Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 24.05.2006, Az.: 3 U 123/05
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 24.05.2006
- Aktenzeichen
- 3 U 123/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 42110
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2006:0524.3U123.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 29.07.2005 - AZ: 5 O 1651/04
- nachfolgend
- BGH - 18.07.2007 - AZ: IV ZR 147/06
In dem Rechtsstreit
...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 03.05.2006 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 29.07.2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsrechtszuges beträgt bis zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 03.05.2006 21 474,18 € und für die Zeit danach 20 962,89 €.
Gründe
A.
Der Kläger verlangt Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 29.07.2005 abgewiesen; wegen der tatsächlichen Feststellungen und der rechtlichen Bewertungen wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen das ihm an 01.08.2005 zugestellte Urteil am 26.08.2005 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 04.11.2005 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.
Der Kläger macht geltend:
Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung lägen nicht vor, da die psychische Erkrankung des Klägers erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages vom 25.10.1995 für den Kläger erkennbar festgestellt worden sei, nämlich frühestens mit der am 25.04.1996 begonnenen Behandlung bei dem Facharzt für Neurologie Dr. Neumann. Erst nach 1998 sei die Erkrankung in voller Schwere ausgebrochen.
Der Kläger habe sich als Kind ohne Auffälligkeiten entwickelt. Das Stottern sei recht schnell überwunden worden und könne nicht mit den Symptomen einer psychischen Erkrankung gleichgesetzt werden. Den Eltern sei die psychische Erkrankung erst 1996 bewusst geworden. Weder über einen angeblichen Alkoholabusus noch über Selbstmordversuche in der Zeit vor 1996 sei den Eltern des Klägers jemals etwas bekannt geworden. Dies hätte ihnen aber nicht verborgen bleiben können, weil sie mit ihrem Sohn in einer Wohnung gelebt hätten. Auch die Gründe, die zur Entlassung des Klägers aus dem Zivildienst geführt haben, hätten keine Veranlassung gegeben, vom Vorliegen eines pathologischen Zustandes des Klägers auszugehen. Es müsse deshalb bestritten werden, dass der Kläger während des Zivildienstes bereits unter einer dauerhaften psychischen Erkrankung gelitten habe und der Kläger anderenfalls eine entsprechende Einsichtsfähigkeit besessen habe.
Nach dem Zivildienst hätten die Eltern auch den Eindruck gehabt, als sei von dem Kläger eine Last abgefallen und er sei wieder "ganz der Alte". Entgegen der Annahme des Landgerichts habe der Kläger und hätten seine Eltern im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages nicht die Erkenntnis gehabt, dass die Symptome einer dauerhaften psychischen Erkrankung vorgelegen hätten.
Eine arglistige Täuschung über gefahrerhebliche Umstände bei Abschluss des Versicherungsvertrages setze voraus, dass der Versicherungsnehmer auf die Entschließung des Versicherers Einfluss nehmen wolle und sich daher bewusst sein müsse. dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht, oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er die Wahrheit sage, wobei allein eine wissentlich falsche Angabe nicht ausreiche. Ein solches arglistiges Verhalten liege nicht vor. Dem Kläger habe die notwendige Erkenntnis über seine Krankheit gefehlt. Er habe weder falsche Angaben gemacht noch habe er das Bewusstsein gehabt, auf den Entscheidungsprozess des Versicherers durch Verschweigen gefahrerhöhender Umstände Einfluss zu nehmen. Es müsse zudem bestritten werden, dass ein gefahrerhöhender Umstand überhaupt vorgelegen habe.
Die Angaben in den späteren Arztberichten beruhten allesamt auf Mitteilungen des Klägers, die dieser im Zustand aktuell schwerster Bewusstseinstörungen gemacht habe. Die dort enthaltenen Angaben beispielsweise zum Alkoholabusus oder zu Selbstmordversuchen sowie zur zeitlichen Einordnung derartiger Erscheinungen seien mehr als fragwürdig. Alkoholabusus und Selbstmordversuche hätten in der Zeit vor 1996 jedenfalls nicht vorgelegen.
Hinsichtlich der Angaben in den Zivildienstakten sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Entlassung betrieben habe. Es werde deshalb bestritten, dass die seinerzeitigen Angaben des Klägers zutreffend seien. Der Kläger habe auch nur den Entlassungsschein erhalten und keinen Zugang zu den ärztlichen Attesten gehabt. Es habe deshalb keine Möglichkeit und keine Veranlassung bestanden, sich damit auseinanderzusetzen, zumal keinerlei der darin beschriebenen Symptome nach dem Zivildienst vorhanden gewesen seien.
Nicht der Kläger, sondern der Versicherungsagent habe das Antragsformular ausgefüllt. Der Kläger habe Herrn "von seinen Erlebnissen beim Zivildienst berichtet, die zu seiner dortigen Entlassung geführt" hätten. Herr habe daraufhin gefragt, ob sich der Kläger noch immer so fühle, weil es nur um dauerhafte Erkrankungen gehe. Da dies der Kläger verneint habe, sei bei der Frage "Nein" angekreuzt worden.
Der Vater des Klägers habe den Versicherungsagenten ausdrücklich darauf hingewiesen, sich bei klärungsbedürftigen Fragen an den Hausarzt des Klägers zu wenden. Er habe eine entsprechende schriftliche Erklärung vorbereitet und dem Versicherungsagenten mit der ausdrücklichen Erklärung überreicht, diese als Anlage zu dem Antrag an die Versicherung weiterzuleiten und zu beachten.
Der Kläger habe seiner Anzeigeverpflichtung erst zum 01.09.2003 nachkommen können, weil er zuvor von seiner Berufsunfähigkeit nichts gewusst habe. Die LVA habe mit Rentenbescheid vom 15.08.2003 die rückwirkende volle Erwerbsminderung zum 17.06.2002 festgestellt, was für den Kläger überraschend gewesen sei. Es sei unbillig, das Feststellungsrisiko bezüglich des Beginns der Erwerbsminderung allein dem Versicherungsnehmer aufzubürden. Deshalb sei die Vertragsbestimmung, die die Zahlungspflicht an den Zeitpunkt des Antrags knüpfe überraschend im Sinne von §§ 3 AGBG a.F., 305 c BGB n.F.. Die Beklagte biete dementsprechend nach ihren neuen Bedingungen auch rückwirkende Leistungen bis zu 3 Jahren bei später gemeldeter Berufsunfähigkeit an.
Der Kläger hat mit seinem ursprünglichen Berufungsantrag Versicherungsleistungen von 21 474,18 € verlangt, beantragt nach teilweiser Zurücknahme der Berufung nunmehr jedoch,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Braunschweig vom 29.07.2005 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 20 962,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 12 270,96 € seit dem 08.12.2003 und auf jeweils 1 533,87 € seit dem 01.07.2004, 01.10.2004, 01.01.2005, 01.04.2005, 01.04.2005, 01.07.2005 und auf 1 022,58 € seit dem 01.10.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erwidert:
Richtig sei die Feststellung des Landgerichts, dass der Kläger vor Antragstellung unter massiven psychischen Problemen gelitten habe, die auch zu seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Zivildienst durch Bescheid vom 09.11.2004 geführt hätten. Die psychische Erkrankung sei für den Kläger auch schon vor Antragstellung erkennbar festgestellt worden.
Schon als Kind sei der Kläger psychisch auffällig gewesen, weil er gestottert habe und lange in Sprachtherapie und in einer speziellen Bewegungstherapie gewesen sei, weil er durch ungeschickte Motorik in der Schule aufgefallen sei. Aus den Unterlagen des Bundesamtes für Zivildienst ergebe sich, dass der Kläger bereits am 04.10.1993 gegenüber dem zuständigen Verwaltungsleiter von mehreren Nervenzusammenbrüchen infolge des Dienstes berichtet habe. Über ein weiteres Gespräch am 1.10.1993 sei festgehalten, dass der Kläger künftig von einem Neurologen verordnete Medikamente einnehmen müsse, gleichwohl nach seiner Einschätzung für ihn die Arbeit in einer Pflegestation eines Alten- und Pflegeheims, in dem er seinen Zivildienst abgeleistet habe, nicht möglich sei. Auch in der Folgezeit habe es nach den Unterlagen aufgrund der Angstsymptomatik diverse Krankschreibungen gegeben.
Damit im Einklang stünden die anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber dem Stationsarzt Dr. gemäß Bericht des Krankenhauses St. vom 26.04.1999, dass bereits seit 1991 Angstprobleme bestanden hätte und im Jahre 1993 ein Suizidversuch erfolgt sei. In das Bild passe auch, dass der Kläger gegenüber dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Neumann berichtet habe, dass er Depressionen und Ängste bereits seit 1993 verspürt habe. Ebenso fügten sich in das Bild die durchaus beweiskräftigen anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber den behandelnden Ärzten, dass psychische Beschwerden und ein massiver Alkoholmissbrauch bereits seit 1989 bestanden hätten.
Damit stehe fest, dass der Kläger schon im Zeitpunkt der Antragstellung am 25.10.1995 unter Ängsten und Depressionen gelitten und auch ein chronischer Alkoholabusus vorgelegen habe und der Kläger sowohl Kenntnis von seinen erheblichen psychischen Problemen als auch von seinem Alkoholmissbrauch gehabt habe.
Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass seine mit ihm zusammenlebenden Eltern es hätten bemerken müssen, wenn er in der Zeit vor 1996 übermäßig Alkohol getrunken, unter Angstproblemen gelitten und einen Selbstmordversuch unternommen hätte. Dem stehe entgegen, dass der Vater des Klägers im Verhandlungstermin am 27.10.2004 auf Frage des Gerichts erklärt habe:
"Warum mein Sohn den Zivildienst abgebrochen hat, das kann ich nicht sagen."
Entweder hätten die Eltern des Klägers also nicht viel von den Problemen ihres Sohnes mitbekommen oder sie sagten nicht die Wahrheit.
Es treffe auch nicht zu, dass der Kläger seinerzeit aufgrund der Pflege alter Menschen in der Pflegestation "gestresst" gewesen sei und deshalb versucht habe, "da herauszukommen". Bereits nach einem Monat ab Oktober 1993 habe der Kläger gar keinen Kontakt mit pflegebedürftigen Personen mehr gehabt. Er habe vielmehr eine in keiner Weise psychisch belastende Tätigkeit als Gärtner verrichtet. Gleichwohl habe sich der psychische Zustand des Klägers verschlechtert, so dass er nicht nur mehrfach bei dem Amtsarzt Dr. H. in Goslar vorgestellt worden sei, sondern auch bei dem Neurologen und Psychiater Dr. A. sowie bei dem Internisten Dr. K. .
In dem Untersuchungsbericht des Amtsarztes Dr. H. vom 14./17.10.1994 sei auch erwähnt, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben bereits ein Jahr zuvor in nervenärztlicher Behandlung gewesen sei und ihm eine medikamentöse Therapie empfohlen worden sei, die der Kläger jedoch nicht umgesetzt habe. Es treffe daher ebenfalls nicht zu, dass der Kläger vor dem Jahr 1996 nicht in neurologischer oder psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei.
Unwahr sei auch die Behauptung des Klägers, er habe gegenüber den untersuchenden und behandelnden Ärzten seinerzeit unzutreffende Angaben über seinen Gesundheitszustand gemacht, um sein endgültiges Ausscheiden aus dem Zivildienst zu erreichen.
Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er den Agenten bei Antragsaufnahme mündlich zutreffend informiert habe. Erstmals mit Schriftsatz vom 20.01.2005 - nachdem die vom Bundesamt für den Zivildienst übersandten Unterlagen vorgelegen hätten - habe der Kläger behauptet, er habe bei Antragsaufnahme Herrn davon erzählt, dass er sich bei der Ableistung des Zivildienstes überfordert, gestresst und ängstlich gefühlt habe; er sei dann auch vorzeitig aus dem Dienst entlassen worden. Der Zeuge habe erklärt, die entsprechende Gesundheitsfrage sei nur dann zu bejahen, wenn eine gravierende dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne von Depressionen vorliege. Schwerwiegende dauerhafte Depressionen hätten jedoch bei dem Kläger vorgelegen, so dass er die Frage nach Nerven- und Gemütsleiden oder Depressionen in jedem Fall hätte bejahen müssen. Der Kläger habe seiner Anzeigepflicht auch dann nicht genügt, wenn er den Zeugen darauf hingewiesen hätte, dass er sich bei Ableistung des Zivildienstes überfordert, gestresst und ängstlich gefühlt und auch seine vorzeitige Entlassung erreicht hätte. Auch auf Grundlage des Vorbringens des Klägers wäre von einem arglistigen Verschweigen gefahrerheblicher Umstände auszugehen. Dies sei nämlich auch dann anzunehmen, wenn Umstände unvollständig oder stark verharmlosend angegeben würden.
Nur vorsorglich bleibe daher ausdrücklich bestritten, dass der Kläger bei Antragsaufnahme den Zeugen über seine vorzeitige Entlassung aus dem Zivildienst wegen Überforderung, Stress und Ängstlichkeit hingewiesen habe.
Falsch sei auch die Behauptung des Klägers, sein Vater habe den Zeugen ausdrücklich darauf hingewiesen, sich bei klärungsbedürftigen Fragen an den Hausarzt des Klägers zu wenden. Die vom Kläger vorgelegte schriftliche Erklärung sei weder dem Zeugen noch der Beklagten übergeben worden. Selbst wenn die Erklärung (Anlage K6) übergeben worden wäre, so stünde dies der Annahme von Arglist nicht entgegen.
Der Schluss auf Arglist sei gerechtfertigt und geboten. Der Kläger habe seine Angstprobleme und depressiven Störungen wie auch den massiven Alkoholabusus gekannt. Er diese ausdrücklich erfragten Gefahrumstände bei Antragstellung verschwiegen und dabei billigend in Kauf genommen, dass die Beklagte sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko gebildet habe und dadurch in ihrer Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages habe beeinflusst werden können.
Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2002 bis 31.08.2003 stünden dem Kläger ohnehin nicht zu, da er den Versicherungsfall der Beklagten unstreitig erst am 01.09.2003 angezeigt habe (§ 1 Abs. 2 BB-BUZ). § 1 Abs. 2 BB-BUZ enthalte eine Ausschlussfrist und sei wirksam. Es sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass der Kläger die Frist schuldlos versäumt habe.
Vorsorglich bleibe das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit im geltend gemachten Zeitraum bestritten.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 03.05.2006 verwiesen.
B.
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.
I. Der Kläger kann von der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung jedenfalls deshalb nicht verlangen, weil die Beklagte das Vertragsverhältnis gem. §§ 22 VVG, 123 BGB wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten hat.
Eine arglistige Täuschung über Gefahrumstände liegt vor, wenn der Antragsteller, um auf die Entschließung des Versicherers Einfluss zu nehmen, über diese Umstände zumindest mit bedingtem Vorsatz falsche Angaben in dem Bewusstsein macht, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag sonst nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde (OLG Hamm 23.7.1999 VersR 2000, 878, 879). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
1. a. Bei dem Kläger lag jedenfalls während der Zeit der Ableistung des Zivildienstes eine schwerwiegende Gemütskrankheit vor. Dies ergibt sich aus den Unterlagen des Bundesamtes für den Zivildienst.
So heißt es in einem darin enthaltenen Schreiben der ... -Stiftung, bei der der Kläger tätig gewesen ist, an das Bundesamt vom 13.10.1993 u.a.:
"Der ZdL Andreas W. hat seinen Dienst in unserer Einrichtung am 01.09.1993 angetreten. ... Am 04.10.1993 äußerte er gegenüber dem Unterzeichner, dass er in der vergangenen Woche infolge des Stationsdienstes mehrere Nervenzusammenbrüche hatte. Er habe sich am 02.10.1993 zum Wochenenddienst nach Plan zur Arbeit melden wollen, sei aber infolge eines weiteren Nervenzusammenbruches, unmittelbar nach dem Aufstehen, daran gehindert worden. ... In der Zeit vom 04.10.93 bis 07.10.93 war er arbeitsunfähig. Ein weiteres Gespräch am 11.10.1993 führte zu dem Ergebnis, dass er künftig von einem Neurologen verordnete Medikamente einnehmen muss. Dennoch sei nach seiner und auch nach unserer Einschätzung für ihn die Arbeit auf einer Pflegestation nicht möglich."
Ein Dienstunfähigkeitsuntersuchung am 19.10.1994 durch den Amtsarzt Dr. H. hat zudem u.a. ergeben:
"Herr W. kommt auf eigenes Begehren zur erneuten Untersuchung wegen der Frage der Dienstfähigkeit.
Bisher ist aktenkundig, dass Herr W. aufgrund einer von dem Nervenarzt Dr. A., Goslar, festgestellten Labilität und angstneurotischen Entwicklung eingeschränkt zivildienstfähig beurteilt wurde mit der Empfehlung kein Umgang mit Kranken und pflegebedürftigen Personen.
Seit der letzten Überprüfung der Dienstfähigkeit vom 25.07.1994 ist es jetzt zu einem längeren Fernbleiben vom Dienst über mehrere Wochen gekommen. Anlass hierfür sei gewesen, dass die Angstsymptomatik bei Herrn W. doch wesentlich ausgeprägter sei, als es bisher festgestellt worden ist. Insbesondere habe eine solche Angstsymptomatik bereits vor Antritt des Zivildienstes bestanden, wobei Herr W. sich nicht getraut hätte, sich diesbezüglich zu offenbaren. Bereits vor Antritt des Zivildienstes habe er bereits subjektiv unter Ängsten gelitten mit körperlichen Beschwerden, wie Schwitzen, Übelkeit und Herzrasen. Besondere Anlässe seien das Verlassen der Wohnung, Kontakt mit anderen Menschen und das Aufsuchen von größeren Gruppen oder Ansammlungen von größeren Menschenmengen.
Eine konsequente nervenärztliche Behandlung ist bisher nicht erfolgt. Es ist bisher einmal eine nervenärztliche Untersuchung in Braunschweig vor einem Jahr erfolgt. Name des Nervenarztes nicht mehr erinnerlich. Eine medikamentöse Therapie-Empfehlung habe Herr W. nicht umgesetzt. ...
Diagnose:
Schwerwiegende angstneurotische Entwicklung mit erheblichen Einschränkungen der Anpassungs- und Leistungsfähigkeit sowie Einsatzfähigkeit. Die ursprünglichen fachärztlichen Feststellungen von Herrn N.... Dr. A. vom 13.01.1994 werden nicht in Zweifel gezogen. Insgesamt sind jedoch die Auswirklungen der angstneurotischen Entwicklung wesentlich schwerwiegender, als bisher aktenkundig war. Zusammenfassend komme ich daher zu der Feststellung, dass Herr W. nach meiner Überzeugung dauerhaft nicht zivildienstfähig ist."
Daraufhin wurde der Kläger mit Bescheid vom 09.11.1994 entlassen, in dem es u.a. heißt:
"die vertrauensärztliche Untersuchung, durchgeführt am 14.10.94, hat bei Ihnen ... zu folgenden Feststellungen geführt:
Sie sind
nicht zivildienstfähig.
Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen sind in einem die Zivildienstfähigkeit ausschließenden Maß während des Zivildienstes eingetreten."
Die aufgeführten Unterlagen belegen das eindeutige Bild einer Angstneurose und damit einer schwerwiegenden Gemütskrankheit.
Es ist insoweit auch auszuschließen, dass die Feststellungen auf falschen Angaben des Klägers beruhen könnten. Der Kläger war auffällig und zwar offensichtlich in einem Maße, das zu seinen Angaben passte, die auch zu aktuellen Zuständen und nicht zu lang zurückliegenden Vorgängen gemacht worden sind. Deshalb kann dahinstehen, welchen Wahrheitswert man den einzelnen Angaben des Klägers beimessen will, auf denen die späteren ärztlichen Berichte beruhen.
Auch eine Vernehmung des vom Kläger gegenbeweislich angebotenen Vaters als Zeugen ist nicht erforderlich, soweit das Bestehen einer Gemütskrankheit im Streit ist. Das Verhalten des Sohnes in der vertrauten Umgebung zu Hause mag sich für den Vater als medizinischen Laien nicht als krankheitswertig dargestellt habe. Dass der Vater, wie er in anderem Zusammenhang beiläufig ausgesagt hat, nur das Gefühl gehabt haben mag, dass der Kläger im Zivildienst überfordert gewesen ist, schließt nicht aus, dass die Krankheitssymptome beim täglichen Zivildienst aufgetreten sind und zwar für die beigezogenen Ärzte so deutlich, wie sich dies aus den Unterlagen in den Zivildienstakten ergibt.
b. Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger wusste, dass die Gemütskrankheit vorlag und Anlass seiner Entlassung war. Selbst wenn anzunehmen ist, dass dem Kläger der Inhalt der Stellungnahme des Dr. H. nicht bekannt war, wusste er doch um die Schwierigkeiten bei der Ableistung des Zivildienstes. Ihm war auch durch die Untersuchungen bei Dr. A. und Dr. H. bekannt, worum es medizinisch gesehen ging. Dass "Gesundheitsstörungen" so schwerwiegend waren, dass sie zu seiner Entlassung geführt haben, war zudem in dem Entlassungsbescheid deutlich.
2. a. Wenn in dem am 25.10.1995 unterzeichneten Antragsformular zum Versicherungsvertrag dem Kläger unter 19 d die Frage gestellt worden ist:
"Haben Sie jemals gelitten oder leiden Sie an:
... Nerven- und Gemütsleiden, Depressionen ..."
hätte die Frage nach allem bejaht werden müssen, weil der Kläger mindestens an einem Gemütsleiden gelitten hatte. Tatsächlich ist in dem Formular das Feld "nein" angekreuzt und die Frage damit falsch beantwortet worden.
b. Die Beweisaufnahme hat zudem erbracht, dass im Zusammenhang mit der Antragstellung der Kläger (und auch nicht sein Vater) den Versicherungsagenten auch nicht mündlich hinreichend über die Gemütskrankheit des Klägers während des Zivildienstes aufgeklärt hat. Das ergibt sich bereits weitgehend aus der Aussage des Zeugen J.... W., der als Vater des Klägers bei der Ausfüllung des Antragsformulars im Büro des Versicherungsagenten anwesend war.
Der Zeuge W. hat ausgesagt, er oder der Kläger "wir") hätten Herrn gesagt, dass der Kläger sich "im Zivildienst sehr gestresst gefühlt" habe und "deswegen auch 4 Tage vor dem Enddatum entlassen worden" sei. Dies hat der Zeuge nahezu wörtlich auf Nachfrage des Terminsvertreters der Beklagten noch einmal wiederholt, wenn protokolliert worden ist:
"Wenn ich jetzt noch mal gebeten werde, das Gespräch mit Herrn bzgl. der Auskünfte über den Zivildienst zusammenzufassen, so haben wir Herrn gesagt, dass Andreas sich gestresst gefühlt habe und er deshalb eher entlassen worden ist."
Ergänzend hat der Zeuge angefügt:
"Herr hat gesagt, dass es sich um Krankheiten handeln müsse, die angegeben werden müssten, und auch solche, die da stehen. Auf dem Antragsformular stand aber nichts von Angst oder Stress. Ich habe deshalb auch gesagt, dass er wirklich nicht krank sei, und will betonen, dass es Andreas nach der Entlassung aus dem Zivildienst auch wesentlich besser ging. Die Erschöpfung ließ nach, das konnte man sofort mitbekommen."
Aus all dem ergibt sich, dass dem Zeugen der Krankheitswert des Zustandes des Klägers während der Zivildienstzeit verschleiert worden ist. Stress bezeichnet eine hohe Form einer psychischen Beanspruchung oder Belastung und kann krankheitsauslösend sein, hat aber für sich gesehen noch keinen Krankheitswert. Dies hat der Zeuge W. gegenüber dem Versicherungsagenten zudem unterstrichen, wenn er gesagt hat, dass der Kläger "wirklich nicht krank sei". Von einer Angstneurose oder nur allgemein einer gesundheitlichen Störung, die so schwerwiegend war, dass sie zur Entlassung aus dem Zivildienst geführt hat, war nach den Angaben des Zeugen W.
Der Krankheitswert der psychischen Beeinträchtigung wäre - wie notwendig gewesen wäre - allenfalls dann offenbart worden, wenn der Zeuge W. tatsächlich, wie er ausgesagt hat, dem Zeugen auch einen Nervenzusammenbruch des Klägers erwähnt hätte und damit die gesundheitlichen Störungen, die zur Entlassung aus dem Zivildienst geführt haben, auf diese Weise verdeutlicht hätte. Der Senat hält diese Aussage des Zeugen W. indes für unzutreffend.
Gegen die Richtigkeit der Aussage spricht zunächst, dass der Zeuge erst auf konkrete Nachfrage des Terminsvertreters der Beklagten bekundet hat, dass er den Nervenzusammenbruch erwähnt haben will. Die Aussage steht zudem im Widerspruch zu den ursprünglichen Angaben, wonach lediglich von Stress die Rede gewesen ist.
Weiter deutet das gesamte Aussageverhalten des Zeugen darauf hin, dass er sich in seinen Angaben nicht nur an der Wahrheit, sondern auch an den Interessen seines Sohnes orientiert hat. Anders sind nämlich weitere Widersprüche in der Aussage nicht zu erklären. So hat der Zeuge einerseits immer wieder sein "enges Verhältnis" zu seinem Sohn betont und von sich aus darauf hingewiesen, dass beide "schwierige Dinge immer gemeinsam gemacht" hätten; anderseits sah sich der Zeuge W. angeblich nicht in der Lage, sich daran zu erinnern, ob er seinen Sohn bei dem Widerspruch gegen den ursprünglich die Entlassung aus dem Zivildienst ablehnenden Bescheid unterstützt habe. Weiter hat der Zeuge W. in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu Protokoll gegeben:
"Warum mein Sohn den Zivildienst abgebrochen hat, das kann ich nicht sagen.",
was sich aber nicht mit einem engen Verhältnis zu seinem Sohn in Einklang bringen lässt, sondern nur mit einer Prozesstaktik, die darauf abzielt, "sich anhand der Unterlagen des Zivildienstes noch näher zu orientieren", aber nicht, um der - dem Zeugen bekannten - Wahrheit näher zu kommen, sondern um abzuwarten, welche nachteiligen Einzelheiten den übrigen Prozessbeteiligten anderweit bekannt werden würden.
Schließlich ist auch die überzeugende Aussage des Zeugen zu berücksichtigen. Er hat nicht versucht, den Eindruck zu erwecken, als könne er sich an das Gespräch mit dem Kläger und dessen Vater noch erinnern, sondern hat nur deutlich gemacht, wie ernst er die ihm aus Schulungen bekannte Bedeutung psychischer Probleme für die Berufsunfähigkeit nimmt und genommen hat. Deshalb ist seine Schlussfolgerung nachzuvollziehen, dass er bei der Erwähnung eines Nervenzusammenbruchs diesen mit Sicherheit aufgeführt hätte.
Nach allem steht fest, dass der Kläger die Frage, ob er an einem Gemütsleiden gelitten hat, falsch beantwortet hat.
3. Der Kläger hat die falschen Angaben auch in dem Bewusstsein gemacht, dass die Beklagte als Versicherer möglicherweise seinen Antrag sonst nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde. Durch die Entlassung aus dem Zivildienst war dem Kläger gerade vor Augen geführt worden, welchen Einfluss die Krankheit auf die Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit gleich welcher Art haben konnte. Dass die gesundheitliche Entwicklung nicht ausschließlich mit den Besonderheiten des Zivildienstes zusammenhing, war dem Kläger klar, weil nach seinen eigenen Angaben die Angstsymptomatik bereits vor Antritt des Zivildienstes bestanden hatte und sie auch fortdauerte, nachdem er nicht mehr auf einer Pflegestation tätig war. Zudem war dem Kläger die Bedeutung durch die ausdrückliche Fragestellung vor Augen geführt.
Es mag auch dahinstehen, ob der Vater des Klägers dem Versicherungsagenten tatsächlich, wie der Kläger behauptet, eine schriftliche Erklärung mit dem ausdrücklichen Hinweis überreicht hat, sich bei wichtigen Gesundheitsfragen an den Hausarzt des Klägers zu wenden. Da aufklärungsbedürftige Fragen nach den Angaben des Klägers zu seinem Gesundheitszustand nicht bestanden, konnte er auch nicht davon ausgehen kann, dass die Beklagte weitere Informationen über den Gesundheitszustand des Klägers über den Hausarzt einholen würde (vgl. Prölss in Prölss/Martin VVG 27. Aufl. § 22 Rn. 4).
4. Die arglistige Täuschung war auch kausal. Dies liegt bei der zunehmenden Bedeutung psychischer Krankheiten als Ursache von Berufsunfähigkeit auf der Hand.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO). Maßgeblich für die Entscheidung sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert entspricht dem Zahlungsbegehren des Klägers unter Berücksichtigung der teilweisen Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung.