Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.10.2003, Az.: 1 Ws 471/03
Anforderungen an die ausreichende Entschuldigung eines Angeklagten, der zu der Hauptverhandlung über die von ihm eingelegte Berufung urlaubsbedingt nicht erscheint
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.10.2003
- Aktenzeichen
- 1 Ws 471/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 18073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2003:1022.1WS471.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 24.09.2003 - AZ: 12 Ns 123/03
Rechtsgrundlagen
- § 46 Abs. 3 StPO
- § 329 Abs. 1 S. 1 StPO
Fundstellen
- PA 2004, 49
- ZAP 2004, 67 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Trunkenheit im Verkehr
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen an die ausreichende Entschuldigung eines Angeklagten, der zu der Hauptverhandlung über die (nur) von ihm eingelegte Berufung urlaubsbedingt nicht erscheint.
Redaktioneller Leitsatz
Bei der Entscheidung, ob ein zur Verhandlung über die allein von ihm eingelegte Berufung nicht erschienener Angeklagter sein Ausbleiben genügend entschuldigt hat, darf kein zu enger Maßstab angelegt werden.
Denn es ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Angeklagte - anders als im erstinstanzlichen Verfahren - ein eigenes Interesse an der Durchführung der Hauptverhandlung hat, von der er sich - durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO geschützt - einen ihm günstigeren Ausgang des Verfahrens als in erster Instanz erhofft.
Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn der Angeklagte - wie hier - mit eigenem Kostenrisiko einen Wahlverteidiger beauftragt hat.
In dem Strafverfahren
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
die unterzeichnenden Richter
am 22. Oktober 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 24. September 2003, durch den sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumen der Berufungshauptverhandlung vom 26. August 2003 abgelehnt worden ist, aufgehoben. Dem Angeklagten wird die beantragte Wiedereinsetzung bewilligt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich insoweit entstandener notwendiger Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse, die Kosten der Wiedereinsetzung werden dem Angeklagten auferlegt.
Gründe
Der Angeklagte ist nach vorangegangenem Strafbefehlsverfahren mit Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst vom 7. Januar 2003 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr bestraft worden. Über seine hiergegen eingelegte Berufung ist vom Landgericht Oldenburg am 26. August 2003 verhandelt worden. Zu dieser Hauptverhandlung ist der am 8. August 2003 durch Einlegen der Ladung in den Hausbriefkasten geladene Angeklagte nicht erschienen.
Sein Verteidiger hatte vor Beginn der Verhandlung schriftlich um Verlegung des Termins gebeten und dazu mitgeteilt, ein Verwandter des Angeklagten habe die Ladung in dem Briefkasten aufgefunden und dem Angeklagten hiervon eine Kopie übersandt; der Angeklagte habe ihm - dem Verteidiger - daraufhin telefonisch mitgeteilt, dass er sich seit ca. 1 Monat in einem längeren Urlaub in seinem Heimatland ... befinde und erst im September 2003 nach Deutschland zurückkehre.
Das Landgericht hat den Verhandlungstermin nicht verlegt, die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers durchgeführt und die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Es hat dies damit begründet, dass das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt sei, weil der Inhalt der Mitteilung des Verteidigers nicht glaubhaft gemacht worden sei.
Hiergegen hat der Angeklagte innerhalb einer Woche nach Urteilszustellung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Ladung zur Berufungsverhandlung sei ihm erst zugestellt worden, als er sich bereits in Urlaub befunden habe. Sein Rückflug sei auf den 8. September 2003 gebucht gewesen. Er habe, nachdem er Kenntnis von der Ladung erhalten habe, versucht, einen früheren Rückflug zu erhalten. Dies sei wegen des damaligen regen Rückreiseverkehrs aus der ... aber nicht möglich gewesen. Die genannten Flugdaten hat der Angeklagte durch Vorlegen seines Flugtickets belegt.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 24. September 2003 den Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung abgelehnt, der Verurteilte habe keine neuen Tatsachen für eine Entschuldigung vorgetragen; über die Urlaubsabwesenheit des Angeklagten als Entschuldigungsgrund sei bereits im Urteil entschieden worden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit der vorliegenden sofortigen Beschwerde.
Das Rechtsmittel ist gemäß § 46 Abs. 3 StPO zulässig, insbesondere auch fristgerecht eingelegt. Es ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Bewilligung der beantragten Wiedereinsetzung.
Die Begründung, mit der das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt hat, trifft nicht zu. Denn mit dem Antrag wurde nicht nur ein schon im Urteil beschiedener Entschuldigungsgrund wiederholt. Vielmehr hat der Angeklagte über seine bloße Urlaubsabwesenheit hinaus auch angegeben, er habe, nachdem er im Ausland von dem Verhandlungstermin erfahren habe, vergeblich versucht, eine frühere als die gebuchte Rückflugmöglichkeit zu bekommen, um an der Berufungsverhandlung teilnehmen zu können. Der damit erstmals vorgetragene unverschuldet gescheiterte Versuch einer Anreise zur Hauptverhandlung stellt eine weitere Entschuldigung dar, über die das Landgericht hätte befinden müssen.
Diese Entschuldigung ist auch als ausreichend im Sinne von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO anzusehen. Die Flugdaten hat der Angeklagte durch Vorlage seines Flugtickets glaubhaft gemacht; dass in der Hauptreisezeit ein Versuch, kurzfristig einen fest gebuchten Rückflug vorzuverlegen, häufig scheitert, ist allgemein bekannt.
Dem Angeklagten war deshalb die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren. Dem steht hier auch nicht entgegen, dass sich der Angeklagte nach eingelegter Berufung nicht in einen längeren Urlaub hätte begeben dürfen, ohne für seine Erreichbarkeit und gegebenenfalls vorzeitige Rückkehr Sorge zu tragen. Dieser Gesichtspunkt trifft jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zu, weil der Angeklagte - wie das Datum der Berufungsschrift erkennen lässt - Anfang Januar 2003 durch seinen Verteidiger Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil einlegen ließ und seitdem - bei seinem Urlaubsantritt mithin über ein halbes Jahr lang - ohne jede Nachricht vom Gericht über den Fortgang des Verfahrens geblieben war. Angesichts dieses Zeitablaufs, den die Justiz ohne Benachrichtigung des Angeklagten für sich in Anspruch nahm, können vom Angeklagten besondere Vorkehrungen für eine jederzeitige Erreichbarkeit nicht mehr erwartet werden.
Die Kostenentscheidung entspricht §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 7 StPO.
Der Fall gibt dem Senat im Übrigen Anlass zu folgendem Hinweis: Bei der Entscheidung, ob ein zur Verhandlung über die allein von ihm eingelegte Berufung nicht erschienener Angeklagter sein Ausbleiben genügend entschuldigt hat, darf kein zu enger Maßstab angelegt werden. Denn es ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Angeklagte - anders als im erstinstanzlichen Verfahren - ein eigenes Interesse an der Durchführung der Hauptverhandlung hat, von der er sich - durch das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO geschützt - einen ihm günstigeren Ausgang des Verfahrens als in erster Instanz erhofft. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn der Angeklagte - wie hier - mit eigenem Kostenrisiko einen Wahlverteidiger beauftragt hat.
Im vorliegenden Fall hätte zudem nahe gelegen, auf Grund des Faxschreibens des Verteidigers vom Vortage, in dem das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungsverhandlung mitgeteilt und erklärt wurde und in dem um Verlegung des Verhandlungstermins gebeten wurde, vor dem Beginn der auf den späten Vormittag angesetzten Verhandlung mit dem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und ihm mitzuteilen, dass die Verhandlung nicht verlegt werden würde. Dies gilt umso mehr, als der Verteidiger berechtigt gewesen wäre, den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung zu vertreten, §§ 329 Abs. 1 Satz 1, 411 Abs. 2 Satz 1 StPO. Denn es war ersichtlich, dass der Verteidiger, was bei der gegebenen Sachlage auch zumindest nicht unvertretbar war, von einer Verlegung des Termins ausging.