Amtsgericht Duderstadt
Urt. v. 04.10.2007, Az.: 3 Cs 91 Js 14408/07 (117/07)

Anerkennbarkeit des Ergebnisses eines Alcotestes mit dem Gerät Dräger (Typ 7410) i.R.e. Strafverfahrens; Pflicht zum Vermerk der die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründenden Tatsachen von dem die Blutentnahme anordnenden Polizeibeamten in den Ermittlungsakten

Bibliographie

Gericht
AG Duderstadt
Datum
04.10.2007
Aktenzeichen
3 Cs 91 Js 14408/07 (117/07)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 50314
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGDUDST:2007:1004.3CS91JS14408.07.1.0A

Fundstellen

  • StRR 2008, 402 (red. Leitsatz)
  • VRR 2008, 402 (Kurzinformation)

Verfahrensgegenstand

Trunkenheit im Verkehr

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Das Ergebnis eines Alcotestes mit dem Gerät Dräger, Typ 7410, ist im Rahmen eines Strafverfahrens kein verwertbares Beweismittel.

  2. 2.

    Ordnet ein Polizeibeamter eine Blutentnahme aufgrund angenommener eigener Eilkompetenz an, ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters überhaupt zu erwägen und eine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln zu dokumentieren, so besteht ein Verwertungsverbot hinsichtlich der bei der Blutentnahme gewonnen Beweismittel.

In der Strafsache
...
hat das Amtsgericht Duderstadt
- Strafrichter -
in der Sitzung vom 04.10.2007,
an der teilgenommen haben:
Richter am Amtsgericht ...
als Strafrichter Staatsanwalt ...
als Beamter der Staatsanwaltschaft Assessor
... (in Untervollmacht für Rechtsanwälte Schröder pp., Göttingen) als Verteidiger
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Gegen den Angeklagten wird wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 24a StVG eine Geldbuße in Höhe von 250,-- EUR verhängt.

Dem Angeklagten wird verboten, für die Dauer von 3 Monaten im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten und Auslagen im Zusammenhang mit der Blutentnahme vom 12.05.2007; diese trägt die Landeskasse.

Gründe

1

I.

Der geschiedene Angeklagte hat einen Sohn im Alter von sechs Jahren. Seinen Angaben nach ist er bei einer Leihfirma in Göttingen beschäftigt und erzielt hier monatliche Nettoeinkünfte in einer Größenordnung zwischen 700,-- und 800,-- EUR.

2

II.

Der Angeklagte befuhr am 12.05.2007 mit seinem Personenkraftwagen Renault, amtliches Kennzeichen: ... die Sackstraße in Duderstadt, obwohl er wusste, dass er infolge Alkoholgenusses mit einem Blutalkoholgehalt von über 0,5 g o/oo, aber noch unter 1,09 g o/oo unterwegs war.

3

Der Angeklagte hat diese Tat vollumfänglich eingeräumt.

4

Damit hat sich der Angeklagte, wie aus dem Urteilstenor ersichtlich, schuldig gemacht.

5

III.

Neben der Verhängung des entsprechenden Bußgeldes kam gem. § 25 StVG die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht. Da der Führerschein des Angeklagten bereits am Tattag von der Polizei sichergestellt wurde, und die seitdem vergangene Zeit auf das Fahrverbot anzurechnen ist, gilt das verhängte Fahrverbot als verbüßt, so dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis wieder ausgehändigt werden musste.

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IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.

7

V.

Soweit dem Angeklagten darüber hinaus eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 Abs. 1, 2 StGB vorgeworfen wurde, kam diesbezüglich eine Verurteilung nicht in Betracht.

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Tatsächliche Feststellungen:

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Der Angeklagte wurde am Samstag, dem 12.05.2007 gegen 22.30 Uhr im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle angehalten und kontrolliert. Während der Kontrolle stellten die Polizeibeamten Alkoholgeruch in der Atemluft des Angeklagten fest. Mit seinem Einverständnis wurde auf dem Polizeikommissariat in Duderstadt ein Alcotest am Alcotestgerät Dräger, Typ 7410, durchgeführt. Der um 22.38 Uhr durchgeführte Alcotest ergab eine Atemalkoholkonzentration von 1,31 g o/oo. Diese Alcotestgeräte werden zwar regelmäßig von der Polizei intern geprüft, aber nicht geeicht. Nach dem Alcotest ordnete der Polizeibeamte ... die Entnahme einer Blutprobe an, die um 23.00 Uhr von einem Arzt entnommen wurde. Die Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,24 g o/oo.

10

Dem Angeklagten konnte eine Fahruntüchtigkeit nicht nachgewiesen werden. Anhaltspunkte für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen liegen nicht vor, so dass keine Anhaltspunkte für eine relative Fahruntüchtigkeit gegeben sind.

11

Zwar war der Angeklagte sowohl nach dem Alcotest als auch nach dem Ergebnis der Blutprobe absolut fahruntüchtig. Beide Werte konnten indes nicht gegen den Angeklagten verwertet werden.

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Das Ergebnis eines Alcotestes mit dem Gerät Dräger, Typ 7410, wird durchgängig nicht als Beweismittel im Rahmen eines Strafverfahrens anerkannt. Demzufolge macht sich die Polizei auch gar nicht erst die Mühe, die Geräte entsprechend eichen zu lassen.

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Auch der ermittelte Wert der Blutalkoholkonzentration von über 1,1 g o/oo ist nicht verwertbar. Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe durch PK Hoffmann am Samstag, dem 12.05.2007 gegen 23.10 Uhr war rechtswidrig.

14

Gemäß § 81a StPO steht die Anordnung zur Entnahme von Blutproben dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zu.

15

Der Richtervorbehalt - auch der einfach gesetzliche - zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (Bundesverfassungsgericht NJW 2007,1345).

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Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründende einzelfallbezogene Tatsachen wurden von dem die Blutentnahme anordnenden Polizeibeamten nicht in den Ermittlungsakten vermerkt. Der Polizeibeamte ordnete die Blutentnahme somit aufgrund angenommener eigener Eilkompetenz an, ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters überhaupt zu erwägen und eine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln zu dokumentieren. Diese grobe Verkennung der Voraussetzungen des für eine Blutentnahme bestehenden Richtervorbehalts rechtfertigt mit BGH NJW 2007, 2269 die Annahme eines Verbots der Verwertung der bei der Blutentnahme gewonnen Beweismittel.

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Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Blutentnahme gefährdet hätte. Im Handyzeitalter ist die Rücksprache mit dem zuständigen Bereitschaftsrichter kein Problem mehr (wobei dahingestellt bleiben kann, ob der Polizeibeamte den Weg über die Staatsanwaltschaft gem. § 162 StPO wählt oder sich direkt an den Richter wendet gem. § 163 Abs. 2 S. 2, 165 StPO). Ausweislich der Bereitschaftsdienstliste des Amtsgerichts Duderstadt hatte am Wochenende 12./13.05.2007 die Direktorin des Amtsgerichts 49 Bereitschaftsdienst. Hiervon hatte das Polizeikommissariat Duderstadt Kenntnis. Sowohl die Festnetznummer als auch die Handynummer der Bereitschaftsrichterin lagen dort vor.

18

Das Gericht hat nicht verkannt, dass die zuständige Bereitschaftsrichterin höchstwahrscheinlich nach entsprechendem Anruf des Polizeibeamten die angeregte bzw. beantragte Blutentnahme schmucklos angeordnet hätte im Hinblick auf das Ergebnis des einverständlich durchgeführten Alcotests. Nach der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung kann dem Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts allerdings keine Bedeutung zukommen. Die Einhaltung der gesetzlichen Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs in diesen Fällen stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden (auch hierzu BGH NJW 2007, 2269). Auch die Vorfallszeit (Samstag, 22.30 Uhr) entband den Polizeibeamten nicht von der Einholung einer richterlichen Anordnung. Die beabsichtigte Blutentnahme fällt damit in eine Zeit, die im Zusammenhang mit Hausdurchsuchungen in § 104 Abs. 3 StPO als Nachtzeit bezeichnet wird. Verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (NVwZ 2006, 925, NJW 2007, 1444) scheinen anzudeuten, dass die strenge Beachtung des Richtervorbehalts jedenfalls "bei Tage" gewährleistet sein muss. Das Amtsgericht Duderstadt sieht aber im Gesetz, insbesondere nicht in § 81a StPO keine Unterscheidung dahingehend, ob die Blutentnahme am Tage oder bei Nacht durchgeführt werden soll.

19

Das Gericht hat ebenfalls nicht verkannt, dass der anordnende Polizeibeamte entsprechend einer seit Jahren durchaus gängigen Praxis gehandelt hat, die von allen Seiten durchaus akzeptiert worden ist, also einschließlich Staatsanwaltschaft, Gerichte sowie Betroffene nebst Verteidigern. Es ist auch mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären, warum bei einem Eingriff, den der Gesetzgeber selbst als geringfügig bezeichnet (§ 46 Abs. 4 OwiG), auch zur nächtlicher Stunde bis zu zwei Volljuristen aus dem Bett geklingelt werden, um eine Anordnung zu treffen, deren Erfordernis offen zutage tritt, was in diesen standardisierten Massenfällen in der Regel der Fall sein dürfte.

20

Erste Erfahrungen, insbesondere was den staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienst betrifft, zeigen, dass diese Handhabung für die beteiligten Bereitschaftsstaatsanwälte und den richterlichen Bereitschaftsdienst schlicht unzumutbar ist. Indes kann es nicht angehen, über die schon fast gekünstelte Annahme von "Gefährdung des Untersuchungserfolges" die Juristen zu schonen und die Polizeibeamten mit ihrer Dokumentationspflicht im Regen stehen zu lassen. Wie oben bereits ausgeführt, lässt sich vernünftigerweise eine Gefährdung des Untersuchungserfolges bei den heute technischen Voraussetzungen letztlich nicht begründen. Hier ist vielmehr der Gesetzgeber aufgerufen, entsprechend Klarheit zu schaffen.

21

Bekanntermaßen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.2007 durchaus hohe Wellen geschlagen. Soweit die beteiligten Ministerien (Nds. Ministerium für Inneres und Sport sowie Justizministerium) dahingehend argumentieren, dass sich durch den besagten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eigentlich nichts geändert hätte, da wegen Verschlechterung der Beweismittel durch Abbau des Blutalkoholgehalts Gefahr im Verzuge regelmäßig gegeben sein dürfte, vermag dies nicht zu überzeugen. Wie auch der vorliegende Fall zeigt, vergeht zwangsläufig eine gewisse Zeit vom Aufgreifen des Täters bis zur Durchführung der Blutprobe. Selbst in einer Kleinstadt wie Duderstadt mit nicht nennenswerten Entfernungen sind vierzig Minuten vom Anhalten des Angeklagten bis zur Blutentnahme vergangen. Weitere zwei, drei Minuten für die Einholung einer richterlichen Anordnung dürften hierbei keinerlei Rolle spielen. Im übrigen sind die Hinweise der beteiligten Ministerien insofern wenig hilfreich, wenn sie zwar einerseits darauf hinweisen, dass sie aufgrund des Abbaus des Blutalkohols regelmäßig Gefahr im Verzuge sehen, andererseits ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Vorliegen von Gefahr im Verzug zwingend in den Akten zu dokumentieren ist, damit dies richterlich überprüfbar bleibt. Entweder habe ich beim Abbau von Blutalkohol regelmäßig Gefahr im Verzug, dann gibt es nichts mehr, was es zu dokumentieren gibt. Verlange ich aber eine Dokumentation für das Vorliegen von Gefahr im Verzug muss den handelnden Polizeibeamten rechtliche Sicherheit gegeben werden, was denn eigentlich zu dokumentieren ist.

22

Da der Verurteilte bezüglich der angeklagten prozessualen Tat verurteilt wurde, erfolgte kein Teilfreispruch.