Arbeitsgericht Wilhelmshaven
Urt. v. 23.09.2004, Az.: 2 Ca 212/04
Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung durch den Arbeitgeber; Anspruch auf das zur Verfügung stellen einer Mindestzahl von Assistenzärzten; Erstellung eines tarifkonformen und gesetzeskonformen Dienstplanes für eine Anästhesieabteilung; Einschränkung der allein beim Arbeitgeber liegenden Organisationsgewalt durch einen Arbeitsvertrag
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Wilhelmshaven
- Datum
- 23.09.2004
- Aktenzeichen
- 2 Ca 212/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 33097
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGWHV:2004:0923.2CA212.04.0A
Fundstellen
- ArztR 2005, 234-236 (Urteilsbesprechung von RA Dr. Manfred Andreas)
- DB 2005, 833-834 (Volltext mit amtl. LS)
- KHuR 2005, 91-92
- MedR 2005, 474-475 (Volltext mit amtl. LS)
- Personal 2005, 72
- sis 2006, 88
In dem Rechtsstreit
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven
auf die mündliche Verhandlung vom 23.09.2004
durch
den ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Beklagte wird kostenpflichtig verurteilt, dem Kläger zur Erstellung tarif- und gesetzeskonformer Dienstpläne für die Anästhesieabteilung und den Rettungsdienst des ...- Krankenhauses ... mindestens 16 Anästhesieassistenzärzte, entsprechend mindestens 14 Vollzeitstellen, zur Verfügung zu stellen.
- 2.
Der Streitwert wird auf 8.000,-- EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für seine Arbeit eine Mindestzahl von Assistenzärzten zur Verfügung zu stellen. Der Kläger ist seit dem 01.04.1999 leitender Arzt der Anästhesieabteilung des ...-Krankenhauses ... Träger ist der Beklagte.
Das Arbeitsverhältnis wird durch den Arbeitsvertrag vom 25.05.1999 geregelt (Bl. 15 ff. d.A.). Gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 des Arbeitsvertrages hat der Kläger dafür zu sorgen, dass die einzel- oder tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeiten der ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter seiner Abteilung eingehalten werden. Diese Verpflichtung bezieht sich unter anderem auf die Bereitschaftsdienste für die Anästhesieassistenzärzte, und zwar für das Krankenhaus selbst, für die Rettungsdienste auf der Straße und für den Rettungsdienst per Hubschrauber.
Am 07.02.2001 bestellte der Beklagte den Kläger zum Arbeitszeitbeauftragten für seine Abteilung (Kopie Bl. 37 d.A.).
Unter dem 24.03.2003 erstellte der Kläger eine Analyse, aus der sich ein Mehrbedarf von zwei Stellen bei Berücksichtigung der monatlich maximal zulässigen Bereitschaftsdienste der Anästhesieassistenzärzte ergab. Danach waren, neben dem leitenden Arzt und drei Oberärzten, 14,03 Assistenzärzte erforderlich, unter Berücksichtigung von weiterem Bedarf wegen Urlaubs und Arbeitsunfähigkeitszeiten in Höhe von ca. 15 % sogar 16 Assistenzärzte.
Vorhanden waren zu dieser Zeit in der Abteilung 13 Assistenzarztstellen, entsprechend 10,75 Vollzeitstellen. Davon waren damals 4 Stellen, entsprechend 2,5 Vollzeitstellen, nicht besetzt. Im ersten Halbjahr 2004 waren durchschnittlich 9,33 Assistenzärzte in den Bereitschaftsdiensten der Anästhesieabteilung tätig.
Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte sei verpflichtet, so viele Assistenzärzte zu beschäftigen, dass die tariflichen Arbeitszeitvorgaben und das Arbeitszeitgesetz eingehalten werden könnten. Denn der Kläger habe einen einklagbaren Anspruch darauf, vertragsgemäß auf einem funktionsfähigen Arbeitsplatz beschäftigt zu werden. Seine vertraglichen Pflichten könne der Kläger nur erfüllen, wenn der Beklagte ihm die dafür erforderlichen personellen Mittel zur Verfügung stelle.
Hinzu komme, dass der Kläger wegen seiner Bestellung zum Arbeitszeitbeauftragten auch im Außenverhältnis für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes verantwortlich sei.
Der Kläger behauptet, nach seiner Analyse vom 24.03.2003 habe der damalige Betriebsdirektor ... ihm mitgeteilt, dass diese Analyse zutreffe. Geändert habe sich gleichwohl nichts, obwohl der Kläger ständig darauf hingewiesen habe, dass er die Vorgabe nicht einhalten könne.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger zur Erstellung eines tarif- und gesetzeskonformen Dienstplanes für die Anästhesieabteilung und den Rettungsdienst des ... Krankenhauses
mindestens 16 Anästhesieassistenzärzte in mindestens 14,0 Vollzeitstellen zur Verfügung zu stellen,
hilfsweise,
- 2.
für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag zu Ziff. 1.,
den Beklagten zu verurteilen, den Kläger aus der Verantwortung aus § 7 Abs. 4 S. 2 des Arbeitsvertrages zu entlassen sowie die Bestellung zum Arbeitszeitbeauftragten aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Kläger könne nicht im Klagewege dem Beklagten vorschreiben, wie viele Assistenzärzte er beschäftige. Diese Entscheidung liege allein beim Beklagten als Arbeitgeber.
Der Beklagte behauptet, die Rahmenbedingungen hätten sich seit dem März 2003 wesentlich verändert. So habe es zahlreiche Gespräche über die Problematik zwischen den Parteien gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mit dem Hauptantrag zulässig und begründet.
Der Kläger hat Anspruch darauf, vertragsgemäß beschäftigt zu werden. Jeder Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung durch den Arbeitgeber, da es sich bei einem Arbeitsverhältnis um ein gegenseitiges Austauschverhältnis handelt und sich nicht eine Seite darauf verweisen lassen muss, eine Leistung ohne gleichwertige Gegenleistung zu erhalten, quasi als Almosen. Dieser Anspruch ist grundsätzlich seit 1955 mehr und mehr anerkannt und heute arbeitsrechtlich unumstritten (vgl. z.B. Schaub, Arbeitsrechthandbuch, 10. Aufl., Rdn. 4, 6 zu § 110 m.w.N.). Dabei muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsprechend der getroffenen Vereinbarung beschäftigen. Nicht vertragsgemäße Arbeit kann der Arbeitnehmer verweigern (vgl. Schaub, a.a.O., Rdn. 8 m.w.N.).
Statt die Arbeit zu verweigern, kann der Arbeitnehmer aber auch auf Erfüllung gegen den Arbeitgeber klagen und auf diese Weise erzwingen, dass ihm die Gelegenheit zu vertragsgemäßer Arbeit gewährt wird (vgl. Schaub, a.a.O., Rdn. 37 m.w.N.).
Die hiernach dem Kläger zu gebende Möglichkeit zu vertragsgemäßer Arbeit setzt voraus, dass der Beklagte ihm die entsprechenden erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Dazu gehören nicht nur ein Arbeitsplatz oder sonstige sächliche Arbeitsmittel, sondern auch die personellen Mittel. Kann ein Arbeitnehmer seine vertragsgemäße Arbeit nur zusammen mit anderen Arbeitnehmern oder mit deren Mithilfe ausüben, muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass diese anderen Personen zur Verfügung stehen. So ist es selbstverständlich, dass dort, wo aus Sicherheitsgründen mindestens zwei Arbeitnehmer zusammenarbeiten müssen, die Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, das Vorhandensein des erforderlichen zweiten Arbeitnehmers zu garantieren.
Da es zu den vertraglichen Verpflichtungen des Klägers gehört, die Anästhesieassistenzärzte so einzusetzen, dass tarifliche und gesetzliche Arbeitszeitvorschriften eingehalten werden, ergibt sich die Verpflichtung des Beklagten, die dafür mindestens erforderliche Anzahl von Personen zur Verfügung zu stellen. Der Kläger kann auf andere Weise seinen Verpflichtungen aus § 7 Abs. 4 S. 2 des Arbeitsvertrages und aus der Bestellung zum Arbeitszeitbeauftragten nicht nachkommen. Der Beklagte muss ihm aber die Gelegenheit geben, die entsprechenden Tätigkeiten auszuüben und seine vertraglichen Pflichten auch insofern zu erfüllen.
Der Beklagte kann nicht damit gehört werden, hier wolle der Kläger in die Entscheidungen des Beklagten als Unternehmer und Arbeitgeber eingreifen, die Einstellung einer bestimmten Anzahl von Assistenzärzten sei allein Sache des Arbeitgebers. Dieser an sich tatsächlich allein beim Arbeitgeber liegenden Organisationsgewalt - als Ausfluss der unternehmerischen Freiheit - hat der Beklagte sich nämlich durch die Vertragsgestaltung begeben. Indem der Beklagte dem Kläger die genannten Pflichten auferlegte, ging er selbst zugleich die Verpflichtung ein, dem Kläger die Erfüllung der Arbeitnehmeraufgaben zu ermöglichen. Als Konsequenz aus dieser selbst gewählten Bindung hat der Beklagte die Voraussetzungen für die vertragsgemäße Arbeit des Klägers zu schaffen.
Der Beklagte hat den Ausführungen des Klägers über die erforderliche Anzahl von Anästhesieassistenzärzten und die dafür benötigten Stellen nicht widersprochen, sodass die klägerischen Ausführungen insofern als unstreitig zu behandeln sind. Sie sind rechnerisch nachvollziehbar; möglicherweise liegt das Ergebnis noch zu niedrig, weil bei der Zusammenrechnung von 5,7 Köpfen und 2 x 4,43 Köpfen sich nicht 14,03 Köpfe ergeben, sondern 14,56 Köpfe. Danach wären mit der erforderlichen Reserve sogar 16,7 Ärzte erforderlich. Wie der Kläger seinen Verpflichtungen gleichwohl mit weniger Ärzten bzw. Planstellen nachkommen könnte, hat der Beklagte auch nicht ansatzweise erläutert.
Da der Beklagte unterlegen ist, hat er die Kosten des Rechtsstreites zu tragen, §§ 91 Abs. 1 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 8.000,-- EUR festgesetzt.
Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO. Dabei hat das Gericht das Zweifache des Regelstreitwertes zu Grunde gelegt.