Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.06.2009, Az.: 1 A 3709/08
Pflicht eines Grundstückseigentümers zur Instandsetzung eines auf dem Grundstück liegenden Schmutzwasseranschlusskanals; Zugehörigkeit sämtlicher bestehender Anschlusskanäle und der Revisionsschächte zur zentralen Abwasseranlage
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.06.2009
- Aktenzeichen
- 1 A 3709/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 29763
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2009:0605.1A3709.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 9 AWS
- § 2 Abs. 11 AWS
- § 11 Abs. 1 AWS
Amtlicher Leitsatz
Abgrenzung Grundstücksentwässerungsanlage und zentrale Schmutzwasseranlage, Unterhaltung und Instandsetzung bei zwischenzeitlicher Satzungsänderung.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Aufforderung der Beklagten, den auf ihrem Grundstück liegenden Schmutzwasseranschlusskanal instand zu setzen.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks E. im Stadtgebiet der Beklagten, welches mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Dieses Grundstück wurde im Jahr 1961 auf der Grundlage der Ortssatzung der Gemeinde Vinnhorst über den Anschluss der Grundstücke an die gemeindliche Entwässerungsanlage und deren Benutzung vom 22.12.1959 an die Schmutzwasserkanalisation angeschlossen. Der damalige Eigentümer wurde mit Bescheid der Gemeinde Vinnhorst vom 13.07.1961 zu einer einmaligen Kanalgebühr herangezogen.
Bei einer aufgrund einer Störungsmeldung von der Beklagten durchgeführten TV-Untersuchung der Entwässerungsanlage auf dem Grundstück der Kläger im Dezember 2007 wurde festgestellt, dass der Schmutzwasseranschlusskanal im Bereich zwischen der Grundstücksgrenze und dem Gebäude aufgrund starken Wurzeleinwuchses und Scherbenbildung undicht ist, sodass Abwasser in das Erdreich eindringen kann.
Mit Schreiben vom 19.12.2007 wies die Beklagte die Kläger auf ihre Pflicht hin, den Schmutzwasseranschlusskanal instand zu setzten, da sich der stadtseitige Anschluss an der Grundstücksgrenze befinde und somit die Kläger selbst für die Instandsetzung verantwortlich seien.
Die Kläger baten daraufhin um Mitteilung der Rechtsgrundlage, wonach sie selbst und nicht die Beklagte für die Instandsetzung verantwortlich seien.
Die Beklagte teilte den Klägern daraufhin mit, dass sich der Übergabepunkt der öffentlichen zentralen Schmutzwasseranlage an die private Grundstücksentwässerungsanlage nach der Satzung richte, die zum Zeitpunkt des Anschlusses des Grundstücks einschlägig gewesen sei.
Nach der Vinnhorster Ortssatzung aus dem Jahr 1959 sei der Übergabepunkt die Grundstücksgrenze gewesen. Durch die erteilte Entwässerungserlaubnis werde der Übergabepunkt abschließend geregelt. Die Anschlussleitung und der Revisionsschacht auf dem Grundstück der Kläger würden somit zur privaten Grundstücksentwässerungsanlage gehören, die nach der aktuellen Abwassersatzung von den Klägern selbst instand zu setzen seien.
Die Kläger wandten dagegen ein, dass sich aus der Vinnhorster Satzung ihre Pflicht zur Instandsetzung nicht ergebe. Darin sei lediglich geregelt gewesen, wer für das erstmalige Verlegen der Anschlussleitung zuständig gewesen sei und wer die Erschließungskosten zu tragen hatte. Die Instandhaltung sei dort nicht geregelt, sodass die aktuelle Abwassersatzung der Beklagten maßgeblich sei, wonach die Schmutzwassergrundstücksanschlusskanäle vom Abzweig des Hauptkanals bis einschließlich des ersten Revisionsschachtes zur zentralen Schmutzwasseranlage gehören würden und die Stadt den Anschlusskanal und den Revisionsschacht zu unterhalten und bei Verstopfungen zu reinigen habe. Zudem könnten aus der Vinnhorster Satzung aus dem Jahr 1959 keine aktuellen Rechte und Pflichten mehr hergeleitet werden, da durch die nachfolgenden Satzungen die jeweils vorangegangenen Satzungen außer Kraft getreten seien. Hier komme noch hinzu, dass auch die Gemeinde Vinnhorst selbst seit der Gebietsreform im Jahr 1973 aufgehört habe, zu existieren.
Mit Bescheid vom 21.05.2008 forderte die Beklagte die Kläger auf, die Schäden an der Schmutzwasserleitung auf ihrem Grundstück zu beseitigen und die Dichtheit der Leitung nachzuweisen. Sie wiederholte und vertiefte hierbei ihr bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus, dass es sich bei der Entwässerungserlaubnis um einen sog. Dauerverwaltungsakt handele, welcher solange gelte, wie er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben werde oder sich auf andere Weise erledige. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Die Aufhebung der ursprünglichen Rechtsgrundlage ändere daran nichts.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 20.06.2008 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen beriefen und ergänzend vortrugen, mit dem Inkrafttreten einer neuen Abwassersatzung und dem Außerkrafttreten der Vorgängersatzung finde die alte Satzung keinerlei Anwendung mehr. Dies sei auch bei sog. Dauerverwaltungsakten nicht anders.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter erneutem Verweis auf ihr bisheriges Vorbringen führte sie aus, die Entwässerungserlaubnis sei im Jahr 1961 auf Grundlage der Satzung aus dem Jahr 1959 erteilt worden. In dieser Satzung sei geregelt, dass die Gemeinde den Anschlusskanal bis zur Grundstücksgrenze herstellen lasse und dass der Anschlusskanal bis hierher im Eigentum der Gemeinde stehe. Grenze zwischen öffentlichem Kanal und privater Grundstücksentwässerungsanlage sei folglich die Grundstücksgrenze gewesen. Mit diesem Regelungsgehalt sei seinerzeit die Entwässerungserlaubnis erteilt worden und so gelte sie fort, obwohl die genannte Vinnhorster Satzung nicht mehr gelte und die aktuelle Abwassersatzung der Beklagten eine andere Regelung enthalte.
Die Kläger haben am 30.07.2008 Klage erhoben, zu deren Begründung sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen berufen. Aus der aktuellen Abwassersatzung der Beklagten ergebe sich eindeutig, dass die Beklagte zur Beseitigung der festgestellten Undichtigkeiten verpflichtet sei.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen Zur Begründung verweist sie auf ihre angefochtenen Bescheide und ihr weiteres bisheriges Vorbringen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, sodass er aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte durfte die Kläger nicht gem. § 11 Abs. 1 der Abwassersatzung für die Landeshauptstadt Hannover vom 07.12.2000 (AWS) dazu auffordern, die Schmutzwasserleitung auf ihrem Grundstück instand zu setzen.
Gem. § 11 Abs. 1 AWS ist die Grundstücksentwässerungsanlage auf dem anzuschließenden Grundstück nach den technischen Bestimmungen "Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke " - DIN 1986 - den Schallschutzbestimmungen und den anerkannten Regeln der Technik herzustellen, zu unterhalten und zu betreiben. Grundsätzlich können danach Grundstückseigentümer aufgefordert werden, Schäden an ihren Grundstücksentwässerungsanlagen zu beseitigen.
Welche Anlagenteile zur privaten Grundstücksentwässerungsanlage gehören und welche Bestandteile der öffentlichen, zentralen Schmutzwasseranlage sind, ergibt sich aus § 2 Abs. 9 und Abs. 11 AWS.
Gem. § 2 Abs. 11 AWS sind Grundstücksentwässerungsanlagen alle Einrichtungen auf einem Grundstück, die dazu dienen, Abwasser zu sammeln, zu behandeln, abzuleiten, zwischenzuspeichern oder zu beseitigen, soweit sie nicht Bestandteil der zentralen Abwasseranlage sind.
Gem. § 2 Abs. 9 AWS gehören Anschlusskanäle der Grundstücke für die Schmutz- und Mischwasserableitung beginnend mit dem Abzweig vom Hauptkanal einschließlich des ersten Revisionsschachtes auf dem Grundstück zur zentralen Schmutzwasseranlage. Hinsichtlich der Revisionsschächte gilt dies nur für Anlagen, die nach Inkrafttreten dieser Satzung hergestellt werden.
Bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 9 Satz 1 AWS ergibt sich, dass alle bestehenden Anschlusskanäle - unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Herstellung - zur zentralen Abwasseranlage gehören. Denn die Regelung enthält insoweit keinerlei Einschränkung. Anders ist dies für die Revisionsschächte. Für diese wird durch Satz 2 ausdrücklich klargestellt, dass nur die nach Inkrafttreten dieser Satzung hergestellten Anlagen Bestandteil der zentralen Abwasseranlage sind. Wäre dies auch für die Anschlusskanäle gewollt gewesen, so hätte hierfür eine entsprechende Einschränkung geregelt werden müssen. Da dies nicht geschehen ist, sind alle Grundstücksanschlusskanäle bis zum ersten Revisionsschacht Bestandteil der zentralen Abwasseranlage geworden. Nach der Argumentation der Beklagten wäre die Regelung des Satzes 2 überflüssig, da danach die alten Revisionsschächte ohnehin nicht Bestandteil der zentralen Abwasseranlage geworden wären.
Durch die Einbeziehung der Grundstücks- und Hausanschlüsse in die öffentliche Einrichtung liegt eine Ausdehnung der Widmung der öffentlichen Einrichtung "zentrale Schmutzwasseranlage" auf die Anschlussleitungen vor. Soweit diese Leitungen auf Privatgrundstücken liegen und die Grundstückseigentümer auch Eigentümer der Leitungen sind, bedarf es deren Zustimmung (vgl.: Dietzel in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand März 2008, § 10 Rnr. 68). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die Zustimmung der Kläger zur Ausdehnung der Widmung erklärt, soweit nicht bereits in deren Verlangen auf Tätigwerden der Beklagten die konkludente Erteilung einer solchen Zustimmung gesehen werden kann.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich weder aus der Vinnhorster Satzung aus dem Jahr 1959 noch aus der seinerzeit erteilten Entwässerungserlaubnis, dass der Grundstücksanschlusskanal kein Bestandteil der zentralen Abwasseranlage geworden ist.
Zwar ließ gem. § 11 Abs. 2 der Ortssatzung der Gemeinde Vinnhorst über den Anschluss der Grundstücke an die gemeindliche Entwässerungsanlage und deren Benutzung vom 22.12.1959 die Gemeinde die Anschlussleitungen von der Hauptleitung bis zur Grundstücksgrenze ausführen, sodass zum Zeitpunkt des Anschlusses des klägerischen Grundstücks im Jahr 1961 die Grundstücksgrenze den Übergang von der zentralen Abwasseranlage zur Grundstücksentwässerungsanlage darstellte. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides war jedoch aufgrund ihres Außerkrafttretens nicht mehr auf diese Satzung abzustellen. Als Ermächtigungsgrundlage für den von der Beklagten erlassenen belastenden Verwaltungsakt kam nur die aktuelle Abwassersatzung der Beklagten in Betracht.
Die im Jahr 1961 wohl erteilte Entwässerungserlaubnis führt ebenfalls nicht zu der von der Beklagten gewünschten Rechtsfolge. Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass es sich bei einer Entwässerungserlaubnis um einen sog. Dauerverwaltungsakt handelt. Zunächst ist hier schon darauf hinzuweisen, dass sich eine solche Entwässerungserlaubnis für das klägerische Grundstück nicht im vorgelegten Verwaltungsvorgang der Beklagten befindet. Der darin vorhandene Bescheid vom 13.07.1961 betrifft lediglich die Heranziehung zu einer einmaligen Kanalgebühr. Die Beklagte geht jedoch davon aus, dass die damalige Gemeinde Vinnhorst gem. § 8 Abs. 1 Satz 2 der Ortssatzung von 1959 eine Entwässerungserlaubnis erteilt hat. Der Regelungsgehalt einer solchen Entwässerungserlaubnis würde jedoch nur besagen, dass das Grundstück seinerzeit erlaubt an die zentrale Abwasseranlage angeschlossen wurde und weiterhin angeschlossen bleiben darf. Dieser Regelungsgehalt würde weder durch nachfolgende Satzungen noch durch die Eingemeindung Vinnhorsts aufgehoben oder geändert. Die konkrete Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses und die aktuellen Rechte und Pflichten der Grundstückseigentümer ergeben sich jedoch nicht aus der Entwässerungserlaubnis, sondern richten sich nach der aktuell geltenden Abwassersatzung.
Die hier festgestellten Schäden befinden sich am Anschlusskanal auf dem Grundstück der Kläger vor dem ersten Revisionsschacht. Nach § 2 Abs. 9 Satz 1 AWS liegen die Schäden damit in einem Bereich, welcher zur zentralen Schmutzwasseranlage gehört und gem. § 2 Abs. 11 AWS nicht Teil der Grundstücksentwässerungsanlage ist. Die Beklagte konnte die Kläger somit nicht gem. § 11 Abs. 1 AWS zur Beseitigung der Schäden auffordern und entsprechend auch keinen Nachweis für die Dichtheit der Leitung fordern.
Eine andere Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist ebenfalls nicht ersichtlich. Gem. § 10 Abs. 7 AWS hat vielmehr die Beklagte den Anschlusskanal zu unterhalten und bei Verstopfungen zu reinigen. Die Beklagte ist daher verpflichtet, die Schäden zu beheben und den Anschlusskanal instand zu setzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.