Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 01.02.1988, Az.: Ss 652/87
Verurteilung wegen Vergehens gegen das Waffengesetz; Vorliegen einer gegenwärtigen hinnehmbaren Gefahr für das Leben des Angeklagten; Eigenständige Verursachung einer Gefahr durch den freiwilligen Einsatz als Informant des Verfassungschutzes bei der Terrorismusbekämpfung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 01.02.1988
- Aktenzeichen
- Ss 652/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 22042
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1988:0201.SS652.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 31.08.1987 - AZ: 10 Js 33550/86
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs. 1 S. 2 StGB
- § 4 Abs. 4 WaffG
- § 28 Abs. 1 S. 1 WaffG
- § 28 Abs. 4 Nr. 2 WaffG
- § 29 Abs. 1 S. 1 WaffG
- § 29 Abs. 2 Nr. 2 WaffG
- § 53 Abs. 1 Nr. 3a WaffG
- § 53 Abs. 3 Nr. 1a WaffG
Fundstellen
- Kriminalistik 1989, 182-185
- NJW 1988, 3217-3218 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 1988, 206
Verfahrensgegenstand
Verstoß gegen das Waffengesetz.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der X. großen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 31. August 1987
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
in der Sitzung vom 1. Februar 1988
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht xxx als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx als beisitzende Richter;
Oberstaatsanwalt xxx als xxx der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt xxx als Verteidiger,
Justizangestellte xxx als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird an eine andere große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.
Gründe
Der Angeklagte war vom Amtsgericht wegen Vergehens gegen das Waffengesetz in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Auf seine Berufung hat ihn das Landgericht freigesprochen, weil er im ersten Fall (Pistole Walther) nach § 35 StGB ohne Schuld gehandelt und im zweiten Fall (Revolver Schmith & Wesson) keine Waffe erworben oder geführt habe. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Revision. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe im ersten Fall (Pistole Walther) nach § 35 StGB ohne Schuld gehandelt, stützt sich auf eine lückenhafte Gesetzesanwendung und ist damit rechtsfehlerhaft. Zwar ist nach den getroffenen Feststellungen des Landgerichts gegen die Bejahung einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für das Leben des Angeklagten aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Das Landgericht hat es aber unterlassen zu prüfen, ob ein entschuldigender Notstand nicht gleichwohl ausgeschlossen war, weil dem Angeklagten nach den Umständen zuzumuten war, die Gefahr hinzunehmen (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB). Zu einer solchen Prüfung gab der Sachverhalt auch Anlaß. Denn der Angeklagte hatte durch seinen festgestellten freiwilligen Einsatz als Informant des Verfassungschutzes bei der Terrorismusbekämpfung die Gefahr für sein Leben selbst verursacht. Es liegt mithin ein Sachverhalt vor, wie ihn das Gesetz als Beispielsfall für die mögliche Zumutbarkeit einer Gefahr anführt. Das Revisionsgericht kann die unterlassene Abwägung, die dem Tatrichter vorbehalten ist, nicht selbst vornehmen, selbst wenn weitere tatsächliche Feststellungen hierzu nicht zu erwarten sind.
Im zweiten Fall (Revolver Smith & Wesson) wird der Freispruch nicht von den Feststellungen getragen.
Das Landgericht hat insoweit festgestellt, der Angeklagte habe den einem xxx gehörenden Revolver in seinem PKW entdeckt und ihn nach Entnahme der Munition weiter in seinem Fahrzeug mitgeführt, um ihm beim nächsten Zusammentreffen mit xxx lesen zurückzugeben. Hierzu sei es aber nicht mehr gekommen, weil die Waffe kurz darauf bei einer Polizeikontrolle aufgefunden und beschlagnahmt worden sei.
Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß das Landgericht diesen Sachverhalt im Ergebnis zu Recht nicht als erlaubnispflichtigen Erwerb einer Schußwaffe und von Munition und der Ausübung der tatsächlichen Gewalt hierüber im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a WaffG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 WaffG und § 53 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 WaffG angesehen hat. Denn falls xxx die Waffe und die Munition im PKW des Angeklagten "vergessen" hatte, was die Feststellungen nicht ausschließen und was der Angeklagte für möglich hielt, wäre deren Erwerb durch Fund unter den hier gegebenen Umständen nach § 28 Abs. 4 Nr. 2; 29 Abs. 2 Nr. 2 WaffG erlaubnisfrei gewesen, was auch - jedenfalls für die Zeit bis zur Ablieferung des Fundes (vgl. § 28 Abs. 4 Nr. 2 WaffG) - für die Ausübung der tatsächlichen Gewalt gelten dürfte.
Das kann aber dahinstehen, denn das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt jedenfalls zu Unrecht nicht als strafbares Führen einer Schußwaffe im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b; 35 Abs. 1 WaffG gewertet. Nach § 4 Abs. 4 WaffG führt eine Waffe, wer - wie der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts - die tatsächliche Gewalt über die Waffe außerhalb seiner Wohnung, Geschäftsräume oder seines befriedeten Besitztums ausübt, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Waffe zugriffsbereit oder schußbereit (geladen) ist (vgl. Steindorf in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 1987, § 4 WaffG, Anm. 5 m.w.N.).
Im ersten Fall (Pistole Walther) kann das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruhen, im zweiten Fall (Revolver Smith & Wesson) beruht es darauf. Das Urteil war deshalb mit den Feststeilungen aufzuheben und die Sache an eine andere große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück - auch zur Entscheidung über die Kosten der Revision - zurückzuverweisen.
Für die erneute Entscheidung des Tatrichters weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
Sollte der Angeklagte im zweiten Fall auch nach den neu getroffenen Feststellungen die Waffe nicht mit Verteidigungswillen geführt haben, wäre eine Anwendung von § 35 StGB insoweit ausgeschlossen. Im Falle einer Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes der beiden Waffen wird zu prüfen sein, ob Tateinheit nach § 52 StGB vorliegt.