Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.03.2015, Az.: 8 T 9/15

Abwesenheitspflegschaft

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
04.03.2015
Aktenzeichen
8 T 9/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44907
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 09.02.2015 - AZ: 25 X 1/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Entscheidung eines Rechtspflegers über die Bestellung eines Abwesenheitspflegers für einen Angehörigen eines fremden Staates ist nichtig (§ 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG).
2. Auf die Nichtigkeit kann sich derjenige, der die Abwesenheitspflegschaft angeregt hat, nur berufen, wenn er beschwerdebefugt ist.

Tenor:

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Betreuungsgerichts – Celle vom 09.02.2015 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 19.02.2015 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Antragsteller erstrebt die Bestellung eines Abwesenheitspflegers für seinen in Lettland lebenden Sohn.

Der Antragsteller und sein Sohn sind Erben nach der verstorbenen Ehefrau des Antragstellers und Mutter des Sohnes. In den Nachlass fällt der hälftige Miteigentumsanteil an einem Grundstück N. im Bezirk des Amtsgerichts Celle. Der Sohn ist lettischer Staatsangehöriger (Bl. 5 d.A.) und lebte zumindest bis Ende November 2014 auch unter einer aktenkundigen Anschrift in Lettland.

Mit Beschluss vom 09.02.2015 lehnte der Rechtspfleger die Bestellung ab. Ihm war die Entscheidung nicht durch richterlichen Beschluss übertragen worden. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Allerdings ist der angefochtene Beschluss nichtig (dazu unter 1.). Die Beschwerde ist dennoch als unzulässig zu verwerfen, da der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt ist (dazu unter 2.). Die Entscheidung über die Bestellung oder Ablehnung der Bestellung eines Abwesenheitspflegers ist nach Rückgabe der Akten erneut vom zuständigen Betreuungsrichter zu treffen (dazu unter 3.).

1. Die Entscheidung des Betreuungsgerichts ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG nichtig. Der Rechtspfleger hat unter Überschreitung seiner funktionellen Zuständigkeit ein Geschäft des Richters wahrgenommen, das ihm nach dem Rechtspflegergesetz weder übertragen war noch übertragen werden kann.

Grundsätzlich sind dem Rechtspfleger gemäß § 3 Nr. 2 Buchst. b RPflG die betreuungsrechtlichen Zuweisungssachen nach § 340 FamFG übertragen. Hierzu zählen gemäß § 340 Nr. 1 FamFG Verfahren, die die Pflegschaft Volljähriger betreffen.

Gemäß § 15 Nr. 5 RPflG bleiben jedoch dem Richter von den Angelegenheiten, die dem Betreuungsgericht übertragen sind, die Anordnung einer Pflegschaft über einen Angehörigen eines fremden Staates vorbehalten. Davon umfasst ist auch die Entscheidung über die Ablehnung der Anordnung. Die Landesregierung kann diesen Richtervorbehalt zwar gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RPflG durch Rechtsverordnung aufheben bzw. diese Befugnis zur Aufhebung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. Das Ministerium für Justiz, dem das Land die Befugnis übertragen hat (§ 1 Nr. 7 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen auf den Gebieten der Rechtspflege und der Justizverwaltung (Subdelegationsverordnung-Justiz)), hat von der Möglichkeit der Aufhebung aber keinen Gebrauch gemacht (vgl. § 14 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz)).

Der Betroffene ist lettischer Staatsbürger.

Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 Satz 2 RPflG liegen nicht vor. Danach ist die Entscheidung nicht unwirksam, wenn dem Rechtspfleger bei Streit oder Ungewissheit über die funktionelle Zuständigkeit das Geschäft gemäß § 7 Satz 1 RPflG übertragen wird. Eine derartige Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits ist indes nicht erfolgt.

2. Die Nichtigkeit des Beschlusses verhilft der Beschwerde aber nicht zum Erfolg. Die Beschwerde ist nämlich unzulässig.

a) Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Betreuungsgerichts ist statthaft, da es sich bei dem Beschluss um eine Endentscheidung im Sinne des § 58 Abs. 1 FamFG handelt (vgl. BGH, Beschl. v. 24.04.2012, II ZB 8/10, RPfleger 2012, 445).

b) Der Beschwerdeführer ist jedoch nicht beschwerdeberechtigt. Die Beschwerde steht gemäß § 59 Abs. 1 FamFG nur demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Durch einen nichtigen, also unwirksamen Beschluss können jedoch Rechte von vornherein nicht beeinträchtigt werden.

(1) Allerdings kann auch die Aufhebung eines nichtigen Beschlusses begehrt werden. Diese Möglichkeit besteht, um den Schein einer wirksamen Entscheidung zu beseitigen. Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass das Beschwerdegericht eine Entscheidung der ersten Instanz aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung durch diese zurückzuverweisen hat, wenn statt des funktionell zuständigen Richters der Rechtspfleger entschieden hat (so BGH, Beschl. v. 02.06.2005, IX ZB 287/03, NJW-RR 2005, 1299).

Dies setzt aber voraus, dass die betreuungsgerichtliche Entscheidung zumindest dann, wenn sie wirksam wäre, in die Rechtstellung des Beschwerdeführers eingreifen könnte. Dem Rechtsbehelfssystem des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) liegt nämlich wie den anderen Verfahrensordnungen des deutschen Rechts die Vorstellung zugrunde, dass im Grundsatz nur der durch die gerichtliche Entscheidung Betroffene die Aufhebung des ihn belastenden Hoheitsaktes verlangen kann. Dies gilt auch für die Feststellung der Nichtigkeit eines solchen Hoheitsaktes. So entspricht es etwa auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Feststellungsklage gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts das Bestehen der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO voraussetzt (vgl. bereits BVerwG, Beschl. v.  09.12.1981, 7 B 46/81 u.a., NJW 1982, 2205). Nur dann, wenn der Beschwerdeführer durch den Beschluss, seine Wirksamkeit unterstellt, belastet wäre, hat er ein schützenswertes Interesse daran, den Schein einer ihm nachteiligen Entscheidung zu beseitigen.

(2) An der danach notwendigen Rechtsbeeinträchtigung fehlt es indes. Die Ablehnung der Bestellung eines Abwesenheitspflegers berührt allenfalls rechtliche Interessen des Antragstellers. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt, genügt dies nicht (Beschl. v. 18.04.2012, XII ZB 623/11, NJW 2012, 2039). Eine Rechtsbetroffenheit ist schon gar nicht darstellbar. Einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Bestellung eines Abwesenheitspflegers gibt es nicht.

Nur ausnahmsweise billigt der BGH im Ergebnis ein subjektives Recht auf Bestellung eines Abwesenheitspflegers zu. Dies ist der Fall, wenn die Einrichtung einer Abwesenheitspflegschaft auch im Interesse des die Pflegschaft Anregenden zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist. In diesem Fall hat dieser Dritte einen Anspruch auf Bestellung eines Abwesenheitspflegers, den er auch mit der Beschwerde verfolgen kann. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat hier vor allem den Fall vor Augen, dass ein Kläger gegen eine an der Prozessführung gehinderten Beklagten ohne Bestellung eines Pflegers materiell-rechtliche Ansprüche nicht durchsetzen kann. Zwar ändert die Ablehnung der Bestellung nichts am Bestehen derartiger Ansprüche. Gleichwohl kann der Dritte diese Ansprüche ohne die Bestellung nicht durchsetzen, so dass sie faktisch wertlos sind.

Dieser Fall liegt indes nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller etwaige materiell-rechtliche Ansprüche gegen seinen Sohn nicht auch im Klagewege verfolgen könnte. Die Klage gegen einen lettischen Staatsbürger mag mit Verzögerungen und besonderen Belastungen verbunden sein, die ein grenzüberschreitender Rechtsstreit mit sich bringt. Sie ist aber möglich, zumal die Republik Lettland Mitglied der Europäischen Union ist.

c) Die für nur auf Antrag zu erlassende Beschlüsse geltende Regelung in § 59 Abs. 2 FamFG begründet schließlich keine eigenständige Beschwerdeberechtigung, sondern enthält lediglich die Begrenzung einer grundsätzlich bestehenden Beschwerdeberechtigung auf die Person des Antragstellers (BGH, Beschl. v. 18.04.2012, XII ZB 623/11, NJW 2012, 2039).

3. Im Hinblick auf die erforderliche Entscheidung des Betreuungsrichters weist die Kammer zur Vermeidung weiterer Verfahren auf folgende Aspekte hin:

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Abwesenheitspflegers gemäß § 1911 BGB dürften aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen, wenn auch nichtigen Beschlusses nicht vorliegen.

Da die Anschrift des Betroffenen bekannt ist, kommt eine Bestellung ohnehin nur gemäß § 1911 Abs. 2 BGB in Betracht. Danach ist ein Abwesenheitspfleger zu bestellen, wenn ein Abwesender, dessen Aufenthalt bekannt ist, an der Rückkehr und der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten verhindert ist.

Eine derartige Verhinderung dürfte nicht gegeben sein. Eine bloße Reiseunfähigkeit würde dafür nicht genügen, da die Mitwirkung an der Verwaltung des Grundstücks auch schriftlich erfolgen könnte (Palandt/Götz, 74. Aufl., § 1911, Rn. 7). Dass der Antragsteller zwar lebt, aber nicht mehr in der Lage wäre, schriftlich zu kommunizieren, ist fernliegend. Im November 2014 erfreute er sich ausweislich seines Schreibens im bereits zuvor durchgeführten Abwesenheitspflegschafts-Verfahrens noch bester Gesundheit und sah sich auch in der Lage, jederzeit zurückzukehren. Dass der 55jährige Betroffene seitdem gesundheitlich geradezu verfallen ist, ist so unwahrscheinlich, dass das Betreuungsgericht nicht gemäß § 26 FamFG gehalten sein dürfte, im Rahmen der Amtsermittlung den Gesundheitszustand zu ermitteln. Dass ein schlechter Gesundheitszustand theoretisch denkbar und daher nicht ausgeschlossen ist, genügt für eine Bestellung nicht. Die Voraussetzungen für eine Bestellung müssen vielmehr positiv feststehen.

Soweit der Antragsteller nicht ausschließen kann, dass sein Sohn mittlerweile verstorben ist, verhilft das dem Antrag auf Bestellung schon deshalb nicht zum Erfolg, weil im Falle des Todes die Abwesenheitspflegschaft gar nicht angeordnet werden dürfte (vgl. § 1921 Abs. 2 Satz 2 BGB).

Der schlichte Unwille, sich um die Vermögensangelegenheiten zu kümmern, genügt selbst dann nicht für eine Verhinderung, wenn sogar ein Anspruch eines Dritten auf ein Handeln des Betroffenen bestünde. Selbst dann, wenn der Antragsteller seiner Rechtsauffassung folgend einen Anspruch auf Zustimmung zur Genehmigung des Kaufvertrages gemäß § 2038 Abs. 1 BGB, könnte er diesen Anspruch klagweise geltend machen. Es ist nicht zulässig, über den Weg der Abwesenheitspflegschaft einem untätigen Schuldner gleichsam einen Vertreter aufzunötigen, der in seinem Namen von ihm nicht gewollte Willenserklärungen abgibt und somit das Ergebnis eines Rechtsstreits und der nachfolgenden Vollstreckung vorwegnimmt.

Sollte das Betreuungsgericht dennoch der Auffassung sein, die Voraussetzungen einer Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft lägen vor, wird es in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu beachten haben, dass es dem Betroffenen rechtliches Gehör gewähren muss (§ 37 Abs. 2 FamFG). Dies ist im voran gegangenen Verfahren 25 X 3/14 nicht beachtet worden, was beinahe den Verkauf des Grundstücks nach sich gezogen hätte.

Der Beschwerdeführer wird unter Verweis auf die voran gegangenen Ausführungen schon jetzt vorsorglich darauf hingewiesen, dass gegen die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen den Beschluss des Betreuungsrichters von vornherein Bedenken bestehen.

4. Von der Erhebung von Kosten im Beschwerdeverfahren wird gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GNotKG wegen unrichtiger Sachbehandlung abgesehen.

Gründe, die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG zuzulassen, liegen nicht vor.