Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 04.12.2019, Az.: 6 A 532/18

besondere örtliche Verhältnisse; Gefahrenlage; Krafträder; Sicherheit und Ordnung des Verkehrs; Verkehrsverbot; Verkehrszeichen

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
04.12.2019
Aktenzeichen
6 A 532/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69903
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Vor der Anordnung eines Verbots für Krafträder muss die Straßenverkehrsbehörde den maßgeblichen Sachverhalt vollständig ermitteln. Dazu hat sie zu ermitteln, ob und ggf. inwieweit zuvor ergriffene Maßnahmen wirksam gewesen sind; außerdem sind die fachlichen Erkenntnisse zu alternativ in Betracht kommenden Maßnahmen auszuwerten.

2. Vor dem Ausschluss einer gesamten Gruppe von Verkehrsteilnehmern von der Benutzung einer öffentlichen Straße, aus der nur ein kleiner Teil für die Gefahrenlage verantwortlich ist, muss die Behörde als mildere Mittel Maßnahmen in den Blick nehmen, die geeignet sind, das unerwünschte Verkehrsverhalten in ausreichendem Maße zu erschweren. Dazu gehört auch die Prüfung, ob durch ein Maßnahmenkonzept, also die Kombination mehrerer Maßnahmen - in der Regel bestehend aus konsequenten und länger angelegten Geschwindigkeitsmessungen und einer Kombination verschiedener verkehrsrechtlicher und evtl. auch straßenbaulicher Maßnahmen - erreicht werden kann, Motorradunfälle auf der Strecke zu verhindern oder ihre Anzahl jedenfalls zu reduzieren.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die verkehrsbehördliche Anordnung des Beklagten, mit der er die Durchfahrt für Krafträder auf einem Teilstück der J. (im Folgenden: K.) für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres verboten hat.

Der von dem Verbot betroffene Abschnitt der K. ist etwa 3,5 Kilometer lang und verbindet die L. auf Höhe H. im Osten mit der I. Straße bei M. im Westen. Der Streckenabschnitt verläuft zum Teil kurvenreich, weist ein Gefälle auf und ungefähr auf der Mitte zwischen H. und M. befindet sich eine langgezogene Kurve, an deren Spitze ein Parkplatz liegt (im Folgenden: Parkplatzkurve).

Im Februar und April 2015 ereigneten sich auf dem Streckenabschnitt insgesamt drei Motorradunfälle (s. die Tabelle unten, Unfälle Nr. 1-3). Wie sich aus den von dem Beklagten übermittelten anonymisierten Unfalldaten ergibt, ereigneten sich diese Unfälle bei Tageslicht und trockener Fahrbahn.

Daraufhin führte der Beklagte im Mai 2015 einen Ortstermin durch. Ausweisich des Vermerks über den Ortstermin nahmen ein Vertreter des Beklagten, der Bürgermeister und ein weiterer Vertreter der Samtgemeinde N. sowie ein Vertreter der Polizei N. teil. Es wurde besprochen, dass eine Sperrung der Strecke zunächst nicht in Betracht komme, da bislang keine anderen Maßnahmen ergriffen worden seien. Deswegen solle eine Geschwindigkeitsbegrenzung für den Streckenabschnitt beantragt werden, damit die Situation durch Geschwindigkeitsmessungen geändert werden könne. Auch solle die Polizei präsent sein, um mit den Motorradfahrern zu sprechen.

In der Folgezeit kam es – jeweils bei Tageslicht und trockener Fahrbahn – zu drei weiteren Motorradunfällen (s. unten, Unfälle Nr. 4-6).

Aufgrund dieser weiteren Unfälle führte der Beklagte im August 2016 einen Ortstermin durch, der auf dem Parkplatz an der Parkplatzkurve stattfand. An diesem Termin nahmen ein Vertreter des Beklagten, jeweils ein Vertreter der Polizei O., B-Stadt und N. und ein Vertreter der Kreisstraßenmeisterei B-Stadt teil. Wie sich aus dem Vermerk über den Ortstermin ergibt, wurden drei mögliche Maßnahmen zur Reduzierung der Motorradunfälle besprochen: Eine Zusatzbeschilderung mit dem Symbol einer sich verjüngenden Fahrbahn, die Aufstellung großflächiger Hinweisschilder durch die Verkehrswacht und die Aufstellung weiterer Leitpfosten. Weiter wurde besprochen, dass die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h nichts bringe, da die Geschwindigkeit auf dem Streckenabschnitt aufgrund des kurvigen Verlaufs ohnehin auf noch darunterliegende Werte gedrosselt werden müsse. Eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf 70 km/h könne daher den Eindruck erwecken, die Strecke könne mit dieser Geschwindigkeit befahren werden. Außerdem sei die Überwachung der Geschwindigkeit in dem Streckenabschnitt schwierig, weil die vorhandene Technik wegen der Kurven keine „gerichtsfesten Verstöße“ liefern könne.

In der Folgezeit ereigneten sich erneut drei Motorradunfälle bei Tageslicht und trockener Fahrbahn (s. unten, Unfälle Nr. 7-9).

Dies nahm der Beklagte zum Anlass, im April 2017 erneut einen Ortstermin durchzuführen. Ausweislich des Vermerks über den Ortstermin nahmen an dem Termin ein Vertreter des Beklagten, jeweils ein Vertreter der Polizei O., B-Stadt und N., ein Vertreter der Kreisstraßenmeisterei B-Stadt und der Amtsleiter des Ordnungs- und Verbraucherschutzamts des Beklagten teil. Es wurde angesprochen, dass der Parkplatz an der langgezogenen Kurve für Treffen von Motorradgruppen genutzt werde, wobei die auf dem Parkplatz befindlichen Personen von dort aus das Durchfahren der Parkplatzkurve beobachteten. Es hätten sich bislang acht Motorradunfälle ereignet. Ausweislich des Vermerks wurden zur Reduzierung der Unfallzahlen folgende Maßnahmen vorgeschlagen: Sichtschutz an dem Parkplatz (z.B. durch Hecken), eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h im Kurvenbereich mit der Führung des Verkehrs durch einen Geschwindigkeitstrichter sowie Überwachungsmaßnahmen. Der Vorschlag, Sichtschutz zu schaffen, wurde ausweislich des Vermerks verworfen, weil es Jahre brauche, bis eine Hecke die erforderliche Höhe habe und auch die Pflegeintensität und Zerstörungsgefahr berücksichtigt werden müsse. Hinsichtlich der Überwachungsmaßnahmen wurde besprochen, dass der Beklagte mit seiner Technik keine Messungen vor Ort durchführen könne. Die Begrenzung der Geschwindigkeit wurde ausweislich des Vermerks von allen Anwesenden befürwortet. Außerdem wurde festgehalten, dass die Polizei N. an Tagen, an denen mit einem erhöhten Aufkommen an Motorradverkehr zu rechnen ist, Präsenz zeigen werde. Auch solle jedenfalls versucht werden, Messungen mit der Laserpistole durchzuführen, um eine Abschreckung zu erzielen. Die Anschaffung eines ESO-Messgerätes werde erwogen. Am 20. Mai 2017 werde die Polizei N. einen „Aktionstag“ durchführen und Gespräche mit Verkehrsteilnehmern suchen.

Am 26. April 2017 erging eine verkehrsbehördliche Anordnung, aufgrund derer das Verkehrszeichen 274 (zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h) auf dem Streckenabschnitt in dem Bereich der langgezogenen Kurve – für beide Fahrtrichtungen – aufgestellt wurde. Für beide Fahrtrichtungen wurden jeweils 100 Meter vor dem Verkehrszeichen 274, mit dem die Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt wird, die Verkehrszeichen 274 mit der Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h aufgestellt. Die Anordnung wurde mit einem Verweis auf den o.g. Vermerk über den Ortstermin vom selben Tag begründet und am 27. April 2017 umgesetzt. Außerdem stellte der Beklagte gemeinsam mit der Verkehrswacht B-Stadt e.V. Hinweisschilder für Motorradfahrer an dem Streckenabschnitt auf, mit denen auf die erhöhte Unfallgefahr aufmerksam gemacht wurde.

In der Folgezeit ereigneten sich weitere vier Motorradunfälle (s. unten, Unfälle Nr. 10-13). Insgesamt ergab sich zu diesem Zeitpunkt eine Gesamtzahl von dreizehn Motorradunfällen, die sämtlich in dem Bereich der Parkplatzkurve geschehen waren:

Datum

Ursache laut anonymisierter Unfalldaten

Geburtsjahr des Kraftradfahrers / Fahrerlaubnis (FE)

Verletzung

1

 26.02.2015

 Fahrerin habe sich verschätzt; „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 1998, FE auf Probe seit 2014

 leicht

2

 06.04.2015

 „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 1991, FE seit 2013

 leicht

3

 12.04.2015

 „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 1994, keine FE

 schwer

4

 28.06.2015

 „andere Fehler beim Fahrzeugführer“; „infolge Unachtsamkeit“

 1998, FE seit 2014

 schwer

5

 11.05.2016

 „andere Fehler beim Fahrzeugführer“; „ungeklärte Ursache“

 1993, FE seit 2012

 leicht

6

 28.05.2016

 „vermutlich infolge nicht angepasster Geschwindigkeit in Verbindung mit mangelnder Fahrpraxis“

 1999, FE auf Probe seit 2015

 schwer

7

 16.09.2016

 „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 1985, FE seit 2012

 schwer

8

 12.03.2017

 „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 Zwei Verletzte, 2000 und 1999, FE jeweils seit 2016

 schwer

9

 13.04.2017

 „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 1999, FE seit 2015

 leicht

10

 23.06.2017

 „nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen“

 1998, FE seit 2016

 schwer

11

 05.09.2017

 „offensichtlich nicht angepasste Geschwindigkeit“

 Zwei Beteiligte, 1999 und 2000, FE jeweils seit 2016

 unverletzt

12

 22.04.2018

 „vermutlich aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit“

 1997, FE seit 2016

 leicht

13

 19.05.2018

 „vermutlich aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit“

 1998, FE seit 2017

 schwer

Daraufhin ordnete der Beklagte am 20. Juni 2018 für den Streckenabschnitt in beiden Fahrtrichtungen und für den Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres ein Verbot für Krafträder (auch mit Beiwagen, Kleinkrafträder und Mofas) an. Die Anordnung wurde durch Aufstellung von jeweils zwei Verkehrszeichen P. für jede Fahrtrichtung umgesetzt, wobei das jeweils erste Schild in beiden Fahrtrichtungen mit dem Zusatz „Anlieger frei bis M.“ bzw. „Anlieger frei bis Ortsausgang H.“ versehen wurde. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Streckenabschnitt der K. befinde sich seit mehreren Jahren unter verkehrsbehördlicher Beobachtung, weil es dort zu einer Häufung von Unfällen gekommen sei, an denen ausschließlich motorisierte Zweiradfahrer beteiligt gewesen seien. Sämtliche bislang durchgeführte Maßnahmen hätten nicht dazu geführt, dass Unfälle verhindert und die Kraftfahrer zu einer angemessenen Fahrweise angehalten worden seien. Permanente Verstöße gegen die verkehrsbehördlich angeordnete Geschwindigkeitsreduzierung seien ursächlich für die Unfallsituation. Die zeitweise Sperrung mit beschränkter Ausnahme für Anwohner sei deswegen gerechtfertigt.

Dagegen hat der Kläger zu 1. am 13. August 2018 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Anordnung sei ermessensfehlerhaft und zweckwidrig. Der Beklagte habe schon keine korrekte Verkehrsschau durchgeführt; insbesondere seien keine Fachleute aus der Gruppe der Motorradfahrer gehört worden, es habe keine Verkehrszählung stattgefunden, aus der sich eine besondere Häufung des Motorradverkehrs und von –unfällen auf der Strecke ergeben habe. Der Beklagte habe die zuvor eingeleiteten Maßnahmen auch nicht auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. Außerdem sei der Beklagte verpflichtet gewesen, die Unfallgefahren zuerst auf andere Weise als durch eine vollständige Sperrung zu beseitigen. Vorher hätte der Beklagte die Straßenschäden in Fahrtrichtung H., die nur durch Bitumenbelag ausgebessert worden seien, entfernen müssen. Es sei allgemein bekannt, dass Bitumenbelag zu einer erhöhten Gefahr für Motorradfahrer führe. Außerdem sei zur Minimierung des Unfallrisikos der Bau einer Leitplanke in Erwägung zu ziehen gewesen. Auch sei es möglich gewesen, durch eine Sperrung des Parkplatzes in dem Abschnitt der K. dafür zu sorgen, dass die Möglichkeit eines Motorrad-Treffpunkts entfällt. Die vollständige Sperrung der Strecke sei unverhältnismäßig, weil einzelne unverantwortliche Fahrer Gefahren hervorgerufen hätten, die nun Konsequenzen für alle hätten. Der festgelegte Zeitraum für die Sperrung sei willkürlich gewählt.

Der Kläger zu 2. hat am 28. August 2019 Klage erhoben. Zur Begründung meint er, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Streckensperrung seien offensichtlich nicht gegeben, weil keine konkrete Gefahrenlage ersichtlich sei. Die Sperrung sei auch nicht unvermeidlich gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass Maßnahmen der allgemeinen Verkehrsüberwachung mit der gebotenen Nachhaltigkeit ergriffen worden seien. Insbesondere seien keine mehrtägigen ununterbrochenen Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt worden. Auch sei nicht erwogen worden, Rüttelstreifen und Leitschwellen zu installieren. Rüttelstreifen seien ein geeignetes Mittel, um Fahrzeugführer zur Reduzierung der Geschwindigkeit zu veranlassen, und Leitschwellen in der Mitte der Fahrbahn seien geeignet, um kritische Fahrweisen weitestgehend uninteressant zu machen.

Die Kläger beantragen,

das Verbot für Krafträder auf der G. im Streckenabschnitt zwischen Q. und I. Straße aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, die Anordnung der Streckensperrung sei unvermeidlich gewesen. Es hätten regelmäßig Betrachtungen der K. und Besprechungen mit den zuständigen Behörden und Verkehrsschauen stattgefunden. Die geschwindigkeitsreduzierenden Maßnahmen seien erfolglos versucht worden. Die Geschwindigkeitsüberwachung sei ins Leere gelaufen. Eine stationäre Überwachung der Geschwindigkeit sei aufgrund des kurvigen Streckenverlaufes technisch nicht möglich gewesen; mobile Geschwindigkeitsmessungen seien ins Leere gelaufen, da sie sich über soziale Medien schnell herumgesprochen hätten. Die Idee einer Schutzplanke sei verworfen worden, weil man die Gefahr noch schwerwiegenderer Verletzungen gesehen habe. Eine Verkehrszählung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Zahl der Motorradunfälle vorgelegen habe. Aus dem auf dem Streckenabschnitt verlegten Bitumenbelag folge keine Gefahr, wenn die Fahrzeugführer ihre Geschwindigkeit den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anpassen. Eine Sperrung des Parkplatzes sei als milderes Mittel ungeeignet, weil dies zum einen nicht gewährleiste, dass die Frequentierung der Straße durch Motorräder nachlasse und zum anderen der Parkplatz dann auch nicht mehr für andere Kraftfahrzeuge zur Verfügung stehe. Die Wahl des Zeitraumes sei erfolgt, weil in den gewählten Monaten die meisten Unfälle passiert seien.

Die Kammer hat die beiden Verfahren in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klagen sind zulässig und begründet.

I. Die Klagen sind als Anfechtungsklagen statthaft. Sie richten sich gegen die auf Grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 9 Satz 3 StVO ergangene verkehrsbehördliche Anordnung des Beklagten vom 20. Juni 2018, die einen Verwaltungsakt darstellt. Dieser ist mit der Aufstellung der Verkehrszeichen P. bekanntgegeben und somit wirksam geworden (vgl. Nds. OVG, B. v. 07.09.2017 - 12 ME 249/16 -, juris Rn. 83).

Die Kläger beider Verfahren sind klagebefugt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 9 Satz 1 StVO dient grundsätzlich nur dem Schutz der Allgemeinheit und ist nicht auf die Wahrung der Interessen Einzelner ausgerichtet. Allerdings kann sich ein Verkehrsteilnehmer unter Berufung auf seine allgemeine Handlungsfreiheit gegen Verkehrsbeschränkungen und -verbote zur Wehr setzen und geltend machen, dass die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 StVO nicht gegeben seien. Zudem hat er einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Klagebefugnis setzt dabei nicht voraus, dass der Kläger von dem Verkehrszeichen nach seinen persönlichen Lebensumständen in einer gewissen Regelmäßigkeit oder Nachhaltigkeit tatsächlich betroffen wird (vgl. BVerwG, U. v. 21.08.2003 - 3 C 15.03 -, juris Rn. 13; VG Freiburg, U. v. 04.04.2019 - 10 K 3398/18 -, juris Rn. 16). Vielmehr genügt es, dass der Kläger durch ein- oder mehrmaliges Befahren der Straße zum Adressaten des Verkehrszeichens geworden ist (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 13 und 18). Danach sind beide Kläger klagebefugt, weil sie Adressaten der streitgegenständlichen Verkehrszeichen geworden sind. Beide Kläger sind im Landkreis R. ansässige Motorradfahrer. Der Kläger zu 1. hat angegeben, dass er als in der Region Ansässiger regelmäßiger Benutzer des Streckenabschnitts gewesen ist. Der Kläger zu 2. hat vorgetragen, dass er den Streckenabschnitt am 18. August 2019 habe benutzen wollen und daran gehindert gewesen sei, weil er die Verkehrszeichen wahrgenommen habe, was der Beklagte nicht bestritten hat.

Die Klagen sind fristgemäß erhoben worden. Ein Verkehrszeichen wird gemäß § 43 VwVfG gegenüber demjenigen, für den es bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem es ihm bekannt gegeben wird. Die Bekanntgabe erfolgt nach den bundesrechtlichen Vorschriften der StVO durch Aufstellen des Verkehrsschildes (vgl. insbesondere § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 4 StVO). Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfassen kann, äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. Die gemäß § 58 Abs. 2 VwGO einjährige Klagefrist beginnt im Sinne eines möglichst effektiven Rechtsschutzes allerdings erst dann zu laufen, wenn sich der betreffende Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.2010 - 3 C 32.09 -, juris Rn. 12 ff. m.w.N.; VG Freiburg, a.a.O., Rn. 18). Danach hat der Kläger zu 1. fristgemäß innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Aufstellung der Verkehrszeichen am 13. August 2018 Klage erhoben. Der Kläger zu 2. hat vorgetragen, das Verkehrszeichen erstmalig bei einer Fahrt am 18. August 2019 wahrgenommen zu haben; am 28. August 2019 hat er Klage erhoben und die Jahresfrist somit ebenfalls eingehalten.

II. Die Klagen sind begründet, weil die der Aufstellung der angegriffenen Verkehrszeichen P. zugrundeliegende verkehrsbehördliche Anordnung vom 20. Juni 2018 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Anordnung ist § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 9 Satz 3 StVO.

Gegen die Zuständigkeit des Beklagten für die Anordnung des Verkehrsverbotes für Krafträder gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Nds. Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Verkehr (ZustVO-Verkehr) und § 1 des Nds. Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) i.V.m. § 3 VwVfG bestehen keine Bedenken.

Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen vor (s. dazu 1). Allerdings sind die streitgegenständlichen Verkehrszeichen derzeit rechtswidrig, weil das Ermessen in rechtsfehlerhafter Weise ausgeübt worden ist (s. dazu 2).

1. Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für ein Tätigwerden auf Grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 9 Satz 3 StVO vorliegen.

Entscheidungserheblicher Zeitpunkt einer gegen einen Dauerverwaltungsakt – wie eine verkehrsbehördliche Anordnung – gerichteten Klage ist grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung, weil die Straßenverkehrsbehörde die Voraussetzungen für die Anordnung fortlaufend zu kontrollieren hat (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn. 28; VG Köln, U. v. 08.11.2013 - 18 K 4473/11 -, juris Rn. 34). Die hier streitgegenständliche Anordnung kommt zwar faktisch einer Vollsperrung der Strecke für Motorräder nahe, weil Motorradfahrer in den Monaten November bis März regelmäßig nicht oder nur wenig mit dem Motorrad fahren. Trotzdem hat für den Beklagten die Pflicht bestanden, die Voraussetzung der Anordnung zu überprüfen, sodass auch hier der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Diese Regelung wird durch § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO modifiziert. Danach dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt (u.a. Maßnahmen zum Erhalt der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern).

Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte eine durch „besondere örtliche Verhältnisse“ begründete Gefahrenlage auf dem Abschnitt der K. angenommen hat. Besondere örtliche Verhältnisse können insbesondere aus der Streckenführung, einer Vielzahl von Kurven, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen, der auf dem Streckenabschnitt bestehenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen folgen (vgl. BVerwG, U. v. 18.11.2010 - 3 C 42.09 -, juris Rn. 26 m.w.N.; U. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 06.06.2019 - 8 B 821/18 -, juris Rn. 6; VG Mainz, B. v. 23.07.2018 - 3 L 619/18.MZ -, juris Rn. 3; VG Osnabrück, B. v. 22.04.2015 - 6 B 20/15 -, juris Rn. 14). Sie können auch dann gegeben sein, wenn Fahrzeugführer aufgrund eines bestimmten Streckenprofils – z. B. weil es ein Potenzial zur Beschleunigung bietet – zu einem risikoreichen Fahrstil verleitet werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 37; BayVGH, B. v. 28.06.2018 - 11 CS 18.964 -, juris Rn. 11). Der hier in Rede stehende Streckenabschnitt lädt nach den Feststellungen des Beklagten insbesondere Motorradfahrer zu risikobereitem Fahren ein. Der Beklagte hat ermittelt, dass der Streckenabschnitt von Motorradfahrern frequentiert wird und in der Vergangenheit einige Motorradfahrer die Parkplatzkurve mit hoher Geschwindigkeit durchfahren haben, während andere Motorradfahrer dabei von dem Parkplatz aus zugesehen haben. Es ist naheliegend, dass einige Motorradfahrer den Streckenabschnitt gerade aufgrund der Möglichkeit, den an der Strecke befindlichen Parkplatz als Treffpunkt zu nutzen und aufgrund der Streckeneigenschaften, wie der guten Einsehbarkeit, der Kurven und des Gefälles befahren haben.

Der Beklagte ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass eine Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO bestanden hat. Eine solche Gefahrenlage besteht, wenn die Prognose getroffen werden kann, dass ohne ein verkehrsbehördliches Einschreiten zukünftig aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine das allgemeine Risiko erheblich übersteigende Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Schadensfälle besteht. Für die Prognose muss berücksichtigt werden, dass Unfälle in der Regel auf einer Mehrzahl von subjektiven Faktoren, wie z.B. Fahrverhalten oder Unerfahrenheit des Fahrzeugführers, sowie auf objektiven Faktoren wie dem Streckencharakter oder der auf dem betroffenen Streckenabschnitt anzutreffenden Verkehrsbelastung beruhen. Außerdem geht es bei Verkehrsverboten im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO regelmäßig um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben und bedeutende Sachwerte. Deswegen ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts bei Betroffenheit derart hochrangiger Rechtsgüter schon bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ein behördliches Einschreiten zulässig und geboten (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn. 27; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 06.06.2019, a.a.O., Rn. 8 m.w.N.). Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn. 27; Nds. OVG, B. v. 07.09.2017 - 12 ME 249/16 -, juris Rn. 96; VG Köln, U. v. 08.11.2013, a.a.O., Rn. 49; VG Mainz, a.a.O., Rn. 3; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 45 StVO Rn. 28a m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist durch die Anzahl der Motorradunfälle in dem Zeitraum zwischen dem 26. Februar 2015 bis zu der streitgegenständlichen Anordnung belegt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auf dem Abschnitt der K. das allgemeine Risiko eines Verkehrsunfalls deutlich übersteigt. Der Beklagte hat aufgrund seiner Streckenbeobachtung festgestellt, dass sich ausschließlich in dem Bereich der Parkplatzkurve in diesem Zeitraum dreizehn Motorradunfälle ereignet haben. Wie sich aus den vorgelegten anonymisierten Unfalldaten ergibt, ist die Zahl der Unfälle in den beobachteten Jahren bis zu dem Zeitpunkt der Sperrung relativ konstant geblieben (in den Jahren 2015: 4, 2016: 3, 2017: 4 und 2018: 2 Unfälle). Darin hat der Beklagte zu Recht eine Häufung von Motorradunfällen erkannt, die auf den örtlichen Verhältnissen beruht. In dem Bericht „Motorradunfälle – Einflussfaktoren der Verkehrsinfrastruktur“, der von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) herausgegeben worden ist, sind Strecken schon dann als „unsicher“ für Motorradfahrer eingeordnet worden, wenn dort innerhalb von fünf Jahren drei oder mehr Motorradunfälle passiert sind (s. Hegewald u.a., „Motorradunfälle – Einflussfaktoren der Verkehrsinfrastruktur“, BaSt, Heft V 268, November 2015, S. 10 f.). Nach fachlichen Erkenntnissen und verkehrswissenschaftlichen Untersuchungen stellen Kurven die Hauptursache für Motorradunfälle dar, insbesondere, wenn sich vor einer Kurve eine längere Gerade befindet (vgl. Hegewald u.a., a.a.O., S. 8 ff.). Im vorliegenden Fall sind in einem Zeitraum von etwas mehr als drei Jahren dreizehn Motorradunfälle in der Parkplatzkurve auf der K. geschehen. Es ist unerheblich, inwieweit die Unfälle auf eine missbräuchliche Straßennutzung zurückzuführen sind. Auch ein verkehrswidriges Nutzungsverhalten ist straßenverkehrsbezogen und hat hier in den besonderen örtlichen Verhältnissen – der guten Einsehbarkeit der Strecke, dem Gefälle sowie den Kurven – seine Ursache (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 28 ff. m.V.a. BVerwG, B. v. 03.04.1996 - 11 C 3.96, 11 B 11.96 -, juris Rn. 3; BayVGH, U. v. 28.06.2018 - 11 CS 18.964 -, juris Rn. 11).

2. Die Aufstellung der streitgegenständlichen Verkehrszeichen ist aber – derzeit – ermessensfehlerhaft.

In dem vorliegenden Fall hat der Beklagte schon nicht hinreichend die maßgebliche Tatsachengrundlage ermittelt (s. dazu a). Unabhängig davon hat er bei der Anordnung des streitgegenständlichen Verkehrsverbots den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet (s. dazu b).

a. Im Falle einer zu treffenden Prognoseentscheidung hat die Behörde dafür Sorge zu tragen, dass die Entscheidung aufgrund einer belastbaren Tatsachengrundlage ergeht (vgl. Schwarz in: Fehling/Kastner/Störmer, HK VerwR, VwGO, 4. Aufl., § 114 VwGO Rn. 48 m.w.N.; Riese in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 114 Rn. 54). Sie muss den entscheidungserheblichen und für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt vollständig ermitteln (vgl. Riese, a.a.O.). Andernfalls ist es der entscheidenden Behörde nicht möglich, sachgerecht zu beurteilen, ob mildere, aber potenziell ebenso geeignete Mittel zur Verfügung gestanden hätten. So liegt es hier. Der Beklagte hat nicht hinreichend ermittelt und geprüft, inwieweit die von ihm bereits zuvor angeordneten Maßnahmen wirksam sind und welche weiteren Maßnahmen – außer einem Verkehrsverbot – nach den von ihnen zu erwartenden Wirkungen als mildere Mittel in Betracht kommen. Im Einzelnen:

Der Beklagte hat nicht hinreichend ermittelt, inwieweit zuvor ergriffene Maßnahmen wirksam gewesen sind. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, die Polizei habe die Kraftradfahrer in den Jahren 2017 und 2018 präventiv angesprochen, die Krafträder in Augenschein genommen und „vereinzelt“ Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt, wobei er nicht wisse, wann und wie oft dies der Fall gewesen sei. Damit ist unklar, ob dem Beklagten konkrete Erkenntnisse darüber vorgelegen haben, ob an den Tagen, an denen Messungen durchgeführt worden sind, gegen die zuvor angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h bzw. auf 70 km/h verstoßen worden ist oder darüber, wie häufig und in welchem Ausmaß dies an diesen Tagen der Fall gewesen ist. Ebenso ist unklar geblieben, ob die hier geschehenen Unfälle passiert sind, obwohl die angeordnete Geschwindigkeit nicht oder nur geringfügig überschritten worden ist. In dem Fall hätte der Beklagte prüfen müssen, ob die Anordnung einer noch geringeren Geschwindigkeit im Kurvenbereich auf z. B. 30 km/h in Betracht gekommen wäre. Der Beklagte hätte vor Erlass des streitgegenständlichen Verkehrsverbotes länger angelegte und konsequente Geschwindigkeitsmessungen durchführen und auch sonstige Unfallursachen – so weit wie möglich – aufklären müssen, um sachgerecht beurteilen zu können, welche der vielen grundsätzlich denkbaren Alternativmaßnahmen nach den besonderen örtlichen Gegebenheiten erfolgversprechend eingesetzt werden können.

Vor der Anordnung eines Verkehrsverbots für den überwiegenden Teil des Jahres und für eine Fahrzeugart hätte der Beklagte fachliche Erkenntnisse auswerten müssen, um zu ermitteln, ob und ggf. welche alternativen Maßnahmen zur Reduzierung der Unfallzahlen in Betracht kommen und inwieweit diese für den Abschnitt der K. geeignet gewesen wären. Beispiele für solche alternativen Maßnahmen ergeben sich aus den dem Gericht vorliegenden Bericht von Hegewald u.a. (a.a.O.) sowie aus dem Merkblatt zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für Motorradstrecken (MVMot). Dort werden verschiedene Maßnahmen vorgestellt, die – für sich genommen oder in Kombination – grundsätzlich das Potenzial bieten, einen Streckenabschnitt für ein riskantes Befahren mit überhöhter Geschwindigkeit durch Krafträder weitestgehend uninteressant zu machen und Unfälle somit zu reduzieren (s. Hegewald u.a., „Motorradunfälle – Einflussfaktoren der Verkehrsinfrastruktur“, a.a.O. und MVMot, herausgegeben 2007 von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, s. https://www.passco.de/fileadmin/contents/news/2007/10/10_motorradfahrerschutz.pdf, zuletzt abgerufen am 06.01.2020). Beispielhaft genannt sei hier die teilweise empfohlene Installation sogenannter Leitschwellen (s. MVMot 2007, a.a.O., S. 18). Diese können – ggf. auch versehen mit Baken – entlang der Mittellinie verlegt werden. Sie führen zu einer Trennung der Fahrtrichtungen voneinander, geben den Kurvenradius vor und verhindern potenziell das schnelle Durchfahren oder das Schneiden von Kurven (s. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 06.06.2019, a.a.O., Rn. 51 ff.; s. zu deren Erprobung in Nordrhein-Westfalen und Oberbayern auch https://www.motorradonline.de/ratgeber/entschaerfung-applauskurve-in-nrw-schnelle-nordhelle-jetzt-langsamer/, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/wolfratshausen/ende-der-testphase-kesselberg-ohne-ruettelstreifen-1.3948800 und https://www.merkur.de/lokales/bad-toelz/kochel-am-see-ort28931/leitschwellen-kesselberg-wie-eine-wand-6671013.html, jew. zuletzt abgerufen am 06.01.2020). Als weitere Maßnahmen kommen unter anderem noch die Markierung eines (einfach oder doppelt) durchgezogenen Mittelstreifens, aufgelöste Richtungsstreifen, verdichtet aufgestellte Leitpfosten, eine früher beginnende Geschwindigkeitsbegrenzung, die Aufstellung von sogenannten Bischofsmützen oder die Einrichtung von Rüttelstreifen in Betracht. Zu keiner dieser Maßnahmen liegen Untersuchungen des Beklagten vor, die sich mit der Wirksamkeit dieser Maßnahmen – ggf. auch in Kombination – bezogen auf die besonderen örtlichen Verhältnisse des hier in Rede stehenden Abschnitts der K. befassen.

Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass insbesondere die Möglichkeit der Begrenzung der Fahrstreifen, die in den o.g. Veröffentlichungen ebenfalls vorgeschlagen wird, bei der Entscheidung nicht in Betracht gezogen worden ist. Eine – einfach oder doppelt – durchgezogene Mittellinie kann dazu führen, dass Kraftradfahrer ihr Fahrverhalten dem Streckenverlauf anpassen und Unfälle vermieden werden (s. dazu MVMot 2007, a.a.O., S. 13 und 17 und ADAC, „Motorradfahren – auf sicherer Straße“, Leitfaden für die Praxis, S. 11, abrufbar unter https://www.dvr.de/download/broschuere-motorrad-fahren.pdf, zuletzt abgerufen am 07.01.2020). Ebenso hat der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Aufstellung von Bischofsmützen nicht näher geprüft worden ist (s. dazu Hegewald u.a., „Motorradunfälle – Einflussfaktoren der Verkehrsinfrastruktur“, a.a.O., S. 26 ff.). Auch ist nicht vorgetragen oder erkennbar, dass sich der Beklagte mit dem – ausweislich des Vermerks über den Ortstermin im August 2016 angedachten – Zusatzschild einer sich verjüngenden Fahrbahn und dessen Wirksamkeit auseinandergesetzt hat.

Ohne nähere Auseinandersetzung hat der Beklagte auch nicht weiter ermittelt, ob jedenfalls die Schwere der Unfälle und damit auch die Gefahr für die Sicherheit der Kraftradfahrer und der anderen Verkehrsteilnehmer durch die Anbringung von Leitplanken minimiert werden kann. Er hat darauf verwiesen, dass Leitplanken zu einer erhöhten Verletzungsgefahr führen würden. Wie sich aus den dem Gericht vorliegenden Veröffentlichungen ergibt, kann die Verletzungsgefahr für Motorradfahrer aber sogar reduziert werden, wenn eine bestimmte Art von Leitplanken – nämlich solche, die mit einem sogenannten Unterbodenschutz versehen werden – angebracht werden (s. dazu MVMot 2007, a.a.O., S. 27; https://presse.adac.de/regionalclubs/wuerttemberg/unterfahrschutz-kann-leben-retten.html und https://www.motorradonline.de/ratgeber/mehrsi-engagement-fuer-unterfahrschutz-mehr-davon/, jew. zuletzt abgerufen am 07.01.2020). Es ist indes nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass der Beklagte diese Maßnahme unter Einbeziehung einer gesicherten Tatsachengrundlage ausgeschlossen hat.

b. Die streitgegenständliche Anordnung erweist sich außerdem gegenwärtig als unverhältnismäßig.

Im Falle verkehrsbehördlicher Anordnungen ist es der Straßenverkehrsbehörde aufgrund ihres Sachverstandes und ihres Erfahrungswissens vorbehalten festzulegen, welche von mehreren in Betracht zu ziehenden Maßnahmen den bestmöglichen Erfolg verspricht, wobei sie dabei die beteiligten Interessen gegeneinander abzuwägen hat (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.2010, a.a.O., Rn. 36; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 06.06.2019, a.a.O., Rn. 29 f. m.w.N.; VG Aachen, U. v. 03.04.2018 - 2 K 1272/14 -, juris Rn. 71; VG Köln, U. v. 08.11.2013, a.a.O., Rn. 54 f.; König in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 45 StVO Rn. 28b und 28d, jew. m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte auf der einen Seite die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Durch eine Häufung von (Motorrad-) Unfällen auf einer Strecke entstehen Gefahren für Leib und Leben für die an den Unfällen beteiligten Fahrzeugführer ebenso wie für andere Verkehrsteilnehmer. Auch weitere Interessen der Allgemeinheit können einbezogen werden, unter anderem der Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen (s. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO). Auf der anderen Seite haben grundsätzlich alle Verkehrsteilnehmer das Recht, eine öffentliche Straße – hier eine Kreisstraße – zur Fortbewegung zu nutzen. Bei einer Kreisstraße handelt es sich jedenfalls um eine Straße mit regionaler Verkehrsbedeutung, weil sie unter anderem dem Verkehr zwischen benachbarten Landkreisen und kreisfreien Städten und dem überörtlichen Verkehr innerhalb eines Landkreises zu dienen bestimmt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Straßengesetzes; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 06.06.2019, a.a.O., Rn. 49).

Insoweit ist zu überprüfen, ob die angeordnete Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet ist, kein milderes gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht und ob der Beklagte die widerstreitenden Interessen der verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern unter Berücksichtigung der relevanten örtlichen Gegebenheiten gegeneinander abgewogen und die Konfliktlage für die betroffenen Verkehrsteilnehmer zumutbar aufgelöst hat.

Der Beklagte hat mit dem hier angeordneten Verbot der Durchfahrt des Streckenabschnitts mit Krafträdern einen legitimen Zweck verfolgt, weil die streitgegenständliche Anordnung ausweislich ihrer Begründung darauf gerichtet gewesen ist, die Zahl der Unfälle mit Kraftradbeteiligung zu minimieren. Durch diese Maßnahme wird nicht nur die Sicherheit der Motorradfahrer selbst, sondern auch derjenigen Verkehrsteilnehmer geschützt, für die durch jeden (Motorrad-) Unfall ebenfalls Gefahren für Leib oder Leben entstehen können. Angesichts dessen, dass die auf der Strecke geschehenen Unfälle ausschließlich von Motorradfahrern verursacht worden sind, ist die vollständige Sperrung des Streckenabschnitts durch Aufstellung der Verkehrszeichen P. für den Zeitraum 1. März bis 31. Oktober eines jeden Jahres auch geeignet, um diesen Zweck zu erreichen.

Allerdings ist die Sperrung der Strecke für Krafträder für den überwiegenden Teil eines jeden Jahres noch nicht erforderlich gewesen. Vor dem Ausschluss einer gesamten Gruppe von Verkehrsteilnehmern von der Benutzung einer öffentlichen Straße, aus der nur ein kleiner Teil für die Gefahrenlage verantwortlich ist, muss der Beklagte als mildere Mittel Maßnahmen in den Blick nehmen, die geeignet sind, das unerwünschte Verkehrsverhalten in ausreichendem Maße zu erschweren; mildere Mittel können nicht allein deswegen verworfen werden, weil sie das unerwünschte Verkehrsverhalten nicht gänzlich unterbinden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 31). Ein gegenüber einem (faktisch vollständigen) Verbot der Durchfahrt für eine gesamte Verkehrsart ebenso effektives Mittel wäre andernfalls nicht denkbar.

Diese Anforderungen hat der Beklagte nicht erfüllt. Er hat im Vorfeld der Anordnung des hier streitigen Verkehrszeichens andere, mildere Mittel, die – möglicherweise – zur Zweckerreichung ebenso geeignet gewesen sein könnten, entweder gar nicht in Erwägung gezogen, hat deren Wirksamkeit nicht oder nicht ausreichend überprüft oder sie ohne nähere Prüfung verworfen (s. zu den verschiedenen Maßnahmen bereits oben unter a.).

Der Beklagte hätte nicht nur die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen prüfen müssen, sondern auch, ob hier ein Maßnahmenkonzept, also die Kombination mehrerer Maßnahmen – bestehend aus konsequenten und länger angelegten Geschwindigkeitsmessungen und einer Kombination verschiedener verkehrsrechtlicher und evtl. auch straßenbaulicher Maßnahmen – sinnvoll sein kann, um Motorradunfälle auf der Strecke zu vermeiden oder jedenfalls zu reduzieren. Hinweise darauf, dass ein solches auf die besonderen örtlichen Gegebenheiten zugeschnittenes Maßnahmenkonzept zu einem Rückgang der Anzahl an Motorradunfällen führen kann, finden sich in dem Bericht von Hegewald u.a. (s. oben, a.a.O.). Dort sind acht Strecken, auf denen solche Maßnahmenkonzepte umgesetzt worden sind, näher betrachtet worden. Auf allen acht Strecken ist die Zahl an Motorradunfällen nach Umsetzung der unterschiedlichen Maßnahmenkonzepte rückläufig gewesen. Teilweise sind nach Umsetzung gar keine Motorradunfälle mehr aufgetreten. Beispielhaft genannt sei hier eine Untersuchung einer Landstraße in Hessen, die für Motorradfahrer als „unsicher“ eingestuft worden ist (s. oben). Vergleichbar zu der hier streitgegenständlichen Strecke ist auch die untersuchte Landstraße aufgrund ihres Verlaufs und der Topografie attraktiv für Motorradfahrer gewesen; sie hat drei unfallträchtige Kurven aufgewiesen, in einer langgezogenen Kurve sind besonders gehäuft Motorradunfälle aufgetreten. Nachdem dort für eine Sichtverbesserung im Kurvenbereich gesorgt worden war sowie zusätzliche aufgelöste Richtungspfeile angebracht, eine durchgezogene Fahrstreifenbegrenzungslinie markiert und Leitplanken mit Unterfahrschutz montiert worden waren, war ein deutlicher Rückgang an Motorradunfällen festzustellen (vgl. zu allem Hegewald u.a., „Motorradunfälle – Einflussfaktoren der Verkehrsinfrastruktur“, a.a.O., S. 24 ff.). Auf dem streitgegenständlichen Abschnitt der K. haben sich die bislang geschehenen Motorradunfälle auf einen überschaubaren Abschnitt – die Parkplatzkurve – konzentriert. Gerade deswegen hätte der Beklagte die verschiedenen, denkbaren Maßnahmen und ihre Kombination jedenfalls für den Bereich der Parkplatzkurve prüfen können und müssen. Als Teil des hier in Betracht zu ziehenden Maßnahmenkonzepts könnte auch die Möglichkeit einbezogen werden, den als Treffpunkt der Motorradfahrer frequentierten Parkplatz mit einem Sichtschutz zu versehen, um zu verhindern, dass von dort aus andere Motorradfahrer beim (schnellen) Durchfahren der Parkplatzkurve beobachtet werden. Ebenso kann hier Teil des Konzepts sein, die präventiven Ansprachen der Kraftradführer und die Fahrzeugkontrollen auf der Strecke auszuweiten (s. MMVot, a.a.O., S. 13) sowie den Verlauf der unfallträchtigen Parkplatzkurve deutlicher zu kennzeichnen (z.B. durch aufgelöste Richtungszeichen, Leitschwellen, Bischofsmützen und/oder Leitplanken mit Unterfahrschutz).

Auch bei Anordnung eines Verkehrsverbotes hätte der Beklagte vor der Anordnung eines für den überwiegenden Teil des Jahres geltenden Verkehrsverbots noch ein weniger weitgehendes Verkehrsverbot prüfen und ggf. erproben müssen. In Betracht kommt z.B. die Sperrung der Strecke für Krafträder nur zu bestimmten Tageszeiten (vgl. dazu VG Köln, U. v. 08.11.2013, a.a.O., Rn. 7) oder nur für bestimmte Wochentage (vgl. dazu VG Bayreuth, B. v. 09.04.2018, a.a.O., Rn. 30). Die vorliegenden anonymisierten Unfalldaten weisen darauf hin, dass neun der insgesamt dreizehn Motorradunfälle an Freitagen, Sonnabenden und Sonntagen passiert sind und sechs der insgesamt dreizehn Motorradunfälle – also fast die Hälfte aller Unfälle – an Sonnabenden und Sonntagen. Auch umfasst das Verkehrsverbot sämtliche Krafträder und damit auch Mofas, die an den Verkehrsunfällen nicht beteiligt gewesen sind.

Außerdem hätte der Beklagte jedenfalls die Einhaltung der bereits zuvor angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h bzw. auf 50 km/h durch entsprechende Messungen effektiv kontrollieren bzw. durch die Polizei solche Messungen durchführen lassen müssen. Nur durch auf längere Zeit angelegte und konsequente Kontrollen der Geschwindigkeitsbegrenzung mit hoher Kontrolldichtekann deren Einhaltung hinreichend effektiv überwacht werden. Erst nachdem die Geschwindigkeitsbegrenzung länger anhaltend und konsequent kontrolliert und Verstöße geahndet worden sind, können schärfere Maßnahmen angedacht werden (vgl. VG Mainz, B. v. 23.07.2018, a.a.O., Rn. 5; VG Bayreuth, B. v. 09.04.2018 - B 1 S 18.52 -, juris Rn. 33; VG Oldenburg, U. v. 12.12.2017, a.a.O., S. 11, n.v.; VG Osnabrück, B. v. 22.04.2015, a.a.O., Rn. 16). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass derartige Kontrollen der angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung stattgefunden haben. Der Beklagte hat dazu lediglich vorgetragen, dass „vereinzelt“ Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt worden sind. Der Beklagte hat dafür Sorge zu tragen, dass ihm die für solche Kontrollen erforderliche Technik – ggf. auch solche, die für die Verwendung bei kurvigem Streckenverlauf geeignet ist – in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, sofern die erforderliche Kontrolldichte nicht durch andere zuständige Stellen sichergestellt wird. Inwieweit die bislang „vereinzelt“ durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen (s. oben) durch Hinweise in den sozialen Medien bekanntgeworden sind, hat der Beklagte nicht näher dargelegt. Selbst wenn sich Geschwindigkeitsmessungen allerdings über die sozialen Medien herumsprechen, führt dies nicht dazu, dass konsequente und länger angelegte Geschwindigkeitsmessungen hier nicht als geeignetes, milderes Mittel in Betracht kommen. Die Kenntnis einiger (oder aller) Kraftradfahrer, die den streitgegenständlichen Abschnitt der K. passieren wollten, trägt dazu bei, dass die angeordnete Höchstgeschwindigkeit beachtet wird; auch dadurch kann der Zweck der Maßnahme erreicht werden.

Das angeordnete Verbot für Krafträder geht nach derzeitigem Stand zu weit und ist daher nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass in der Zukunft ein Verkehrsverbot für Krafträder auf der K. verfügt werden darf. Sollte sich herausstellen, dass alle anderen jetzt zunächst erforderlichen Maßnahmen wirkungslos sind, könnte ein solches Verbot rechtmäßig werden.