Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.10.2000, Az.: 33 Ss 92/00

Zulässigkeit der Revision ; Jugendgericht; Begründung ; Erziehungsmaßnahme; Zuchtmittel ; Unzulässiges Ziel

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.10.2000
Aktenzeichen
33 Ss 92/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 16527
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2000:1010.33SS92.00.0A

Fundstelle

  • NStZ-RR 2001, 121 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die Revision gegen ein jugendrichterliches Urteil, mit dem lediglich § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG entsprechende Sanktionen angeordnet worden sind, ist unzulässig, wenn sich der Begründung der Revisionsanträge nicht eindeutig entnehmen lässt, dass mit dem Rechtsmittel ein nach dieser Vorschrift zulässiges Ziel verfolgt wird.

Tenor:

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen; seine eigenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte selbst.

Gründe

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I.

Das Jugendgericht hatte den zur Tatzeit 16 Jahre und zwei Monate alten Angeklagten des gemeinschaftlichen schweren Raubes schuldig gesprochen. Es hat dem in vollem Umfang geständigen Angeklagten 10 Tage Arbeitsleistungen auferlegt und zusätzlich auf zwei Freizeitarreste erkannt.

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Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts "in allgemeiner Form" und die Verletzung formellen Rechts, zu der er ausführt, der in der Hauptverhandlung anwesend gewesenen Erziehungsberechtigten des Angeklagten sei nicht das letzte Wort gewährt worden. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

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II.

Die Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Denn der Angeklagte hat es entgegen § 344 Abs. 1 StPO versäumt, in der im vorliegenden Fall erforderlichen Weise anzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Zwar sind die Anforderungen an die Stellung der Revisionsanträge in der Regel nicht hoch. So wird das Fehlen konkreter Anträge allgemein als unschädlich angesehen, wenn sich das Ziel der Revision aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder dem bisherigen Verfahrensgang eindeutig entnehmen lässt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. , § 344 Rn. 2 m. w. N. ). Auch wird aus der Erhebung der allgemeinen Sachrüge in vielen Fällen oft auf eine umfassende Urteilsanfechtung geschlossen werden können (vgl. a. a. O. Rn. 3 m. w. N. ). Diese für den Regelfall einer Urteilsanfechtung durch den Angeklagten oder die Staatsanwaltschaft entwickelten Grundsätze können jedoch nicht auf die Fälle uneingeschränkt übertragen werden, in denen die Einlegung des Rechtsmittels einer gesetzlichen Beschränkung unterliegt, die dazu führt, dass mit ihm nur bestimmte Ziele verfolgt werden dürfen. Ein derartiger Fall ist nach § 55 Abs. 1 JGG dann gegeben, wenn in der Entscheidung lediglich Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel angeordnet oder die Anordnung derartiger Sanktionen dem Familien- oder Vormundschaftsrichter überlassen worden ist. Dann stellt es ein unzulässiges Ziel der Anfechtung dar, wenn lediglich die Übertragung der Anordnung oder der Auswahl der Maßnahmen angefochten wird, die Anordnung anderer oder weiterer Erziehungsmaßnahmen oder Zuchtmittel erreicht werden soll oder das Rechtsmittel sich gegen den Umfang der angeordneten Maßnahmen wendet, wobei es auch einen unzulässigen Angriff gegen den Umfang der Maßnahmen bedeutet, wenn mit dem Rechtsmittel nicht nur ein geringeres Ausmaß, sondern ein gänzliches Absehen davon erreicht werden soll (vgl. LG Mainz NStZ 1984, 121 i. V. m. dem Beschluss des OLG Koblenz vom 14. September 1983 - 1 Ws 558/83 - mit abl. Anm. Eisenberg in NStZ 1984, 122 f; Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl. , § 55 Rn. 10; Ostendorf, JGG, 2. Aufl. , § 55 Rn. 27). Wegen dieser sachlichen Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit, derzufolge die Anfechtung nur darauf gestützt werden kann, dass die Schuldfrage rechtlich oder tatsächlich falsch beantwortet oder die Sanktion selbst rechtswidrig ist (vgl. Ostendorf a. a. O. Rn. 25; Brunner/Dölling a. a. O. ), muss das Anfechtungsziel eindeutig mitgeteilt werden.

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Für das Revisionsverfahren - für das ohnehin keine den Vorschriften der §§ 317, 318 Satz 2 StPO entsprechende Regelung getroffen worden ist, sondern gemäß § 344 StPO eine Pflicht zur Begründung besteht, die die Vermutungsregelung zum Umfange des Rechtsmittels überflüssig macht - bedeutet das, dass das Anfechtungsziel so eindeutig mitgeteilt werden muss, dass die Verfolgung eines unzulässigen Ziels sicher ausgeschlossen werden kann.

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Für die insoweit vergleichbare Regelung bei Rechtsmitteln des Nebenklägers nach § 400 Abs. 1 StPO ist das anerkannt, weil ein Bedürfnis der Nachprüfung der Zulässigkeit besteht, um die Verfolgung unzulässiger Ziele auszuschließen (vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1989, 221; BGHR-StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 5; § 401 Abs. 1 Satz 1 Zulässigkeit 2; BGH NStZ 1999, 259). Ein derartiges Bedürfnis, der möglichen Umgehung der Rechtsmittelbeschränkung entgegenzuwirken, besteht auch bei der Fallgestaltung der vorliegenden Art (vgl. Dallinger/Lackner, JGG, § 55 Rn. 20).

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Diesen Anforderungen an die Angabe des Ziels des Rechtsmittels des Angeklagten ist im vorliegenden Fall nicht genügt. Weder dem Antrag noch dem sonstigen Revisionsvorbringen lässt sich entnehmen, dass mit dem Rechtsmittel nicht ausschließlich ein unzulässiges Ziel verfolgt werden soll.

7

Zur Verletzung des Verfahrensrechts trägt die Revision lediglich vor, eine günstige Einflussnahme des letzten Wortes auf die Entscheidung - bis hin zur Einstellung des Verfahrens lasse sich kaum ausschließen; selbst ein angemessener Rechtsfolgenausspruch biete noch einen gewissen Spielraum für andere vertretbare Entscheidungen. Daraus lässt sich jedenfalls nicht die Verfolgung eines im obigen Sinne zulässigen. Verfahrensziels erkennen.

8

Für die Sachrüge gilt nichts anderes. Sie ist nicht näher begründet worden. Nach dem Urteil waren die Angeklagten geständig, und das Gericht hat seine Feststellungen auf ihre Angaben gestützt, die mit den Bekundungen der drei geschädigten Zeugen übereinstimmten. Die Revisionsbegründung gibt das letzte Wort des Angeklagten wieder, mit dem er die Tat bedauert hat, und teilt den Schlussantrag des Verteidigers mit. Dieser hat danach weder Freispruch noch eine von der Beurteilung der Staatsanwaltschaft, der das Gericht gefolgt ist, abweichende rechtliche Würdigung der Tat beantragt, sondern lediglich für die Auferlegung von Hilfsdiensten darauf hingewiesen, dass wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Angeklagten keine schweren Arbeiten angeordnet werden dürften.

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Schließlich ist auch der Aufhebungsantrag mit dem Antrag auf Zurückverweisung zur neuen Verhandlung nicht genauer bestimmt und gibt keinen Aufschluss in Bezug auf das Anfechtungsziel.

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Die Revision musste daher als unzulässig verworfen werden.

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Es kann daher dahingestellt bleiben, ob es zu dem nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO notwendigen Vorbringen bei der Rüge der Nichterteilung des letzten Wortes an die Erziehungsberechtigte gehört anzugeben, dass das Gericht Kenntnis von ihrer Anwesenheit hatte - ähnlich wie es bei der Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht durch die Nichtvernehmung von im Gerichtssaal anwesenden und als Zeugen in Betracht kommenden Personen der Fall ist (vgl. dazu BGH Beschluss vom 8. August 1984 - 3 StR 282/84 - betr. eine Revision gegen ein Senatsurteil)-, sodass die Rüge unzulässig wäre, weil es daran fehlt.

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Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung dazu, ob im vorliegenden Falle nicht ein Beruhen des Urteils auf dem gerügten Verfahrensmangel ausscheidet, wie es in Ausnahmefällen der Fall ist (vgl. dazu BGHSt 22, 279, 281 [BGH 15.11.1968 - 4 StR 190/68] m. w. N. ), weil angesichts der Feststellungen im angefochtenen Urteil, die auf den übereinstimmenden Angaben der geständigen drei Angeklagten beruhen, die ihrerseits im Einklang mit den Bekundungen der drei Geschädigten standen, ausgeschlossen werden kann, dass Ausführungen der nicht am Tatort anwesenden Erziehungsberechtigten Einfluss auf den Schuldspruch hätten haben können und eine mögliche Beeinflussung des Rechtsfolgenausspruchs durch ihr letztes Wort wegen § 55 Abs. 1 JGG für die Frage des Beruhens auf dem genannten Verfahrensmangel außer Betracht zu bleiben hätte, weil eine Milderung insoweit ein unzulässiges Rechtsmittelziel darstellt.

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III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 74 JGG, 473 Abs. 1 StPO.

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