Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 26.01.1994, Az.: 5 W 9/94

Wirksamkeit der Ausschlagung der Erbschaft durch die Eltern für die Leibesfrucht

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
26.01.1994
Aktenzeichen
5 W 9/94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 16542
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1994:0126.5W9.94.0A

Fundstellen

  • FamRZ 1994, 847-848 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1994, 383-384 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1994, 651 (Volltext mit amtl. LS)
  • Rpfleger 1994, 297 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

XX

Prozessgegner

YY

Amtlicher Leitsatz

Eltern können bereits für die Leibesfrucht (nasciturus) eine Erbschaft ausschlagen.

Gründe

1

Durch den angefochtenen hiermit in Bezug genommenen Beschluß (abgedruckt in Rpfl. 1993, 342) hat das Landgericht die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen, mit der er sich gegen die Zurückweisung seines Antrages auf Erteilung eines Erbscheines nach seinem verstorbenen Großvater durch das Nachlaßgericht gewandt hatte.

2

Der dagegegen gerichteten zulässigen weiteren Beschwerde bleibt in der Sache der Erfolg versagt.

3

Die Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, daß die Ausschlagung der Erbschaft durch seine Eltern auch für den zu diesem Zeitpunkt bereits erzeugten aber noch nicht geborenen Antragsteller wirksam war.

4

Die Frage, ob Eltern bereits für die Leibesfrucht (nasciturus) eine Erbschaft ausschlagen können, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Von der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ist ein Ausschlagungsrecht vor Geburt bislang verneint worden (KGJ 34, 79; AG Recklinghausen, Rpfl. 1988, 106; AG Schöneberg und LG·Berlin, Rpfl. 1990, 362; Palandt/Edenhofer, BGB, ab 50. Aufl., § 1946 Rdn. 2; AK-Derleder, BGB , § 1946 Rdn.···; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 3. Aufl., § 8 III 1 b, S. 152 FN 37). Dem ist jetzt das Oberlandesgericht Düsseldorf mitüberzeugender Begründung in Über- einstimmung mit der herrschenden Literatur entgegengetreten (Rpfl. 1993, 157; Münchkomm-Leipold, BGB, ab 2. Aufl., § 1923 Rdn. 19; Soergel-Stein, BGB, 12. Aufl., § 1946 Rdn. 2; Linde BW NotZ 1988, 54; Peter Rpfl. 1988, 107). Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß die in § 1923 Abs. 2 dargestellte Rechtsposition des nasciturus die Fähigkeit zur Ausschlagung eines Erbrechts mit umfaßt.

5

Die Fiktion des § 1923 Abs. 2 BGB soll - bedingt durch den Von- selbsterwerb des Erben unmittelbar mit dem Tod des Erblassers (Lange, Erbrecht, 1962, § 4 VII 2 b a, S. 34) und mit dem Ziel der Gleichstellung der Leibesfrucht mit den bereits lebenden Geschwistern (Lange/Kuchinke, Erbrecht, a. a. O., S. 64) - dem werdenden Menschen für den Fall seiner Geburt die Möglichkeit einer Erbenstellung schaffen. Die Wahrung dieser Rechtsposition ist u.a. in § 1912 Abs. 2 BGB den künftigen Eltern übertragen, wobei das Fürsorgebedürfnis allein vom Interesse der Leibesfrucht abhängig ist (Palandt/Diedrichsen, BGB, 52. Aufl., § 1912 Rdn. 3). Dieses Fürsorgebedürfnis bezieht das Ausschlagungsrecht mit ein. Daß § 1946 BGB lediglich von"dem Erben" spricht, kann aus Gründen der Gesetzestechnik und Gesetzessystematik erklärt werden; entgegen Derleder a. a. O. ist daraus aber jedenfalls nicht ein vom Gesetzgeber vorgenommener Ausschluß des Erbausschlagungsrechts für den nasciturus zu leiten.

6

Den frühesten Zeitpunkt für die Ausschlagung legt § 1946 BGB auf den Eintritt des Erbfalls. Daß der Erbanfall damit nicht immer zeitgleich verbunden sein muß, sondern erst später liegen kann, ist für die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung unschädlich. Die Entstehungsgeschichte zeigt, daß der Gesetzgeber von der zunächst vorgesehenen Ausschlagungsmöglichkeit erst nach dem Beginn der Ausschlagungsfrist bewußt abgerückt ist und sie auf den Zeitpunkt des Erbfalls vorverlegt hat, um die sonst mit der Verhinderung der Erben, sich sofort zu entscheiden, vielfältig einhergehende unnötige Bevormundung zu vermeiden (Planck/Flad, BGB, 4.·Aufl.,§·1946 Anm. 1 m. w. N. aus der Entstehungsgeschichte). Eine solche Bevormundung ist aber aus der Interessensicht des nasciturus ebenso unnötig wie in allen anderen Fällen, in denen Erbfall und Erbanfall zeitlich auseinanderfallen. Im Gegenteil kann die frühzeitige Ausschlagung sehr in seinem Interesse liegen - worauf das Oberlandesgericht Stuttgart unter Bezugnahme auf Peter a. a. O. zu Recht hinweist -, um so der Gefahr vorzubeugen, daß eine gebotene Ausschlagung wie z. B. bei überschuldeten Nach- lässen infolge der Geburtsereignisse zu seinen Lasten vergessen wird. Es ist kein Grund ersichtlich, warum Vertretungsberechtigten die Ausschlagung bis zur Geburt verweigert werden soll, wenn diese bereits erkannt haben, daß eine Annahme nicht in Betracht kommt. Mit dem Beginn des Laufs der Ausschlagungsfrist hat dieses - wie das Kammergericht a. a. O. in einem obiter dictum angenommen hat - nichts zu tun.

7

Dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Zulassung der Erbausschlagung vor dem Erbanfall entspricht auch die Interessenlage des nasciturus. Seine Rechtsposition bedarf insoweit auch der Fürsorge in Bezug auf die Prüfung einer etwaigen Erbausschlagung. Die Möglichkeit, daß diese Fürsorge durch die Vertretungsberechtigten nicht interessengerecht ausgeübt wird, ist von dem Zeitpunkt der Zulässigkeit der Ausschlagungserklärung unabhängig; ein wirksamer Schutz läßt sich mit der Herauszögerung des Zeitpunktes auf die Geburt nicht erreichen. Ein kurzzeitiges Herausschieben von Mißbrauchsmöglichkeiten kann die Aberkennung der Rechte des nasciturus aus seiner erbrechtlichen Position bishin zur Ausschlagung ab Eintritt des Erbfalls nicht begründen. Die vorgeburtliche Ausschlagungsmöglichkeit dient vielmehr auch dem Schutz seiner aus dieser Rechtsposition sich ergebenden Interessen, für deren optimale Wahrung auch der frühzeitige Verzicht auf die Erbmöglichkeit erforderlich sein kann. Darüber haben aber die Vertretungsberechtigten zu entscheiden, ohne daß es insoweit einer zeitlichen Bevormundung durch den Gesetzgeber bedarf, die dann wiederum eine - wie ausgeführt vom Gesetz nicht bezweckte sachlich nicht zu rechtfertigende - unterschiedliche Behandlung im Verhältnis zu den bereits lebenden Geschwistern zur Folge hätte.