Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.05.2010, Az.: 322 SsRs 149/10

Überprüfung der Ablehnung eines Beweisantrages im Bußgeldverfahren in der Rechtsbeschwerdeinstanz

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.05.2010
Aktenzeichen
322 SsRs 149/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 20498
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0512.322SSRS149.10.0A

Amtlicher Leitsatz

Verstößt die Ablehnung eines Beweisantrages im Bußgeldverfahren gegen das Willkürverbot, so kann darin eine Gehörsverletzung liegen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn darin gleichzeitig ein Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht des Gerichts liegt.

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

2. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zum Mitführen des Führerscheins - aufgehoben.

3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 05.02.2010 wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage in Tateinheit mit Nichtmitführen des Führerscheins zu einer Geldbuße von 90 Euro. Es stellte fest, der Betroffene habe am 09.09.2009 das Rotlicht der Lichtzeichenanlage auf der B.straße in O.-S. missachtet. Als die Lichtzeichenanlage auf "rot" umgeschaltet habe, habe sich das vom Betroffenen geführte Fahrzeug noch ca. 5 m vor der Haltelinie befunden und dann bei Rotlicht die Haltelinie überfahren. Dafür stützt sich das Amtsgericht auf die Angaben des Zeugen PK S., der sich zusammen mit einem anderen Polizeibeamten in einem Polizeifahrzeug hinter dem vom Betroffenen geführten Pkw befand und dessen Fahrzeug anschließend angehalten hatte. Dabei stellte der Zeuge S. auch fest, dass der Betroffene seinen Führerschein nicht mitgeführt hatte.

2

Der Betroffene hatte in der Hauptverhandlung angegeben, die Lichtzeichenanlage noch bei Gelblicht überfahren zu haben. Dazu berief er sich auf das Zeugnis seiner Beifahrer M. J. und C. I. Seinen Führerschein habe er aber tatsächlich nicht mitgeführt.

3

Eine Vernehmung der Zeugen J. und I. hielt das Amtsgericht nicht für erforderlich, weil dies zur Erforschung der Wahrheit nichts beigetragen hätte.

4

II. Gegen seine Verurteilung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt eine Verletzung rechtlichen Gehörs und trägt dazu vor, bereits im bußgeldrechtlichen Verwaltungsverfahren die Zeugen J. und I. benannt und ihre Vernehmung beantragt zu haben. Dasselbe sei noch einmal nach Erlass des Bußgeldbescheides geschehen Nach Anberaumung der Hauptverhandlung habe er auch beim Amtsgericht die Ladung der beiden Zeugen beantragt. Darauf habe das Amtsgericht mitgeteilt, dass es die Vernehmung der beiden Zeugen nicht für erforderlich halte. In der Hauptverhandlung habe er einen Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugen J. und I. gestellt, der mit der Begründung zurückgewiesen worden sei, deren Vernehmung sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat Verwerfung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.

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III. Die Rechtsbeschwerde war gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 OWiG zuzulassen, weil das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt ist.

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a) Die Behauptung der Verletzung rechtlichen Gehörs ist mit der Verfahrensrüge (dazu Göhler-Seitz, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr. 16 a) zulässig erhoben. Aus ihr ergeben sich in hinreichender Weise die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen.

8

b) Das rechtliche Gehör des Betroffenen ist auch verletzt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen eines Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Überlegungen einzubeziehen (vgl. nur KK-Senge, StPO, 3. Aufl.,§ 80 Rdnr. 41). Dies ist hier nicht geschehen, das Amtsgericht ist dem wiederholten Hinweis des Betroffenen auf entlastende Beweismittel nicht nachgegangen. Allein die Ablehnung eines Beweisantrages begründet zwar in der Regel noch keine Gehörsverletzung, und zwar selbst dann nicht, wenn sie rechtsfehlerhaft erfolgt. Anders ist es aber dann, wenn diese Ablehnung gegen das Willkürverbot verstößt (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811 [BVerfG 24.02.1992 - 2 BvR 700/91]; OLG Schleswig SchlHA 2002, 179: KK-Senge aaO. Rdnr. 41 d) und die darauf beruhende Entscheidung deshalb in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren aufzuheben wäre (dazu Göhler-Seitz aaO. § 80 Rdnr. 16 a).

9

So liegt der Fall hier. Eine Gehörsverletzung ist zwar nicht allein durch die auf der Grundlage von § 77 Abs. 2 OWiG erfolgte Ablehnung des Beweisantrages auf Vernehmung der Zeugen J. und I. entstanden. Hinzu kommt aber, dass eine Ladung dieser Zeugen bereits durch die Amtsaufklärungspflicht des Gerichts gem. §§ 79 Abs. 3 OWiG, 244 Abs. 2 StPO geboten war, weil der Betroffene bereits im Verwaltungsverfahren und dann im gerichtlichen Verfahren vor Durchführung der Hauptverhandlung immer wieder darauf hingewiesen hatte, dass diese Zeugen seine Angaben bestätigen würden. Sieht das Gericht unter diesen Umständen gleichwohl keine Veranlassung, die Zeugen zu hören, ist das rechtliche Gehör eines Betroffenen verletzt.

10

Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Die Aufhebung brauchte sich nicht auf die tatsächlichen Feststellungen zur Frage des Mitführens des Führerscheins zu erstrecken, weil sich die Gehörsverletzung darauf nicht ausgewirkt hat.