Zu § 2
1.1
Zur Feststellung der Trichomonaden- und der Vibrionenseuche (Abs. 2 Nr. 1) bedarf es jeweils des Nachweises des Erregers. Auf Grund klinischer Symptome kann bei den Seuchen nur der Seuchenverdacht festgestellt werden.
1.2
Zur Durchführung der für die Feststellung der Erreger notwendigen Laboruntersuchungen wird auf die Anlagen 1 und 2 verwiesen.
2.1
Auffälligstes Leitsystem des Seuchenverdachts (Abs. 2 Nr. 2) ist für beide Seuchen das vermehrte Auftreten von Fruchtbarkeitsstörungen in einem Bestand oder in einem Deck- oder Besamungsbezirk. Deshalb muß zur Feststellung des Seuchenverdachts bei weiblichen Rindern neben den beim Einzeltier festgestellten Symptomen (Verkalben, Um- und Nachrindern, sonstige klinische Erscheinungen) auch dieses Leitsymptom im Bestand vorliegen. Dabei sind andere - z. B. fütterungsbedingte - Ursachen vermehrter Fruchtbarkeitsstörungen nach Möglichkeit auszuschließen. Die Feststellung des Seuchenverdachts bei Deck- oder Besamungsbullen wird im allgemeinen nur durch Rückschluß auf Grund der in Satz 2 genannten Symptome bei den von ihnen gedeckten oder besamten Rindern und ggf. in Verbindung mit dem Vorliegen des in Satz 1 genannten Leitsymptoms in dem Deck- und Besamungsbezirk getroffen werden können.
2.2
Bei weiblichen Rindern sind
a)
auf Trichomonadenseuche besonders hinweisende Symptome
ein- oder mehrmaliges zyklusgerechtes Umrindern (klinische Symptome: Vestibulitis, Vaginitis, ggf. "Reibeisenvagina", später Endometritis),
Frühabort und ggf. Nachrindern (infolge gewisser Schleimhautimmunität zunächst Befruchtung, Frucht stirbt jedoch in der 6. bis 16. Woche ab, das Tier rindert nach),
Pyometra (Frucht stirbt ab, wird jedoch nicht ausgestoßen, sondern mazeriert - Scheinträchtigkeit);
b)
auf Vibrionenseuche besonders hinweisende Symptome
nicht zyklusgerechtes Umrindern, Brunstverzögerungen bis zu 9 Wochen p. coitum (klinische Erscheinungen am Genitale geringgradig, Ursache vermutlich embryonaler Frühtod oder frühzeitige Fruchtabstoßung),
Abort (meist im 4. bis 6. Monat, nicht selten mit Nachgeburtsverhaltung verbunden).
Bei Bullen gibt es keine auf die beiden Seuchen besonders hinweisende Symptome; entzündliche Veränderungen an den Schleimhäuten des Genitaltraktes können - z. T. durch Begleitkeime verursacht - bei frischen Infektionen vorkommen.
2.3
Auf Grund serologischer Untersuchungen festgestellte fragliche oder positive Befunde eines Tieres fallen nicht unter den Begriff "Erscheinungen, die den Ausbruch der Krankheit befürchten lassen". Gleichwohl ist zu empfehlen, im Rahmen der Ermittlungen bei der Vibrionenseuche zur Abgrenzung des Infektionsgeschehens auch serologische Untersuchungen heranzuziehen.
3.1
Bei der Auswertung der Besamungsergebnisse von Rindern, die mit Samen eines seuchenkranken Bullen besamt worden sind (Abs. 2 Nr. 3 Buchst. aa) ist das Non-return-Ergebnis des betreffenden Bullen mit dem Non-return-Ergebnis der anderen Bullen der Besamungsstation in einem bestimmten, nicht zu großen Zeitraum zu vergleichen; dabei sind die Besamungsergebnisse von Rindern, die bis zur oder kurz nach der Feststellung der Deckinfektion dreimal oder mehr umgerindert haben, zusätzlich gesondert auszuwerten. Werden signifikante Unterschiede festgestellt, liegt bei allen von diesem Bullen in diesem Zeitraum besamten Rindern Ansteckungsverdacht vor. Die Besamungsergebnisse sind so weit zurückzuvergleichen, bis signifikante Unterschiede nicht mehr festgestellt werden (vgl. zu § 4).
3.2
Zur Prüfung des Ansteckungsverdachtes nach Abs. 2 Nr. 3 Buchst. bb sind die Tiere klinisch zu untersuchen; hierbei sind insbesondere Rinder, die dreimal oder mehr umgerindert haben, zu berücksichtigen. Der Umfang der Untersuchungen ist vom Einzelfall abhängig, er wird maßgeblich von dem vermutlichen Beginn der Erkrankung des betreffenden Bullen bestimmt werden (vgl. zu § 4). Sofern erforderlich, sind zusätzlich bei gedeckten oder besamten Färsen sowie bei Kühen eine Vaginalspül- bzw. -tupferprobe, bei Zuchtbullen Präputialspülflüssigkeit oder Spülproben von der Innenwand der künstlichen Scheide unmittelbar nach der Samenentnahme sowie Samenproben mikrobiologisch zu untersuchen (vgl. Anlage 1 und 2).
4.
Untersuchungsmaterial (Foeten, Nachgeburten, Spül- oder Tupferproben, Samen) ist auf schnellstem Wege in geeigneten Behältern in gekühltem Zustand (etwa 4 Grad Celsius) an das zuständige Staatl. Veterinäruntersuchungsamt einzusenden, dies gilt vor allem für Untersuchungen auf Vibrio fetus (vgl. Anlage 2 Nr. 1.1). Das Material ist unter Beachtung der Vorschriften über die Versendung von Krankheitserregern vom 21.11.1917 (RGBl. S. 1069) - Abschnitt B - und der entsprechenden Vorschriften der Deutschen Bundesbahn in der 74. Verordnung zur Eisenbahn-Verkehrsordnung vom 6.3.1967 (BGBl. II S. 941) - Anlage C II. Teil Klasse VI Ekelerregende oder ansteckungsverdächtige Stoffe - und der Sondergenehmigung Nr. 322 hierzu vom 8.7.1971 (veröffentlicht unter Nr. 1077/971 im Tarif- und Verkehrsanzeiger S. 387) zu versenden. Die Vorschriften der Bundespost stimmen mit denen der Eisenbahn-Verkehrsordnung überein (Postordnung vom 16.5.1963, BGBl. I S. 341, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26.2.1974, BGBl. I S. 426, hier Anhang 3).
Zu § 3
Nach amtlicher Feststellung der Deckinfektion oder des Verdachts auf die Deckinfektion ist bei den geschlechtsreifen Rindern des betreffenden Bestandes eine klinische Untersuchung und, soweit erforderlich, zusätzlich eine mikrobiologische Untersuchung von Vaginalspül- oder Vaginaltupferproben, bei Zuchtbullen eine mikrobiologische Untersuchung von Präputialspülflüssigkeit, Präputialtupferproben oder Spülproben von der Innenwand der künstlichen Scheide unmittelbar nach der Samenentnahme und von Samenproben durchzuführen.
Zu § 4
1.
Gegen die Durchführung der künstlichen Besamung durch Besamungswarte (§ 4 Nr. 2 Satz 2) werden Bedenken im allgemeinen nicht bestehen, wenn diese durch berufserfahrene Personen ausgeführt wird.
2.
Samen seuchenkranker Besamungsbullen ist nur unschädlich zu beseitigen, soweit dieser nach der Erkrankung des Bullen entnommen worden ist. Wann die Erkrankung vermutlich begonnen hat, ist aus den nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 durchzuführenden Untersuchungen zu folgern. Dieser Zeitpunkt wird in der Regel vor dem der Feststellung der Deckinfektion liegen.
Zu § 5
Für das Verbot der Abgabe von Samen seuchenverdächtiger Bullen gilt Nr. 2 Satz 2 zu § 4 entsprechend.
Zu § 6
1. Ist die Deckinfektion nur bei einem Deck- oder Besamungsbullen festgestellt worden (Abs. 1), sollten
a)
Ausnahmen für seuchenverdächtige Rinder von § 4 Nr. 1 und 3 nur zu wissenschaftlichen Versuchen,
b)
Ausnahmen für andere Rinder von § 4 Nr. 3 unter der Auflage, daß diese Rinder an dem neuen Standort solange der behördlichen Beobachtung unterliegen, bis ihre Unverdächtigkeit (§ 10 Abs. 4) durch den beamteten Tierarzt festgestellt worden ist,
erteilt werden.
2.
Ist die Deckinfektion oder der Verdacht der Deckinfektion auch oder nur bei anderen Rindern als Deck- oder Besamungsbullen festgestellt worden (Abs. 2), können, sofern ein Bedürfnis vorliegt, die vorgesehenen Ausnahmen zugelassen werden. Jedoch sind Ausnahmen nach Nr. 2 für Besamungsbullen in Besamungsstationen nur unter der Auflage zu genehmigen, daß die Bullen an dem neuen Standort solange der behördlichen Beobachtung unterliegen, bis ihre Unverdächtigkeit (§ 10 Abs. 4) durch den beamteten Tierarzt festgestellt worden ist oder bis sich der Verdacht auf eine Deckinfektion im Herkunftsbestand als unbegründet erwiesen hat.
Zu § 7
1.1
Ist eine Deckinfektion festgestellt, ist i. d. R. eine tierärztliche Behandlung in dem betroffenen Bestand oder bei den betroffenen Tieren einer Deckgemeinschaft oder eines Besamungsringes erforderlich. Ob die Behandlung eines Bestandes oder einzelner Rinder anzuordnen ist, ist vom Einzelfall abhängig. Sie kann z. B. erforderlich sein, wenn die Seuche sich verbreitet hat oder dies zu befürchten ist oder wenn eine länger dauernde Sperre (vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 2) nicht durchführbar erscheint und die Gefahr einer Verschleppung der Seuche besteht.
1.2
Die Art der Behandlung der Rinder richtet sich nach den jeweils festgestellten krankhaften Veränderungen und ist nach den auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Sterilitätsbekämpfung gültigen Regeln durchzuführen. Für die Behandlung kommen insbesondere die Genitaschleimhaut desinfizierende Mittel und - im Falle der Vibriosis - lokal und parenteral auch Antibiotika, wie Streptomycin, Tetracyclin oder Chloramphenicol in Frage. In behandlungsresistenten Fällen ist die Schlachtung anzuraten; eine Entschädigung wird nicht gewährt. Tötungsanordnungen sind nicht zulässig.
2.
Bei verbreitetem Auftreten der Deckinfektion führt eine Behandlung einzelner erkrankter Rinder nicht zum Erlöschen der Seuche. Eine Tilgung kann nur durch planmäßige Bekämpfung im Bestand oder der Deckgemeinschaft bzw. des Besamungsringes erreicht werden (listenmäßige Erfassung aller mehr als 12 Monate alter Rinder mit Angaben über Kalbungen, Fruchtbarkeitsstörungen, Behandlungen; Untersuchung gemäß § 3; Maßregelung gemäß § 4; ggf. gruppenweise - je nach Befund - Behandlung; ordnungsgemäße Führung der Deckregister und der Besamungskarteien).
Zu § 8
Für die Genehmigung der Entfernung ansteckungsverdächtiger Rinder aus dem Gehöft oder sonstigen Standort gelten die Hinweise unter Nr. 1 Buchst. b zu § 6 entsprechend.
Zu § 9
Die Reinigung und Desinfektion ist in sinngemäßer Anwendung der Abschnitte I bis III der Anlage A (§ 3) der Viehseuchenpolizeilichen Anordnung (zugleich Ausführungsanweisung zum Viehseuchengesetz - VAVG - vom 1.5.1912 - Nds. GVBl. Sb. III S. 392) in der jeweils geltenden Fassung durchzuführen. Zur Desinfektion können neben den in § 11 Abs. 1 der Anlage A genannten Mitteln und Verfahren auch andere geeignete Desinfektionsmittel verwendet werden.
Zu § 10
Für das Erlöschen der Deckinfektion werden bestimmte Anforderungen an seuchenkranke, seuchenverdächtige und ansteckungsverdächtige Rinder gestellt; sonstige Rinder des Bestandes, die hierunter nicht fallen ("nicht verdächtige Rinder") bleiben außer Betracht (vgl. auch Begriffsbestimmungen in § 2 Abs. 2).
Zu § 11
1.
Andere als in § 2 Abs. 1 genannte Deckinfektionen sind z.B. der Bläschenausschlag (IPV) oder evtl. auch durch andere Vibrionentypen als V. fetus venerealis verursachte Deckinfektionen. Maßnahmen gegen diese Deckinfektionen sind nur zu treffen, wenn durch sie Zuchtschäden verursacht werden oder zu befürchten ist, daß diese Seuchen sich ausgebreitet haben. Basis für die Feststellung dieser Kriterien kann nur eine in einem Bestand oder einer Deckgemeinschaft bzw. einem Besamungsring durchgeführte entsprechende Analyse sein.
2.
Für die Aufhebung ggf. getroffener Schutzmaßregeln gilt § 10 nicht. Das Erlöschen einer nach § 11 bekämpften Deckinfektion ist auf Grund der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse festzustellen.
2.1
Beispielsweise könnten für das Erlöschen der IPV die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 4 sinngemäß zugrunde gelegt und zusätzlich die Ergebnisse einer Untersuchung mit Hilfe serologischer Untersuchungsverfahren, ausgenommen bei vakzinierten Tieren, herangezogen werden.
2.2
Stehen für den Nachweis des Erregers ausreichend geeignete mikrobiologische Untersuchungsverfahren nicht zur Verfügung, kann der Übertragungsversuch auf ein bisher ungedecktes Jungrind durch Probepaarung durchgeführt werden; dabei muß das Jungrind in dem für den Nachweis der Infektion erforderlichen Zeitraum unverdächtig bleiben.
Zu § 12
1.
Impfstoffe sind Arzneimittel, die Antigene enthalten und dazu bestimmt sind, bei Menschen oder Tieren zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewandt zu werden. Präparate, durch die geimpfte Tiere infolge Bildung spezifischer Antikörper aktiv gegen IBR/IPV immunisiert werden, fallen ohne Zweifel hierunter.
2.
Präparate, die vermehrungsfähiges Virus enthalten und eine Interferonisierung bewirken, fallen dann nicht unter die Definition "Impfstoff" und damit auch nicht unter die Vorschrift des § 12, wenn sie nachweislich (vgl. Nr. 3) so beschaffen sind, daß sie in dem geimpften Tier keine spezifischen Antikörper erzeugen. Unter Interferonisierung ist die medikamentelle Erzeugung eines schnellen Infektionsschutzes durch Interferon zu verstehen; dabei wird der Organismus durch Verabreichung von sogenannten Induktoren angeregt, selbst Interferon zu bilden.
3. Biologische Interferoninduktoren werden, sofern sie zur Verhütung oder Heilung von Viehseuchen bestimmt sind, von der Vorschrift des § 17c Viehseuchengesetz erfaßt, da sie unter Verwendung von Krankheitserregern hergestellt werden und in der Regel zumindest als Antigen anzusehen sind. Sie dürfen danach nur abgegeben oder angewendet werden, wenn sie zugelassen worden sind.
Für die Durchführung von Feldversuchen wird auf § 17c Abs. 4 des Viehseuchengesetzes hingewiesen.
4.1
Auf den Einsatz von Impfstoffen gegen IPV, insbesondere in einem Teil der Besamungsstationen, kann derzeit nicht verzichtet werden; es ist jedoch erforderlich, den Einsatz solcher Impfstoffe - vor allem der sog. Lebendimpfstoffe - zu kontrollieren. Sofern die Seuchensituation es erfordert, z.B. bei enzootischem Geschehen, sollten Ausnahmegenehmigungen erteilt werden.
4.2
Die IBR kann ggf. in großen Rindermastbeständen Bedeutung erlangen. Differentialdiagnostisch wird sie als erregerspezifische Erkrankung von den verschiedenen respiratorischen Faktorenerkrankungen, an denen als wichtigste Erreger Adenovirus, Reovirus, Rhinovirus, Parainfluenza-3-Virus sowie Pasteurellen beteiligt sind, unterschieden. Soweit geboten und seuchenhygienisch vertretbar, können Genehmigungen zur Anwendung von sog. Lebendimpfstoffen in solchen Beständen erteilt werden.
4.3
Bei der Erteilung von Genehmigungen nach Abs. 2 sind zur Auflage zu machen:
1.
Art und Applikationsform des Impfstoffes,
2.
Durchführung der Impfung nach Anweisung des Herstellers nur durch einen Tierarzt,
3.
Impfung stets aller Rinder des Bestandes,
4.
In Besamungsstationen Einstellung der Samenentnahme nach der Impfung für die Dauer von 14 Tagen, sofern der Impfstoff auch auf die Genitalschleimhäute der Besamungsbullen appliziert wird,
5.
Befristung der Genehmigung längstens auf ein Jahr.
4.4
Die Anordnung der Impfung gegen IBR/IPV bedarf der vorherigen Zustimmung des Regierungspräsidenten/Präsidenten des Nds. Verwaltungsbezirks. Die Anordnung kann erforderlich werden, um eine stärkere Verbreitung der Seuche zu verhindern und ist mit den Auflagen nach Nr. 4.3 zu verbinden.
An
die Regierungspräsidenten und Präs. der Nds. Verw.-Bezirke,
die Landkreise und kreisfreien Städte,
die Dienststellen der Veterinärverwaltung,
das Landesverwaltungsamt - Tierseuchenkasse -.