müßten und zwei Klausuren in den Fächern Krankenpflege und Chemie, die im Juni 1997 geschrieben wurden, ihre letzte Chance seien. Auf die Vermerke vom 13. Mai und 3. Juni 1997 (Bl. 16 u. 18 d.A.) wird Bezug genommen. In beiden Klausuren erhielt die Klägerin die Note 5. Damit hatte sie in allen drei nach Ablauf der Probezeit geschriebenen Klausuren mangelhafte Leistungen erbracht. Am 11. Juli 1997 wies die Leiterin der Krankenpflegeschule darauf hin, daß die theoretischen Leistungen der Klägerin seit Ende der Probezeit mangelhaft seien und ihr keine erfolgreiche Teilnahme an der Ausbildung bescheinigt werden könne. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 14. Juli 1997. Auf das Kündigungsschreiben (Bl. 2 d.A.) wird verwiesen.

3

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, daß die Kündigung vom 14. Juli 1997 das Ausbildungsverhältnis der Parteien nicht beendet, sondern dieses ungekündigt weiterbesteht.

4

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Durch Teil-Vergleich vom 6. August 1997 hat sich der Beklagte verpflichtet, die Klägerin bis zum Erlaß einer erstinstanzlichen Entscheidung weiter auszubilden.

Gründe

6

1.

Die Klage ist zulässig. Die Parteien haben im Termin vom 6. August 1997 unstreitig gestellt, daß kein Schlichtungsausschuß im Sinne von § 111 Abs. 2 ArbGG besteht, so daß ohne vorherige Einschaltung eines solchen Ausschusses Klage erhoben werden konnte (vgl. § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG).

7

2.

Die Klage ist im wesentlichen begründet. Es lag kein wichtiger Grund zur Kündigung des Ausbildungsverhältnisses vor. Außerdem hat der Beklagte die Kündigung nicht ausreichend schriftlich begründet.

8

a)

Allerdings ist der nicht in einem Schriftsatz enthaltene, sondern sich allein aus den eingereichten Unterlagen (Bl. 14-23 d.A.) ergebende Vortrag des Beklagten verwertbar. Im Hinblick auf die Auflage im Termin vom 6. August 1997 (§ 129 Abs. 2 ZPO) galten zwar die Bestimmungen über vorbereitende Schriftsätze. Das Vorbringen des Beklagten genügt den Anforderungen des § 130 ZPO nicht. Diese Vorschrift enthält jedoch nur Sollbestimmungen und läßt daher Raum für sinnvolle Ausnahmen. Der Beklagte hat zur Darstellung der Kündigungsgründe einige wenige, stringent geordnete und ohne weiteres aus sich heraus verständliche Unterlagen eingereicht und stillschweigend auf diese Bezug genommen. Inwieweit eine Bezugnahme auf beigefügte Unterlagen zulässig ist, ergibt sich aus § 137 Abs. 3 ZPO. Das Gericht hält die Bezugnahme auf die vom Beklagten eingereichten Unterlagen für angemessen, da sich daraus sein Sachvortrag ohne weiteres entnehmen läßt. Da auch die Klägerin der Bezugnahme nicht widersprochen hat, konnten die vom Beklagten eingereichten Unterlagen verwertet werden (vgl. Lange, NJW 1989, S. 438 <444>).

9

b)

Der sich aus diesen Unterlagen ergebende Vortrag des Beklagten reicht jedoch nicht aus, um die ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zu rechtfertigen. Das Ausbildungsverhältnis kann nach Ablauf der Probezeit nur noch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden (§ 23 Abs. 3 Zf. 1 b des Tarifvertrags zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Schülerinnen/Schüler, die nach Maßgabe des Krankenpflegegesetzes oder des Hebammengesetzes ausgebildet werden<künftig: TV>). Der Beklagte hat nicht dargelegt, daß ein solcher wichtiger Grund vorlag.

10

Der Beklagte stützt die Kündigung darauf, daß angesichts der mangelhaften theoretischen Leistungen der Klägerin das Ausbildungsziel nicht erreicht werden könne. Da er sowohl die theoretische als auch die praktische Ausbildung durchführt, können mangelhafte theoretische Leistungen grundsätzlich eine Kündigung des Ausbildungsverhältnisses rechtfertigen. Hier ist jedoch zu beachten, daß dem Beklagten bereits bei Ablauf der Probezeit die schlechten theoretischen Leistungen der Klägerin bekannt waren und im Normalfall bei derart schlechten theoretischen Leistungen die Ausbildung von ihm nach der Probezeit beendet wird (vgl. den Vermerk der Pflegedienstleitung, Bl. 15/R d.A.). Nachdem er sich trotzdem zur Fortsetzung der Ausbildung entschieden hatte, durfte er die weitere Verschlechterung der schulischen Leistungen der Klägerin nicht ohne weiteres zum Anlaß einer Kündigung nehmen. Er hätte vielmehr substantiiert darlegen müssen, wieso das Ausbildungsziel im Zeitpunkt der Kündigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erreichen war, so daß eine weitere Ausbildung sinnlos gewesen wäre und zu einer unnützen Verschwendung öffentlicher Mittel geführt hätte. Insbesondere wäre darzulegen gewesen, wieso das Wiederholen des ersten Ausbildungsjahres als milderes Mittel zum Erreichen des Ausbildungsziels nicht ausgereicht hätte.

11

c)

Daraus folgt zugleich, daß die Kündigung auch dem Schriftformgebot des § 23 Abs. 4 TV nicht genügt und daher formnichtig ist. Im Kündigungsschreiben müssen die Kündigungsgründe so genau angegeben werden, daß der Kündigungsempfänger sich darüber schlüssig werden kann, ob er die Kündigung anerkennen will oder nicht (KR-Weigand, 4. Aufl., 1996, §§ 14, 15 BBiG, Rn. 95 m.w.N.). Dem Kündigungsschreiben des Beklagten läßt sich nicht entnehmen, woraus sich seine Schlußfolgerung, angesichts der schlechten Leistungen der Klägerin sei das Ausbildungsziel gefährdet, im einzelnen ergibt. Die Klägerin konnte daher die Rechtswirksamkeit der Kündigung anhand des Kündigungsschreibens nicht abschließend überprüfen.

12

3.

Mit der beantragten Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht aufgelöst worden ist, sondern über den Ablauf der Kündigungsfrist fortbestanden hat, ist die Kündigungsschutzklage mit einem allgemeinen Feststellungsantrag verbunden worden, der ein besondere Feststellungsinteresse voraussetzt. Dies besteht nicht schon deshalb, weil eine bestimmt bezeichnete Kündigung in einem Kündigungsschutzprozeß angegriffen wird. Der klagende Arbeitnehmer muß vielmehr weitere streitige Beendigungstatbestände in den Prozeß einführen oder wenigstens deren Möglichkeit darstellen, um zu belegen, warum an der Feststellung ein rechtliches Interesse bestehen soll (vgl. BAG, NZA 1997, S. 844 <846>). Dies hat die Klägerin nicht getan.

13

4.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 ZPO.

14

5.

Der Streitwert wurde gemäß § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG festgesetzt.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 3.698,58 DM festgesetzt.