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  • ab 23.03.2021 (aktuelle Fassung)

Anlage LÖWE+-Beschl - Aktualisiertes Niedersächsisches Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung in den Niedersächsischen Landesforsten (LÖWE+)

Bibliographie

Titel
Langfristige ökologische Waldentwicklung in den Niedersächsischen Landesforsten (Regierungsprogramm "LÖWE"); Ökologisch-gemeinwohlorientierte Weiterentwicklung zu "LÖWE+"
Redaktionelle Abkürzung
LÖWE+-Beschl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
79100

Programm der Landesregierung

Programm der Landesregierung durch Beschluss vom 26.09.2017

ergänzt durch Vereinbarung zum Niedersächsischen Weg, Stand 28.08.2020

A. Entstehung und Ziele des LÖWE-Programms

Seit der Regierungserklärung vor dem Niedersächsischen Landtag am 27. Juni 1990 wird in den niedersächsischen Landeswäldern das Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung (LÖWE) verfolgt. Leitbild dieses Programms ist ein stabiler, arten- und strukturreicher Landeswald, der die Schutz-, Nutzungs- und Erholungsfunktion des Waldes in Einklang bringt.

Die Wälder der Niedersächsischen Landesforsten weisen eine reiche Standortspalette auf, deren Unterschiede seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr durch Einträge aus der Luft nivelliert werden. Es handelt sich ursprünglich überwiegend um natürliche Laubwaldgebiete mit führender Buche. Verschiedene Gründe führten dazu, dass vor Einführung des LÖWE-Programms knapp 2/3 der Landeswälder mit Nadelbaumarten bestockt waren. Nicht zuletzt wegen umfangreicher Wiederaufforstungen aufgrund von Übernutzungen während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, umfangreicher Erstaufforstungen in den fünfziger und sechziger Jahren sowie der Wiederaufforstungen nach mehreren Großkalamitäten überwogen 1991 die jüngeren Waldbestände. Die Niedersächsischen Landesforsten waren ein ausgesprochener Aufbaubetrieb. Die Bestände waren dem schlagweisen Hochwald zuzurechnen, vielerorts gleichaltrig, einschichtig und nicht gemischt und hatten sich in der Vergangenheit oft als störanfällig gegenüber Schadereignissen erwiesen. Eine artenreiche Naturverjüngung ohne Zaun wurde auf weiten Flächen durch überhöhte Wildbestände verhindert. Der Gesundheitszustand der Bäume war vor allem in den über 60-jährigen Beständen besorgniserregend.

Seit den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts zeichnete sich eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ab. Sie hatte sich bis Ende der Achtzigerjahre besitzübergreifend zu einer Ertragskrise der gesamten Forstwirtschaft zugespitzt. Trotz enormer Rationalisierungserfolge im Bereich Waldarbeit führten die steigenden Lohn- und Verwaltungskosten sowie die stagnierenden Holzpreise die Landesforstverwaltung in immer tiefere rote Zahlen. Es fehlten inländisch die Verarbeitungskapazitäten.

Die gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald hatten sich im Vergleich zur Nachkriegszeit grundsätzlich geändert. Mit der Konzentration der Bevölkerung in den Ballungsräumen, dem steigenden Wohlstand und der zunehmenden Entfremdung von der Natur wurde nicht mehr die Holzproduktion, sondern der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als wichtigste Leistung der Wälder angesehen.

Mit Beginn der forstlichen Standortkartierung in den Fünfzigerjahren hatte der Waldbau eine wichtige ökologische Grundlage erlangt. Mit den auf standörtlicher Basis aufbauenden Empfehlungen zur Baumartenwahl hat sich bereits damals immer stärker das Bewusstsein herausgebildet, dass ein Waldbau ohne Beachtung der ökologischen Beziehungen zum Scheitern verurteilt sei. Bereits im Jahr 1973 wurde diese Auffassung mit der langfristigen, regionalen waldbaulichen Planung für die Niedersächsischen Landesforsten in planerische Leitvorstellungen umgesetzt und als Richtlinie der waldbaulichen Entwicklung verankert. In den Siebzigerjahren umfasste die Naturschutzarbeit in den Landesforsten flächendeckend den Aufbau standortgemäßer Wälder und die Förderung heimischer Mischbaumarten, die Waldrandpflege sowie das zunehmende Belassen alter Laubbäume zum natürlichen Zerfall für alt- und totholzbewohnende Lebewesen. Darüber hinaus wurden Sonderbiotope wie Moore, Fließgewässer, Trockenwälder oder Magerrasen geschützt und gepflegt. Vielerorts wurden kleine Stillgewässer als Feuchtbiotope angelegt.

Zwischen 1970 und 1975 wurden 3.000 Hektar Wald repräsentativ für einzelne Naturräume und Waldgesellschaften als Naturwälder ausgewiesen und aus der Bewirtschaftung genommen.

Somit wurde die Bewahrung von Natur, oder anders gesagt, die Berücksichtigung ökologischer Kriterien im Waldbau, früher wie heute nicht nur als nützlich für die Produktion von Holz angesehen, sondern als eigenständiger Wert verstanden.

Die Waldschadensdiskussionen in den Achtzigerjahren stärkten die Waldökosystemforschung. Die Analyse walddynamischer Prozesse sowie die Untersuchung von Waldstrukturen, Waldbehandlungen und ihrer Auswirkungen auf Stabilität, Elastizität, Produktivität, Qualität und Diversität der Bestände lieferten wesentliche Entscheidungshilfen für den praktischen Waldbau.

Bei dieser Ausgangslage ergaben sich für die Waldentwicklung mehrere Konsequenzen. Die natürlichen Produktionsgrundlagen sollten durch eine drastische Verminderung der Schadstoffbelastungen und durch geeignete Bodenschutzmaßnahmen erhalten werden. Die Produktionsrisiken waren durch eine standortgemäße Baumartenwahl zu senken, wobei Laubmischwälder als besonders stabil angesehen wurden. Eine stärkere Annäherung der Baumartenzusammensetzungen an die natürlichen Waldgesellschaften sollte dazu beitragen, die Naturnähe und Stabilität der Wälder zu erhöhen. In den Aufbaubetrieben musste mit den geringen Altholzvorräten vorsichtig umgegangen werden. Die wirtschaftliche Lage der Forstbetriebe erforderte ständige Rationalisierungsbemühungen. Sie sollten sich nicht nur auf technische Lösungen konzentrieren, sondern verstärkt auch natürliche Abläufe einbeziehen, soweit sie zielgerecht zu integrieren waren. Die Wildbestände sollten so reguliert werden, dass alle Wirtschaftsbaumarten ohne Zaun natürlich verjüngt werden konnten. Darüber hinaus wurden Extensivierungen auf ertragsschwachen, schwierigen oder schwer zugänglichen Standorten vorgesehen, und es sollten die Erträge sowie die Stabilität der Bestände durch geeignete Pflege- und Nutzungsstrategien erhöht werden. Als zukunftsweisende Leitbilder dienten ungleichaltrige, strukturreiche Rein- und Mischbestände aus standortgemäßen Baumarten, die sich natürlich verjüngen. Man ging davon aus, dass sich die vielfältigen und zum Teil konkurrierenden Ansprüche an den Wald nur in Sonderfällen durch eine Trennung der Waldfunktionen besser erfüllen lassen würden als durch einen multifunktionalen Waldbau auf ökologischer Grundlage.

Diese waldbaulichen Konsequenzen wurden von dem damaligen Waldbaureferenten im Landwirtschaftsministerium, Professor Dr. Hans-Jürgen Otto, konzeptionell aufbereitet, in dem Niedersächsischen Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung in den Landesforsten ("LÖWE") zusammengeführt und in Form eines Kabinettsbeschlusses der damaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Gerhard Schröder 1991 als verbindliche Vorgabe für den Landeswald verabschiedet.

Veränderung der Rahmenbedingungen seit Verabschiedung des LÖWE-Programms

Mit der Verabschiedung des LÖWE-Programms 1991 wurde ein neues Kapitel für die Waldentwicklung im niedersächsischen Landeswald aufgeschlagen. Die damals verabschiedeten Grundsätze fußten auf einer ganzheitlichen, dynamischen Betrachtung der Waldlebensgemeinschaften, auf einem multifunktionalen Verständnis einer nachhaltigen Forstwirtschaft und der im § 7 des Landeswaldgesetzes vom 19. Juli 1978 verankerten Verpflichtung, den Wald des Landes Niedersachsen zum höchsten Nutzen für die Allgemeinheit zu bewirtschaften. Es sind mit dem Bodenschutz, der Laub- und Mischwaldvermehrung, der Erhöhung der Naturnähe, der Verbesserung der Waldgefüge und der Umsetzung von Waldschutzgebietskonzepten große und zum Teil auch aufwändige Projekte in Angriff genommen worden. Sie erfordern seitdem Geduld, Stetigkeit im Bemühen, Kontinuität in den Leitlinien sowie Vielfalt in der waldbaulichen Umsetzung, um die verschiedenen natürlichen und wirtschaftlichen Standortfaktoren angemessen berücksichtigen zu können. Gleichzeitig ist es aber auch notwendig, die Umsetzung des LÖWE-Programms an die Veränderungen der ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen, der gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald und der technischen Möglichkeiten periodisch anzupassen sowie neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu integrieren, ohne dass vorhandene Kerngedanken missachtet werden und mit gesicherten Erfahrungen der Praxis gebrochen wird.

Die Globalisierung der Rohstoff- und Warenmärkte und die eingeleitete Energiewende stellen die deutsche Forst- und Holzwirtschaft vor neue Herausforderungen. Insbesondere infolge der Wiedervereinigung und aufgrund der Ergebnisse der zweiten Bundeswaldinventur wurden mit EU-Fördermitteln neue Produktionskapazitäten und Verwertungslinien für die stoffliche und energetische Nutzung aufgebaut. Sie haben zu einer deutlichen Erhöhung der Rohholznachfrage geführt. Die Veränderungen spiegeln sich eindrucksvoll in den Holzrohstoffbilanzen für Deutschland wider. So wuchs die Holzverwendung von 55,1 Mio. m3 im Jahre 2002 auf 134,4 Mio. m3 im Jahr 2010 um 144 % an. Gleichzeitig sank der relative Anteil der stofflichen Verwendung, während der Anteil der energetischen Nutzung um 55 Mio. m3 stieg. Als neuer Laubholz-Nachfrager zeichnet sich derzeit die Chemische Industrie ab, die sich auf den ökologischen Umbau der Wirtschaft einstellt und verstärkt nachwachsende statt endliche Rohstoffe einsetzt. Die gestiegene energetische Nutzung von Holz trug wesentlich dazu bei, den Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch in Deutschland zu steigern. Während die energetische Nutzung überwiegend auf der Verwertung von Laubholz beruht, wird der wirtschaftliche Erfolg der Forstbetriebe und der holzbe- und -verarbeitenden Industrie bislang vor allem vom Nadelholz getragen. Für Holz im Bereich konstruktiver Verwendungen (Holzbau), aber auch in der Holzwerkstoffindustrie (Span- und Faserplatten) und der Zellstoffindustrie, ist Nadelholz unverzichtbar. Dem in den letzten Jahren stark gestiegenen Nadelholzverbrauch steht eine seit mehr als 20 Jahren abnehmende Nadelwaldfläche gegenüber. Dies ist eine Folge des großflächigen Umbaus von Fichtenwäldern nach den immissionsbedingten neuartigen Waldschäden in den Achtzigerjahren, der gestiegenen Anforderungen des Naturschutzes und der Einführung der naturnahen Waldwirtschaft.

Während zur Zeit der Entstehung des LÖWE-Programms die Auswirkungen der atmosphärischen Stoffeinträge auf das "Waldsterben" die waldbaulichen Diskussionen prägten, sind es heute die Veränderungen durch den bereits eingetretenen beziehungsweise erwarteten Klimawandel. Bei allen Unterschieden im Detail lassen sämtliche Klimaprojektionen für Deutschland einen deutlichen Temperaturanstieg bei einer gleichzeitig veränderten saisonalen Niederschlagsverteilung erwarten. Neben trockeneren/wärmeren Sommern und feuchteren/wärmeren Wintern ist mit verlängerten Vegetationsperioden und dem häufigeren Auftreten von Witterungsextremen wie Dürren, Starkregen oder Stürmen zu rechnen. Es wird erwartet, dass Ausmaß, räumliche und zeitliche Verteilung sowie Geschwindigkeit des Klimawandels die Anpassungsfähigkeit unserer Baumarten überschreiten. Solche Veränderungen werden sich sowohl auf den Zustand der Böden, die Pflanzenphysiologie, die Vergesellschaftung der Pflanzenarten, die Produktivität und die Stabilität der Wälder als auch auf die Ertragskraft der Forstbetriebe auswirken.

Der Klimawandel führt zu veränderten Produktionsgrundlagen, Produktionsrisiken und Ertragsaussichten. Es ist damit zu rechnen, dass es vermehrt zu Trockenstressbedingungen kommt, die die Vitalität und Produktivität der Wälder massiv beeinträchtigen können. Fichte und Buche werden davon am stärksten betroffen sein, die Eichenarten und die Douglasie weitaus weniger, und die Kiefer weist das höchste Anpassungspotenzial auf. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Risikobegrenzung müssen die Baumarten standortgemäß sein. Genauer gesagt müssen ihre Bedürfnisse an Strahlung, Wärme, Wasser und Nährstoffe durch Boden und Klima des Anbauortes gut erfüllt sein, was sich in Gesundheit, Vitalität und gutem Wachstum äußert. Abgesehen von Zwangsstandorten und den sich durch den Klimawandel abzeichnenden Grenzstandorten gibt es nicht nur eine richtige Lösung, sondern meistens mehrere Anbaualternativen. Diese schließen auch ökologisch zuträgliche, eingeführte Baumarten ein, in erster Linie Douglasie, Küstentanne, Japanlärche und Roteiche.

Der Landeswald erfüllt seine Aufgaben in einem Spannungsfeld unterschiedlicher gesellschaftlicher Ansprüche. Dabei kommt in den letzten Jahrzehnten den Aspekten des Naturschutzes eine steigende Bedeutung zu. Wichtigste Ursache sind das gestiegene Umwelt- und Naturbewusstsein sowie das bessere Wissen über schützenswerte Lebensräume. Es wachsen der Wunsch und die Notwendigkeit, diese zu erhalten, Biodiversitätsverluste zu stoppen und die Natur sich auch möglichst frei von menschlichen Eingriffen entwickeln zu lassen. Die Wertschätzung bezieht sich sowohl auf den Eigenwert der Natur als auch auf ihren Wert für die Menschen aus ökosystemarer wie aus kultureller Sicht. Der gesellschaftliche Wandel in der Einstellung der Bevölkerung zur Nutzung der Wälder stellt die Forstwirtschaft vor neue Herausforderungen.

Die Wälder in Deutschland sind das Ergebnis menschlichen Handelns und ein Spiegelbild der Kulturgeschichte. Sie sind die naturnächsten terrestrischen Lebensräume mit einer hohen Biodiversität. Im Gegensatz zu den Offenlandarten weisen Waldarten in der Regel positive Entwicklungstrends auf. Die bundesweite Schutzgebietsfläche ist in den letzten Jahrzehnten erheblich angestiegen. Etwa ein Drittel der bundesweiten Schutzgebietskulisse entfällt heute auf die strengeren Schutzgebietskategorien Natura 2000, Naturschutzgebiete, Biosphärenreservate, Nationalparke und Naturwaldreservate. Nach der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt soll bis zum Jahr 2020 auf einem Anteil von 5 % der deutschen Waldfläche beziehungsweise 10 % des öffentlichen Waldes eine natürliche Waldentwicklung ohne Nutzungen stattfinden. In Niedersachsen wurde dieses Ziel im Landeswald durch Erweiterung der bereits bestehenden Naturwälder und Prozessschutzflächen im Jahr 2018 erreicht. Im Zuge der Umsetzung des Niedersächsischen Weges kam 2021 ein Wildnisgebiet im Solling mit weiteren 1020 ha hinzu. Zusammen mit den bereits im Nationalpark Harz, im Biosphärenreservat Elbtalaue und den im Landeswald in Eigenbindung ausgewiesenen Prozessschutzflächen sind im gesamten Landeswald damit über 10 % bzw. ca. 34.000 Hektar der Fläche der natürlichen Entwicklung überlassen.

Die vom Wald erbrachten Ökosystemdienstleistungen sind vielfältig. Seit Einführung des LÖWE-Programms ist die Bedeutung des Waldes, nicht nur als Filter für Luftschadstoffe, sondern besonders auch bezüglich der Bereitstellung qualitativ hochwertigen Grund- und Oberflächenwassers deutlich gestiegen. Wälder verstetigen den Wasserabfluss, kappen Hochwasserspitzen, vermeiden Erosion und erfüllen wichtige bioklimatische Funktionen. Neben der Versauerung unserer Waldböden beeinträchtigt besonders die anthropogen bedingte Stickstoffanreicherung der Böden und des Grundwassers die Qualität unseres Trinkwassers. Auch die im Rahmen des Klimawandels vermutlich zunehmende Trockenheit wird die Bedeutung quantitativ ausreichender und qualitativ hochwertiger Trinkwasservorräte zukünftig weiter forcieren.

Die Wälder Niedersachsens sind Lebens- und Rückzugsraum zahlreicher heimischer Tierarten, zu denen auch die dem Jagdrecht unterliegenden Wildarten gehören. Erhalt und das Management der im Wald vorkommenden Wildarten sind selbstverständliche Bestandteile der Forstwirtschaft. Die Jagd ist dabei ein elementarer waldbaulicher Steuerungsfaktor. Schon zum Zeitpunkt der Entstehung des LÖWE-Programms waren hohe Wildschäden durch überhöhte Schalenwildbestände der Grund dafür, eine Reduzierung der Wildbestände anzustreben. Es sollte möglich sein, die Hauptbaumarten ohne Wildschutzmaßnahmen natürlich verjüngen zu können. Vielerorts sind die Wildbestände jedoch seit 1991 weiter angewachsen. Zudem ist eine ausgeprägte räumliche Ausbreitung beim Rot- und Damwild festzustellen. Die regional stark überhöhten Wildbestände spiegeln sich heute in steigenden Verkehrsunfallzahlen sowie in ökologischen und ökonomischen Schäden (Stabilitäts-, Produktivitäts- und Diversitätsverluste) wider.

Seit 1975 gibt es deutschlandweit ein gesetzlich garantiertes, freies Betretungsrecht für den Wald aller Besitzarten. Seither ist die kostenfreie Nutzung des Waldes zum Zwecke der Erholung selbstverständlich. So vielfältig wie die niedersächsischen Wälder sind auch die Präferenzen der Waldbesucher. Während die einen "aufgeräumte" Wälder suchen, bevorzugen andere wilde, möglichst unberührte Waldformen. Auch die Art der Erholungsnutzung reicht von entspannenden Waldspaziergängen bis zu sportlichen Outdoor-Herausforderungen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten in ihrer Mehrzahl bei ihren Waldbesuchen gepflegte und verkehrssichere Wege sowie entsprechende Erholungseinrichtungen. Die Ansprüche sind hier an den Landeswald deutlich höher als bei anderen Besitzarten, dies zeigen immer wieder die Reaktionen auf Holzernte und schlechte Wegezustände. Mit der Zeit haben sich vielfältige neue Erholungs- und Freizeitformen und Ansprüche an den Wald entwickelt, die nicht immer kompatibel miteinander sind, was nicht selten zu Konflikten führt.

Seit Einführung des LÖWE-Programms hat sich die eingesetzte Forsttechnik im Landeswald rasant weiterentwickelt. Sie ist ökologisch verträglicher, effizienter und sicherer geworden. Aufgrund des großen technischen Fortschritts sind in den letzten Jahrzehnten die Arbeitsverfahren in der Holzernte größtenteils auf hochmechanisierte Arbeitsverfahren umgestellt worden. In den Achtzigerjahren befuhren noch Forstspezialschlepper und andere Maschinen die Bestände auf ganzer Flächen. Heute ermöglichen eine dauerhafte angelegte Erschließung und die neuen Holzernte- und Holzbringungstechnologien einen boden- und bestandesschonenden, möglichst arbeitssicheren Maschineneinsatz. Die Automatisierung und Digitalisierung der Ablaufprozesse ermöglicht zudem einen modernen, effektiven und sicheren Transport des Holzes von der Waldstraße in die weiterverarbeitenden Werke.

Zum 01.01.2005 wurden die "Niedersächsischen Landesforsten" (NLF) als rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts aus der unmittelbaren Landesverwaltung ausgegliedert und ihr das Eigentum sowie die Bewirtschaftung des Landeswaldes übertragen. In der Folge gelang es, nach 50 Jahren als "Zuschussbetrieb", zwischen 2008 bis 2017 nennenswerte Anteile erwirtschafteter Überschüsse an den Landeshaushalt abzuführen. Dies ist auch ein Verdienst des LÖWE-Programms, dessen Grundsätze uneingeschränkt weiter gelten. Gleichzeitig wird zielgerichtet in die ökologische Waldentwicklung investiert.

Gesetzliche Grundlagen

Das Niedersächsische Gesetz über den Wald und die Landschaftsordnung in seiner Fassung vom 11.11.2020 bestimmt in § 15 (4):

Der Landeswald ist zum Wohl der Allgemeinheit, insbesondere unter Beachtung des Nachhaltigkeitsgrundsatzes, zu bewirtschaften. Durch Umsetzung des Regierungsprogrammes zur Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung in den niedersächsischen Landesforsten (LÖWE) trägt die Anstalt Niedersächsische Landesforsten dafür Sorge, im Rahmen einer naturnahen Bewirtschaftung den nachwachsenden Rohstoff Holz bereitzustellen und die Schutzfunktion des Waldes gemäß § 1 Nr. 1 Buchst. b sowie die Erholungsfunktion zu fördern. Insbesondere hat die Anstalt Niedersächsische Landesforsten einen angemessenen Baumbestand zu erhalten, die Erzeugnisse des Waldes wirtschaftlich zu verwerten sowie die Öffentlichkeit über die vielfältigen Wirkungen des Waldes durch Bildungs- und Erziehungsarbeit zu unterrichten. Der Schutzfunktion des Waldes als Lebensraum für wildlebende Tiere und wildwachsende Pflanzen ist in besonderer Weise Rechnung zu tragen.

Hierfür

  1. 1.

    soll der Flächenanteil der Laubbaumarten im Landeswald unter Beachtung der Erkenntnisse der Klimafolgenforschung langfristig auf 65 vom Hundert erhöht werden,

  2. 2.

    sollen Reinbestände auf die natürlich vorkommenden Waldgesellschaften beschränkt werden,

  3. 3.

    soll der Flächenanteil der über 100-jährigen Bäume im Landeswald über 25 vom Hundert hinaus weiterentwickelt werden,

  4. 4.

    sollen Bestandsphasen mit Bäumen über 160 Jahre langfristig einen Anteil von 10 vom Hundert erreichen.

  5. 5.

    soll auf Kahlschläge und eine ganzflächige maschinelle Bodenbearbeitung auf Verjüngungsflächen einschließlich Mulchen verzichtet werden,

  6. 6.

    soll für den Erhalt der Biodiversität ein Totholzvorrat in wirksamer Höhe von durchschnittlich auf die Gesamteigentumsfläche der Anstalt Niedersächsische Landesforsten bezogen mindestens 40 Kubikmeter je Hektar vorgehalten werden und

  7. 7.

    soll die Waldverjüngung bevorzugt durch Naturverjüngung erfolgen, sofern sie unter Berücksichtigung des Klimawandelns auch zukünftig standortgerecht ist und nicht andere Schutz- und Entwicklungsfunktionen des Waldes entgegenstehen.

Das Gesetz über die Anstalt Niedersächsische Landesforsten in der Fassung vom 16.12.2013 bestimmt in § 3:

  1. (1)

    Die Anstalt bewirtschaftet den Landeswald nach Maßgabe des Niedersächsischen Gesetzes über den Wald und die Landschaftsordnung und des Niedersächsischen Jagdgesetzes als staatliche Aufgabe.

Die Satzung der NLF (Stand: 01.01.2011) bestimmt in § 6 Geschäftsgrundsätze:

  1. (3)

    Die Bewirtschaftung des Landeswaldes ist in besonderer Weise dem Gemeinwohl verpflichtet. Sie richtet sich nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen und naturnahen Forstwirtschaft und dem Regierungsprogramm zur "Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung in den Landesforsten" (LÖWE).

Abgeleitete Grundsätze

Auf Grundlage der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben leiten folgende Grundsätze die "Ziele und Aufgaben der Anstalt öffentlichen Rechts Niedersächsische Landesforsten":

  • Nach dem Prinzip der Gemeinnützigkeit sind die Landesforsten zum höchsten Nutzen für die Allgemeinheit zu bewirtschaften.

  • Nach dem Prinzip der ganzheitlichen Nachhaltigkeit sind Holz, langfristige Erträge und gleichzeitig die vielfältigen Funktionen des Waldes dauernd und optimal zum Nutzen der gegenwärtigen und künftigen Generationen zu gewährleisten. Diese Nachhaltigkeit lässt sich nur durch einen Waldbau auf ökologischer Grundlage sichern.

  • Nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit (Ökonomisches Prinzip) sind die Ziele mit dem geringsten Mitteleinsatz (Ressourcenverbrauch) zu erreichen oder bei Mangel an Mitteln möglichst weitgehend zu erfüllen.

Grundsätzlich sind die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes gleichrangig.

Sie können auf Dauer nur dann in optimaler Weise verwirklicht werden, wenn die waldbaulichen Ziele und Methoden mit den ökologischen Möglichkeiten übereinstimmen.

Sie werden folglich aus einem ökologisch fundierten waldbaulichen Programm entwickelt.

Die Landesforsten sind also in nachhaltiger und wirtschaftlicher Weise durch eine umfassende Pflege der Waldökosysteme so fortzuentwickeln, dass im Interesse des Allgemeinwohles ihre Leistungsfähigkeit und Nutzbarkeit dauerhaft gesichert ist.

Ein naturnah ausgerichteter Waldbau eröffnet die Möglichkeit, die ökologischen Bedingungen im Wald mit den ökonomischen Zielen der nachhaltigen Holzproduktion auf der bewirtschafteten Fläche der Landesforsten zu verbinden.

Durch forstliche Maßnahmen sind alle Möglichkeiten zur Anlage, Pflege und Erhaltung in sich gesunder, gegen äußere Einflüsse und Belastungen (Klimawandel, Luftschadstoffe) möglichst resilienter Wälder auszunutzen, um die Naturnähe und die ökologische Vielfalt zu schützen beziehungsweise wiederherzustellen, die Erholungseignung für den Menschen zu fördern sowie die Produktion von Holz als wertvollen Rohstoff und als langfristigen Speicher klimaschädlichen Kohlenstoffdioxids zu sichern.

Dazu soll die am jeweiligen Standort mögliche Mischungs- und Strukturvielfalt standortgerechter Baumarten mit Ausnutzung und Beteiligung natürlicher Baumartenverjüngungen entwickelt und gefördert werden.

Neben dem sektoralen Ansatz des Schutzes einzelner Biotope bietet die Durchsetzung eines ökologisch ausgerichteten Waldbaus auf der gesamten Fläche der Landesforsten die Chance, die günstigen natürlichen Wirkungen des Waldes als ökologischer Ausgleichsraum in der sonst stark veränderten Kulturlandschaft noch besser als bisher zur Entfaltung zu bringen.

Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen und politischen Rahmensetzungen beschließt die Niedersächsische Landesregierung folgende Grundsätze für eine Aktualisierung und Fortschreibung des Regierungsprogramms LÖWE. Die Landesregierung bestätigt und bekräftigt damit den Anfang der Neunzigerjahre eingeschlagenen Weg der naturnahen Bewirtschaftung des Landeswaldes.

B. Grundsätze der ökologischen Waldentwicklung

In Ausführung der gesetzlichen und politischen Vorgaben beschließt die Niedersächsische Landesregierung nachstehende Grundsätze.

Sie bilden den Rahmen für die Bewirtschaftung der Niedersächsischen Landesforsten nach ökologischen Gesichtspunkten und sind für diese bindend. Raumbedeutsame Aussagen sollen - je nach ihrer räumlichen Wirkung - in das Landesraumordnungsprogramm beziehungsweise in die Regionalen Raumordnungsprogramme integriert werden.

  1. 1.

    Bodenschutz und standortgemäße Baumartenwahl

  2. 2.

    Laubwald- und Mischwaldvermehrung

  3. 3.

    Ökologische Zuträglichkeit

  4. 4.

    Bevorzugung natürlicher Waldverjüngung

  5. 5.

    Verbesserung des Waldgefüges

  6. 6.

    Zielstärkennutzung

  7. 7.

    Erhaltung alter Bäume, Schutz seltener und bedrohter Pflanzen- und Tierarten (Artenschutz)

  8. 8.

    Sicherung eines Netzes von Waldschutzgebieten einschließlich von Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung

  9. 9.

    Gewährleistung besonderer Waldfunktionen

  10. 10.

    Waldrandgestaltung und -pflege

  11. 11.

    Ökologischer Waldschutz

  12. 12.

    Ökosystemverträgliche Wildbewirtschaftung

  13. 13.

    Ökologisch verträglicher Einsatz der Forsttechnik

1. Grundsatz: Bodenschutz und standortgemäße Baumartenwahl

Vorrangig ist die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der vollen natürlichen Leistungskraft der Waldböden. Diese hängt von den physikalischen und chemischen Bodeneigenschaften sowie einer intakten Bodenbiozönose ab. Der Bodenschutz bildet die Grundlage für gesunde, vielfältige und leistungsstarke Wälder, sichert die Bildung hochwertigen Grundwassers, stärkt die Kohlenstoffspeicherfunktion der Böden und trägt wesentlich zum Klimaschutz bei.

Die natürlichen Standortkräfte sollen nicht nivelliert oder auf ein künstlich höheres Niveau angehoben werden. Dazu gehört auch das Unterlassen dauerhafter Entwässerungsmaßnahmen von Feuchtstandorten. Waldmoore sollen erhalten oder soweit möglich revitalisiert werden. Intakte Böden sind zu erhalten. Auf ganzflächige maschinelle Bodenbearbeitung auf Verjüngungsflächen (auch Mulchen) wird im Landeswald grundsätzlich verzichtet. Die Regeneration von Böden, die durch frühere Wirtschaftsformen oder durch Schadstoffeinträge aus der Luft gestört sind, soll gefördert werden, sofern keine anderen ökologischen Belange entgegenstehen. Eine Vollbaumnutzung ist nur im Einzelfall und nach kritischer Prüfung zulässig.

In den Landesforsten sind ausschließlich Wälder aus standortgemäßen Baumarten zu begründen. Dabei sollen natürliche Waldgesellschaften wiederverjüngt beziehungsweise in starkem Maße entwickelt werden (s. auch 3. Grundsatz). Sich ändernde klimatische Verhältnisse sollen berücksichtigt werden. Entscheidungsgrundlage sind die forstlichen Standortkartierungen. Ihre Ergebnisse sind, gegliedert nach ökologischen Wuchsräumen (forstliche Wuchsbezirke), planerisch umzusetzen.

2. Grundsatz: Laubwald- und Mischwaldvermehrung

In den Landesforsten sind zur Risikovorsorge, Klimaanpassung sowie zur Sicherung der Artenvielfalt und der Rohstoffversorgung in großem Umfang Mischwälder zu erziehen. In Anpassung an die jeweiligen ökologischen Verhältnisse genießt die Vermehrung von Laubmischwald Vorrang. Reinbestände sind auf die natürlichen Waldgesellschaften zu beschränken.

Der Anteil der Laubbaumarten soll langfristig auf 65 % erhöht werden.

Der Bedeutung der Nadelbaumarten wird mit einem langfristig angestrebten Anteil von 35 % Rechnung getragen.

Die Erkenntnisse der Klimafolgenforschung sind zu berücksichtigen.

3. Grundsatz: Ökologische Zuträglichkeit

Das im Laufe der Evolution und der natürlichen Waldentwicklung in den verschiedenen Wuchsräumen entstandene Baumartenspektrum soll großräumig gefördert werden.

Die Mischung mit Baumarten, die diesem Baumartenspektrum nicht angehören, ist möglich, soweit dies aus forstlichen Gründen erforderlich ist und dadurch die Waldökosysteme in ihrer Leistungsfähigkeit, Stabilität und Elastizität nicht beeinträchtigt werden.

Dabei sind Aspekte der Risikovorsorge, Klimaanpassung, Rohholzversorgung, Ertragssicherung und des Naturschutzes miteinander abzuwägen. Durch geeignete Maßnahmen, wie Pufferabstände, sind die natürlichen Waldgesellschaften sowie wertvolle Offenlandlebensräume dauerhaft zu erhalten.

Eingeführte Baumarten müssen ökologisch zuträglich sein, das heißt standortgemäß, bodenpfleglich, nicht über ein Normalmaß hinaus gefährdet, natürlich zu verjüngen, gut waldbaulich zu führen und leicht als Mischbaumart in die heimische Fauna und Flora zu integrieren.

4. Grundsatz: Bevorzugung natürlicher Waldverjüngung

Die Wiederbewaldung von Beständen erfolgt bevorzugt durch Naturverjüngung, sofern sie unter Berücksichtigung des Klimawandels auch zukünftig standortgemäß ist und nicht andere Schutz- und Entwicklungsfunktionen des Waldes entgegenstehen.

Soweit es sich um nicht zielgerechte Pionier- oder Reinbestände, um nicht standortgemäße oder genetisch ungeeignete Waldbestände handelt, sind diese durch Pflanzung oder Saat, möglichst unter Ausnutzung des Schirmes des Altbestandes, in standortgemäße Wälder zu überführen.

Dabei ist ökologisch angepasstes, herkunftsgesichertes Vermehrungsgut zu verwenden.

5. Grundsatz: Verbesserung des Waldgefüges

Die Stabilität und die Resilienz der Wälder sowie ihr Angebot an ökologischen Nischen soll außer durch Anpassung an die standörtlichen Möglichkeiten durch vertikal und horizontal gegliederte Waldstrukturen erhöht werden. Der Anteil der über 100-jährigen Bäume im Landeswald soll von momentan 25 % weiterentwickelt werden. Langfristiges Ziel ist es, dass Bestandsphasen über 160 Jahre einen Anteil von 10 % erreichen. Über regelmäßige Inventuren wird die Entwicklung dokumentiert. Neben den unterschiedlichen Eigenschaften der Baumarten trägt die Art des Waldbaus wesentlich zur Ausformung der Waldgefüge bei.

Die Wälder sollen daher so gepflegt, genutzt und verjüngt werden, dass sie möglichst kontinuierlich bestockt sind und sich zu strukturreichen Wäldern entwickeln. Sie sind durch Ungleichaltrigkeit beziehungsweise einen kleinräumigen Wechsel der Altersphasen sowie durch eine deutliche Durchmesser- und Höhendifferenzierung gekennzeichnet.

Auf Kahlschläge wird grundsätzlich verzichtet. Sie sind zulässig, soweit Pionierbestockungen, genetisch ungeeignete oder standortuntypische Bestockungen auf andere Weise nicht in standortgemäße Mischwälder umgewandelt werden können.

6. Grundsatz: Zielstärkennutzung

Wälder sollen möglichst alt werden und soweit wie möglich einzelstamm- oder gruppenweise nach Hiebsreife genutzt werden (Zielstärkennutzung).

Die Hiebsreife des Einzelbaumes hängt von seiner Wuchsleistung, Qualität und Gefährdung ab.

Die Zielstärkennutzung ist gegebenenfalls im Hinblick auf die Verbesserung der Waldgefüge, die Bestandesstabilität und die Lichtansprüche der Baumarten des Folgebestandes zu modifizieren.

7. Grundsatz: Erhaltung alter Bäume, Schutz seltener und bedrohter Pflanzen- und Tierarten (Artenschutz)

Die Landeswälder bieten Lebensräume für viele seltene oder bedrohte Pflanzen-, Pilz- und Tierarten. Sie sind im Rahmen der ökologisch ausgerichteten Waldbewirtschaftung zu erhalten und zu fördern. Bei Holzernte- und Pflegemaßnahmen während der Brut- und Setzzeit wird dem Schutz von Säugetieren und Vögeln in besonderer Weise Rechnung getragen. Einen besonderen Schutz genießen die Arten der FFH- und Vogelschutzrichtlinie, um ihren günstigen Erhaltungszustand zu sichern.

Bei der selektiven Nutzung des Waldes sollen wirksam nach Umfang und Verteilung in allen Wäldern alte, starke Habitatbäume erhalten werden, um Lebensraum für Tiere und Pflanzen der Alterungs- und Zerfallsphasen des Waldes zu sichern (Baumhöhlenbewohner, Insekten, Pilze, Moose, Flechten und anderes mehr).

Neben den obligatorischen Habitatbäumen mit Großhöhlen, Horsten oder sonstigen Fortpflanzungs- und Ruhestätten der besonders geschützten Arten sollen Habitatbäume in Gruppen oder Kleinflächen ausgewählt, eindeutig gekennzeichnet und ihrer eigendynamischen Entwicklung bis zum natürlichen Zerfall überlassen werden. Durch das Aggregieren der Habitatbäume erhöht sich deren Lebensdauer. Aspekte des Arbeitsschutzes und der Verkehrssicherung werden berücksichtigt.

Dem Artenschutz dient auch das Belassen von starkem, stehendem und liegendem Totholz, welches im Landeswald für den Erhalt der Biodiversität in wirksamer Höhe, durchschnittlich auf die Gesamtfläche bezogen mindestens 40 m3/ha, erreichen soll (Grundlage für die Weiterentwicklung sind die Standards und das Verfahren nach BWI-3).

Seltene und in ihrem Bestand bedrohte heimische Baumarten sollen auf geeigneten Standorten gezielt nachgezogen werden. Ihr genetisches Potenzial ist zu sichern.

8. Grundsatz: Sicherung eines Netzes von Waldschutzgebieten einschließlich von Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung

In angemessenem Umfang und repräsentativer Auswahl werden Waldflächen im Rahmen des Waldschutzgebietskonzepts sowie durch Schutzgebiete nach Naturschutzrecht mit typischen und seltenen Waldgesellschaften gesichert. Diese Waldflächen werden nicht oder nur mit besonderen Auflagen bewirtschaftet.

Die Holznutzung ruht dauerhaft in den Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung. Diese bieten Raum für vollständige Waldlebenszyklen mit ihren Alterungs- und Zerfallsphasen und den daran gebundenen Lebensgemeinschaften. Zu ihnen zählen die Waldflächen in den Kernzonen der Großschutzgebiete, die Naturwälder, dem Prozessschutz gewidmete Waldflächen in Naturschutzgebieten und die für die natürliche Waldentwicklung bestimmten Habitatbaumflächen. Ihr Flächenanteil soll 10 % der Landeswaldfläche betragen. Diese Wälder stellen auch wertvolle Forschungsobjekte dar. Darüber hinaus wird auf 1.020 ha im Solling schrittweise bis 2028 ein Wildnisgebiet entwickelt. Dabei soll eine gemischte Altersstruktur mit Altbäumen in dem geplanten Wildnisgebiet erhalten bleiben.

Zielgerichtete Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen erfordern die nicht von Nutzungen ausgenommenen Flächen der Natura 2000-Gebietskulisse, die Mehrzahl der Naturschutzgebiete sowie die folgenden Waldschutzgebietskategorien:

  • Naturwirtschaftswälder - sie gewährleisten die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Wälder aus Baumarten der jeweiligen natürlichen Waldgesellschaft.

  • Lichte Wirtschaftswälder - sie mit Habitatkontinuität dienen der Erhaltung und Entwicklung strukturreicher Wälder aus standortheimischen Lichtbaumarten, insbesondere Eichenwälder.

  • Kulturhistorische Wirtschaftswälder - sie sind dazu bestimmt, historische Waldnutzungsformen wie Hute- und Mittelwälder gezielt zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen.

Die Waldschutzgebiete tragen wesentlich dazu bei, einen günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen zu sichern oder zu entwickeln und den relativen Anteil der hervorragend ausgeprägten Lebensraumtypen zu erhöhen.

Darüber hinaus sind die durch das Naturschutzgesetz besonders geschützten Biotope zu erhalten. Außerdem sollen seltene und wertvolle Einzelbiotope, die nicht einem gesetzlichen Schutz unterliegen, bei der Waldpflege beachtet und bei Bedarf gepflegt werden.

Die Wälder mit natürlicher Entwicklung und die übrigen Schutzgebiete im Wald leisten einen wichtigen Beitrag zum Biotopverbund und zur Umsetzung der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt.

9. Grundsatz: Gewährleistung besonderer Waldfunktionen

Der Wald übt auf vielfältige Art und Weise einen positiven Einfluss auf die Umwelt und den Menschen aus. Er schützt beziehungsweise verbessert die natürlichen Lebensgrundlagen Wasser, Boden, Luft und Klima und bietet naturnahe Lebens-, Erholungs- und Erlebnisräume. Soweit diese Waldfunktionen mit der Entwicklung eines ökologischen Waldbaus nicht ohnehin in ausreichendem Maße gewährleistet werden können, ist die örtlich herausgehobene Funktion besonders zu entwickeln.

Für besondere Naturdienstleistungen, die die Landesforsten auf der Grundlage besonderer Förderprogramme oder Ökosystemleistungsverträge über normale waldbauliche Standards hinaus zum Erhalt der Biodiversität erbringen, sollen Finanzierungen durch das Land oder Dritte genutzt werden.

Als Planungsgrundlagen dienen auf den unterschiedlichen räumlichen Ebenen Raumordnung, Landes- und Regionalplanung, Bauleitplanung, Landschaftsplanung und Biotopkartierung der Naturschutzverwaltung sowie Forstliche Rahmenplanung, Waldfunktionenkartierung und Waldbiotopkartierung des Forstbereiches.

Schutzfunktionen dürfen durch die Erholungsfunktion nicht gefährdet werden.

10. Grundsatz: Waldrandgestaltung und -pflege

Waldaußenränder und Waldinnenränder haben eine erhebliche Bedeutung für den vorbeugenden Waldschutz, den Naturschutz, das Landschaftsbild und den Erholungswert. Daneben können sie auch Bodenschutz-, Klimaschutz-, Immissionsschutz- und Sichtschutzfunktionen erfüllen.

Zur Gewährleistung dieser Funktionen sind sie gezielt zu gestalten und im Laufe der Bestandesentwicklung konsequent zu pflegen. In der Regel sollen sie in angemessener Tiefe aus heimischen Kraut-, Strauch- und Baumarten abwechslungsreich aufgebaut, zur Feldflur abgedacht und dauernd bestockt sein. Die Habitatkontinuität alter Waldränder ist zu sichern.

Pflegeeingriffe sind auf den Schutz der konkurrenzschwächeren Pflanzenarten auszurichten.

Als linienförmige Strukturelemente haben Waldränder eine große Bedeutung für den Biotopverbund.

11. Grundsatz: Ökologischer Waldschutz

Der biologische Waldschutz genießt Vorrang vor technischen Maßnahmen. Diesem Grundsatz entspricht als vorbeugende Maßnahme die Entwicklung und Pflege einer standortangepassten, größtmöglichen Arten- und Strukturvielfalt von Mischwäldern. Sie unterstützt die Selbstheilungskräfte des Waldes.

Der Einsatz ökosystemfremder Stoffe zur Abwehr von Schäden ist nur zulässig, wenn eine existenzielle Gefährdung von Beständen und Wäldern und ihrer Funktionen besteht. Der Einsatz hat dem Prinzip der relativ höchsten Umweltverträglichkeit zu folgen. Deshalb sind biotechnische Maßnahmen zu bevorzugen.

Soweit sie nicht zur Verfügung stehen oder nicht ausreichen, dürfen nur selektiv wirkende Mittel in der geringstmöglichen Dosis zum Einsatz kommen. Nach Möglichkeit soll ihre Anwendung zur Minimierung der jeweiligen Dosis mit biotechnischen Verfahren kombiniert werden.

12. Grundsatz: Ökosystemverträgliche Wildbewirtschaftung

Wälder gehören zum Lebensraum heimischer Wildarten. Die Wildbestände sind so zu bewirtschaften, dass die Selbstregulationskräfte der Waldökosysteme nicht eingeschränkt und die Entwicklungsmöglichkeiten des ökologischen Waldbaus nicht gefährdet werden. Im Zweifel genießen waldbauliche Ziele Vorrang vor jagdlichen Zielen.

Die Wildbestände sind dann ökosystemverträglich, wenn sich sowohl Pionierbaumarten als auch die Hauptbaumarten ohne Schutz verjüngen lassen, weitgehend ohne Schälschäden erwachsen und sich auch die Kraut- und Strauchschicht in ihrer lebensraumtypischen Zusammensetzung entwickeln kann.

Auf Grundlage verbesserter wildökologischer Kenntnisse sollen die Jagdmethoden laufend verbessert werden.

13. Grundsatz: Ökologisch verträglicher Einsatz der Forsttechnik

Die Pflege des Waldes soll behutsam die natürlichen dynamischen Prozesse steuern. Der biologischen Rationalisierung ist also Vorrang einzuräumen.

Die Forsttechnik hat sich an den ökologischen Erfordernissen auszurichten. Es sind Arbeitsverfahren zu planen und anzuwenden, die die Waldböden und die Waldbestände in ihrer Struktur- und Artenvielfalt schonen.

Der technische Fortschritt ist zu nutzen, um auch die Arbeitssicherheit zu erhöhen.

Es ist ein dauerhaftes Feinerschließungsnetz festzulegen, um ein flächiges Befahren der Bestände zu verhindern.

C. Umsetzung des Ökologischen Waldentwicklungsprogramms

Das langfristig ausgerichtete ökologische Waldbauprogramm für die niedersächsischen Landesforsten ist durch die mittelfristige, in 10-jährigem Turnus wiederkehrende Forstplanung zu konkretisieren und mit den Jahresplänen der Forstämter umzusetzen.

Die forstliche Rahmenplanung (Landeswaldprogramm) kann im Zusammenhang mit besitzübergreifenden Programmen die Verwirklichung der Vorhaben zusätzlich fördern.

Viele Wälder, die aus Pionierbestockungen nach Heide und Ödlandaufforstungen hervorgegangen oder mit nicht standortgemäßen Baumarten bestockt waren, sind seit Einführung des LÖWE-Programms in standortgemäße Wälder mit hohen Anteilen der Baumarten der natürlichen Waldgesellschaften überführt worden. Diese Entwicklung oder Umwandlung in naturnahe Waldformen gelang weitgehend ohne abrupte, das vorhandene Waldgefüge störende Eingriffe.

Die erfolgreiche Umsetzung des Programms ist folglich als konsequenter und langfristiger Entwicklungsprozess fortzuführen.

Er bedarf der übereinstimmenden und gleichgerichteten Bemühungen mehrerer Generationen von Forstleuten.

Begründungen und Erläuterungen

A. Ziele

Nachhaltige Holzerzeugung

Deutschland hat einen breit gefächerten Bedarf an Holz und Holzprodukten. Er wird sich weiter vergrößern. Durch die Erzeugung und Nutzung von Holz in den heimischen Wäldern kann ein wesentlicher Teil dieses Bedarfs gedeckt werden. Daneben werden in bedeutendem Umfang Holzprodukte importiert, gleichzeitig aber auch Produkte der heimischen Forst- und Holzwirtschaft exportiert. Die Vermarktung von Holz und die Rentabilität der Forstwirtschaft werden also vom internationalen Wettbewerb beeinflusst.

Der Holzbedarf wird weltweit noch steigen, da im Jahr 2050 rund 2 Milliarden mehr Menschen auf der Erde leben als im Jahr 2017 und viele endliche, insbesondere fossile Rohstoffe sich erschöpfen werden.

Holzerzeugung und -nutzung sind umweltfreundlich, da Wälder die naturnächsten terrestrischen Ökosysteme darstellen und entsprechend bewirtschaftet werden. Die Energiebilanz der Be- und Verarbeitung von Holz ist im Vergleich zu anderen Rohstoffen günstig. Die Holzabfälle sind biologisch abbaubar.

Wälder binden ober- und unterirdisch viel Kohlenstoff. Holzprodukte aus den geernteten Holzmengen sowie deren Substitutionseffekte vergrößern die Klimaschutzwirkung des Forst- und Holzsektors. Ihr Beitrag ist unverzichtbar, um den bereits eingetretenen Klimawandel in seinen Auswirkungen zu begrenzen.

Holznutzung und -erzeugung können in nachhaltig aufgebauten Wäldern in etwa gleich gehalten werden. Dies setzt eine Schonung beziehungsweise Erhaltung der Bodenkraft sowie eine ausgeglichene Flächenausstattung und Alterszusammensetzung der Baumarten voraus.

Die Niedersächsischen Landesforsten waren in der Vergangenheit ein Aufbaubetrieb mit einem Überhang an jungen Beständen aus Nachkriegsaufforstungen. Folgerichtig wurde weniger genutzt als nachwuchs und der Holzvorrat kontinuierlicher aufgebaut. Mittlerweile nähern sich diese Bestände ihrer Zielstärke, so dass die Nutzungsmöglichkeiten steigen werden und gleichzeitig ein Vorratsniveau gehalten werden kann, das strukturreiche Wälder sichert.

Erfüllung der Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes

Ziel der Bewirtschaftung der Landesforsten ist es, dass der Wald als einer der naturnächsten Teile der Landschaft neben der Holzproduktion auch zahlreiche andere Funktionen erfüllen soll. Er trägt wesentlich zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen Boden, Wasser, Luft, Klima, Tier- und Pflanzenwelt bei. In ihm finden die Erholung suchenden Menschen Ruhe, frische Luft, Bewegung und Naturerlebnisse.

Diese vielfältigen Aufgaben der Forstwirtschaft bedürfen, wenn sie sachgerecht gelöst und nachhaltig erbracht werden sollen, einer besonders sorgfältigen und detaillierten Berücksichtigung der ökologischen Grundlagen.

Die Frage lautet also heute:

Wie ist die Forstwirtschaft zu gestalten, die unter Berücksichtigung der ökologischen Gegebenheiten die Erfüllung der vielfältigen Funktionen des Waldes auch in Zukunft optimal gewährleistet?

Ein Waldentwicklungsprogramm, das die vielfältigen Ansprüche an den Wald berücksichtigt, hat sich also nicht auf die Rohstoff-Funktion des Waldes zu beschränken.

Je stärker die Entwicklung einer urbanen, technischen Zivilisation zulasten der natürlichen Lebensgrundlagen fortschreitet, umso deutlicher wird, dass der Verbrauch an Natur, ihre Zerstückelung zu letztlich immer kleineren Resten und die Nivellierung ihrer Qualität auf einem niedrigen ökologischen Niveau kein Prozess ist, den man auf Dauer fortsetzen kann, ohne sie insgesamt zu gefährden.

Der Wert des Waldes für Natur, Umwelt, Klima und Erholung hat entscheidend zugenommen und wird sich mit steigender Umweltbelastung weiter erhöhen.

Daraus folgt aber nicht, dass die Rohstoff-Funktion des Waldes in der gleichen Progression zurücktreten kann. Vielmehr gewinnt auch sie bei steigender Verknappung aller nicht reproduzierbaren Rohstoffvorräte an Bedeutung. Der Einklang der verschiedenen Funktionsbereiche ist in unserer Kulturlandschaft am ehesten mit einem integrativen Ansatz und einem ökologisch fundierten Waldbau zu erreichen.

Gleichrangigkeit der Funktionen

In Deutschland hat das Niedersächsische Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung in den Landesforsten am Ende des letzten Jahrhunderts Maßstäbe gesetzt, dem die anderen Landesforstbetriebe weitgehend gefolgt sind. Innerhalb und vor allem außerhalb Europas stellt sich aber die heutige Forstwirtschaft oft ganz anders dar, und es ergeben sich gravierende Unterschiede zu unserer Konzeption von Waldbau und biologischer Produktion.

Dort wird das Bild von einer technokratischen Auffassung geprägt, die Plantagen unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Hilfsmittel einschließlich extremer genetischer Manipulation (Verwendung weniger Baumklone), Düngung und starkem Pestizideinsatz bestrebt ist, in einer möglichst kurzen Zeit maximale Holzmengen zu erzeugen.

Die offensichtlich verheerenden ökologischen Einbußen einer solchen Lignikultur im Vergleich zu naturnah bewirtschafteten Wäldern treten bereits heute offen zutage und werden sich in Zukunft noch deutlicher zeigen.

Immer häufiger wird in diesen Ländern versucht, diesem Missstand entgegen zu wirken, indem Nationalparks und Erholungszonen ausgewiesen werden, also bewusst in eine großflächige Funktionentrennung des Waldes eingetreten wird.

Das Nebeneinander durchaus großzügig bemessener Nationalparks und riesiger Plantagenwälder hat dazu geführt, dass eine totale Verinselung eingesetzt hat, die das natürliche und ausgewogene Funktionieren der Ökosysteme erschwert.

Ein Reservatsdenken als Handlungsprinzip ist im ökologischen Sinne deshalb nachteilig, weil ein noch so fein erdachtes Vernetzungssystem niemals so effektiv sein kann wie die Verwirklichung eines ökologisch optimierten Land- und Waldbaus auf ganzer Fläche.

Die zu Recht zu beklagende ökologische Verinselung in unserer Kulturlandschaft würde durch eine prinzipielle Funktionentrennung nicht gemildert, sondern verschärft, weil die wachsende Diskrepanz in der ökologischen Qualität der nach Funktionen getrennten einzelnen Teilräume den Verinselungseffekt vertiefen würde.

Unbeschadet der Notwendigkeit, seltene sowie repräsentative Teile des Waldes ganz in ihrer natürlichen Entwicklung zu überlassen, müssen daher, abgesehen von Extremstandorten, auf der gesamten Waldfläche die verschiedenen Funktionen grundsätzlich gleichrangig und gleichzeitig erfüllt werden, wenn auch mit teilweise unterschiedlicher Intensität.

Nur so lassen sich alle - zeitlich in ihrem Gewicht oft wechselnden - Funktionen für jeden Waldbestand während seines 100 bis 250 Jahre dauernden Lebens nachhaltig sichern. Die weitgehende Verbindung von Holzproduktions-, Schutz- und Erholungsfunktionen ist die Stärke des naturnahen Waldbaus.

Ökologische Ausrichtung des Waldbaus

Waldbau ist nicht denkbar ohne Bindung an ökologische Grundlagen. Der Wald als Lebensgemeinschaft, dessen Glieder sich gegenseitig bedingen, beeinflussen und in einem dynamischen Fließgleichgewicht stehen, ist der lebende Ausdruck dieser Grundlagen. Sie können auf Dauer nicht missachtet werden, ohne dass die forstliche Produktion und gleichzeitig die Funktionsfähigkeit des Ökosystems Wald als wesentlicher Bestandteil der menschlichen Umwelt gefährdet werden.

Vor diesem Hintergrund geht ein ökologisch begründeter Waldbau davon aus, dass in dem Maße, wie die Waldökosysteme in ihren Gesetzmäßigkeiten erkannt und gesteuert werden können, Produktionsrisiken vermindert und Wälder in ihrem Naturschutzwert erhalten und verbessert werden können.

Das Ziel eines Waldbaus auf ökologischer Grundlage ist also auf Stabilität, Produktivität, Artenvielfalt, Nischenreichtum auch für seltene Arten sowie Schönheit des Waldes gerichtet, und zwar nicht in einer "Reservats''-Struktur für jede einzelne dieser Funktionen, sondern gleichzeitig in allen Wäldern, das bedeutet weitgehend harmonisiert auf ganzer Fläche.

Da es neben dem natürlichen Produktionsrisiko auch ein in der Zukunft nicht einschätzbares Marktrisiko gibt, darf sich die forstliche Erzeugung nicht auf wenige Baumarten spezialisieren, sondern sie muss im Wald ein breites Angebot für die Zukunft vorhalten.

B. Grundsätze der Ökologischen Waldentwicklung

1. Grundsatz: Bodenschutz und standortgemäße Baumartenwahl

Der Boden bildet die Grundlage für das Wachstum der Bäume und für die Stoffumsätze des gesamten Waldökosystems. Seine physikalischen und chemischen Eigenschaften bestimmen in Wechselwirkung mit der Bodenbiozönose seinen Zustand, seine Leistungskraft und die Bereitstellung vielfältiger Ökosystemleistungen. Waldböden müssen deshalb vorrangig geschützt und gepflegt werden.

Entgegen früheren Annahmen ist der Boden kein konstanter, sondern ein dynamischer Standortfaktor, der sich mit den Einträgen aus der Luft, dem Klimawandel und der Art und Weise seiner Inanspruchnahme ändert. Der natürliche Reichtum an verschiedenartigen Bodenformen ist schützenswert. Einer bodenphysikalischen und chemischen Nivellierung oder Schädigung muss entgegengewirkt werden. Maschinelle Eingriffe in den Waldboden im Zuge von Verjüngungsmaßnahmen werden im Landeswald auf das notwendige Maß begrenzt, um eine ausreichende und zielkonforme Verjüngung zu begründen und zu sichern. Eine Bodenbearbeitung einschließlich Mulchen erfolgt ausschließlich streifen- oder plätzeweise.

Trotz insgesamt rückläufiger Säureeinträge und erfolgreicher Bodenschutzkalkungen sind auch künftig standort- und eintragsabhängige Kompensationskalkungen notwendig, um die Bodenversauerung zu stoppen beziehungsweise wieder zurückzuführen.

Zur Begrenzung der zunehmenden Eutrophierung der Böden durch die weiterhin hohen Stickstoffeinträge ist die Forstwirtschaft auf Gegenmaßnahmen in den emittierenden Sektoren Industrie, Verkehr und Landwirtschaft angewiesen.

Intakte Moore haben nicht nur eine große Bedeutung als Lebensraum für viele Arten, sondern auch für den Klimaschutz. Ihre Kohlenstoffkonzentration ist 10-fach höher als diejenige von mineralischen Waldböden. Moorflächen im Wald sollten daher dort wiedervernässt werden, wo sichergestellt ist, dass dies zur Regeneration und dem Anwachsen des Moorkörpers führen wird. In den wachsenden Torfschichten werden Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen langfristig festgelegt und eine Senkenfunktion für die Klimabilanz erreicht.

Ebenso wie intakte Moore sollen auch natürliche Feuchtstandorte nicht in ihrer Eigenart durch dauerhafte Entwässerungsmaßnahmen nachhaltig verändert werden. Staunässe verhindert oder beeinträchtigt das Anwachsen gepflanzter Bäume der meisten Baumarten. Die vorübergehende Abführung von Oberflächenwasser ist daher auf Verjüngungsflächen im Zuge der standortgemäßen Verjüngung zulässig.

Die Waldböden reichern kontinuierlich organische Substanz an und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Über die Hälfte des Kohlenstoffvorrats der Wälder ist im Waldboden gelagert.

Die Möglichkeiten der Vollbaumnutzung finden dort ihre Grenzen, wo Nährstoffungleichgewichte nicht ausgeschlossen werden können.

Der Wald soll standortgemäß sein. Der ökologische wie auch der ökonomische Bezug einer solchen Forderung liegt in der möglichen Verringerung biotischer und abiotischer Risiken.

Nach aller Erfahrung sind Anbauten, in denen die arteigenen Ansprüche der verschiedenen Baumarten mit dem Angebot des Standortes besonders gut übereinstimmen, weniger gefährdet als Wälder, in denen die Baumartenzusammensetzung dem Standort schlecht angepasst ist.

Standortgemäß ist eine Baumart, wenn sie nach den gesicherten Erkenntnissen der Forstwissenschaft und den generationenlangen Erfahrungen der forstlichen Praxis gegenwärtig und aller Voraussicht nach auch zukünftig an die klimatischen Verhältnisse eines Wuchsraumes sowie deren Abwandlungen angepasst ist, die Standortkraft der Waldböden mit vitalem Wachstum ausnutzt und folglich wenig krankheitsanfällig ist, die jeweiligen Böden mit ihrem Wurzelwerk erschließt, die Bodenkraft erhält beziehungsweise verbessert und den übrigen Gliedern der am nämlichen Standort vorkommenden Lebensgemeinschaften ein Gedeihen ermöglicht.

Bei den Baumarten gibt es eine Standortgebundenheit verschiedener Herkünfte (Lokalrassen). Soweit sie bekannt und erforscht sind, gelten nur die angepassten Herkünfte als standortgemäß und sind beim Anbau zu verwenden.

Dort, wo bereits natürliche Waldgesellschaften diese Bedingungen erfüllen, sollen die Waldgesellschaften vorrangig über Naturverjüngung erhalten werden. Viele nicht zielkonform bestockte Waldbestände sind in standortgemäße Wälder mit hohen Anteilen der Baumarten der natürlichen Waldgesellschaften zu überführen.

Der sich abzeichnende Klimawandel mit einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur, Veränderungen der Niederschläge und Witterungsextremen wird starken Einfluss auf den Wald haben. Sich ändernde klimatische Verhältnisse wirken im Zusammenspiel mit den standörtlichen Bodeneigenschaften unterschiedlich auf das Wachstum und die Stabilität der Wälder. Deshalb sind die Baumartenwahl bei der Bestandesbegründung sowie die weitere Behandlung der Bestände auf diese neuen klimatischen/standörtlichen Verhältnisse abzustimmen.

Niedersachsen hat viele natürliche Wuchsräume, deren Bedingungen für das Baumwachstum bereits heute stark voneinander abweichen. Der Klimawandel wird diese Unterschiede teilweise vergrößern, aber auch verringern. Um diesen Ausprägungen heute und auch künftig Rechnung zu tragen, ist das ökologische Waldbauprogramm Niedersachsens auf diese unterschiedlichen Räume zu beziehen. Die Abgrenzung der forstlichen Wuchsbezirke, die die regionale ökologische Haupteinheit darstellen und durch einheitliches Regionalklima gekennzeichnet sind, ist klimasensitiv fortzuschreiben. Innerhalb dieser Grenzen sind die vorliegenden Ergebnisse der forstlichen Standortkartierung insbesondere in Bezug auf den Wasserhaushalt zu dynamisieren. Die standortgemäße Baumartenwahl erfolgt somit auch in Zukunft sowohl unter Berücksichtigung der regionalen als auch der lokalen Gegebenheiten.

2. Grundsatz: Laubwald- und Mischwaldvermehrung

Der Waldbau soll die Vielfalt der standortgemäßen Baumarten nutzen, um strukturreiche Wälder zu entwickeln, die vielen Pflanzen und Tieren Lebensraum bieten. In Mischwäldern findet sich diese Artendiversität. Sie gelten im Allgemeinen als stabiler gegenüber drohenden Gefahren und können Schäden, wie sie natürlicherweise auch in Mischwäldern auftreten, besser ausheilen als Reinbestände. Insofern tragen sie dazu bei, Risiken zu begrenzen und zu verteilen, ein Vorteil, der im Zuge des Klimawandels zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Laubmischwälder gelten als besonders stabil. Dies ist der Hintergrund für die Forderung nach Schaffung und Pflege von mehr Laubmischwald.

Die Mischwaldvermehrung stellt einen langfristigen Prozess dar, der ohne ökologisch schädliche Radikaleingriffe aus den gegebenen Waldstrukturen heraus gesteuert werden muss. Dies erfordert Geduld und ein kontinuierliches, zielgerichtetes Handeln. Dabei ist gerade bei der Überführung von Nadelholzreinbeständen in Mischbestände ein angemessener Anteil an Nadelbaumarten zu verjüngen, um die Ertragslage der Landesforsten zu sichern, die Vermarktungsrisiken zu begrenzen und die Gesellschaft zu versorgen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Erhaltung der Lichtbaumarten zu legen, da der naturnahe Waldbau mit seinen Strukturen und Nutzungskonzepten schattentolerante Baumarten begünstigt.

Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass Reinbestände nicht immer unnatürlich sind.

Wälder in extrem rauen Berglagen- so die Fichtenwälder des Hochharzes - oder auf extremen Standorten (Dünen, Bruchmoore mit reinen Kiefern- oder Erlenwäldern) sind in Niedersachsen solche Besonderheiten natürlicher Reinbestandsformen.

Gesichert ist aber auch nach dem ökologischen Wissensstand über Waldentwicklungen auch, dass Mischbestandsphasen oft nicht unbegrenzt andauern. So hat in Niedersachsen zum Beispiel die Buche eine ausgeprägte Tendenz, andere Mischbaumarten zu verdrängen und Reinbestände zu bilden. Schutzgebietsauflagen wie Natura 2000 und NWE oder die Waldschutzgebietskategorie Naturwirtschaftswald begünstigen die Entwicklung von Buchenreinbeständen. Dies ist für die angestrebte Baumarten- und Mischwaldanteilen in den Landesforsten von Bedeutung.

Das Ausmaß, die räumliche und zeitliche Verteilung sowie die Geschwindigkeit des Klimawandels stellen die standörtliche Zuordnung der Baumarten vor eine große Herausforderung. Sie führen zu veränderten Produktionsgrundlagen, Risiken und Ertragsaussichten, denen bei der Baumartenwahl Rechnung getragen werden muss. Angesichts der Langfristigkeit der forstlichen Produktion und der Unsicherheiten der Klimaprojektionen verbietet sich jede Form von Aktionismus. Erforderlich ist hingegen ein vorausschauendes Handeln, das grobe Fehler vermeidet, indem es den jeweiligen Erkenntnisfortschritt der Klimafolgenforschung nutzt und eine Verjüngung beziehungsweise einen Anbau von Baumarten in ihrem standörtlichen Grenzbereich vermeidet.

3. Grundsatz: Ökologische Zuträglichkeit

Das heimische Baumartenspektrum war in der Vergangenheit Ausdruck der in einer jeweiligen Region herrschenden Anpassung an Klima und Bodenverhältnisse und gab damit auch die Sicherheit, dass entsprechend aufgebaute Wälder relativ stabil sind. Durch den sich bereits abzeichnenden Klimawandel und die diffusen Einträge aus der Luft ist diese bisherige Annahme nicht mehr zutreffend.

Niedersachsen hat - wie das gesamte Mitteleuropa - als Folge der Eiszeiten eine gravierende Artenverarmung erlebt, weil viele Arten in den Kaltzeiten ausgestorben sind. Eine behutsame Anreicherung kann deshalb aus forstlichen Gründen und in Anpassung an den Klimawandel notwendig sein. Mit dem Anbau früher nicht vorkommender Baumarten können aber bei unbedachtem und sorglosem Vorgehen auch Gefahren verbunden sein, die mit einer Minderung von Leistungsfähigkeit, Stabilität und Elastizität verbunden sind und gegebenenfalls andere Arten gefährden.

Aus forstökologischer Sicht müssen deshalb die Anforderungen an die Anbauwürdigkeit eingeführter Baumarten sehr streng formuliert werden. Grundvoraussetzung ist, dass eine Art nicht invasiv ist und an ihrem Anbauort für die dort natürlich vorkommenden Ökosysteme, Biotope oder Arten kein erhebliches Gefährdungspotenzial darstellt. Darüber hinaus sind folgende Anforderungen zu erfüllen:

  1. 1.

    Die Art muss standortgemäß sein, das heißt an Boden und Klima angepasst.

  2. 2.

    Die Art darf den Boden im Sinne geschlossener Stoffkreisläufe langfristig nicht verschlechtern. Das betrifft sowohl die Durchwurzelung des Mineralbodens als auch die Humusbildung und -umsetzung mit intakten Zersetzer- und Mineralisiererketten.

  3. 3.

    Die Art darf keine Krankheiten verbreiten oder zu sonstigen Labilisierungen beitragen.

  4. 4.

    Die Art selbst darf durch abiotische und biotische Risiken nicht über ein Normalmaß hinaus gefährdet sein.

  5. 5.

    Die Art muss mischbar sein, das heißt sich mit einheimischen Faunen- und Florenelementen ökologisch verbinden lassen.

  6. 6.

    Die Art muss sich selbst durch natürliche Verjüngung erneuern lassen.

  7. 7.

    Die Art soll die Eigenschaft haben, möglichst in optimalen, vertikal gestaffelten Waldstrukturen waldbaulich geführt zu werden.

Eine verantwortungsbewusste Beurteilung der Anbaufähigkeit gemäß den vorgenannten strengen Anforderungen kann nur durch sehr langfristige Versuche und Erfahrungen gestützt werden. Nur wenige eingeführte Baumarten sind bisher als ökologisch zuträglich und anbauwürdig einzustufen.

Die höhere Artenvielfalt in Mischbeständen dient in vielfacher Weise der Risikovorsorge. Die höhere Elastizität und Stabilität der artenreichen Mischwälder sichert eine bessere Anpassung an Klimaveränderungen. Die ökologisch zuträgliche Anreicherung der Mischbestände gewährleistet langfristig die Artenvielfalt und somit auch die Rohstoffversorgung und Erträge der holzverarbeitenden Betriebe. Durch die vielfältigere Baumartenpalette und innigere Mischung kann dem Risiko sich verändernder Holzmärkte flexibler begegnet werden.

Der Naturschutz ist integraler Bestandteil des ökologischen Waldbauprogramms. Die verantwortungsbewusste Beteiligung nicht heimischer Baumarten ist mit den Zielen der Risikovorsorge, Klimaanpassung, Rohholzversorgung, Ertragssicherung und des Naturschutzes abzuwägen. Hierbei sind die besonderen naturschutzfachlichen Verhältnisse am jeweiligen Standort sowie der räumlichen Umgebung zu berücksichtigen. Sollten von der Anreicherung des heimischen Baumartenspektrums beeinträchtigende Auswirkungen auf benachbarte naturschutzfachlich wertvolle Waldgesellschaften oder Offenlandlebensräume ausgehen, sind diese durch ausreichende Abstände oder sonstige waldbauliche Maßnahmen zu verhindern. Ziel ist der dauerhafte Erhalt der ökologisch wertvollen Lebensräume.

4. Grundsatz: Bevorzugung natürlicher Waldverjüngung

Für die Bevorzugung der natürlichen Waldverjüngung sprechen das höhere Anpassungspotenzial, die Vermeidung von Nährstoffverlusten, die Minderung der Spätfrost- und Mäusegefahr, die meist bessere Jungbestandsqualität, die Konkurrenzsteuerung mit Hilfe des Schirmes, der Lichtungszuwachs der Altbäume und die Möglichkeit der einzelstammweisen Nutzung nach Zielstärke. Darüber hinaus sind Naturverjüngungen wesentlich preiswerter als Pflanzungen oder Saaten. Ein solches Vorgehen setzt allerdings voraus, dass die Altbestände genetisch verjüngungswürdig und standortgemäß sind, und in ihrer Baumartenzusammensetzung dem Waldentwicklungsziel sowie den Anforderungen der prognostizierten Änderungen des Klimas entsprechen. Dort wo dies nicht der Fall ist, sind im Zuge des Waldumbaus Pflanzungen und Saaten mit herkunftsgesichertem Vermehrungsgut notwendig. Nach Möglichkeit sollte dies unter dem Schirm alter Bäume erfolgen. Diese Möglichkeit ist aber nicht immer gegeben, und zwar insbesondere dann nicht, wenn lichtbedürftige Baumarten den Folgebestand bilden sollen und den Schatten nicht vertragen. So wäre zum Beispiel die Umwandlung eines Fichten-Reinbestandes in Eichenmischwald unmöglich oder zumindest sehr schwierig, wenn dies unter dem Schirm der Altfichten geschehen sollte.

Die Wahl ungeeigneter Herkünfte einer an sich standortgemäßen Baumart ist ferner als genauso gefährlich anzusehen wie die Wahl einer nicht standortgemäßen Art. Deshalb darf nur hochwertiges herkunftsgesichertes Vermehrungsgut verwendet werden.

5. Grundsatz: Verbesserung des Waldgefüges

In Diskussionen um Aufbau und Entwicklung des Waldes werden oft der Plenterwald oder verwandte Waldaufbauformen als ideal und die kahlschlagfreie Wirtschaft als Wertmaßstab eines ökologisch "richtigen" Waldbaus gefordert.

Gesicherte ökologische Erkenntnisse weisen aus, dass eine solche verallgemeinernde Vorstellung weder den vielfältigen Möglichkeiten der Natur noch den Notwendigkeiten bei gegebenen waldbaulichen Ausgangssituationen gerecht wird und eine stärker differenzierende Sicht Platz greifen sollte.

In mitteleuropäischen Wäldern ist eine natürliche Tendenz zur Entschichtung eine mindestens weitverbreitete Erscheinung in jungen, sich schließenden und in älter werdenden Wäldern. Je konkurrenzschwächer, das heißt lichtbedürftiger eine Baumart ist, umso ausgeprägter ist diese Tendenz. Deshalb ist es kaum möglich, zum Beispiel Eichen, Kirschen oder Eschen längere Zeit in Plenter- oder Femelstruktur zu halten. Dem widerspricht nicht, dass das Anpassungsverhalten dieser Arten mitunter elastisch genug sein kann, solche Strukturen eine Weile zu tolerieren, vor allem in der Verjüngungsphase. Auf alle Fälle sind diese Phasen ohne ständige pflegende Eingriffe natürlicherweise nicht dauerhaft.

Ferner kommen auch in Naturwäldern gravierende Störungen bis hin zu katastrophalen Zusammenbrüchen vor. Daher ist auch eine Kahlfläche nicht per se "unökologisch". Bestimmte bedrohte Pflanzen- und Tierarten sind sogar an Freiflächen im Wald gebunden. Wohl aber ist es richtig, dass für das Gleichmaß von Nährstoff-Flüssen, für das Waldklima und für viele Lebewesen des Waldes eine Kahlfläche, gleichgültig ob natürlich oder künstlich entstanden, nachteilig sein kann.

Wie immer die Prozesse in ihrer umweltabhängigen und internen Dynamik ablaufen, so ist es für den ökologischen Umbau des Waldes nicht zweifelhaft, dass neben Mischungen auch gut gegliederte Waldgefüge ökologische und ökonomische Vorteile bieten. Sie sind durch Ungleichaltrigkeit und kleinräumigen Wechsel der Altersphasen sowie durch eine deutliche Durchmesser- und Höhendifferenzierung gekennzeichnet und schaffen ein gutes Waldinnenklima. Dies ist im klimatisch raueren und vor allem windbeeinflussten Norddeutschland von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Niedersachsen ist der Wald historisch bedingt und gemessen an den natürlichen Lebenszyklen der Baumarten verhältnismäßig jung. Der Landeswald soll insgesamt älter werden. Ein Viertel der Landeswaldfläche soll von Bestandesphasen mit einem Baumalter von mindesten 100 Jahren geprägt sein. Auf 10% der Fläche sollen Altholz-Bestandesphasen mit Baumaltern von 160 Jahren vorherrschen. Periodische Inventuren wie die BWI oder die betriebliche Forsteinrichtung werden die Entwicklung zu diesen Zielen dokumentieren.

Aus dem Gesagten ergibt sich für die Entwicklung der Waldgefüge,

  • dass günstige Waldgefüge, vor allem gute Vertikalstaffelungen, zwar wünschenswert, aber nicht auf allen Standorten leicht zu erreichen sind,

  • dass die Entwicklung strukturreicher, vertikal und horizontal gegliederter Bestände durch die Art des Waldbaus gesteuert werden kann (aber oft mehrere Waldgenerationen dauert),

  • dass nicht alle Baumarten sich gleichermaßen gut für Femel- oder gar Plenterstrukturen eignen und folglich auch der Waldbestand im Gleichschluss nicht "unökologisch" ist,

  • dass Kahlflächen der Natur zwar nicht fremd sind, dass es aber im Sinne einer gleichmäßigen Waldentwicklung und Nährstoffumsetzung in der Regel vorteilhafter ist, Kahlflächen - soweit es geht - zu vermeiden oder einzuschränken.

Aus der Vielzahl in der Natur vorkommender, sukzessional auftretender Waldstrukturen soll der Waldbau daher jene zu verwirklichen und zu erhalten trachten, die am risikoärmsten und vielfältigsten sind.

6. Grundsatz: Zielstärkennutzung

Eine einzelstamm- bis gruppenweise, zeitlich gestreckte und räumlich differenzierte Nutzung reifer und alter Bäume unter dem grundsätzlichen Verzicht auf Kahlflächen ist eine wesentliche Eingangsvoraussetzung für den Aufbau günstiger Waldstrukturen und die Ausnutzung von Naturverjüngungsmöglichkeiten. Auch ökonomisch ist dies im Allgemeinen vernünftig, denn der Holzertrag des Waldes soll nicht nur nach der Menge, sondern auch nach dem Wert verbessert werden. Dabei ist der Wert des Holzes häufig direkt korreliert mit starken Dimensionen, erfordert also hohe Baumalter. Wertminderungen infolge zu hohen Alters müssen jedoch vermieden werden. Die Zielstärke ist ökonomisch vorteilhaft, wenn die Hiebsreife des Einzelbaumes in Abhängigkeit von seiner Wuchsleistung, Qualität und Gefährdung bestimmt wird. Darüber hinaus ist die Zielstärke gegebenenfalls zur Lichtsteuerung für eine zielgerechte Verjüngung, zur Verbesserung der Stabilität und des Waldgefüges sowie aus naturschutzfachlichen Gesichtspunkten anzupassen.

Je vorsichtiger dem Wald Holz in kleinen Schritten entnommen wird, umso besser ist dies für gleichmäßige Energie- und Stoffumsätze und damit auch für das ganze Ökosystem. Zum Erhalt der Stoffkreisläufe und der Kohlenstoffbindung im aufstockenden Bestand werden deshalb alle flächenhaften Nutzungen kritisch geprüft und abgewogen.

Die Zielstärkennutzung ist heute zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Waldbewirtschaftung im Landeswald geworden. Die bisherigen Erfahrungen lehren, dass ihre Umsetzung umso leichter ist, je strukturreicher die Bestände sind. Von den Baumarten lassen sich aus unterschiedlichen Gründen Kiefer, Douglasie und Buche relativ unproblematisch nach Zielstärke nutzen und langfristig verjüngen. Für die Verjüngung von Eichenbeständen ist diese Nutzungsform hingegen oft nicht zielführend. Sie erhöht die Entwertungsgefahren und verringert weitgehend die Verjüngungschancen dieser Lichtbaumart bei gleichzeitigem Ankommen konkurrenzstarker schattentoleranter Baumarten. Bei der Fichte sind die Risiken und betrieblichen Konsequenzen der Zielstärkennutzung schwer einschätzbar. Es empfiehlt sich daher ein vorsichtiges, differenziertes Vorgehen in Abhängigkeit von Alter, Höhe, Struktur, Vitalität und Größe der Bestände sowie von den Standortfaktoren Exposition und Gründigkeit.

Die bisher vorsichtige Umsetzung der Zielstärkennutzung in den Landesforsten und die weitgehende Abkehr von flächigen Nutzungsformen haben in den letzten Jahrzehnten zu einem starken Vorratsaufbau besonders in den älteren und stärkeren Laubholzbeständen geführt.

7. Grundsatz: Erhaltung alter Bäume, Schutz seltener und bedrohter Pflanzen- und Tierarten

In den Wäldern der Niedersächsischen Landesforsten haben viele seltene oder bedrohte Pflanzen- und Tierarten einen sicheren Lebensraum. Die seit mehr als einem Vierteljahrhundert umgesetzte ökologische Bewirtschaftung des Waldes hat den Erhalt und die positive Entwicklung der Arten bewirkt. Alle an den Lebensraum des Waldes gebundenen Arten wie beispielsweise Hohltaube, Schwarzstorch, Mittelspecht oder Luchs konnten ihre Bestände sichern oder erhöhen. Andere Arten wurden wieder heimisch. Besonderen rechtlichen Schutz genießen die Arten der FFH- und Vogelschutzrichtlinie. Ein günstiger Erhaltungszustand soll gewährleistet werden.

In allen Wäldern sollen Habitatbäume ihrem natürlichen Zerfall überlassen werden, weil viele Lebewesen in und auf sehr alten, absterbenden oder toten Bäumen ihren Lebensraum finden. Habitatbäume mit Großhöhlen, Horsten oder sonstigen Fortpflanzungs- und Ruhestätten besonders geschützter Arten sind aufgrund ihrer Bedeutung für den Artenschutz sowie den besonders schützenswerten Kleinstlebensräumen, die durch besondere Baumformen und hohe Baumalter entstehen, für die Artenvielfalt wertvoll. Der besonderen Bedeutung der Aufzuchtzeiten für den Schutz vorkommender Populationen wildlebender Arten wird bei Planung und Durchführung forstwirtschaftlicher Maßnahmen während der Brut- und Setzzeit in besonderer Weise Rechnung getragen.

Zusammen mit der naturnah ausgerichteten Bewirtschaftung des Waldes, den Wäldern, die der natürlichen Waldentwicklung überlassen werden, und dem Waldschutzgebietskonzept soll in wirksamem Umfang ein Netz von Habitatbäumen langfristig erhalten werden.

Die Habitatbäume sollen soweit möglich in Gruppen und Flächen ausgewiesen, dauerhaft dokumentiert und der natürlichen Entwicklung bis zum Absterben und Zerfall überlassen werden. Die flächige Sicherung der Habitatbäume gewährleistet eine langfristige Entwicklung zu Altholzinseln und beugt einem frühzeitigen Absterben verursacht durch Randeffekte vor. Gleichzeitig wird die Gefahr, die von alten, absterbenden Bäumen ausgeht, für die im Wald arbeitende oder Erholung suchende Bevölkerung räumlich konzentriert.

Die Forderung nach Erhöhung des Alt- und Totholzanteils als Maßnahme für den Artenschutz ist auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bei steigender Rohholznachfrage vertretbar, weil ein bestimmter Anteil der alten und starken Bäume in den Waldbeständen ohnehin nur einen geringen Verkaufswert hat. Der Totholzanteil im Landeswald wird weiter steigen und soll langfristig, bezogen auf die Gesamtfläche der Landesforsten, einen durchschnittlichen Vorrat von ca. 40m3/ha erreichen. Die regelmäßigen Betriebs- und Bundeswaldinventuren ermitteln den Fortschritt der Totholzentwicklung.

Einige heimische Baumarten sind von Natur aus selten oder sie sind in der historischen Waldentwicklung selten geworden und zum Teil in ihrem Bestand bedroht. Da sie ganz erheblich zur Vielfalt der Waldökosysteme beitragen, müssen ihr Schutz, ihre neuerliche Vermehrung und ihr Anbau weiterhin gezielt gefördert werden. Dazu zählen insbesondere Elsbeere, Speierling, Feld-, Flatter- und Bergulme, Sommer- und Winterlinde, Wildkirsche, Wildapfel, Wildbirne und Eibe.

Dem Erhalt dieser Vielfalt dienen auch Generhaltungsbestände, die mit dem Ziel bewirtschaftet werden, die genetische Vielfalt von Baum- und Straucharten zu sichern.

Ferner ist auch anderen Tier- und Pflanzenarten, die als selten und oft als besonders gefährdet gelten, vermehrte Aufmerksamkeit zu widmen, weil der Wald oft ihr einziges Refugium ist.

8. Grundsatz: Aufbau eines Netzes von Waldschutzgebieten einschließlich von Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung

Nach den Eiszeiten haben sich in den sehr unterschiedlichen Wuchsräumen Niedersachsens verschiedene natürliche Waldgesellschaften herausgebildet, die heute noch vorhanden oder von der Forstwirtschaft wiederhergestellt worden sind. Im Landeswald unterliegt ein großer Teil dieser Flächen einem gesetzlichen Schutz oder ist in Eigenbindung geschützt.

Unbeschadet der Verwirklichung eines ökologisch ausgerichteten Waldbaus auf der Gesamtfläche der Landesforsten ergänzen die nach den Vorgaben des Waldschutzgebietskonzeptes ausgewiesenen Flächen die naturschutzrechtlich geschützten Gebiete. Sie tragen dazu bei, typische und seltene Waldgesellschaften zu erhalten und zu entwickeln. Auf über 10% der Landeswaldfläche werden die forstwirtschaftliche Nutzung und Pflege des Waldes dauerhaft eingestellt. In diesen Flächen, zu denen u. a. die Naturwälder, die Habitatbaumflächen mit Prozessschutz sowie die Wildnisgebiete "Östlicher Solling" und "Hohenstein" gehören, sind noch bis maximal einschließlich 2028 Entwicklungsmaßnahmen zur Steigerung des naturschutzfachlichen Wertes zulässig, sofern nicht andere rechtlich bindende Vorschriften entgegenstehen (z. B. Kernzonen des NP Harz und des Biosphärenreservats Elbtalaue). Danach sind forstwirtschaftliche Eingriffe und grundsätzlich auch naturschutzfachliche Maßnahmen unzulässig. Ihre Ausweisung sichert ebenso wie der Erhalt von Habitatbäumen und Totholz den Fortbestand der Lebensgemeinschaften, die an Wälder in den Alterungs- und Zerfallsphasen gebunden sind. Im Rahmen der Naturwaldforschung werden diese Wälder wissenschaftlich untersucht, um Erkenntnisse für den naturnahen Waldbau und den Ökosystemschutz zu gewinnen. Zu ihnen zählen im Landeswald die Naturwälder, die Kernzonen im Nationalpark Harz und im Biosphärenreservat Elbtalaue sowie die dem Prozessschutz überlassenen Habitatbaumflächen ab 0,3 Hektar.

Die nicht von Nutzungen ausgenommenen Flächen der Natura 2000-Gebietskulisse, die Mehrzahl der Naturschutzgebiete sowie die Waldschutzgebietskategorien Naturwirtschaftswälder, Lichte Wirtschaftswälder mit Habitatkontinuität, Kulturhistorische Wirtschaftswälder und Sonderbiotope benötigen zielgerichtete Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen. Die Waldschutzgebiete tragen wesentlich dazu bei, einen günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen in den FFH-Gebieten zu sichern oder zu entwickeln und den Anteil der hervorragend ausgeprägten Lebensraumtypen zu erhöhen.

Die Wälder mit natürlicher Waldentwicklung bilden zusammen mit den übrigen Schutzgebieten und Habitatbäumen im Wald einen Biotopverbund, der durch die ökologische Waldentwicklung in den gesamten Landesforsten geschlossen wird. Hierdurch leisten die Landeswälder einen vorbildlichen Beitrag zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt.

9. Grundsatz: Gewährleistung besonderer Waldfunktionen

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Waldfunktionen gleichzeitig und auf denselben Flächen umso besser erfüllt werden können, je mehr die Waldbewirtschaftung nach den vorhergehenden Grundsätzen ausgerichtet ist. Trotzdem können bestimmte Funktionen örtlich ein besonderes Schwergewicht erhalten.

Die im LÖWE-Programm beschriebenen besonderen Waldfunktionen sowie der Boden- und Biotopschutz fallen allesamt unter die Ökosystemleistungen der Wälder.

Wälder stellen sauberes Grundwasser bereit, verstetigen den Oberflächenabfluss, erhalten den ökologischen Wert von Fließgewässern, kappen Hochwasserspitzen und unterbinden Erosion. Die Bedeutung des Wasserschutzes kommt insbesondere in der Ausweisung von über 160.000 ha Wasserschutz-, Trinkwassergewinnungs- und Heilquellenschutzgebieten in den Landesforsten zum Ausdruck. Mehr als die Hälfte der niedersächsischen Trinkwassergewinnungsgebiete liegen im Landeswald und erfordern angepasste Bewirtschaftungskonzepte. Pflege und Entwicklung von Quellen und kleinen Fließgewässern dritter Ordnung, von Mooren, Brüchen, Sümpfen, Röhrichten und Nasswiesen zählen ebenfalls zum Wasserschutz.

Nachhaltige Waldbewirtschaftung und Holzverwendung sind wirksame Kohlenstoffsenken. Neben der Speicherung von Kohlenstoff in den Waldbäumen, im Waldboden und in den Holzprodukten trägt der Ersatz fossiler Brennstoffe sowie von emissions- und energieintensiv produzierten Materialien durch Holz erheblich zum Klimaschutz bei. Durch den Anbau produktiver, standortgemäßer Baumarten, die Beachtung von Klimaschutzeffekten bei der Ausweisung von Waldschutzgebieten, den Schutz der Böden sowie durch eine Erhöhung der stofflichen Nutzung und des Anteils langlebiger Holzprodukte lässt sich die Klimaschutzleistung weiter erhöhen. Hinzu kommen die bioklimatischen Funktionen von Wäldern. Sie gleichen Temperatur und Feuchtigkeitsextreme aus, schützen vor Kaltluftschäden und nachteiligen Windeinwirkungen und fördern den Luftaustausch.

Der Wald besitzt zudem eine besondere Bedeutung für den Bodenschutz, nämlich dort, wo Standorte oder andere Objekte der Gefahr von Wasser- und Winderosionen, Steinschlag und Rutschungen ausgesetzt sind.

Der Wald dient auch dem Immissionsschutz, indem er schädliche oder belästigende Immissionen von Staub, Aerosolen, Gasen und Strahlen durch Sedimentation, Ausfilterung oder Absorption der Schadpartikel mindert sowie bodennahe mit höheren Luftschichten durchmischt. Dadurch bewahrt er Wohn-, Arbeits- und Erholungsbereiche, land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen vor Nachteilen und verbessert die Luftqualität. Die Grenzen der Belastbarkeit der Wälder wurden in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts durch das "Waldsterben" aufgezeigt. Heute nähert man sich in einigen Regionen schon Nährstoffungleichgewichten durch die hohen Stickstoffeinträge. Vor diesem Hintergrund muss es das oberste Ziel sein, vitale, funktionsfähige Waldbestände zu erhalten bzw. zu entwickeln.

Lokal dient der Wald auch als Lärm- und Sichtschutz. Er kann die Lärmbelästigung auf weniger als die Hälfte verringern. Immergrüner Nadelwald sowie möglichst stufige, mehrschichtige Wälder bieten den besten Sicht und Lärmschutz.

Menschen brauchen den Wald, um sich zu erholen. Er dient vielen Millionen Besuchern als wichtiger Ausgleichs- und Ruheraum, aber auch als Ort des Erlebens. Seit Einführung des freien Betretensrechts im Wald hat sich das Spektrum der Erholungsnutzung weit aufgefächert. Sie reicht vom klassischen Spazierengehen bis hin zum Klettern, vom Reiten bis zum Geocaching.

Landeswälder, die in besonderem Maße der Erholung der Bevölkerung dienen, werden als Erholungswald ausgewiesen. Zur Lenkung des Erholungsverkehrs soll ein möglichst breites Angebot an Erholungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Besondere Anziehungspunkte und das Wegenetz werden dazu möglichst den Erholungsbedürfnissen angepasst. Im Vordergrund steht dabei die ruhige Erholung.

Sonderbiotope sollen als Lebensstätten seltener Lebensgemeinschaften, Pflanzen- oder Tierarten erhalten und entwickelt werden. Sie ergänzen die auf der gesamten Waldfläche zu treffenden Maßnahmen zum Schutz von Tier- und Pflanzenarten sowie von wertvollen Lebensgemeinschaften. Durch flächendeckende Waldbiotopkartierungen im Zuge der forstlichen Betriebsplanung werden diese Schutzfunktionen herausgearbeitet.

In geeigneten Gebieten soll der Naturraum auch aktiv ökologisch aufgewertet werden. Hierdurch können beispielsweise die Wassergüte, Grundwasserspende oder die Naturnähe und Artenvielfalt erhöht werden. Für besondere Dienstleistungen zugunsten der Natur und der Gesellschaft, die über die waldbaulichen Standards des vorliegende Regierungsprogrammes LÖWE+ hinausgehen, sollen die Möglichkeiten einer Finanzierung durch das Land und durch Dritte genutzt werden.

Im Rahmen einer gezielten innerbetrieblichen Abwägung und Steuerung sind die vielfältigen Funktionen des Waldes zu gewährleisten. Hierzu dienen auch die Planungen der räumlichen und fachlichen Ebenen (Landes- und Regionalplanung, Bauleitplanung, Landschaftsplanung und Biotopkartierung der Naturschutzverwaltung sowie die Forstliche Rahmenplanung (Landeswaldprogramm), Waldfunktionenkartierung und Waldbiotopkartierung des Forstbereichs).

10. Grundsatz: Waldrandgestaltung und Pflege

Waldränder schützen als Nahtstellen zwischen Wald und offener Landschaft das Innere des Waldes und die angrenzenden Lebensräume. Aufgrund ihrer offenen und lichten Strukturen entfalten Waldaußen- und Waldinnenränder ihre windbrechende Wirkung und bieten mit ihren frühen Sukzessionsstadien vielen Tiere und Pflanzen einen Rückzugsraum. Darüber hinaus haben Waldränder gleichfalls eine erhebliche Bedeutung für den Boden-, Klima-, Immissions- und Sichtschutz. Zudem tragen sie zur Verbesserung der Waldgefüge bei, erhöhen den Erholungswert und verbessern das Landschaftsbild.

Um die zahlreichen Funktionen der Waldränder optimal zu erfüllen, soll ihnen eine ausreichende Fläche gewährt werden, auf der sich heimische Kraut-, Strauch- und Baumarten in einem stufigen, ansteigenden Aufbau entwickeln können. Diese Strukturen sind im Zuge der Bewirtschaftung konsequent zu pflegen.

Da einzelne Arten auf die Habitatkontinuität alter Waldränder oder Sonderstrukturen wie Felsen, Steinansammlungen, alte Baumriesen, Totholz oder trockene offene Sandstellen usw. angewiesen sind, ist hierauf besondere Rücksicht zu nehmen. Diese sind nach den individuellen Ansprüchen zu pflegen.

Ältere Waldaußenränder sind nicht mehr sinnvoll in einen stufigen, abgeflachten Aufbau zu überführen. Ebenso sollen natürliche Waldränder entlang von Gewässern oder Mooren der natürlichen Entwicklung überlassen bleiben.

Durch ihre linienhafte, verbindende Form haben Waldränder eine große Bedeutung für den Biotopverbund.

11. Grundsatz: Ökologischer Waldschutz

Trotz konzentrierter Forschung auf allen Feldern des biotechnischen Waldschutzes stehen heute noch nicht für alle bekannten Waldgefährdungen biologische Maßnahmen zur Verfügung.

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass eine Gestaltung des Waldes nach den vorgenannten Grundsätzen potenzielle Gefährdungen des Waldes durch Sturm, Waldbrand, Schneebruch, Insekten und Pilze allgemein verringert.

Dennoch können Schäden mit existenzbedrohendem Charakter für einzelne Bestände oder ganze Wälder zukünftig nicht vollständig ausgeschlossen werden. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden klimatischen Veränderungen, die einerseits die Waldbestände einer zunehmenden Belastung durch Stürme oder Trockenheit aussetzt und andererseits die Entwicklung und Ausbreitung wärmeliebender, heimischer oder neuer, eingewanderter Schaderreger begünstigt, wird sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch zukünftig nicht gänzlich vermeiden lassen.

Anders als in anderen Zweigen der Primärproduktion wie der Landwirtschaft oder dem Obstbau, ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Forstwirtschaft kein fest geplanter und jährlich mehrmals wiederkehrender Bestandteil der Bewirtschaftungsverfahren, der in erster Linie dem Schutz des Produktes dient, sondern vielmehr eine nach sorgfältiger Prüfung aller Alternativen als letztes Mittel zulässige Methode vorrangig zum Schutz der Produktionsgrundlagen. Dabei ist eine sorgfältige Risikoabwägung für Mensch und Umwelt unabdingbar.

12. Grundsatz: Ökosystemverträgliche Wildbewirtschaftung

Die Regulation der Wildbestände hin zu einem ökosystemverträglichen Stand ist eine Grundvoraussetzung für einen naturnahen, vielfältigen und artenreichen Wald.

Nicht länger darf der Wildverbiss die Verjüngung ganzer Bestände verhindern oder die Vielfalt der Baum-, Strauch- und Krautschicht auf Dauer verringern. Gleiches gilt für Schälschäden, wenn sie in einem Ausmaß auftreten, dass die Stabilität des Waldes und der Wert des Holzes unverhältnismäßig gefährdet werden.

Zweifelsfrei besitzen waldbauliche Ziele eindeutig Vorrang vor jagdlichen Zielsetzungen.

Ökosystemverträglich ist eine Wilddichte dann, wenn sie ein Aufwachsen regionaltypischer Haupt- und Pionierbaumarten ohne Schutz vor Schäden durch Wild ermöglicht, so dass standortgemäße, gesunde, stabile, mischungsreiche und leistungsfähige Waldbestände erwachsen können und eine standorttypische Kraut- und Strauchvegetation möglich ist.

Die Jagdmethoden sollen unter Einbeziehung der wildökologischen Erkenntnisse konsequent weiterentwickelt werden, so dass ihre Umsetzung angepasste Wildpopulationen gewährleisten.

13. Grundsatz: Ökologisch verträglicher Einsatz der Forsttechnik

Ziel der ökologischen Waldentwicklung ist es, standortgemäße Bestände unter Ausnutzung der ökologischen Eigenschaften der Baumarten so zu steuern, dass möglichst wenig zusätzlicher technischer Aufwand erforderlich wird. Trotzdem bleibt die Forsttechnik ein unverzichtbares Mittel zur Nutzung, Gestaltung und Pflege sowie zur Erhöhung der Arbeitssicherheit im Wald.

Der große technische Fortschritt der letzten beiden Jahrzehnte hat das Spannungsverhältnis zwischen waldbaulichen Zielen und ökonomischen Zwängen bei der Pflege und Nutzung der Landeswälder weitgehend aufgelöst. Neue Erkenntnisse sind auch in Zukunft zeitnah in die Praxis einzuführen. Eine Erschließung mit Gassenabständen von mindestens 20 m, der Einsatz moderner Forsttechnik und ein hoher Mechanisierungsgrad sind heute wesentliche Voraussetzungen und geeignete Mittel, um die waldbaulichen Ziele wirtschaftlich erfolgreich zu erreichen.

Der Einsatz der Forsttechnik hat zunehmend stärker auf die ökologischen Belange und die gesundheitlichen Interessen der Bediensteten Rücksicht zu nehmen. Die Belange des Bodenschutzes sind dabei besonders zu beachten. Es sind Boden und Bestand schonende Arbeitsverfahren anzuwenden, die sich den vielfältigen Strukturen des Waldes weiter anpassen. Darüber hinaus ist durch einen differenzierten Einsatz der Forsttechnik der Arbeits- und Gesundheitsschutz zu gewährleisten.

C. Umsetzung des ökologischen Waldentwicklungsprogramms

Waldbau muss entsprechend der langen Lebensdauer des Waldes langfristig geplant werden. Er muss sich damit freimachen von kurzfristig wechselnden Zeitströmungen. Jeder ungeduldige Eingriff in vorhandene Waldgefüge zur Umsetzung bestimmter Vorhaben wird im ökologischen Sinne oft mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.

Hauptsächlich als Folge früherer Waldverwüstungen, der Übernutzungen im Zeitraum 1935 bis 1945, der großflächigen Reparationshiebe nach dem 2. Weltkrieg, des Orkans 1972 und der Waldbrände von 1975 sind unsere Wälder noch nicht überall so aufgebaut, dass sie den Anforderungen des "LÖWE"-Programms entsprechen.

Ökologisch ausgerichteter Waldbau war deshalb bisher in Niedersachsen durch zwei Phasen charakterisiert:

  • Herstellung der standortgemäßen Bestockung, wo sie noch nicht vorhanden ist;

  • naturangepasste Steuerung der Bestände dort, wo sie bereits eine optimale Besetzung der vorhandenen Standorte darstellen.

Heute besteht zudem die Herausforderung der Klimaanpassung.

Das ökologische Waldentwicklungsprogramm muss deshalb an die örtlichen und die künftigen Gegebenheiten angepasst werden. Hierfür trägt die NLF die Verantwortung im Rahmen ihrer betrieblichen Steuerung des Waldbaus.

Forstliche Rahmenpläne wie das Landeswaldprogramm, sollen die Waldentwicklung im Sinne dieses Programms zusätzlich fördern.

Einige Aussagen, insbesondere soweit sie die örtliche Heraushebung bestimmter Funktionen der Wälder (zum Beispiel Wasserschutz, Erholungswald, Klimaschutz, Sichtschutz, Lärmschutz, Bodenschutz) betreffen, können als fachlicher Beitrag in fachübergreifenden Programmen, wie u. a. dem Landes-Raumordnungsprogramm und den Regionalen Raumordnungsprogrammen Gewicht bekommen. Sie können somit an der allgemeinen Bindungswirkung solcher fachübergreifenden Programme teilhaben.

Das aktualisierte Programm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung in den Niedersächsischen Landesforsten ist somit eine Strategie, um die Konflikte zwischen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft im Landeswald aufzulösen und den nach ihr handelnden Personen Orientierung bei der Erfüllung ihres multifunktionalen Bewirtschaftungsauftrages zu geben. Es verbindet die betrieblichen Ziele und Methoden mit ökologischen Erfordernissen und ist so offen konzipiert, dass es auch künftig trotz gravierender Veränderungen der ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen weitgehend Bestand hat.

Der "LÖWE-Waldbau" im niedersächsischen Landeswald ist und bleibt eine umweltschonende und nachhaltige Landnutzungsform, die dem Anspruch an eine multifunktionale Forstwirtschaft in besonderer Weise gerecht wird.