Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.11.2019, Az.: 3 Ws 38/19 (MVollz)
Verpflichtung des Gerichts zur eigenen Feststellung der Höhe des Schonvermögens durch Amtsermittlungsgrundsatz
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 21.11.2019
- Aktenzeichen
- 3 Ws 38/19 (MVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 54981
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2019:1121.3WS38.19MVOLLZ.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 17.12.2018 - AZ: 52 StVK 61/18
Rechtsgrundlage
- § 109 StVollzG
Amtlicher Leitsatz
Im Maßregelvollzug Untergebrachten steht beim Bezug von Taschengeld kein Schonvermögen nach Maßgabe und in Höhe der Barbetragsverordnung zur Durchführung von § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB II zu.
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 17. Dezember 2018 wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an dieselbe Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Göttingen zurückverwiesen.
Der Wert des Verfahrens wird für beide Instanzen auf bis zu 500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin befindet sich derzeit zum Vollzug einer Maßregel nach § 63 StGB im M. N. in M., dem Antragsgegner. Am 17. September 2018 stellte sie über ihre Betreuerin einen Antrag auf Bewilligung von Taschengeld, welchen der Antragsgegner unter Hinweis auf ein von der Antragstellerin mitgeteiltes Bankguthaben in Höhe von 3.305,42 € abgelehnt hat; die Antragstellerin sei nach § 90 Abs. 1 SGB XII verpflichtet, vor Bewilligung von Taschengeld ihr gesamtes verwertbares Vermögen einzusetzen. Erst wenn dieses unter dem derzeitigen Regelsatz von 416 € liege, könne Taschengeld bewilligt werden.
Gegen diese Entscheidung wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Sie ist der Auffassung, es sei nach Maßgabe der Vorschriften des SGB XII ein Freibetrag in Höhe von 5.000 € in Ansatz zu bringen.
Die Strafvollstreckungskammer hat die Entscheidung des Antragsgegners, der Antragstellerin kein Taschengeld zur Verfügung zu stellen, aufgehoben und hat den Antragsgegner verpflichtet, die Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu bescheiden. Die Kammer hat hierzu ausgeführt, nach Maßgabe von § 27b Abs. 2 Satz 1 SGB XII betrage der angemessene Barbetrag zur persönlichen Verfügung mindestens 27 % von 100 der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII; die Höhe des einzusetzenden Vermögens ergebe sich aus § 90 SGB XII und der hierzu erlassenen Barbetragsverordnung in der Fassung vom 22. März 2017 (BarbetrV). Für Alleinstehende werde dort ein Freibetrag in Höhe von 5.000 € benannt. Im Übrigen habe der Antragsgegner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerinn nicht überprüft, weshalb keine Entscheidungsreife vorliege.
Hiergegen wandte sich der Antragsgegner mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde, mit welchem er im Wesentlichen ausführt, die Barbetragsverordnung komme vorliegend schon deshalb nicht zum Tragen, weil die Antragstellerin die entsprechenden Voraussetzungen nicht erfülle. Aufgrund ihrer Unterbringung nach § 63 StGB im Maßregelvollzug zähle sie nicht zu dem Personenkreis, der aufgrund seiner Lebenssituation auf Sozialhilfe angewiesen sei. Es handele sich bei diesen Personen folglich nicht um Leistungsberechtigte, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus Einkommen und Vermögen bestreiten können.
Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung hat von einer Stellungnahme ausdrücklich abgesehen und hat das Gericht um entsprechende Entscheidung gebeten.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners ist nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig. Es ist geboten, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Der Senat hat sich zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage noch nicht geäußert und es gilt, der Gefahr der Wiederholung des im Nachfolgenden aufgezeigten Rechtsfehlers entgegenzuwirken.
III.
Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und verpflichtet die Strafvollstreckungskammer, unter Beachtung der im Nachfolgenden dargelegten Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag des Antragstellers zu entscheiden.
Die angefochtene Entscheidung konnte keinen Bestand haben, denn sie ist nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Zwar ist die Strafvollstreckungskammer zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragstellerin nach Maßgabe von § 11 Nds. MVollzG ein Taschengeld grundsätzlich zustehen kann. Nicht zu beanstanden ist die angefochtene Entscheidung auch, soweit die Kammer dessen Höhe hiernach mit mindestens 27 % der Regelbedarfsstufe der Anlage 1 zu § 28 SGB XII bestimmt. Insoweit ist die in § 11 Nds. MVollzG enthaltene Regelung eindeutig und lässt eine andere Auslegung nicht zu. Soweit die Kammer aus dem in § 11 Nds. MVollzG enthaltenen Verweis auf die Vorschrift des § 27b Abs. 2 SGB XII indessen herleiten will, nach Maßgabe von § 90 Abs. 2 SGB XII in Verbindung mit der hierzu erlassenen Barbetragsverordnung sei Taschengeldberechtigten ein Schonvermögen in Höhe von 5.000 € zuzubilligen, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Zwar nimmt, worauf die Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer Entscheidung maßgeblich abstellt, die Vorschrift des § 11 Nds. MVollzG ausdrücklich Bezug auf die Regelungen im zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs zum Barbetrag. Dieser Verweis führt aber nicht sogleich dazu, dass sämtliche Regelungen des Sozialgesetzbuchs ausnahmslos auf sämtliche Bezieher von Taschengeld anzuwenden sind.
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die von der Kammer ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Barbetragsverordnung zur Durchführung von § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, welche für Alleinstehende als "kleinere Barbeträge" ein Schonvermögen in Höhe von 5.000 € vorsieht. Denn in § 1 Satz 1 Nr. 1 dieser Verordnung sind zunächst jene Personen benannt, bei denen ein entsprechendes Schonvermögen zu berücksichtigen ist, hierunter auch solche nach § 27 Abs. 1 und 2 SGB XII. All diesen in der Barbetragsverordnung benannten Leistungsberechtigten ist aber gleich, dass sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies trifft auf Personen, die sich im Maßregelvollzug befinden, schon deshalb nicht zu, weil der notwendige Lebensunterhalt - anders, als bei Personen außerhalb des Vollzugs oder solchen, die sich in sonstigen Einrichtungen wie Krankenhäusern befinden - während des Aufenthalts bereits vollständig vom Land getragen wird. Die in § 11 Nds. MVollzG in Bezug genommene Vorschrift des § 27b SGB XII ist demnach nur auf Einrichtungen im engeren sozialhilferechtlichen Sinne anwendbar (Mrozynski, ZFSH/SGB 2009, 328), mithin auf solche Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen. Diese müssen Leistungen der Sozialhilfe erbringen (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 27b Rn. 30). Dies trifft auf Einrichtungen des Maßregelvollzugs nicht zu. Bei derartigen Einrichtungen, wie auch bei Strafanstalten oder im Falle einer einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO, fehlen die erforderlichen Voraussetzungen und befindet sich der Betreffende nicht in einer Einrichtung im Sinne des § 27b SGB XII (Behrend a.a.O. Rn. 31; Dauber in: Merkler/Zink, SGB XII, Stand 8/2013, § 27b Rn. 2).
Soweit angenommen wird, die Lebenssachverhalte "Unterbringung in einer stationären Einrichtung im Sinne des SGB XII" und "Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt" seien vergleichbar, weshalb es zumindest sachgerecht sei, leistungsberechtigten Personen in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordnete Freiheitsentziehung analog § 27b Abs. 2 Satz 2 SGB XII jedenfalls den Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von mindestens 27 vH die Regelbedarfstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII zur Verfügung zu stellen (BSG vom 14.12.2017, B 8 SO 16/16 R, BeckRS 2017, 146526; Mittelbach, NZS 2018, 508), gilt dies vor dem Hintergrund der gleichwohl unterschiedlichen Interessenlagen ersichtlich nur für den zur Verfügung zu stellenden Barbetrag, nicht hingegen auch für das Schonvermögen nach Maßgabe der Barbetragsverordnung.
Wenn auch die Vorschrift des § 11 Nds. MVollzG auf die Vorschrift des § 27b Ab. 2 SGB XII verweist, kann dies hiernach nur dahingehend ausgelegt werden, dass diese Verweisung lediglich das Taschengeld nach den Grundsätzen und Maßstäben, die für den Barbetrag nach § 27b Abs. 2 SGB XII als solchen und seiner Höhe nach gilt, erfasst, und nicht auch die Höhe des einzusetzenden Vermögens nach Maßgabe von § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Verbindung mit der entsprechenden Barbetragsverordnung. Eine andere Auslegung würde bereits der Zielrichtung der Regelungen über die Vermögensfreibeträge nicht entsprechen, die unter anderem dazu dienen sollen, Ansparungen für größere Anschaffungen wie zum Beispiel für Haushaltsgeräte zu ermöglichen (Mecke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., 2014, § 90 Rn.83). Auch dies trifft auf Personen im Maßregelvollzug bereits nicht zu. Soweit in der Literatur zum Strafvollzug teilweise ausgeführt wird, bei der Bewilligung von Taschengeld nach Maßgabe von § 46 StVollzG müssten Vermögensbestandteile, die bei der Grundsicherung bzw. bei der Sozialhilfe gemäß § 90 Abs. 2 und 3 SGB XII als Schonvermögen gelten, unberücksichtigt bleiben (Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 46 Rn. 4; Ak-Galli, 7. Aufl., Teil II § 57 LandesR Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Kuhn StVollzG § 46 Rn. 15), kann dies schon deshalb nicht überzeugen, weil diese Ausführungen zum einen schon nicht ansatzweise begründet oder nachhaltig belegt werden und sich zum anderen mit der erforderlichen Differenzierung des in § 11 Nds. MVollzG enthaltenen Verweises im Hinblick auf die Höhe des Taschengeldes einerseits und die Höhe eines Schonvermögens andererseits nicht auseinandersetzen.
Wie hoch der im niedersächsischen Maßregelvollzug festzusetzende Schonbetrag derzeit ist, war vom Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu bestimmen. Der Antragsgegner hat im Rahmen seiner Rechtsbeschwerdebegründung lediglich auf eine Rundverfügung aus dem Jahre 1983 hingewiesen, ausweislich derer ein Freibetrag in Höhe von 150 DM zu berücksichtigen gewesen sei, und hat im Rahmen seiner - nach § 115 Abs. 1 Satz 3 StVollzG von der Kammer in Bezug genommenen - Stellungnahme zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung einen derzeitigen Regelsatz in Höhe von 416 € benannt. Worauf dieser Regelsatz beruht, haben weder der Antragsgegner noch das niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung mitgeteilt. Die Strafvollstreckungskammer wird Gelegenheit haben, auch diesen Punkt im Rahmen der neu zu treffenden Entscheidung aufzuklären.
2. Die angefochtene Entscheidung konnte aber auch keinen Bestand haben, soweit die Strafvollstreckungskammer die Entscheidung des Antragsgegners aufgehoben und zur Entscheidung an diesen zurückverwiesen hat, weil dieser die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nicht überprüft habe und deshalb keine Entscheidungsreife vorliege. Im Verfahren nach § 109 StVollzG gilt gemäß § 121 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO der Amtsermittlungsgrundsatz (Arloth/Krä § 115 Rn. 2 m.w.N.). Die hiernach erforderliche Erforschung des Sachverhalts erstreckt sich auf alle entscheidungserheblichen Tatsachen (OLG Koblenz ZfStrVo 1992, 197). Das Gericht muss diejenigen Tatsachen, die dem Bescheid zugrunde liegen, von Amts wegen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen (AK-Spaniol, Teil IV § 115 StVollzG Rn. 3). Insofern hätte es der Strafvollstreckungskammer oblegen, im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin selbst die gebotene Aufklärung zu betreiben, gegebenenfalls durch entsprechende Nachfragen bei den Verfahrensbeteiligten. Eine Zurückverweisung allein aus diesem Grunde kam jedenfalls nicht in Betracht.
IV.
Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kam nicht in Betracht, weil bei dem vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren keine Entscheidungsreife im Sinne von § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG vorliegt und sich eine nähere Aufklärung im Verfahren der Rechtsbeschwerde verbietet.