Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.08.2006, Az.: Ss (OWi) 100/06
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.08.2006
- Aktenzeichen
- Ss (OWi) 100/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 42108
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2006:0821.SS.OWI100.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - AZ: 36 OWi 83 Js 5915/06 - 202/06 -
Fundstelle
- DAR 2007, 397-398 (Volltext mit red. LS)
In der Bußgeldsache
...
wegen ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter
am 21. August 2006 beschlossen:
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Im Einspruchsverfahren gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Göttingen vom 10.10.2005 hat das Amtsgericht Göttingen durch Urteil vom 08.06.2006 gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 75,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat (unter Berücksichtigung der Regelung des § 25 Abs. 2a StVG) wegen des Vorwurfs festgesetzt, der Betroffene habe am Vormittag des 09.06.2005 am Steuer eines Pkw auf der Autobahn A 7 die an der Messstelle auf 100 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h netto überschritten.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und sein Rechtsmittel auch ordnungsgemäß begründet. Unter Erhebung der Verfahrens- und der Sachrüge beantragt er, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren auf Kosten der Staatskasse einzustellen. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig beantragt ebenfalls die Einstellung des Verfahrens.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und führt in der Sache zu dem vom Betroffenen angestrebten Erfolg, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 16.08.2006 gegenüber dem Senat in jeder Hinsicht zutreffend das Folgende ausgeführt: "Die aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde schon von Amts wegen (Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Aufl., Rdnr. 102 a.E.) vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit, die der Betroffene am 09.06.2005 begangen haben soll, verjährt nach § 26 Abs. 3 StVG in drei Monaten, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach in sechs Monaten. Die erstgenannte Frist war hier schon vor Erlass des Bußgeldbescheids vom 10.10.2005 (Bl. 12-13 d.A.) abgelaufen, ohne dass zuvor während des Fristlaufs eine Unterbrechungshandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 OWiG vorgenommen worden wäre, die nach § 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu einem Neubeginn der Frist geführt hätte.
Eine Unterbrechungshandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG stellt insbesondere nicht die Übersendung des an die Fahrzeughalterin, die Fa. Glueherei GmbH Magdeburg, gerichteten Zeugenfragebogens vom 16.06.2005 (Bl. 4 d.A.) dar, da diese keine (schriftliche) Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gerade dem Betroffenen gegenüber ist. Es kommt zu keiner Verjährungsunterbrechung gegenüber dem der Verwaltungsbehörde noch unbekannten Fahrer, wenn der Anhörungsbogen - wie hier - der Halterin übersandt wird und diese - zumal sie vorliegend als juristische Person von vornherein nicht als Fahrerin in Betracht kommt - den Anhörungsbogen an den Fahrer weitergibt, da diese Handlung der Verwaltungsbehörde in Bezug auf den Fahrzeugführer nicht an einen nach den Aktenunterlagen individuell bestimmten Täter gerichtet ist (Weller, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 33 Rdnr. 23; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 33 Rdnr. 14). Dies gilt selbst dann, wenn der Fahrer in der Folgezeit den Anhörungsbogen ausfüllt und an die Verwaltungsbehörde zurücksendet, da die schriftliche Äußerung des Fahrzeugführers als Handlung einer Privatperson die Verjährung nicht zu unterbrechen vermag (BGHSt 24, 321 [325]; OLG Hamm, Beschluss vom 02.11.1978 - 5 Ss OWi 2708/78 -, bei juris). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn die Fahrzeughalterin eine GmbH und ihr für sie Angaben machender Geschäftsführer der Fahrzeugführer ist (Weller, a.a.O., Rdnr. 24; Göhler, a.a.O., § 33 Rdnr. 10).
Ebenso wenig kommt dem Telefonat des Betroffenen mit dem Mitarbeiter der Verwaltungsbehörde ... eine gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG die Verjährung unterbrechende Wirkung zu. Den Inhalt des Telefonats kann das Rechtsbeschwerdegericht zur Überprüfung, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, unter Benutzung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren feststellen (vgl. Göhler, a.a.O., § 79 Rdnr. 47a; Steindorf, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 79 Rdnr. 154). Zu diesen Erkenntnisquellen gehören neben dem übrigen Akteninhalt insbesondere auch die Feststellungen im angefochtenen Urteil. Das Amtsgericht war befugt, über die Frage der Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens Zeugenbeweis zu erheben, da sich angesichts des auf Bl. 8 d.A. befindlichen Vermerks des Mitarbeiters der Verwaltungsbehörde für die Tatsache einer Bekanntgabe, ihren Zeitpunkt und ihren Inhalt zumindest Anhaltspunkte aus der Akte ergaben (vgl. dazu BGHSt 30, 215 [219 f.]).
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat sich der Betroffene am 22.07.2005 beim Zeugen ... telefonisch gemeldet und erklärt, er sei der Fahrzeugführer gewesen (UA S. 4 = Bl. 47 d.A.). Diese mündliche Äußerung des Betroffenen vermag aber als Handlung einer Privatperson ebenso wenig die Verjährung zu unterbrechen wie eine schriftliche Äußerung des Fahrzeugführers (vgl. BGH a.a.O.). Hierbei handelte es sich auch nicht um eine erste Vernehmung, da die Angabe des Betroffenen, er sei Fahrzeugführer gewesen, spontan und noch vor einer nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO erforderlichen Belehrung erfolgt ist.
Das angefochtene Urteil stellt ferner fest, der Zeuge ... habe den Betroffenen sodann am Telefon über dessen Schweigerecht belehrt (UA a.a.O.). Diese Belehrung stellt sich jedoch nicht als Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dar, da sie für den Betroffenen noch nicht erkennbar werden lässt, dass und weshalb ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden ist. Zwar genügt für die Bekanntgabe einer Verfahrenseinleitung unter Umständen schon, dass gegen den Betroffenen in unmittelbarem Anschluss an eine von ihm begangene Gesetzesverletzung eine Maßnahme getroffen wird, die bei verständiger Würdigung ihres Zwecks nur als Ermittlungshandlung gedeutet werden kann (Weller, a.a.O., Rdnr. 21; Göhler, a.a.O., § 33 Rdnr. 16). Diesen Voraussetzungen genügt die fernmündlich erfolgte Belehrung über ein Schweigerecht jedoch aus zweierlei Gründen nicht. Zum einen erfolgte sie nicht in unmittelbarem Anschluss an die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit, sondern erst etwa sechs Wochen danach. Zum anderen blieb bei einer bloßen Belehrung über ein Schweigerecht für den Betroffenen unklar, aus welchem rechtlichen Grund diese erfolgt sein mag. Neben der Möglichkeit, dass gegen den Betroffenen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war und er deshalb keine Angaben zu machen brauchte, war ebenso denkbar, dass es sich um eine Belehrung über ein einem Zeugen zustehendes Aussageverweigerungsrecht nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 55 StPO handelte, was zumindest vor dem Hintergrund nicht fern lag, dass zumindest bis zum Zeitpunkt dieses Telefonats noch keine Ermittlungen gegen den Betroffenen geführt worden waren und er daher bis dahin allenfalls wie ein Zeuge zu behandeln war.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass weder dem festgestellten weiteren Inhalt des Telefonats vom 22.07.2005 noch dem vom Zeugen ... undatiert zur Akte gebrachten Vermerk über das Telefonat (Bl. 8 d.A.) zu entnehmen ist, dass der Betroffene über die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit "ins Bild gesetzt" worden ist. Denn eine ordnungsgemäße Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erfordert, dass der Verfahrensgegenstand dem Betroffenen durch die Verwaltungsbehörde bekannt gegeben wird; eine Kenntniserlangung durch Dritte - hier im Wege der Aushändigung des Anhörungsbogens durch die Halterin - genügt diesen Anforderungen nicht (BayObLG NZV 1990, 285).
Dass der Betroffene in dem Telefonat noch - wie festgestellt - um die Übermittlung eines Fotos gebeten und erklärt hat, die der Halterin übersandte Zeugenanhörung ausgefüllt zurückzufaxen (UA a.a.O.), stellt sich ebenso wenig als eine Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wie als Vernehmung des Betroffenen dar.
Konkrete Anhaltspunkte für andere Unterbrechungshandlungen, die zur Klärung durch Beweiserhebungen Anlass geben könnten, sind der Akte nicht zu entnehmen. Dem Datensatzauszug vom 22.08.2005 (Bl. 11 d.A.), in dem der Betroffene nunmehr namentlich als solcher geführt wurde, kommt keine verjährungsunterbrechende Wirkung zu. Sofern es sich um einen Entwurf eines Bußgeldbescheids handeln sollte, unterbricht ein solcher die Verjährung nicht (Göhler, a.a.O., § 33 Rdnr. 35). Falls der genannte Datensatzauszug die aktenmäßige Dokumentation eines bereits durch die EDV hergestellten Bußgeldbescheids sein sollte, wäre dieser jedenfalls nicht binnen zwei Wochen zugestellt worden (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG).
Das Verfahren ist daher gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen. Damit verliert das angefochtene Urteil seine Wirkung, ohne dass es einer förmlichen Aufhebung bedarf (BayObLG a.a.O.; Göhler, a.a.O., § 79 Rdnr. 47a)."
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.