Landgericht Braunschweig
Urt. v. 27.08.1970, Az.: 7 S 2/70
Anspruch aus übergeleiteter Unterhaltsforderung; Zahlung von Unterhaltsrückständen an geschiedene Ehefrau ; Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger für die Vergangenheit; Unverzügliche schriftliche Mitteilung über die Gewährung von Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 27.08.1970
- Aktenzeichen
- 7 S 2/70
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1970, 11321
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:1970:0827.7S2.70.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Seesen - 26.11.1969 - AZ: C 332/69
Rechtsgrundlagen
- § 1601 BGB
- § 1602 Abs. 1 BGB
- § 1603 BGB
- § 1613 BGB
- § 90 BSHG
- § 91 BSHG
Verfahrensgegenstand
übergeleitete Unterhaltsforderung
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 20. August 1970
durch
Landgerichtsdirektor ...,
Landgerichtsrat ... und
Gerichtsassessor ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Seesen vom 26. November 1969 wird zurückgewiesen.
- 2.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Tatbestand
Die Klägerin als Sozialhilfeverwaltung verlangt vom Beklagten als Vater des Sozialhilfeempfängers gemäss §§ 90, 91 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Unterhalt in Höhe von 252,50 DM.
Der Sohn des Beklagten, der am 24. September 1942 geborene kaufm. Angestellte ... wurde vom 17. Juli bis 25. Oktober 1968 wegen Schizophrenie in der Nervenklinik der Städtischen Krankenanstalten ... behandelt.
Am 23. Juli 1968 stellte das Amt für die Städt.Krankenanstalten ... bei der Klägerin den Antrag, die hierbei entstehenden Kosten zu übernehmen. Die Klägerin überprüfte zunächst durch Rückfrage bei den Krankenanstalten und andere Maßnahmen ihre Zuständigkeit, die sich aus dem Antrag wegen unklarer Wohnsitzangaben nicht sogleich entnehmen liess. Weiter stellte sie Ermittlungen an, aus denen sie entnahm, dass der Beklagte zur Zeit der Aufnahme in die Krankenanstalten mittellos war.
Durch Schreiben vom 27. September 1968 erklärte die Klägerin dem Amt für die Städt. Krankenanstalten ..., sie übernehme die Kosten entsprechend den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (wie sich später zeigte, insgesamt 4.057,40 DM). Mit Schreiben vom selben Tage teilte sie dem Beklagten und dessen geschiedener Ehefrau unter Hinweis auf ihre Unterhaltspflicht nach §§ 1601 ff. BGB mit, dass sie die Kosten für den Krankenhausaufenthalt des Sohnes trage und dass nach Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten und seiner geschiedenen Ehefrau gegebenenfalls rückwirkend ab Hilfegewährung Unterhaltsleistungen gefordert werden könnten.
In der darauf folgenden Zeit ermittelte die Klägerin eingehend die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten, seines Sohnes und seiner geschiedenen Ehefrau. Auf Grund dieser Ermittlungen nahm die Klägerin den Beklagten durch Bescheid vom 7. März 1969 gemäss §§ 90, 91 BSHG in Höhe von insgesamt 252,50 DM in Anspruch. Hierbei legte sie für die Zeit vom 17. Juli bis 25. Oktober 1968 eine monatliche Unterhaltspflicht des Beklagten für seinen Sohn von 75,- DM zu Grunde.
Der Beklagte erzielte im Jahre 1966 einen monatlichen Nettoverdienst von 1.150,- DM. Er hatte im Jahre 1968 monatlich 400,- DM Unterhalt an seine geschiedene Ehefrau zu zahlen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, auf Grund dieses Verdienstes sei der Beklagte verpflichtet gewesen, seinem Sohn in der Zeit vom 17. Juli bis 25. Oktober 1968 monatlich 75,- DM, also insgesamt 252,50 DM Unterhalt zu zahlen; diesen Anspruch habe sie nach §§ 90, 91 BSHG wirksam auf sich übergeleitet.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 252,50 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, er sei nicht verpflichtet, für die Schulden seines Sohnes aufzukommen.
Das Amtsgericht Seesen hat der Klage durch Urteil vom 26. November 1969 in vollem Umfang stattgegeben. Es hat insbesondere ausgeführt, die Klägerin sei auf Grund § 91 Abs. 2 BSHG berechtigt gewesen, auch für die Zeit vor der Rechtswahrungsanzeige vom 27. September 1968 vom Beklagten Unterhalt zu verlangen.
Gegen dieses nicht zugestellte Urteil hat der Beklagte am 5. Januar 1970 Berufung eingelegt und diese am 27. Januar 1970 begründet.
Der Beklagte meint, sein Sohn sei in der fraglichen Zeit nicht bedürftig gewesen; überdies habe die Klägerin bei Überleitung des etwaigen Anspruchs des Sohnes gegen den Beklagten ermessensfehlerhaft gehandelt, weil der Sohn inzwischen wieder gut verdient habe; die Klägerin habe nicht dargetan, dass sie die Rechtswahrungsanzeige dem, Beklagten rechtzeitig habe zugehen lassen.
Der Beklagte behauptet, sein Sohn habe während der Unterbringung noch Vermögen (Pfandbriefe und Sparkonten) im Werte von rund 4.000,- DM gehabt.
Er beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Seesen vom 26. November 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, auf Grund rechtzeitiger Rechtswahrungsanzeige könne sie auch für die Zeit vor dem 27. September 1968 Unterhalt vom Beklagten verlangen.
Sie behauptet, der Sohn des Beklagten habe zur Zeit der Behandlung kein Vermögen mehr in Form von Pfandbriefen oder Sparkonten gehabt.
Im übrigen wird wegen des Sachvortrages der Parteien im ersten und zweiten Rechtszug auf die gegenseitigen Schriftsätze der Parteien verwiesen, von denen die des zweiten. Rechtszuges mündlich vorgetragen worden sind.
Die Kammer hat auf Grund Beweisbeschlusses vom 16. April 1970 durch Vernehmung des Sohnes des Beklagten über die Behauptung der Klägerin Beweis erhoben, der Sohn des Beklagten habe in der Zeit seiner Unterbringung in der Nervenklinik vom 17. Juli bis 25. Oktober 1968 keinerlei Einkommen und Vermögen, insbesondere keine Sparguthaben und kein Vermögen in Form von Pfandbriefen, gehabt. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den in der Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. August 1970 befindlichen Vermerk des Berichterstatters über die Vernehmung des kaufm. Angestellten Bernd Flechsig verwiesen. Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin sich diese ihr günstigen Bekundungen in vollem Umfang zu eigen gemacht hat.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 516, 518, 519 ZPO).
Sie ist aber nicht begründet.
1)
Der Beklagte war seinem Sohn in der Zeit vom 17. Juli bis zum 25. Oktober 1968 zur Zahlung eines Unterhalts von monatlich 75,- DM verpflichtet (§§ 1601 ff. BGB).
a)
über die Leistungsfähigkeit des Beklagten (§ 1603 BGB) besteht kein Streit; insbesondere hat der Beklagte nicht die Feststellungen des Amtsgerichts angegriffen, er habe 1966 einen monatlichen Nettoverdienst von 1.150,- DM erzielt. Die Kammer hat mangels dahingehenden Vortrages des Beklagten keinen Zweifel, dass sein Einkommen im Jahre 1968 ebenso hoch war.
b)
Der Sohn des Beklagten war zur Zeit seines Aufenthaltes in den Städt. Krankenanstalten ... ausserstande, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB).
Insoweit folgt die Kammer den Bekundungen des Sohnes des Beklagten, wonach dieser zwar zur Zeit des Krankenhausaufenthaltes ein Bankguthaben von (knapp 4.000,- DM abzüglich einer Darlehens schuld von gut 2.000,- DM, also insgesamt) knapp 1.800,- DM hatte, dieses Guthaben aber auf Grund zweiter Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 6. und 19. August 1968 am 14. und 30. August 1968 an seine Ehefrau überwiesen wurde. Die Kammer hat keinen Grund, der ruhigen und durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowie Bankauszüge belegten Aussage des Sohnes des Beklagten nicht zu folgen. Der Sohn des Beklagten hatte danach am 30. August 1968 kein Vermögen mehr. Da es sich bei den Vollstreckungsmaßnahmen um die Zahlung von Unterhaltsrückstände an seine geschiedene Ehefrau für die Monate Februar bis Mai 1968 handelte, war sein Vermögen faktisch schon bei seiner Einlieferung am 17. Juli 1968 auf voll gesunken.
Angesichts seines Verdienstes von mindestens 1.150,- DM monatlich und unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau von monatlich 400,- DM war der Beklagte daher verpflichtet, seinem Sohn in der Zeit vom 17. Juli bis 25. Oktober 1968 monatlich 75,- DM, also insgesamt 252,50 DM, zu zahlen.
2)
Diesen Anspruch hat die Klägerin wirksam auf sich übergeleitet (§§ 90, 91 BSHG).
Insbesondere ist die am 7. März 1969 erfolgte Überleitung nicht so ermessensfehlerhaft, dass die Kammer ihre Nichtigkeit feststellen könnte. Auch Ermessensentscheidungen sind nur nichtig, wenn der Ermessensfehler evident ist. Insoweit ist festzustellen, dass die Klägerin von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht und es im Ergebnis auch richtig ausgeübt hat. Sie hat in der Zeit nach Übernahme der Kosten am 27. September 1968 eingehende Ermittlungen über die Vermögensverhältnisse des Sohnes und der geschiedenen Ehefrau des Beklagten angestellt. Sie kam dabei zu der richtigen Überzeugung, dass der Sohn des Beklagten zur Zeit seines Krankenhausaufenthaltes nicht in der Lage war, sich selbst zu unterhalten und dass er auch nach seiner Entlassung bis zum Zeitpunkt der Überleitung am 7. Harz 1969 hohe Verbindlichkeiten und nur ein geringes Einkommen hatte. Dies ist durch die glaubhaften Bekundungen des Zeugen F. bestätigt worden, wonach dieser von November 1968 bis Januar 1969 monatlich etwa 500,- DM, später monatlich etwa 800,- DM verdient hat, diesen Einkünften aber so hohe Verbindlichkeiten gegenüberstanden, dass er Geld von seinen Großeltern aufnehmen musste, um monatlich wenigstens 50,- bis 80,- DM zur Verfügung zu haben.
Die Inanspruchnahme des Beklagten durch die Klägerin ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden.
3)
Schliesslich ist festzustellen, dass die Klägerin berechtigt war, auch für die Zeit vor der Rechtswahrungsanzeige vom 27. September 1968 vom Beklagten Unterhalt zu verlangen.
Zwar bestimmt § 1613 BGB, dass der Berechtigte für die Vergangenheit Unterhalt nur von der Zeit an fordern kann, zu welcher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. Diese Regelung wird aber wiederum durch § 91 Abs. 2 BSHG eingeschränkt, wonach ein Unterhaltspflichtiger für die Vergangenheit ausser unter den Voraussetzungen des Bürgerlichen Rechts in Anspruch genommen werden kann, wenn ihm die Gewährung der Sozialhilfe unverzüglich schriftlich mitgeteilt worden ist. Diese Vorschrift wird von der Rechtsprechung und Lehre einhellig so ausgelegt, dass die Sozialhilfeverwaltung Unterhaltspflichtige auch für die Vergangenheit in Anspruch nehmen kann, wenn sie dem Unterhaltspflichtigen unverzüglich anzeigt, dass sie Sozialhilfe gewährt (vgl. Gottschick, Komm. zum BSHG, 3. Aufl., § 91, Anm. 7; Keese, Komm. zum BSHG, 2. Aufl., § 91, Anm. 5 mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
Die Klägerin hat diese Anzeige unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), gemacht. Nachdem das Amt für die Städt. Krankenanstalten Nürnberg am 23. Juli 1968 den Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe gestellt hatte, prüfte die Klägerin zunächst ihre Zuständigkeit, indem sie die Aufenthaltsverhältnisse des Sohnes des Beklagten zu klären suchte. Mitte September 1968 war diese Frage geklärt. Am 27. September 1968 schickte die Klägerin dann die sogenannte Rechtswahrungsanzeige (§ 91 Abs. 2 BSHG) an den Beklagten.
Hiernach ist der Beklagte verpflichtet, der Klägerin nach § 1601 BGB in Verbindung mit §§ 90, 91 BSHG für die Zeit vom 17. Juli bis 25. Oktober 1968 einen Betrag von 252,50 DM zu zahlen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.