Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.02.2008, Az.: 1 Ws 50/08
Erforderlicher Tatverdacht für eine Arrestanordnung nach § 111b Strafprozessordnung (StPO); Berechnung der Frist nach § 111b Abs. 3 S. 1 StPO
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.02.2008
- Aktenzeichen
- 1 Ws 50/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 11578
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:0211.1WS50.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 111b Abs. 2 StPO
- § 111b Abs. 3 S. 1, S. 2 StPO
Fundstellen
- NStZ 2008, V Heft 6 (amtl. Leitsatz)
- NStZ-RR 2008, 203-205 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ-RR 2008, V Heft 6 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Amtlicher Leitsatz
Zu den erforderlichen Verdachtsgraden im Rahmen einer Arrestanordnung nach § 111 b StPO.
In dem Ermittlungsverfahren
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten und des Drittbeteiligten
gegen den Beschluss der 18. großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 5. Oktober 2007
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
am 11. Februar 2008
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss und die Anordnung des dinglichen Arrests in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten und des Drittbeteiligten durch Beschluss des Amtsgerichts H. vom 18. Juli 2007 (270 Gs 1616/07) werden aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des weiteren Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschuldigten und dem Drittbeteiligten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Der Beschuldigte ist der 1. Vorsitzende des N.F.D. Nds. e. V. (NFD). Gegen ihn wird derzeit von der Staatsanwaltschaft H. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt geführt. Auf der Grundlage von Angaben des Zeugen T. H., eines ehemaligen Schichtleiters in der Funkeinsatzzentrale des NFD, ergab sich der Verdacht, dass der Beschuldigte durch unzutreffende Meldungen gegenüber den zuständigen Einzugsstellen entsprechend fällige Sozialversicherungsbeiträge nicht in zutreffender Höhe abgeführt hat. Der Zeuge H. hat bekundet, dass in der Funkeinsatzzentrale des NFD "pro Tag in den verschiedenen Schichten insgesamt acht Sitzwachen und jeweilige Schichtleiter im Einsatz" seien, wobei man davon ausgehen könne, dass "durchschnittlich ca. vier Zivildienstleistende täglich vorhanden" seien und "der Rest aus Ehrenamtlichen und Minijobbern" bestehe. Auf der Basis dieser Angaben hat die Deutsche Rentenversicherung für den Einsatz von jeweils vier ehrenamtlich Tätigen über acht Stunden an 365 Tagen im Jahr in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. März 2007 eine Lohnsumme von 131.232,00 EURO errechnet, was nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 87.257,97 EURO ergebe.
Mit Beschluss vom 18. Juli 2007 hat das Amtsgericht H. auf Antrag der Staatsanwaltschaft H. den dinglichen Arrest zum Zweck der Rückgewinnungshilfe in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten und des Drittbeteiligten in Höhe von gesamtschuldnerisch 87.257,97 EURO angeordnet. Die gegen diese Anordnung gerichtete Beschwerde des Beschuldigten und des Drittbeteiligten hat das Landgericht mit Beschluss vom 5. Oktober 2007 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Beschuldigte und der Drittbeteiligte mit ihrer weiteren Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Sie machen geltend, dass die Angaben des Zeugen H. und die Schadenberechnung der Deutschen Rentenversicherung nicht zuträfen. Ganztags beschäftigte Mitarbeiter seien ordnungsgemäß angemeldet gewesen. Die letzte Rentenversicherungsprüfung vom Oktober/November 2006 habe keine Beanstandungen ergeben. Soweit daneben ehrenamtliche Kräfte in der Telefonzentrale eingesetzt worden seien, unterfalle deren Tätigkeit der Privilegierung nach § 3 Nr. 26 EStG und sei bis zu einer Höhe von 1.848,00 EURO steuerfrei und damit zugleich gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV auch sozialversicherungsfrei. Aus den mit der Beschwerde vorgelegten Umsatzstatistiken der Sparkasse H. für den Tatzeitraum ergebe sich, dass in dem vorgeworfenen Tatzeitraum nur in ganz geringem Umfang den Freibetrag übersteigende Zahlungen geleistet worden seien. Hiernach sei ein Gesamtschaden von höchstens 5.000,00 EURO anzunehmen. Jedoch sei die Vereinsführung davon ausgegangen, dass die jeweiligen Beschäftigten die den Freibetrag übersteigenden Einkünfte selbst anmeldeten. Hierüber seien die Beschäftigten auch belehrt worden. Im Übrigen seien zahlreiche ehrenamtlich Tätige Studenten gewesen, für die zudem andere Freibeträge gälten. Schließlich seien die vom Zeugen Herbst erwähnten "Minijobber" von der Arbeitsagentur bezahlt worden.
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO) und begründet.
Die Anordnung des dinglichen Arrests ist gemäß § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO aufzuheben, weil seit ihrer Anordnung am 18. Juli 2007 sechs Monate vergangen sind und keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass der Verfall von Wertersatz gegen die Beschwerdeführer angeordnet werden wird.
1.
§ 111 b Abs. 2 StPO verlangt für die Annahme, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz vorliegen, lediglich "Gründe" und siedelt damit die Prognosewahrscheinlichkeit auf dem Niveau des einfachen Tatverdachts an (vgl. OLG Jena StV 2005, 90 [OLG Jena 27.07.2004 - 1 Ws 234/04]. LR-Schäfer, StPO, 25. Aufl., § 111 b Rdnr. 15). Die Absenkung der Eingriffsschwelle durch das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 4. Mai 1998 gegenüber den bis dahin erforderlichen "dringenden Gründen" hat der Gesetzgeber damit begründet, dass es gerade in der Anfangsphase eines Ermittlungsverfahrens den Ermittlungsbehörden häufig noch nicht möglich sei, genügend Beweismittel für die erhöhte Verdachtsschwelle zu präsentieren (vgl. BT-Drucks. 138651 S. 15). Danach genügt es für die Anordnung des dinglichen Arrests, wenn wie beim Anfangsverdacht des § 152 StPO "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen, also eine gewisse auf Tatsachen gestützte Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Verfall von Wertersatz später endgültig angeordnet werden wird (vgl. LR-Schäfer a. a. O.). Diese Voraussetzungen für die erstmalige Anordnung des dinglichen Arrests waren zu Beginn des vorliegenden Ermittlungsverfahrens erfüllt. Denn aus der Aussage des Zeugen H. ergaben sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass hier der Straftatbestand des § 266 a StGB erfüllt ist und dementsprechend der Verfall von Wertersatz in Betracht kommt. Anhaltspunkte dafür, dass die Aussage von vornherein bewusst wahrheitswidrig war, bestehen jedenfalls nicht. Die in diese Richtung zielenden Andeutungen der Beschwerdeführer sind nicht durch konkrete Tatsachen belegt. Die Höhe des dinglichen Arrests konnte mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten auch auf die Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung gestützt werden. Hiernach war die Anordnung des dinglichen Arrests vom 18. Juli 2007 sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig.
2.
Indes sind für die Aufrechterhaltung eines bestehenden dinglichen Arrests über sechs Monate hinaus gemäß § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO "dringende Gründe" für die Annahme der endgültigen Anordnung des Verfalls von Wertersatz erforderlich. Danach muss ein hohes Maß der Wahrscheinlichkeit bestehen, dass es im Hauptverfahren zu einer solchen Maßnahme kommen wird (vgl. OLG Jena a. a. O.. LR-Schäfer a. a. O. Rdnr. 44). Dies erfordert eine Prüfung in mehrfacher Richtung: Zunächst muss mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Straftat begangen worden sein. Weiter müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen des Verfalls vorliegen und es muss unter Berücksichtigung der Ermessensregelungen und unter Beachtung der Härteklauseln mit hoher Wahrscheinlichkeit die Anordnung dieser Maßnahme zu erwarten sein (vgl. LR-Schäfer a. a. O.). Die Anforderungen an die Beweisdichte nehmen dabei im Verlauf des Verfahrens zu. Vor diesem Hintergrund ist nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen das Vorliegen "dringender Gründe" zu verneinen. Die Beschwerdeführer haben unter Vorlage der Umsatzstatistiken substantiiert dargelegt, an welche Mitarbeiter welche Zahlungen geflossen sind. Hiermit setzen sich weder die angefochtene Entscheidung noch die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme näher auseinander. Berücksichtigt man zudem, dass die Aussage des Zeugen H., auf die sich - jedenfalls nach Aktenlage - nach wie vor der Verdacht stützt, recht knapp und allgemein gehalten ist und in einigen Punkten auch mehrere Deutungen zulässt, so kann jedenfalls ein dringender Tatverdacht allein hierauf nicht mehr gestützt werden. Auch die Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung hätten inzwischen an die weiter gewonnen Erkenntnisse angepasst werden müssen. So erscheint es dem Senat jedenfalls angesichts der dezidierten Einlassung der Beschwerdeführer nicht zwingend, schlicht von der angenommenen Gesamtlohnsumme auf nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge zu schließen, ohne näher zu hinterfragen, auf welche Anzahl von Beschäftigten sich die Gesamtlohnsumme verteilt, welche Stunden sie jeweils geleistet haben und ob diese Beschäftigten im Einzelfall als Zivildienstleistende oder sog. Minijobber von anderen Stellen ihre Vergütung erhielten oder als Studenten nur eingeschränkt sozialversicherungspflichtig waren. Der schlichte Hinweis darauf, dass diese Einzelfragen im Verlauf der weiteren Ermittlungen geklärt würden, genügt jedenfalls nach Ablauf von sechs Monaten zur Begründung eines dringenden Tatverdachts nicht mehr.
3.
Allerdings gewährt § 111 b Abs. 3 Satz 2 StPO die Möglichkeit, auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Maßnahme zu verlängern, wenn bestimmte Tatsachen den Tatverdacht begründen und die sechs Monate wegen der besonderen Schwierigkeit oder des besonderen Umfangs der Ermittlungen oder wegen eines anderen wichtigen Grundes nicht ausreichen und die genannten Gründe ihre Fortdauer rechtfertigen. Eine solche Verlängerung wurde vorliegend aber weder beantragt noch beschlossen.
4.
Maßgeblich für die Berechnung der Frist nach § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt der Anordnung des dinglichen Arrests (vgl. LR-Schäfer a. a. O. Rdnr. 42). Da am 18. Januar 2008 sechs Monate seit der Anordnung durch das Amtsgericht verstrichen sind und der Senat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gemäß § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache gebotene Entscheidung zu treffen hat, war die Anordnung des dinglichen Arrests aufzuheben. Zwar ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 5.000,00 EURO nicht abgeführt worden sind und hiernach insoweit "dringende Gründe" im Sinne des § 111 b Abs. 3 Satz 1 StPO bestehen könnten. Eine Aufrechterhaltung des dinglichen Arrests in dieser Höhe kam jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil es hinsichtlich dieses vergleichsweise geringen Betrages vor dem Hintergrund der sonstigen Umstände des Falles zumindest an dem nach § 111 d Abs. 2 StPO i.V.m. § 917 ZPO erforderlichen Arrestgrund fehlt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO entsprechend.