Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 26.04.2021, Az.: 7 A 1497/21

Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers; Verdienstausfallentschädigung bei Quarantäneanordnung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
26.04.2021
Aktenzeichen
7 A 1497/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70691
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Verdienstausfallentschädigung wegen einer im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verhängten Quarantäne-Anordnung gegen einen bei ihr beschäftigten kaufmännischen Angestellten.

Die Klägerin ist im Bereich der Kunststoffproduktion gewerblich tätig. Sie beschäftigt seit ca. 20 Jahren Herr D. als kaufmännischen Angestellten, dessen zuletzt bezogenes Bruttomonatsgehalt 4.318,05 € betrug. Die Vorschrift des § 616 BGB ist in dem Beschäftigungsverhältnis nicht ausgeschlossen. Am 5. Januar 2021 ordnete der Landkreis A-Stadt gegen Herrn D. für den Zeitraum vom 5. Januar 2021 bis zum 8. Januar 2021 die häusliche Absonderung an, nachdem dieser direkten Kontakt zu einer nachweislich am Corona Virus (Covid-19) erkrankten Person hatte. Bezüglich der Anordnung wird auf den die zunächst mündlich erfolgte Anordnung bestätigenden Bescheid vom 6. Januar 2021 (GA Bl. 4 f.) Bezug genommen. Der von seiner beruflichen Tätigkeit für den Zeitraum vom 5. Januar 2021 bis zum 8. Januar 2021 von der Klägerin freigestellte Mitarbeiter erhielt von der Klägerin für den Zeitraum eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 575,74 €. Die Klägerin beantragte am 10. Februar 2021 beim Landkreis A-Stadt die Erstattung dieses an den Mitarbeiter gezahlten Betrages.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2021 lehnte der Landkreis A-Stadt den Antrag auf Entschädigung ab (GA Bl. 18 f.) und begründete dies damit, dass ein Entschädigungsanspruch nur dann in Betracht komme, wenn der Verdienstausfall des Mitarbeiters einen unerheblichen Zeitraum überschreite. Dies sei jedoch hier mit vier Tagen nicht der Fall gewesen. Der Lohnfortzahlungsanspruch sei vorrangig gegenüber einer Entschädigungszahlung nach § 56 IfSG.

Mit ihrer am 18. März 2021 erhobenen Klage macht die Klägerin den Entschädigungsanspruch weiterhin geltend. Die zuständige Behörde sei verpflichtet, den von der Klägerin an den Mitarbeiter gezahlten Betrag zu entschädigen. Der Landkreis A-Stadt habe die Vorschrift des § 616 BGB falsch verstanden. Nach dieser Norm verliere ein Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch dann nicht, wenn er nur für eine unerhebliche Zeit an der Erbringung seiner Dienstleistung ohne sein Verschulden verhindert sei. Dies bedeute, dass bei kurzzeitigen Quarantänemaßnahmen bis zu fünf Tagen der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber nicht verliere, der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung zu leisten und in Höhe dieses Betrages einen Erstattungsanspruch gegenüber der zuständigen Behörde habe. In § 56 Abs. 1 IfSG sei unmissverständlich geregelt, dass der Arbeitnehmer für den Fall, dass er aufgrund des Infektionsschutzgesetzes in Quarantäne geschickt werde, einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht gegenüber seinem Arbeitgeber, sondern gegenüber der zuständigen Behörde habe. Konsequent weitergedacht bedeutet dies, dass die Behörde dem Arbeitgeber, der in Vorlage getreten sei, die geleistete Entgeltfortzahlung zu erstatten habe. Der Staat, der die Quarantäne anordne, übernehme den Entgeltausfall. Es bleibe daher bei dem allgemeinen Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“, sodass ein Anspruch auf Entschädigung für die Quarantänezeit bestehe.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 23. Februar 2021 über den Entschädigungsanspruch aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, an die Klägerin den an den Mitarbeiter D. gezahlten Verdienstausfall in Höhe von 575,74 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nicht zu. Grund für die Gewährung dieses Anspruchs sei die Tatsache, dass der Ausscheider bzw. der Abgesonderte ohne sein Verschulden eine Gefährdung der Allgemeinheit darstelle und dass zur Abwendung dieser Gefahr ein schwerer Eingriff in seine persönliche Freiheitssphäre erforderlich sei. In dieser Lage wolle der Staat dem Betroffenen eine gewisse Sicherung vor materieller Not bieten. Hierzu bestehe aber kein Bedürfnis, wenn der Betroffene einen Lohnanspruch gegen seinen Arbeitgeber habe. § 56 IfSG solle nur in solchen Fällen einen Ausgleich schaffen, in denen der Betroffene entlassen werde oder § 616 BGB keine Anwendung finde, etwa wenn das Leistungshindernis von längerer Dauer ist. In Fällen in denen der Zeitraum nur wenige Tage betrage, sei der Anspruch auf Lohnfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber vorrangig. Mit der Zahlung habe die Klägerin deshalb ihre eigenen Lohnfortzahlungspflichten erfüllt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Vorliegend konnte das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihren Verzicht auf die mündliche Verhandlung erklärt haben.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Landkreises A-Stadt vom 23. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Der Klägerin steht kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach § 56 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 IfSG für ihren Angestellten Herrn D. für den Zeitraum der behördlicherseits angeordneten Quarantäne vom 5. Januar 2021 bis zum 8. Januar 2021 zu.

Nach § 56 Abs. 5 IfSG besteht ein Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung der Beträge, die dieser in Erfüllung eines Arbeitnehmerentschädigungsanspruchs an den Arbeitnehmer gezahlt hat. Gemäß § 56 Abs. 1 IfSG erhält derjenige, der auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld (Satz 1). Nach Satz 2 gilt das Gleiche für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können.

Die Klägerin hat hier für die Dauer der gegenüber ihrem Angestellten vom Landkreis A-Stadt angeordneten häuslichen Absonderung, da dieser aufgrund Kontaktes zu einer mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Person als ansteckungsverdächtig galt und somit in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit rechtlich gehindert war, Leistungen erbracht. Eine Pflicht zur Erstattung des gezahlten Betrages durch die Behörde besteht jedoch nicht, weil der Angestellte keinen Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG erlitten hat, den die Klägerin durch ihre Zahlung ausgeglichen hätte. Denn die Klägerin war in dem streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 616 BGB zur Lohnfortzahlung an ihren Angestellten verpflichtet.

Voraussetzung für einen Anspruch aus § 56 IfSG ist u.a., dass der Arbeitnehmer Betroffener einer von der zuständigen Behörde angeordneten Quarantänemaßnahme ist und durch die angeordnete Maßnahme einen Verdienstausfall erleidet. Der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG besteht hingegen nicht, soweit der Arbeitgeber bereits anderweitig gesetzlich zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, (Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413 [414 ff.]), da der Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG insoweit als Billigkeitsentscheidung subsidiär ist (Glaser, in: Münchner Anwaltshandbuch ArbeitsR, 5. Aufl., 2021, § 24 Rn. 230; BGHZ 73, 16 = NJW 1979, 422 (423); BGH NJW 1979, 1460; MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl., 2020, § 616 Rn. 9; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 [1467]). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitsentgeltes unter den Voraussetzungen des § 616 S. 1 BGB hat (BGHZ 73, 16 = NJW 1979, 422 [423]; BGH NJW 1979, 1460; MüKoBGB/Henssler, 8. Aufl., 2020, § 616 Rn. 9).

Nach § 616 S. 1 BGB geht der Arbeitnehmer seines Vergütungsanspruchs nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Ein in der persönlichen Sphäre des betroffenen Arbeitnehmers liegender Hinderungsgrund (vgl. BAG NJW 1983, 1079) ist danach der Kontakt mit einem bereits an Covid-19 Erkrankten. Die Vorschrift ist deshalb auch in der Corona-Krise anwendbar, insbesondere ist die Pandemie danach nicht objektiver Hinderungsgrund, der eine Pflicht zur Fortzahlung entfallen ließe. Um anzunehmen, dass die Verhinderung des Arbeitnehmers, seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu erfüllen, genügt es, wenn sich die Verhinderung allgemein in seinen persönlichen Lebensumständen gründet und sich nicht auf einen größeren Kreis von Arbeitnehmern bezieht (BAG, Urteil vom 19. April 1978 – 5 AZR 834/76 -, NJW 1978, 2316 [2317]). Wenngleich mit Blick auf zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Epidemie ergangene Quarantäne-Anordnungen zum Teil vertreten wird, dass es sich angesichts der Reichweite der Epidemie um ein objektives Leistungshindernis handele (Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017 [1019]; Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623 [626]), schließt sich das Gericht der überwiegend vertretenen Auffassung an, die die von einer Person ausgehende Ansteckungsgefahr, die der Quarantäne-Anordnung zugrunde liegt, als subjektives Leistungshindernis einordnet (vgl. MüKoBGB/Henssler, BGB8., § 616 Rn. 25; Eufinger, DB 2020, 1121 [1123]; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413 [414 f.]; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 [1467 f.]; Kluckert, Neues InfektionsschutzR/Temming, § 16 Rn. 14; Eckart/Winkelmüller, BeckOK InfektionsschutzR, Stand 1.1.2021; § 56 Rn. 37.1; Pepping, in: Wohlgemuth/Pepping, Berufsausbildungsgesetz2., § 19 Rn. 17; HK-MuSchG/BEEG/Pepping, BGB, § 616 Rn. 4; LAG Düsseldorf, AP BGB § 616 Nr. 39). Denn ein in der persönlichen Sphäre des betroffenen Arbeitnehmers liegender Hinderungsgrund ist darin zu sehen, dass Kontakt zu einem bereits an Covid-19 Erkranktem bestand und demzufolge die Quarantäneanordnung an den personenbezogenen Gefahrenverdacht anknüpft und nicht etwa die Pandemie als solche einen objektiven Hinderungsgrund darstellt (vgl. Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 [1468]).

Die Arbeitsverhinderung des Angestellten der Klägerin betraf auch nur einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum. Wann eine Arbeitsverhinderung als nicht erheblich anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls; maßgeblich kommt es dabei auf das Verhältnis der Dauer der Verhinderung zur Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses sowie auf dessen Eigenart und Dauer sowie die über die Entgeltfortzahlung getroffenen Abreden an. Unabhängig von der derzeitigen juristischen Diskussion, was noch als „unerheblicher Zeitraum“ im Sinne des § 616 S. 1 BGB anzusehen ist (vgl. dazu Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413 [416]) sind die hier zugrundzulegenden vier Tage nach allen hierzu vertretenen Ansichten unerheblich (vgl. Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413 [416]; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 [1468]).

Die Pflicht zur Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB wurde zwischen der Klägerin und ihrem Angestellten auch nicht abbedungen. Zwar ist dies nach den Regeln der Tarif- und Vertragsauslegung zulässig (Erfurter Komm., ArbR, 20. Aufl. 2020, § 616 Rn. 13). Unstreitig ist dies hier indes nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.