Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.09.2000, Az.: 33 Ss 73/00

Verschlechterungsverbot; Jugendstrafrecht ; Sanktion; Erledigung; Umwandlung; Strafaussetzung zur Bewährung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.09.2000
Aktenzeichen
33 Ss 73/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 16528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2000:0913.33SS73.00.0A

Fundstellen

  • NStZ-RR 2001, 90-91 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 2001, 179-181

Amtlicher Leitsatz

Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vorliegt, ist im Jugendrecht auch die Sanktion aus einer Entscheidung zu berücksichtigen, die in erster Instanz gem. § 31 Abs. 2 S. 1 JGG einbezogen, von deren Einbeziehung jedoch in zweiter Instanz gem. § 31 Abs. 3 S. 1 JGG abgesehen worden ist.

§ 31 Abs. 3 S. 2 JGG gestattet zwar die Erklärung der Erledigung der Sanktion, nicht aber ihre Umwandlung in eine mildere Maßnahme.

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird - soweit es den Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Das Jugendschöffengericht hatte den Angeklagten des gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall in zwei Fällen schuldig gesprochen und auf eine einheitliche Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten erkannt. Dabei hat es nach § 31 Abs. 2 JGG einbezogen - die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung durch das Urteil des Jugendschöffengerichts vom 8. Dezember 1998 (318 Ls 461 Js 55539/98) und - die Verurteilung zu 4 Wochen Dauerarrest durch das Jugendschöffengericht vom 29. Juni 1999 (318 Ls 450 Js 90796/99).

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Auf die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat die Jugendkammer das Urteil dahin geändert, dass sie nur noch die Verurteilung vom 8. Dezember 1998 einbezogen, eine einheitliche Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten ausgeworfen und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt hat. Von der Einbeziehung der Verurteilung vom 29. Juni 1999 hat die Jugendkammer aus erzieherischen Gründen nach § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG abgesehen, jedoch zugleich den darin verhängten Dauerarrest von 4 Wochen in drei Freizeitarreste umgewandelt.

3

Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts; insbesondere wendet sie sich gegen die Nichteinbeziehung der Verurteilung vom 29. Juni 1999, die Umwandlung des Dauerarrestes in Freizeitarreste und die Verhängung von drei Freizeitarresten, die gegen § 16 Abs. 2 JGG verstoße.

4

II.

Die Revision, die nach ihrer oben genannten Begründung als zu Gunsten des Angeklagten eingelegt zu werten ist (vgl. BGHSt 2, 41, 43 [BGH 25.01.1952 - 2 StR 3/52]; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 296 Rn. 14), führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung - soweit sie den Angeklagten betrifft - und zur Zurückverweisung der Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts.

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Die Jugendkammer hat gegen das vom Senat von Amts wegen zu prüfende Verbot der Schlechterstellung des § 331 Abs. 1 StPO verstoßen. Diesem Verbot, das nach § 2 JGG auch im Jugendstrafrecht Anwendung findet (vgl. LR-Gollwitzer, StPO 24. Aufl. § 331 Rn. 49; Brunner/Dölling, JGG 10. Aufl. § 55 Rn. 21 - jeweils m. w. N. ), liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Angeklagte bei seiner Entscheidung darüber, ob er von einem Rechtsmittel Gebrauch machen soll, nicht durch die Besorgnis abgehalten werden darf, es könne ihm durch die Einlegung des Rechtsmittels ein Nachteil entstehen (BGHSt 7, 86;  25, 38, 40 [BGH 25.10.1972 - 2 StR 422/72]; Kleinknecht/Meyer-Goßner a. a. O. § 331 Rn. 1 m. w. N. ). Ein Verstoß gegen das Verbot liegt stets dann vor, wenn die Gesamtschau aller verhängten Ahndungsmaßnahmen eine dem alleinigen Berufungsführer nachteilige Veränderung erkennen lässt (BGHSt 24, 11 [BGH 11.11.1970 - 4 StR 66/70];  29, 269, 270 [BGH 07.05.1980 - 2 StR 10/80]; NStZ 83, 168; Kleinknecht/Meyer-Goßner a. a. O. § 331 Rn. 12 m. w. N. ).

6

Vorliegend würde ein Nachteil für den Angeklagten, der allein Berufung eingelegt hatte, danach dadurch eintreten, dass er nach dem Urteil der Jugendkammer im Falle des Widerrufs der gewährten Aussetzung der Vollstreckung 18 Monate Jugendstrafe zusätzlich zu den jedenfalls zu vollstreckenden drei Freizeitarresten zu verbüßen hätte. Zwar erhielte er durch das Urteil der Jugendkammer die Gelegenheit, sich zu bewähren und nach Ablauf der Bewährungszeit die Jugendstrafe erlassen zu bekommen, müsste aber im Falle des Widerrufs einen längeren Freiheitsentzug hinnehmen. Denn die Rechtsfolge aus dem Urteil vom 29. Juni 1999, die die Jugendkammer aus der Entscheidung des Jugendschöffengerichts wieder ausgeschieden hat, ist bei der erforderlichen Gesamtschau, ob dem Angeklagten durch die Berufungsentscheidung ein Nachteil i. S. von § 331 Abs. 1 StPO erwachsen ist, zu berücksichtigen (Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 14. Oktober 1980 - 1 Ss 330/80 -; vgl. dazu auch BGHSt 12, 94; NStZ 1986, 423; Eisenberg, JGG 5. Aufl. § 55 Rn. 84).

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Danach ist eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils zum Nachteil des Angeklagten festzustellen. Denn auch die Ersetzung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Strafe durch einen längeren Freiheitsentzug unter - völliger oder teilweiser - Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung widerspricht dem Zweck des § 331 StPO (BGH JR 1954, 227, 228; JZ 1956, 100 f; LR-Gollwitzer a. a. O. Rn. 76 m. w. N. ; Brunner/Dölling a. a. O. § 55 Rn. 28; Eisenberg a. a. O. § 55 Rn. 53).

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Der Senat ist zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nicht imstande, sodass eine Zurückverweisung der Sache erfolgen muss. Denn die Strafzumessungserwägungen der Jugendkammer weisen neben dem Verstoß gegen § 331 Abs. 1 StPO weitere Mängel auf, die dem Senat eine eigene Sachentscheidung nicht gestatten.

9

Die Begründung des Urteils zur Verhängung von Jugendstrafe weist Lücken auf. Jugendstrafe als schwerste Sanktion des Jugendstrafrechts darf nur unter den engen Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 JGG verhängt werden. Ihre Verhängung ist stets besonders sorgfältig zu begründen und in einem durch das Revisionsgericht nachprüfbaren Umfang im Urteil darzulegen.

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Diesen Anforderungen genügen die insoweit allein diese Entscheidung betreffenden Formulierungen, der Angeklagte sei durch das angefochtene Urteil unter Einbeziehung der beiden Vorverurteilungen "zutreffend. . . zu einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden" bzw. die Verhängung einer "Einheitsjugendstrafe. . . (von) 1 Jahr und 6 Monaten. . . (sei weiter) zur Erziehung (des Angeklagten) erforderlich", nicht. Diesen Aussagen lassen sich eigene Erwägungen zur Erforderlichkeit der Verhängung von Jugendstrafe nicht entnehmen. Solche gehen auch nicht aus den sich anschließenden Ausführungen zur Nichteinbeziehung der Verurteilung vom 29. Juni 1999 und zur Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung hervor. Soweit sich den Formulierungen ein Verweis auf Ausführungen zur Verhängung der Jugendstrafe im erstinstanzlichen Urteil entnehmen lassen könnte, wäre ein derartiger Verweis unzulässig und nicht geeignet, die festgestellten Lücken zu schließen.

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Die Kammer hat es weiter versäumt, im Hinblick auf das einbezogene Urteil den Sachverhalt mit den maßgebenden Feststellungen und die tragenden Strafzumessungserwägungen des einbezogenen Urteils mitzuteilen. Auch das stellt einen Mangel des Urteils dar, weil dann, wenn unter Einbeziehung eines früheren Urteils auf eine neue (Einheits-)Jugendstrafe erkannt wird, nur auf Grund derartiger Mitteilungen überprüft werden kann, ob tatsächlich die Gesamtheit der vorliegenden Gründe einheitlich gewertet und nicht lediglich eine rein numerische Berücksichtigung des früheren Urteils vorgenommen worden ist (BGH StV 1989, 307, 308 m. w. N. ; Brunner/Dölling a. a. O. § 31 Rn. 11). Die Ausführungen im angefochtenen Urteil genügen diesen Anforderungen nicht. Zu den Feststellungen, die der Entscheidung vom 8. Dezember 1998 zu Grunde liegen, teilt die Kammer nichts mit. Allein aus dem Umstand, dass die Kammer angibt, es seien zur Person des Angeklagten dieselben Feststellungen wie durch das Amtsgericht getroffen worden und insoweit auf S. 6 bis 10 des erstinstanzlichen Urteils verweist, ergibt sich daraus nichts Anderes. Auch das Urteil des Amtsgerichts benennt lediglich die festgestellten Taten mit ihren rechtlichen Bezeichnungen - gemeinschaftliche räuberische Erpressung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit Diebstahl -, die Tatzeit - 26. Mai 1998 - und die in jenem Urteil verhängten Jugendstrafe von 1 Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung, ohne auf die tatsächlichen Feststellungen und die Strafzumessungserwägungen in den Urteilsgründen näher einzugehen. Das reicht für eine nachvollziehbare Darstellung der Zumessungserwägungen des erkennenden Gerichts nicht aus (vgl. BGH a. a. O. ), weil dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen ist, ob sich die Kammer den Schuldumfang der früheren Verurteilung und die für die damaligen Zumessungskriterien maßgeblichen Umstände bei der Einbeziehung ausreichend bewusst gemacht hat.

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Im Übrigen gibt das Urteil dem Senat Anlass, zu bemerken, dass zwar die Begründung der Nichteinbeziehung des Urteils vom 29. Juni 1999 gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG zu Beanstandungen keinen Anlass gibt, dass jedoch die Umwandlung von Dauerarrest in Freizeitarreste fehlerhaft ist. Nach § 31 Abs. 3 Satz 2 JGG können in derartigen Fällen Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklärt werden, wenn auf Jugendstrafe erkannt wird. Eine Umwandlung von Maßregeln oder Erziehungsmitteln ist darin nicht vorgesehen. Sie verbietet sich auch, weil das eine Durchbrechung der Rechtskraft der nicht einbezogenen rechtskräftigen Entscheidung darstellen würde, die aus allgemeinen übergeordneten Gesichtspunkten der Rechtsordnung nicht in Betracht kommt. Die Erledigterklärung stellt demgegenüber den Angeklagten nur so, als sei die rechtskräftig angeordnete Rechtsfolge bereits vollzogen, ohne die Rechtskraft der Entscheidung zu tangieren. Aus diesen Gründen ist die Umwandlung einer in dem nicht einbezogenen Urteil rechtskräftig angeordneten Rechtsfolge in eine mildere Maßnahme nicht zulässig, obwohl die Erledigterklärung für den Angeklagten die bedeutsamere Maßnahme darstellt als die Milderung durch eine Umwandlung der Rechtsfolgen.

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Schließlich ist die vorgenommene Umwandlung des vierwöchigen Dauerarrestes aus dem Urteil vom 29. Juni 1999 auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil die gemäß § 16 Abs. 2 JGG vorgeschriebene Dauer und Anzahl von Freizeitarrest zwei Freizeiten nicht überschreiten darf (vgl. Brunner/Dölling a. a. O. § 16 Rn. 16).

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