Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.08.2012, Az.: 2 Ws 165/12
Taten nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB als schwere Gewaltstraftaten; BGH-Vorlage
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.08.2012
- Aktenzeichen
- 2 Ws 165/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 23470
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:0808.2WS165.12.0A
Rechtsgrundlage
- § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB
Fundstelle
- NJW-Spezial 2012, 666
Amtlicher Leitsatz
Straftaten des schweren Raubs i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB, bei denen der Untergebrachte objektiv ungefährliche Scheinwaffen einsetzt und die Tatopfer dadurch psychisch beeinträchtigt werden, sind in der Regel schwere Gewaltstraftaten i. S. d. Weitergeltungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011, 2 BvR 2365/09 u.a. (Vorlagebeschluss; Abweichung OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16. März 2012, 3 Ws 63/12).
Tenor:
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Sind die Voraussetzungen einer schweren Gewalttat i. S. d. Weitergeltungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) erfüllt, wenn von einem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten aufgrund konkreter Umstände in seiner Person künftig Straftaten des schweren Raubs i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu erwarten sind, bei denen der Untergebrachte nur objektiv ungefährliche Scheinwaffen einsetzt und die Tatopfer nur psychisch beeinträchtigt werden?
Gründe
I. Das Landgericht Stade verurteilte den Untergebrachten am 19. Januar 1998 wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an.
1. Der Untergebrachte war zuvor bereits zwölf Mal strafrechtlich verurteilt worden, darunter sechs Mal wegen Raubtaten, die er überwiegend während gewährter Lockerungen aus dem Straf- oder Maßregelvollzug begangen hatte.
a. Das Amtsgericht Stade (3 Js 7023/84 jug) verurteilte ihn am 3. Juli 1984 wegen räuberischer Erpressung in zwei Fällen sowie wegen Diebstahls in vier Fällen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten. Zu den Taten der räuberischen Erpressung stellte das Amtsgericht fest, dass sich der Angeklagte mit einer BAK von 1,9 bis 2,3 g Promille zunächst in einem Waffengeschäft eine (im Hinblick auf den Schuldspruch wohl ungeladene) Gaspistole hatte vorführen lassen und unter Vorhalten dieser Waffe die Herausgabe von 150 DM erzwang. Anschließend erzwang er in einem Altersheim unter Vorhalt dieser Waffe von einer Bewohnerin die Herausgabe von rund 1.600 DM.
b. Am 30. Mai 1985 verurteilte ihn das Amtsgericht Stade (24 Js 2685/85 Hw) wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Verurteilung zu a. zu einer Einheitsjugendstrafe von 4 Jahren und 4 Monaten. Der Angeklagte hatte während eines Hafturlaubs eine Gaststätte aufgesucht und anschließend mit einem anderen Fahrgast ein Taxi bestiegen, um zur elterlichen Wohnung zu fahren. Als der andere Fahrgast ausgestiegen war, folgte er ihm an dessen Wohnungstür, rief zunächst "Geld her oder ich schieße", obwohl er keine Waffe bei sich trug, und würgte und schlug anschließend den Geschädigten, bis dieser ihm 10 DM aushändigte (Tatzeit BAK maximal 2,22 g Promille).
c. Das Amtsgericht Hameln verurteilte ihn am 19. Dezember 1985 (31 Js 45295/85) wegen schweren Raubes und eines Vergehens gegen dasBetäubungsmittelgesetz unter Einbeziehung der Verurteilung zu b. zu einer Einheitsjugendstrafe von 6 Jahren. Der Untergebrachte hatte - erneut während eines Hafturlaubs - mit einer Tatzeit BAK von 1,6 bis 1,8 g Promille und maskiert mit einer Strumpfmaske ein Juweliergeschäft überfallen. Dabei hatte er eine Verkäuferin und eine Kundin zunächst mit den Worten "Dies ist ein Überfall, ich mache keinen Spaß, die Tageseinnahmen her!" mit einem Küchenmesser bedroht, anschließend der Verkäuferin das Küchenmesser an den Nacken gehalten und so die Herausgabe von ca. 850 DM Bargeld erzwungen.
d. Vom Landgericht Stade wurde er am 4. Dezember 1987 (5 Js 16022/86) wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zugleich wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der Untergebrachte hatte wiederum während eines Hafturlaubs nach erheblichem Alkoholkonsum (BAK 2,74 g Promille) als Beifahrer während der Fahrt eine Taxifahrerin bedroht und zur Herausgabe von Bargeld zwingen wollen, indem er die rechte Hand in die linke Innentasche seiner Jacke gesteckt und so gehalten hatte, dass die Taxifahrerin den Eindruck gewonnen hatte, er führe in der Jacke eine Schusswaffe bei sich. Die Taxifahrerin nahm die Bedrohung ernst und geriet in große Angst. Sie konnte nach einer Vollbremsung aus dem Taxi flüchten.
e. Am 27. November 1991 verurteilte ihn das Landgericht Stade (2 Js 9081/91) wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und ordnete erneut die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Der Untergebrachte hatte nach erheblichem Alkoholkonsum mit einer BAK von 2,8 g Promille mit einer ungeladenen Schreckschusspistole unmaskiert einen Aldi-Markt betreten, sich an der Kasse angestellt und als er "an der Reihe" war, die Pistole herausgeholt, sie auf die Kassiererin in Brusthöhe gerichtet und mit den Worten "Geld raus oder ich erschieße dich" die Herausgabe von 6.720 DM erzwungen. Die Kassiererin hatte die Pistole für echt gehalten und Angst um ihre Leben. Sie konnte einige Tage nicht als Kassiererin arbeiten.
f. Das Landgericht Stade verurteilte den Untergebrachten am 19. September 1994 (112 Js 5275/94) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten wegen schwerer räuberischer Erpressung und ordnete nochmals die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Er hatte während eines Urlaubs aus dem Maßregelvollzug bereits auf der Rückfahrt im Zug einen - wiederholten - Alkoholrückfall erlitten und in einer Gaststätte weiter Alkohol konsumiert, anschließend eine täuschend echt aussehende Spielzeugpistole sowie durchsichtige Damenstrümpfe als Maskierung erworben. Damit überfiel er ein Ladengeschäft, in dem er dem Inhaber die Pistole an den Kopf hielt und ihn mit den Worten "Los, Kasse auf, alles Geld her!" zum Öffnen zweier Kassen und zur Herausgabe von insgesamt 5.370 DM zwang. Beim Verlassen des Geschäfts drohte er, man solle ihm nicht folgen, sonst schieße er. Eine Angestellte des Geschäfts, die den Überfall miterlebt hatte, litt in der Folgezeit lange unter Angstphantasien.
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts Stade in der Anlassverurteilung vom 19. Januar 1998 hatte der Untergebrachte - während eines Familienurlaubs aus dem Maßregelvollzug und überfordert von der geplanten bedingten Entlassung - im alkoholisierten Zustand (BAK von 1,63 g Promille) eine Imbissbude überfallen. Der Untergebrachte hatte eine Flasche Bier bestellt und zunächst abgewartet, bis der einzige Kunde den Imbiss verlassen hatte. Anschließend verlangte er von der anwesenden Verkäuferin V., eine Plastiktüte mit Geld zu füllen ("Kasse rein, vollmachen"). Nachdem die Verkäuferin V. sich zunächst geweigert und das Verlangen anfänglich als Scherz aufgefasst hatte, drückte der Untergebrachte seine rechte Hand, die er in die rechte Tasche seiner Weste gesteckt hatte, nach vorne und täuschte so vor, im Besitz einer Waffe zu sein. Dabei äußerte er drohend "Muss sein, sonst ich schießen oder nehme Geisel!" und richtete die vermeintliche Waffe auf die andere anwesende Verkäuferin A. Beide Verkäuferinnen gerieten in große Angst, die Verkäuferin A. in Todesangst. Der Untergebrachte erbeutete mindestens 800 DM.
Die vom Sachverständigen Dr. L. beratene Kammer stellte bei dem Untergebrachten eine Abhängigkeit von Alkohol und anderen Substanzen (Haschisch) sowie eine schwere Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und asthenischen Merkmalen fest. Es bestehe eine fest verwurzelte Neigung zu polytroper Kriminalität und Gewaltanwendung und damit die Gefahr der künftigen Begehung erheblicher rechtswidriger Taten, durch die der Rechtsfrieden empfindlich gestört werde.
3. Nach Vollverbüßung der Freiheitsstrafe und weiterer Strafreste bis zum 4. Mai 2006 wurde die angeordnete Sicherungsverwahrung seit Beginn des Maßregelvollzugs aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim vom 23. November 2005 in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen.
Auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 25. Oktober 2005 war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim zu der Erkenntnis gelangt, dass die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung und die darauf beruhende Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestünden. Auch wenn zuvor während der mehrjährigen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ein therapeutischer Zugang zu dem Untergebrachten nicht gelungen sei, könne eine Reduzierung der Gefährlichkeit durch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus besser erreicht werden als im Vollzug der Sicherungsverwahrung. Der Maßregelvollzug nach § 63 StGB sei nicht von vornherein aussichtslos.
4. Im weiteren Verlauf des Vollzugs konnte bei dem Untergebrachten ein gewisse Stabilisierung und Absprachefähigkeit erreicht werden mit der Folge, dass gewährte Lockerungen wie Urlaub zunächst beanstandungsfrei absolviert wurden. Ein therapeutischer Zugang und eine Aufarbeitung der Delinquenz waren weiterhin wegen der durch die Persönlichkeitsstörung bedingten mangelnden Kritikfähigkeit und der Tendenz zur fassadären Selbstdarstellung und zur Externalisierung der Straftatursachen kaum möglich.
In seinem Prognosegutachten vom 3. Juli 2011 diagnostizierte der Facharzt für Psychiatrie Dr. F. bei dem Untergebrachten weiterhin eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und dissozialen Anteilen, eine Polytoxikomanie (bei im Vordergrund stehendem Alkoholgebrauch) sowie in Übereinstimmung mit den behandelnden Therapeuten des Psychiatrischen Krankenhauses L. eine die letzte Straftat begünstigende Spielsucht. Die in den Anlasstaten zu Tage getretene Gefährlichkeit bestehe weiterhin fort; eine Aussetzung der Maßregel sei noch nicht zu empfehlen.
Kurz nach der Exploration durch den Sachverständigen kam es im Rahmen von Vollzugslockerungen in Form eines Familienurlaubs zu einem Alkoholrückfall, den der Untergebrachte gegenüber den behandelnden Therapeuten verheimlichte und der in der Psychiatrischen Klinik durch eine Urinkontrolle bekannt wurde. Am 20. Juli 2011 widerrief die Anstaltsleitung deswegen sämtliche Lockerungen und empfahl durch Schreiben vom 26. Juli 2011, die Überweisung in den Maßregelvollzug nach § 63 StGB aufzuheben.
Durch Beschluss vom 11.Oktober 2011 ordnete die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Lüneburg nach Anhörung des behandelnden Oberarztes und der behandelnden Psychologin die Rücküberweisung des Untergebrachten in den Vollzug der Sicherungsverwahrung an. Der Rückfall sowie das anschließende Verhalten des Untergebrachten zeige, dass auch durch weitere therapeutische Intervention das Ziel einer Veränderung der Persönlichkeit des Verurteilten hin zu einem suchtmittel- und straffreien Leben nicht erreicht werden könne.
Diese Entscheidung hob der Senat durch Beschluss vom 9. Dezember 2011 (2 Ws 303/11) auf. Allein die Stellungnahme der behandelnden Ärzte reichte als Grundlage für die Rücküberweisung des Untergebrachten in die Sicherungsverwahrung für die Feststellung des endgültigen Scheiterns der Maßregel des § 63 StGB, auch in Anbetracht der Grundsätze der Entscheidung des BVerfG vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365 u.a.), nach denen der Vollzug der Sicherungsverwahrung nur die "ultima ratio" sein könne, nicht aus.
Nach Einholung eines ergänzenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. F. ordnete die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Lüneburg durch Beschluss vom 27. April 2012 erneut die Überführung des Untergebrachten in den Vollzug der Sicherungsverwahrung an. Es bestehe keine Möglichkeit der inhaltlichen Behandlung mehr, die die Aussicht darauf böte, die Persönlichkeitsstörung des Untergebrachten zu heilen oder in einem Maße abzuschwächen, dass erneut Lockerungen gewährt werden könnten, um so die Resozialisierung weiter zu fördern.
Gegen den Beschluss wendet sich der Untergebrachte mit der sofortigen Beschwerde, mit der er sich insbesondere dagegen verwahrt, dass sein einmaliger Rückfall die endgültige Nichtbehandelbarkeit belege.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.
II. Der Senat beabsichtigt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, würde damit aber von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2012 (3 Ws 63/12, NStZ-RR 2012, 171) abweichen.
1. Unabhängig davon, ob gem. § 67a Abs. 3 Satz 2 StGB festgestellt werden kann, dass mit dem Vollzug der Maßregel des § 63 StGB bei dem Untergebrachten kein Erfolg erzielt werden kann, bleibt Grundlage des Maßregelvollzugs die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil des Landgerichts Stade vom 19. Januar 1998. Entscheidungen nach § 67a Abs. 2 bis Abs. 4 StGB ändern nichts an der Rechtsnatur der vom erkennenden Gericht angeordneten Maßregel (vgl. nur Fischer, StGB, 59. Aufl., § 67a Rn. 9).
Danach kommt nach der Weitergeltungsanordnung des BVerfG vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365 u.a., NJW 2011, 1931 [BVerfG 04.05.2011 - 2 BvR 2365/09]) eine Fortdauer des Maßregelvollzugs unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Regel nur in Betracht, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, aaO., Rn. 172).
2. Der Senat geht auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. davon aus, dass aufgrund konkreter Umstände in der Person und im Verhalten des Betroffenen auch weiterhin die Gefahr der Begehung schwerer Gewalttaten gegeben ist. Dabei würde der Senat hinsichtlich der Bewertung der zu erwartenden Taten als "schwere Gewalttaten" von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2012 (aaO.) abweichen.
Im Einzelnen:
a. Bei dem Verurteilten besteht weiterhin die hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung von Raubtaten i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB, bei denen der Untergebrachte unter Verwendung von Scheinwaffen (ungeladenen Gaspistolen, echt aussehenden Spielzeugpistolen) Personen überfällt und bei denen es in Ermangelung einer objektiven Gefährlichkeit des Tatmittels allein zu psychischen Beeinträchtigungen der Tatopfer kommt.
Der Sachverständige Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 3. Juli 2011, auf das er insoweit im ergänzenden Gutachten vom 19. März 2012 Bezug genommen hat, festgestellt, dass bei dem Untergebrachten die durch die Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit fortbestehe und in einem weniger strukturierten Rahme erneut Taten, wie sie im Anlassverfahren zur Verurteilung kamen, zu befürchten seien.
Dies leitet er insbesondere aus der fortbestehenden Persönlichkeitsstörung und Abhängigkeitserkrankung sowie der weiterhin fehlenden Krankheitseinsicht und Therapiefähigkeit des Untergebrachten ab. Bei Anwendung des VRAG (Violence Risk Appraisal Guide) gehöre der Untergebrachte zu einer Risikogruppe, bei der mit 44 % Wahrscheinlichkeit binnen 7 Jahren und mit 58 % Wahrscheinlichkeit binnen 10 Jahren erneut mit einer Verhaftung wegen eines gewalttätigen Delikts zu rechnen sei.
Durch Beschluss vom 28. Juni 2012 (Bl. 367 Bd. V) bat der Senat den Sachverständigen um ergänzende Stellungnahme zu der konkreten Art der zu erwartenden Straftaten, insbesondere hinsichtlich der möglichen Verwendung objektiv gefährlicher Bedrohungsmittel und der tatsächlichen Gewaltausübung. Im Gutachten vom 25. Juli 2012 stellte der Sachverständige heraus, dass eine Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten im Hinblick auf differenzierte Tatszenarios nicht möglich sei. Allein in Anwendung des abstrakten Prognoseinstruments "FOTRES" (Forensisches operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-System) sei festzustellen, dass für den Untergebrachten das gleiche moderat bis deutliche (Stufe 2,5 auf einer Skala von 0 bis 4) Rückfallrisiko hinsichtlich der Zieldelikte Drohung/Erpressung, Raub und Gewalttaten gegen die körperliche Unversehrtheit (Körperverletzung, Gefährdung des Lebens etc.) gegeben sei.
Für die konkrete Person des Untergebrachten stellt der Sachverständige auf die ausgeprägte Vorgeschichte antisozialen und delinquenten Verhaltens ab. Anhand der Biografie sei ein eingeschliffenes Verhaltensmuster auf der Grundlage von fehlender Struktur und Erleben eigener Insuffizienz erkennbar.
In Anbetracht des konkret und wiederholt bei früheren Straftaten zum Ausdruck gekommenen Verhaltensmusters des Untergebrachten geht der Senat deswegen davon aus, dass derzeit von dem Untergebrachten mit einer die Fortdauer der Sicherungsverwahrung rechtfertigenden, ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit nur Raubtaten i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu erwarten sind, die der Untergebrachte unter Verwendung von Scheinwaffen ausübt, ohne dass eine objektive Gefährdung der Tatopfer gegeben ist und bei denen diese allein psychisch beeinträchtigt werden.
Zwar ist der Untergebrachte wiederholt auch wegen Raubtaten nach § 249 Abs. 1 StGB bestraft worden, bei denen bereits das Vorhandensein eines waffenähnlichen Gegenstands lediglich simuliert wird (Ausstrecken der Hand in der Jackentasche, vgl. Anlassverurteilung und Urteil des Landgericht Stade vom 4. Dezember 1987, oben I.1.d.). Allerdings finden sich demgegenüber auch wiederholt Verurteilungen, bei denen der Untergebrachte durch Einsatz einer Scheinwaffe die Tatopfer bedroht hat (Urteile des Amtsgerichts Stade vom 2. Juli 1984, oben I.1.a, des Landgerichts Stade vom 27. November 1991, oben I.1.e, und des Landgerichts Stade vom 19. September 1994, oben I.1.f) und die bei Anwendung des heute geltenden Rechts als schwerer Raubes gem. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu bestrafen wären.
Soweit der Untergebrachte daneben bei einer Verurteilung - ohne Zuhilfenahme eines Gegenstands - körperliche Gewalt angewendet (Urteil des Amtsgerichts Stade vom 30. Mai 1985, oben I.1.b) und in einem Fall die Bedrohung mit einem Küchenmesser durchgeführt hat (Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 19. Dezember 1985, oben I.1.c), handelt es sich um Taten, die der Untergebrachte jeweils als Heranwachsender begangen hat und die in dieser Form keine Wiederholung gefunden haben. Als durchgängiges Muster findet sich vielmehr ein durch Täuschung und vermeintliche Überlegenheit wegen Vorhandenseins einer Waffe geprägtes Verhalten.
b. Die Gefahr besteht aufgrund konkreter Umstände in der Person und im Verhalten des Verurteilten.
Konkrete Umstände ergeben sich zum Einen aus der hohen Rückfallgeschwindigkeit bei vergangenen Straftaten, die der Untergebrachte in der Regel noch aus dem (gelockerten) Vollzug heraus begangen hat. Er hat damit immer wieder gezeigt, dass schon eine nur leichte Reduzierung des eng strukturierten Vollzugsrahmens ausreicht, um in seine persönlichkeitsbedingten Verhaltensmuster zurückzufallen. Zugleich ergibt sich hieraus für die Person des Untergebrachten, dass die bei Anwendung von Prognoseinstrumenten anzulegenden Zeiträume, binnen derer statistisch mit einem Rückfall zu rechnen ist, für seine Person zu lang bemessen sind.
Durch den Alkoholrückfall im Jahr 2011 ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. daneben ein Beleg dafür gegeben, dass die langjährige Therapie gescheitert und eine Fortsetzung des alten Musters zu erkennen ist, nämlich der Grenzüberschreitung unter gelockerten Vollzugsbedingungen. Als bedenklich wertete der Sachverständige insbesondere, dass sich der Rückfall in einem eng strukturierten Rahmen aus einer unauffälligen Situation heraus ("Jap auf Bier") erfolgte. Der Verurteilte habe durch sein Verhalten belegt, dass erarbeitete Vermeidungsstrategien nicht griffen und er nicht in der Lage sei, zumindest anschließend externe Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Mit dem Sachverständigen misst der Senat dem Umstand, dass der Untergebrachte bei dem Alkoholrückfall keine erneute Straftat begangen hat, keine wesentliche Bedeutung für die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten bei. Der Untergebrachte hat auch in der Vergangenheit nicht sofort und ohne Zäsur nach Alkoholgenuss Straftaten begangen. Die Suchtmittelintoxikation selbst ist nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht allein straftatursächlich, sondern nur "Gleitmittel" für die Realisierung der durch die Persönlichkeitsstörung gegebenen Gefährlichkeit.
c. Bei den zu erwartenden Straftaten handelt es sich nach der Rechtsansicht des Senats, die im Widerspruch zu der des Oberlandesgerichts Frankfurt im Beschluss vom 16. März 2012 (aaO.) steht, um schwere Gewaltstraftaten i. S. d. Weitergeltungsentscheidung des BVerfG vom 4. Mai 2011.
(1) In der vorgenannten Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 GG handele. Während der Übergangszeit dürften Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich seien, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Dabei ist gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung des Normgehalts zu beachten. Die Regelungen dürfen nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gelte insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel werde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.
Wann die Grenze zu einer "schweren Gewaltstraftat" überschritten ist, ergibt sich aus der vorgenannten Entscheidung nicht. Eine Abstufung findet sich nur insoweit, als für den weiteren Vollzug der Sicherungsverwahrung in sog. "Altfällen", bei denen die Straftaten vor dem 26. Januar 1998 begangen wurden und deren Vollstreckungsdauer 10 Jahre überschritt, die (hochgradige) Gefahr der Begehung "schwerster" Gewalt- oder Sexualstraftaten verlangt wird.
(2) Das Oberlandesgericht Frankfurt ist unter Bezugnahme auf die Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH vom 19. Oktober 2011 (2 StR 305/11) der Ansicht, dass Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten sei, für sich genommen in der Regel keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung darstellen. Eine allein psychische Beeinträchtigung reiche in der Regel nicht aus.
(3) Diese Rechtsansicht teilt der Senat nicht. Zwar sind nach fachgerichtlicher Umsetzung der Vorgaben des BVerfG insbesondere auch erhöhte Anforderungen an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen (BGH, Beschl. v. 19. Oktober 2011, 2 StR 305/11; Beschl. v. 4. August 2011, 3 StR 235/11; Beschl. v. 13. September 2011, 5 StR 189/11), aber auch die rein psychische Beeinträchtigung durch objektiv ungefährliche Raubtaten, die die Tatopfer bei Verwendung von täuschend echten Scheinwaffen als lebensgefährlich empfinden, verletzt das Recht der potentiellen Tatopfer auf psychische und damit gesundheitliche Integrität in einem Maße, das die Fortdauer der Sicherungsverwahrung rechtfertigt.
So hat bereits der 3. Strafsenat des BGH im Beschluss vom 4. August 2011 (3 StR 235/11; Rn. 6) - wenngleich nicht tragend - entschieden, dass schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und den für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend "schwere Straftaten" im vorstehenden Sinn anzusehen seien. Dies gelte auch dann, wenn der Täter die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dadurch verwirklicht, dass er bei einem Banküberfall mit einer ungeladenen Schreckschusspistole droht.
Auch der 4. Strafsenat des BGH (Beschl. v. 24 . Januar 2012, 4 StR 594/11) hat die Ansicht geäußert, dass schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen jedenfalls dann ausreichend "schwere Straftaten" seien, wenn der Täter sein Opfer durch den Einsatz einer Waffe in Todesangst versetzt. Dabei war in den zu Grunde liegenden Raubtaten ein objektiv gefährlicher Gegenstand (Messer) zum Einsatz gekommen.
Differenzierend ist der 5. Strafsenat des BGH (Beschl. v. 24. Januar 2012, 5 StR 535/11) der Ansicht, dass Raubdelikte ungeachtet der in den Fällen der §§ 249, 250, 255 StGB hohen Strafdrohungen und der für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen nicht ohne Weiteres als schwere Gewalttaten einzustufen seien. Sie könnten nur in Abhängigkeit von ihren - auf der Grundlage konkreter Umstände in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen - vorhersehbaren individuellen Umständen als schwere Gewalttaten gewertet werden. Dabei spiele naturgemäß vor allem das Ausmaß der eingesetzten oder angedrohten Gewalt bei den zu prognostizierenden Straftaten eine mitbestimmende Rolle.
Nach Ansicht des Senats scheidet hier eine noch weitergehende, allein auf die zurückliegenden Taten gerichtete Differenzierung aus, soweit sie die tatsächliche psychische Beeinträchtigung der Tatopfer betrifft. So ist zwar nicht davon auszugehen, dass eines der Tatopfer langfristige psychische Folgen erlitten hätte. Das Erleiden von Todesangst in der Tatsituation selbst kann als dem Tatgeschehen immanent angesehen werden. Nur in einem Fall war ein Tatopfer einige Tage nicht arbeitsfähig; ein weiteres erlitt lange Zeit "Angstphantasien", wobei deren Intensität und Auswirkungen auf den Alltag nicht festgestellt wurden. Jedoch erachtet es der Senat insoweit als Zufall, dass der Untergebrachte auf psychisch stabile Personen getroffen ist, die das Tatgeschehen - davon ist zu seinen Gunsten auszugehen - letztlich folgenlos überstanden haben. Das zu erwartende Tatgeschehen, das sich für die Tatopfer äußerlich als lebensgefährliche Situation darstellt, kann jedoch bei im Übrigen gleichem Tatverlauf wie in der Vergangenheit zu gravierenden, lang andauernden psychischen Folgen bis hin zur Erwerbsunfähigkeit und langjähriger psychiatrischer Behandlung führen. Derartige Tatfolgen, die der Untergebrachte nicht selbst steuern kann, sind - wie dem Senat aus langjähriger Praxis bekannt ist - auch nicht als seltene Ausreißer eines solchen Geschehens zu vernachlässigen.
(4) Der Senat sieht sich in Einordnung der vom Untergebrachten zu erwartenden Straftaten als schwere Gewalttaten auch in Übereinstimmung mit der Intention des Gesetzgebers.
Bei Änderung des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz wurde die Verwendung objektiv ungefährlicher, aber gleichermaßen als echt empfundener Tatwerkzeuge (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, Drs 13/9064, S. 18) mit der erhöhten Mindeststrafdrohung von 3 Jahren bewehrt. Darin kommt die Wertung zum Ausdruck, dass maßgeblich für den Unrechtsgehalt auch die Sicht des Opfers, nicht hingegen nur die objektive Gefährlichkeit des Geschehens ist.
Diese Differenzierung ist gerade im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Rechtsgüter gerechtfertigt. In der Regel kann das Tatopfer - jedenfalls bei den Taten des Untergebrachten, soweit eine Scheinwaffe zum Einsatz kam - nicht erkennen, ob es sich um eine echte Schusswaffe handelt. Es steht unter dem Eindruck einer objektiv bestehenden Gefahr für sein Leben. Vor diesem Hintergrund würde der Senat eher in den Fällen des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB (Beisichführen einer Waffe) dazu neigen, trotzt gleicher Strafdrohung keine schwere Gewalttat annehmen, wenn das Tatopfer die Waffe nicht bemerkt.
Verwendet der Täter hingegen eine echte Schusswaffe als Bedrohungsmittel (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), ist die Tatsituation aus Sicht des in seinen Rechtsgütern beeinträchtigten Opfers dieselbe wie bei Verwendung einer Scheinwaffe. Nur die zusätzliche objektive Gefahr führt hier zu der Mindeststrafdrohung von 5 Jahren.
Setzt der Täter hingegen die echte Schusswaffe auch zur Gewaltanwendung ein, dürfte in der Regel - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - nicht nur von einer schweren, sondern bereits von einer "schwersten Gewaltstraftat" i. S. d. Entscheidung des BVerfG vom 4. Mai 2011 auszugehen sein.
3. Ohne dass es für die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt darauf ankommt, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Voraussetzungen des § 67a Abs. 3 Satz 2 StGB gegeben sind.
Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass mit dem Vollzug der Maßregel des § 63 StGB bei dem Untergebrachten kein Erfolg mehr erzielt werden kann. Nach mehrjährigem Aufenthalt in der Entziehungsanstalt und nunmehr 6-jähriger Behandlung in der psychiatrischen Klinik sind die zur Behandlung der Persönlichkeitsstörung möglichen Therapieansätze ausgeschöpft. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und ergänzend auf die auszugsweise Wiedergabe des Gutachtens von Dr. F. (oben II.2.b) verwiesen werden.