Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 22.05.2019, Az.: 11 U 18/19

Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Inanspruchnahme eines Bürgen aus der Bürgschaft; Begriff des Erfüllungsorts für die Verpflichtung des Bürgen

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
22.05.2019
Aktenzeichen
11 U 18/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 22243
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 21.11.2018 - AZ: 9 O 2277/18

Fundstellen

  • FA 2019, 252-253
  • IWRZ 2019, 275
  • ZInsO 2019, 1389-1392

Amtlicher Leitsatz

1. Abweichend von Art. 4 Abs. 1 EuGVVO können in einem Vertragsstaat ansässige natürliche oder juristischen Personen vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaates verklagt werden, wenn dort einer der in den Abschnitten 2 bis 7 des Kapitels I der EuGVVO genannten Wahlgerichtsstände besteht.

2. Für die Inanspruchnahme des Bürgen aus einer Bürgschaft ist der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO eröffnet.

3. Erfüllungsort für die Verpflichtung des Bürgen aus der Bürgschaft ist dessen Wohnort zum Zeitpunkt der Begründung des Bürgschaftsverhältnisses; eine nachfolgende Verlegung des Wohnsitzes ändert an dem einmal begründeten Gerichtsstand des Erfüllungsortes nichts mehr.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Zwischenurteil des Landgerichts Braunschweig vom 21.11.2018 (9 O 2277/18) aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsrechtszuges an das Landgericht Braunschweig zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf eine Wertstufe bis 100.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beklagte war Gesellschafter und Geschäftsführer der M. M. S. B. GmbH, die nach der Verlegung ihres Sitzes von B. nach H. unter der Bezeichnung "M. M. S.-B. GmbH" firmierte.

Zur Sicherung von Darlehen der Klägerin für die Gesellschaft übernahm der Beklagte am 19.07.2010 eine selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 500.000,00 € (Anlage K3) und am 24.04.2012 eine weitere Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 400.000,00 € (Anlage K6). Wegen des Inhalts der Bürgschaftserklärungen und der diesen beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin wird auf die Anlagen K3 und K6 Bezug genommen.

Die Darlehensbeträge wurden an die Gesellschaft ausgezahlt.

Nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 06.11.2012 (Anlage K8) kündigte die Klägerin die Geschäftsverbindung fristlos und meldete ihre Forderungen - nach offenbar zwischenzeitlich erfolgter Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft - zur Insolvenztabelle an. Dort wurde ein Betrag in Höhe von 1.693.319,30 € rechtskräftig zur Insolvenztabelle festgestellt.

Mit Schreiben vom 10.01.2013 nahm die Klägerin den Beklagten aus den übernommenen Bürgschaften in Anspruch und forderte den Beklagten unter Fristsetzung zur Zahlung von 900.000,00 € auf.

Nach gescheiterten Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien beantragte die Klägerin am 24.09.2015 bei dem Amtsgericht - Insolvenzgericht - Braunschweig, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten zu eröffnen. Der vom Insolvenzgericht bestellte Sachverständige bejahte trotz der Angabe des Beklagten, nunmehr in C./Elsass wohnhaft zu sein, die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Braunschweig für das Insolvenzverfahren und führte zur Begründung aus, dass es sich nach seinen Ermittlungen bei der vom Beklagten angegebenen Adresse in C. nur um einen Scheinwohnsitz handele.

Das Insolvenzverfahren wurde durch das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Braunschweig mit Beschluss vom 15.01.2016 (Geschäftsnummer xxx) eröffnet (Anlage K32).

Die Klägerin meldete daraufhin ihre Bürgschaftshauptforderung in Höhe von 900.000,00 € nebst Zinsen und Kosten, mithin insgesamt 1.022.528,78 € zur Insolvenztabelle an (Anlage K33). Im Berichts- und Prüfungstermin legte der Beklagte gegen die angemeldete Forderung Widerspruch ein, die Forderung wurde jedoch in voller Höhe zur Tabelle festgestellt.

Die Klägerin hat am 30.04.2018 Klage auf Feststellung der Forderung zunächst zum Amtsgericht Braunschweig erhoben. Gemäß Postzustellungsurkunde vom 07.05.2018 (Bl. 22 d.A.) ist die Klageschrift dem Kläger unter der Anschrift S.Straße 35 in B. zugestellt worden, woraufhin die unter dieser Anschrift wohnhafte Frau R. K. mit Schreiben vom 11.05.2018 (Bl. 24 d.A.) mitgeteilt hat, der Beklagte sei wohnhaft unter der Anschrift "... 7c rue C., C.".

Nachdem das Amtsgericht den Streitwert vorläufig auf die Wertstufe bis zu 100.000,00 € festgesetzt hat, hat es sich für unzuständig erklärt und mit Beschluss vom 11.06.2018 (Bl. 34 d.A.) den Rechtstreit an das Landgericht Braunschweig verwiesen.

Die Klägerin ist der Ansicht, das Landgericht Braunschweig sei international und örtlich zuständig. Soweit der Beklagte vortrage, er sei nunmehr in C./Elsass wohnhaft, handele es sich insoweit lediglich um einen Scheinwohnsitz. Tatsächlich sei der Beklagte noch unter der Anschrift S. Straße 35 in B. wohnhaft, während sein Aufenthalt unter der für C. angegebenen Adresse nicht feststellbar sei.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte der Klägerin die Zahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt 1.022.52878 €, festgestellt im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten beim Amtsgericht Braunschweig - Insolvenzgericht -, Geschäftsnummer ..., lfd. Nr. 1 der Insolvenztabelle - Abt. I -, schuldet.

Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er rügt die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig und behauptet - unter Vorlage verschiedener Unterlagen -, sein Wohnsitz liege in C..

Das Landgericht hat mit Zwischenurteil vom 21.11.2018 (Bl. 89 ff d.A.) die Klage als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das angerufene Gericht sei zwar sachlich, nicht aber international und örtlich zuständig.

Durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig sei hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO eingetreten, da jedenfalls ein Streitwert über die Zuständigkeitsgrenze hinaus als angemessen zu bewerten sei. Jedoch sei hinsichtlich der internationalen und örtlichen Zuständigkeit keine Bindungswirkung eingetreten, da § 281 ZPO nicht auf die internationale Zuständigkeit anwendbar sei. Aus diesem Grunde entfalte der Beschluss auch keine Bindungswirkung hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit, zumal die Begründung der Verweisung insoweit auch nicht ausreichend und inhaltlich nicht haltbar sei. Zur Begründung habe das Amtsgericht nämlich auf den Bericht einer Detektei aus dem Jahr 2015 Bezug genommen, obwohl es für die Beurteilung der Zuständigkeit allein auf den Zeitpunkt der Entscheidung ankomme. Demzufolge seien die zum Entscheidungszeitpunkt bereits mehrere Jahre alten Detekteiberichte nicht geeignet gewesen, den Nachweis über den aktuellen Wohnsitz des Beklagten zu erbringen.

Im Rahmen der Beurteilung der internationalen Zuständigkeit gelte der Grundsatz, dass, sofern die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts gegeben sei, automatisch auch die internationale Zuständigkeit indiziert werde (Doppelfunktionalität). Darauf komme es aber vorliegend nicht an, da sowohl die örtliche als auch die internationale Zuständigkeit im Ergebnis an den Wohnsitz des Beklagten und damit an den identischen Gerichtsstand anknüpften. Hierfür sei der tatsächliche Aufenthalt nicht ausreichend.

Von der örtlichen Zuständigkeit des einzelnen Gerichts im Verhältnis zu den anderen Gerichten eines Staates sei die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Staates im Verhältnis zu denen anderer Staaten als (unter Umständen konkurrierende) Entscheidungszuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsbezug zu unterscheiden. Die Begründung einer solchen internationalen Zuständigkeit der nationalen Gerichte sei Sache des jeweiligen nationalen Gesetzgebers. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte richte sich daher nach dem deutschen (internationalen) Prozessrecht, zu dem aber auch gemäß Art 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar geltende unionsrechtliche Rechtsnormen, insbesondere die EuGVVO, gehören und vorrangig zu beachten seien.

Im Verhältnis zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union richte sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelssachen ausschließlich nach der EuGVVO. So wie nach § 12 ZPO gelte auch nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO der Grundsatz, dass (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit) natürliche oder juristische Personen vor den Gerichten des Mitgliedsstaates zu verklagen seien, in dem sie ihren (Wohn-) Sitz hätten, soweit keine besonderen Zuständigkeitsregelungen eingriffen.

Maßgeblich für die Beurteilung der örtlichen bzw. internationalen Zuständigkeit sei der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage. Da die Zustellungsurkunde für die Klage in einen Briefkasten unter der von der Klägerin angegebenen Adresse in B. eingeworfen worden sei, die dort wohnende Frau R. K. die Klage sodann zurückgeschickt habe, komme es darauf an, ob der Beklagte im Mai 2018 seinen Wohnsitz in B. gehabt habe. Das stehe aber zur Überzeugung der Kammer nicht fest. Die von der Klägerin vorgelegten Detekteiberichte aus dem Jahr 2015 seien nicht mehr aktuell. Die Rechercheergebnisse der beauftragten Detektei aus dem Jahr 2018 seien zwar neueren Datums, jedoch nicht geeignet, den Beweis zu erbringen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in B. unterhalte. Aufgrund der insoweit mitgeteilten Tatsachen würde den Beklagten die sekundäre Darlegungslast treffen. Die von dem Beklagten insoweit vorgelegten Umstände hinsichtlich seines behaupteten Wohnsitzes in C. seien jedoch geeignet, um den behaupteten Wohnsitz des Beklagten in B. in Zweifel zu ziehen. Dabei könne dahinstehen, ob diese Umstände ausreichten, um anzunehmen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in C. habe, jedenfalls könne ein Hauptwohnsitz in B. nicht angenommen werden.

Wegen der weiteren Begründung wird Bezug auf das landgerichtliche Urteil genommen.

Gegen dieses, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 22.11.2018 zugestellte (Bl. 106 d.A.) Urteil richtet sich die am 04.12.2018 eingelegte (Bl. 114 d.A.) und am 20.12.2018 begründete (Bl. 120 ff d.A.) Berufung der Klägerin.

Sie beanstandet, dass das Landgericht sich ausführlich mit der internationalen Zuständigkeit befasst und diese verneint habe, obgleich der Beklagte ausdrücklich nur die örtliche und sachliche Zuständigkeit gerügt habe, sich aber zur internationalen Zuständigkeit rügelos eingelassen habe.

Auch habe das Landgericht die Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Verweisungsbeschlusses zu Unrecht abgelehnt. Das Amtsgericht habe sich in dem entsprechenden Beschluss mit allen die Frage der örtlichen Zuständigkeit betreffenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten befasst. Der Beklagte habe auch keine Umstände dargelegt, aus denen sich Veränderungen aus der für das Jahr 2015 ergebenden Sachlage ergäben. Selbst wenn das verweisende Gericht bei seiner Entscheidung einem Rechtsirrtum unterlegen habe oder ein Verfahrensfehler vorgelegen hätte, würde das die Bindungswirkung nicht berühren.

Ungeachtet dessen habe das Landgericht auch zu Unrecht die örtliche und internationale Zuständigkeit verneint. Das Landgericht stelle rechtsfehlerhaft allein auf den formalen Wohnsitz des Beklagten ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs komme es aber nicht entscheidend auf den Meldeaufenthalt an, sondern vor allem darauf, wo die ökonomische Basis des Schuldners liege, insbesondere wo die betreffende Person ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen unterhalte. Der Beklagte erziele aber seinen Lebensunterhalt im Inland, sei bei einem deutschen Unternehmen angestellt und halte bundesweit Vorträge, während er in Frankreich keiner abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nachgehe. Auch lebten seine Familie, unstreitig jedenfalls seine Ehefrau und seine Freunde, in B.. Dort befinde sich der Familienbesitz. Es komme nicht entscheidend darauf an, ob der Beklagte im Ausland einen Wohnsitz habe, sondern darauf, ob er im Ausland auch seine ökonomische Basis neben seiner familiären Basis unterhalte. Hinsichtlich der den Beklagten insoweit treffenden sekundären Darlegungslast lege das Landgericht einen zu geringen Maßstab an.

Die Klägerin beantragt,

das Zwischenurteil des Landgerichts Braunschweig vom 21.11.2018 Geschäftszeichen 9 O 2277/18 abzuändern und wie folgt zu erkennen:

Die Klage ist zulässig;

hilfsweise,

das Zwischenurteil des Landgerichts Braunschweig vom 21.11.2018, Geschäftszeichen 9 O 2277/18, aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts an das Landgericht Braunschweig zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Landgericht Braunschweig ist international und örtlich zuständig.

1.

Eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich allerdings nicht aus § 180 InsO. Denn § 180 InsO bestimmt zwar für Klagen auf Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle die ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist, bzw. des Landgerichts, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört. Jedoch handelt es sich bei der hier erhobenen Feststellungsklage gemäß § 184 InsO nicht um eine Insolvenzfeststellungsklage nach §§ 180ff. InsO, sondern um eine echte Feststellungsklage im Sinne des § 256 ZPO. Das Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die gerichtliche Feststellung den Schuldnerwiderspruch beseitigt (§ 201 Abs. 2 S. 2 InsO) und damit die Vollstreckung in das Schuldnervermögen aus der Eintragung der Feststellung in die Tabelle nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ermöglicht (§ 201 Abs. 2 InsO). Die §§ 179 bis 183 InsO sind auf die Klage nach § 184 InsO nicht anwendbar. Zuständigkeit, Streitwertberechnung und Urteilswirkungen richten sich vielmehr nach den allgemeinen prozessualen Regeln (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher, 3. Aufl. § 184 Rn. 3; BeckOK InsO/Zenker, 12. Ed.2018, § 184 Rn. 10).

2.

Ob und inwieweit der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 11.06.2018 Bindungswirkung entfaltet, und ob der Wohnsitz der Beklagten zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage in B. oder C. lag, kann vorliegend dahingestellt bleiben, denn das Landgericht Braunschweig kann seine Zuständigkeit nicht mit der Begründung verneinen, dass zu dem vom Landgericht insoweit für maßgeblich angenommenen Zeitpunkt im Mai 2018 aufgrund der vom Beklagten vorgelegten Indizien ein Hauptwohnsitz in B. nicht angenommen werden könne. Denn selbst in diesem Fall wäre das Landgericht Braunschweig als das am Gerichtsstand des Erfüllungsorts belegene Gericht international und örtlich zuständig.

a.

Bei Zivilprozessen mit Auslandsbezug ist die internationale Entscheidungszuständigkeit vorrangig aus den einschlägigen verbindlichen europäischen Rechtsnormen, einschlägigen internationalen Abkommen und den bilateralen Verträgen zu entnehmen. Das autonome deutsche Recht, insbesondere die Zivilprozessordnung, ist nur subsidiär anwendbar (BGH, Urteil vom 21. November 1996 - IX ZR 264/95 -, BGHZ 134, 127-137, Rn. 23). Demgemäß ist die hier maßgebliche VO (EU) Nr. 1215/2012 (im Folgenden: EuGVVO) als unionsrechtliche Rechtsnorm in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Sie geht nationalem Recht im Rang vor. Soweit nationale Bestimmungen der Verordnung widersprechen, werden sie durch die Verordnung verdrängt und dürfen von den nationalen Gerichten nicht angewandt werden (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., Europäisches Zivilprozessrecht A. Vorbemerkung Rn. 8).

b.

Grundsätzlich sind natürliche Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Abweichend von dieser Regel können gemäß Art. 5 Abs. 1 EuGVVO in einem Vertragsstaat ansässige (natürliche oder juristische) Personen vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaates verklagt werden, wenn dort einer der in den Abschnitten 2 bis 7 des Kapitel I der EuGVVO genannten Wahlgerichtsstände besteht.

aa.

Vorliegend ist danach auch in dem Fall, dass der Wohnsitz des Beklagten in C. liegt, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig jedenfalls gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO gegeben.

Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, auch in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO regelt damit auch die örtliche Zuständigkeit (vgl. Wortlaut: "Gericht des Ortes") und verwehrt so einen Rückgriff auf §§ 12 ff. ZPO (Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 15. Aufl., EuGVVO Art. 7 Rn. 1). Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass der Schuldner an dem Ort, an dem er nach materiellem Recht zu leisten hat, auch vor Gericht Rede und Antwort stehen muss (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Januar 2018 - I-32 SA 53/17 -, juris, Rn. 19). Der Ort, an dem die Verpflichtung zu erfüllen ist bzw. wäre, ist nach dem Recht zu bestimmen, das nach dem IPR des Gerichtsstaates maßgebend ist (zum Ganzen: Zöller/Geimer, ZPO 32. Aufl., Art. 7 EuGVVO, Rn 4 m.w.N.).

bb.

Im vorliegenden Fall ist damit der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO, der sich allgemein auf Klagen aus Vertrag bezieht (vgl. Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., Rn. 1), grundsätzlich eröffnet.

(1)

Dabei sind die Begriffe "Vertrag" und "Ansprüche aus einem Vertrag" nicht nach dem nationalen Recht des jeweiligen Forumstaates, sondern autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung der Verordnung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Voraussetzung ist grundsätzlich eine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juni 1992 - C-26/91 -, juris, Tz. 15). Die Begriffe sind weit auszulegen (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - C-27/02 -, juris, Tz. 48).

(2)

Gegenstand des Verfahrens sind hier die Erklärungen des Beklagten vom 14.07.2010 und 24.04.2012, mit denen der Beklagte die selbstschuldnerische Bürgschaft für zwei der M. M.-S. GmbH seitens der Klägerin gewährte Darlehen übernommen hat.

Zwar macht die Klägerin hier keinen Leistungsanspruch gegenüber dem Beklagten geltend, nach seinem Wortlaut greift Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO aber nicht nur ein, wenn um einzelne Ansprüche aus einem Vertrag gestritten wird, sondern auch dann, wenn der Vertrag als solcher Streitgegenstand ist. Es ist deshalb anerkannt, dass auch Klagen, mit denen das Bestehen oder Nichtbestehen eines Vertragsverhältnisses festgestellt werden soll, unter diese Regelung fallen können (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - IX ZR 108/09 -, BGHZ 185, 241-252, Rn. 12 zum wortgleichen Art. 5 Nr. 1 LugÜ).

Da es sich bei der Bürgschaft um einen einseitig verpflichtenden Vertrag handelt (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 765, Rn 1), ist demgemäß auch für eine auf Feststellung einer Forderung gemäß § 184 InsO gerichtete Klage der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO eröffnet.

cc.

Wo der Erfüllungsort liegt, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit der Sache befassten Gerichts maßgeblich ist (lex causae; vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1976, C-12/76, Celex-Nr. 61976CJ0012, Tz. 13; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 - XI ZR 474/02 -, BGHZ 157, 224-232, Rn. 22; Urteil vom 27. April 2010 - IX ZR 108/09 -, BGHZ 185, 241-252, Rn. 15).

Das ist - ausweislich der Bürgschaftserklärungen, die ausdrücklich auf Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Zivilprozessrechts Bezug nehmen - deutsches Recht.

(1)

Da im Verhältnis zwischen den Parteien ein Ort für die Erfüllung der Bürgenverpflichtung des Beklagten nicht bestimmt ist, richtet sich die Bestimmung des Erfüllungsortes nach § 269 Abs. 1 BGB.

Danach hat, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung fehlt und sofern sich nicht aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses etwas anderes ergibt, die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Das gilt auch für die Zahlungspflicht eines Bürgen (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1996 - IX ZR 264/95 -, BGHZ 134, 127-137, Rn. 22). Dabei kommt es insoweit nach der gesetzlichen Regelung auf den Wohnsitz des Bürgschaftsschuldners zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses, also zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bürgschaftsvertrages an (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. September 2010 - 4 U 150/09 -, juris, Rn. 37).

Eine nachfolgende Verlegung des Wohnsitzes ändert an dem einmal begründeten Gerichtsstand des Erfüllungsortes nichts mehr, denn dem Schuldner soll nicht die Möglichkeit gegeben werden, durch Wechsel des allgemeinen Gerichtsstands auch den nach § 29 Abs. 1 ZPO, § 269 Abs. 1 BGB begründeten besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts zu verändern (vgl. KG Berlin, Urteil vom 04.05.2000 - 10 U 5220/99 -, juris, Rn. 22).

(2)

Zum Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärungen am 14.07.2010 (Anlage K3) und 24.04.2012 (Anlage K6) hatte der Beklagte nach seinen eigenen Angaben in den entsprechenden Erklärungen seinen Wohnsitz in B.. Der Erfüllungsort für die Verpflichtungen aus den Bürgschaftserklärungen liegt damit in B..

c.

Soweit in Nr. 6 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin Erfüllungsort für den Kunden der Sitz der Klägerin sein soll und Ziffer 10 der Bürgschaftserklärungen jeweils auf die AGB verweist, führt dies nicht zu einer abweichenden Zuständigkeit.

aa.

Bereits ihrem Wortlaut nach ist die Klausel auf den Beklagten als Bürgen nicht anwendbar, weil hier lediglich der Erfüllungsort für die Klägerin und den Kunden geregelt worden ist. Der Bürge ist aber schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht als Kunde der Bank anzusehen. Auch in dem Text der Bürgschaftsurkunde ist der Beklagte stets nur als Bürge bezeichnet worden.

bb.

Darüber hinaus entspricht die Klausel nicht den Formanforderungen gem. Art. 25 EuGVVO, der hier Anwendung findet.

(1)

Die Vertragspartner können den Erfüllungsort gem. Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO abweichend bestimmen. Eine Vereinbarung über den Erfüllungsort, die aber nicht die Festlegung des Ortes bezweckt, an dem der Schuldner die ihm obliegende Leistung tatsächlich zu erbringen hat, sondern allein darauf abzielt, einen bestimmten Gerichtsstand festzulegen, fällt nicht unter Art. 7 Nr. 1 EuGVVO (sogen. abstrakte Erfüllungsortvereinbarung), sondern allein unter Art. 25 EuGVVO und ist nur zulässig, wenn sie dieser Bestimmung entspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 20.02.1997 - C-106/95-, juris, Rn. 35; Leible, in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl., Art. 7 Brüssel-Ia-VO, Rn. 53).

(2)

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass hier eine rein abstrakte Erfüllungsortvereinbarung getroffen werden sollte, weil dem Vorbringen der Parteien nicht zu entnehmen ist, dass der Beklagte seine Leistung an einem anderen Ort als seinem Wohnort erbringen sollte, und sie in der AGB in derselben Klausel wie die Rechtswahl und der Gerichtsstand verortet worden ist.

(3)

Die Bürgschaftserklärungen entsprechen zudem nicht den Formerfordernissen gem. Art. 25 Abs. 1 Satz 3 lit. a) EuGVVO, wonach die entsprechende Vereinbarung schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung geschlossen werden muss.

Übersendet ein Gläubiger nach einer Vorbesprechung dem im Ausland ansässigen Bürgen ein vollständig ausgefülltes Vertragsformular, das eine Gerichtsstandsvereinbarung enthält, jedoch nicht von ihm unterzeichnet ist, kommt eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nicht schon dadurch zustande, dass die Bürgschaft erteilt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2001 - IX ZR 19/00 -, juris).

Hier ergibt sich die mögliche Gerichtsstandsvereinbarung lediglich aus den in der Bürgschaftsurkunde in Bezug genommenen AGB. Die Bürgschaftsurkunde ist jedoch lediglich von dem Beklagten, nicht aber von der Klägerin unterzeichnet worden, so dass die Schriftform nicht gewahrt ist. Zu einer mündlichen Gerichtsstandsvereinbarung ist von den Parteien bereits nichts vorgetragen worden, so dass in der Klausel über den Erfüllungsort keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung gesehen werden kann.

3.

Für den Fall, dass der vorliegende Rechtstreit keinen Auslandsbezug, der Beklagte vielmehr seinen Wohnsitz in B. hat, und demgemäß die Vorschriften der ZPO uneingeschränkt Anwendung finden, gilt hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 29 ZPO erst recht nichts Anderes.

4.

Die Sache ist an das Landgericht Braunschweig gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zurückzuverweisen.

a.

Gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs nur zurückverweisen, wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden worden ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt hat. Hierfür genügt es, wenn eine Partei hilfsweise - wie die Klägerin im vorliegenden Fall - hilfsweise die Aufhebung und Zurückverweisung für den Fall beantragt, dass das Gericht nicht durchentscheidet (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 538, Rn. 4).

b.

Hier hat das Landgericht lediglich ein Prozessurteil erlassen, sich aber nicht in der Sache mit der Angelegenheit befasst, so dass die Parteien bei einer Entscheidung durch das Berufungsgericht eine Instanz verlieren würden. Daher ist die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben und zurückzuverweisen.

Die Zurückverweisung ist im vorliegenden Fall auch nicht ermessensfehlerhaft.

Der Zweck des § 538 ZPO erfasst gerade auch die Sachlagen, in denen der Erstrichter nur verfahrensrechtliche Erwägungen anstellt, sich mit dem Anspruch selbst aber nicht beschäftigt, weil er sich an der dazu nötigen Sachaufklärung durch einen formalen Aspekt gehindert glaubt (vgl. BGH, Urteil vom 04.06.1954 - V ZR 67/53 -, juris, Rn. 29; OLG Dresden, Urteil vom 07.06.2002 - 3 U 589/02 -, juris).

5.

Die Kostenentscheidung bleibt dem erstinstanzlichen Gericht vorbehalten.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Berufungsurteiles folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Obwohl es selbst keinen vollstreckungsfähigen Inhalt im eigentlichen Sinne hat und die vorläufige Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheidung gemäß § 717 Abs. 1 ZPO schon mit der Verkündung des aufhebenden Urteils außer Kraft tritt, ist in den Fällen der vorliegenden Art ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erforderlich, weil das zuständige Vollstreckungsorgan die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil laut § 775 Nr. 1 und § 776 Satz 1 ZPO erst einstellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln aufheben darf, wenn ihm eine vollstreckbare Ausfertigung vorgelegt wird (OLG München, Urteil vom 18. September 2002 - 27 U 1011/01 -, juris, Rn. 75; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018 - 11 U 52/18 -, juris, Rn. 27 m.w.N.; Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 538, Rn 59).

Für Schutzanordnungen nach § 711 ZPO ist allerdings schon deshalb kein Raum, weil es an einem vollstreckbaren Leistungsausspruch im Berufungsurteil fehlt (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018, a.a.O.).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor.

6.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren war auf die Wertstufe bis zu 100.000,00 € festzusetzen.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass sich bei einer Feststellungsklage die Beschwer des Beklagten danach bemisst, wie hoch oder gering das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2000 - IV ZR 279/99-, juris, Rn. 9). Die zweifelhafte Realisierbarkeit des festzustellenden Anspruchs ist auch für die Festsetzung des Streitwerts maßgeblich (Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl. § 3 Rn. 16 "Feststellungsklage"). Dies gilt ebenfalls für die hier in Rede stehende Feststellungsklage nach § 184 InsO (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - IX ZR 235/08 -, Rn. 6, juris). Da bei der Mehrzahl der Insolvenzschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens eine Vollstreckung gegen den Schuldner nicht möglich sein wird, ist das wirtschaftliche Interesse an der Feststellung nicht allzu hoch. Dies ist bei der Ermittlung des Streitwertes der Feststellungsklage zu berücksichtigen, indem die späteren Vollstreckungsaussichten des Feststellungsklägers nach Beendigung des Verfahrens für den Schuldner konkret bewertet werden müssen. Können diese anhand der voraussichtlichen wirtschaftlichen Lage des Schuldners auch für die Zeit nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht als günstig angesehen werden, sind deutliche Abschläge vom Nominalwert der Forderung sachlich gerechtfertigt. Wenn die Vollstreckungsaussichten als gering anzusehen sind, kann ein Abschlag von 75% des Nennwerts der Forderung angemessen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009, a.a.O.; Pluta/Heidrich, jurisPR-InsR 18/2009 Anm. 6).

Vorliegend hat der Beklagte offenbar einen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt. Ob diesem Antrag stattgegeben wird, ist derzeit nicht absehbar, Versagungsgründe sind nicht vorgetragen. Die Vollstreckungsaussichten sind offen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Abschlag von 90% angemessen.