Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.07.2005, Az.: 22 Ss 26/05

Ausländer; Ausweisersatz; Duldungsanspruch; Heimatstaat; Passerlangung; Passerteilung; sachfremde Forderung; Strafbarkeit; unerlaubter Aufenthalt; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.07.2005
Aktenzeichen
22 Ss 26/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50937
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts ... vom 20. Januar 2005 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe

1

I. Unter dem 5. Juli 2004 hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten angeklagt, sich entgegen § 4 Abs. 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 AuslG vom 8. Oktober 2003 bis Juli 2004 ohne Pass und Ausweisersatz im Bundesgebiet, nämlich in ... und ..., aufgehalten zu haben, in dem er seiner Ausreisepflicht nicht nachkam und sich entgegen seiner ausländergesetzlichen Verpflichtungen weigerte, seinen Wehrdienst in der ... abzuleisten, um die ... Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen. Mit Urteil vom 7. September 2004 befand das Amtsgericht ... den Angeklagten im Sinne der Anklage schuldig und verhängte gegen ihn eine siebenmonatige Freiheitsstrafe. Die hiergegen gerichtete Berufung verwarf das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts reiste der Angeklagte erstmalig 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde jedoch ebenso wie ein späterer Asylfolgeantrag rechtskräftig abgelehnt. Das Asylverfahren war am 17. November 1998 rechtskräftig abgeschlossen. Der Angeklagte wurde mit unanfechtbarer Verfügung ausgewiesen und am 16. August 1999 in die ... abgeschoben.

3

Gleichwohl reiste er Ende 2000 illegal wieder in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Rahmen einer Personenkontrolle wurde er am 26. Juli 2001 verhaftet. Eine Abschiebung konnte indes nicht erfolgen, weil dem Angeklagten infolge seiner Weigerung, den Wehrdienst in der ... abzuleisten, die ... Staatsbürgerschaft aberkannt worden war. In der Folge forderte ihn das Ausländeramt mehrfach auf, sich um seine Wiedereinbürgerung in der ... zu bemühen.

4

Am 8. Oktober 2003 wurde der Angeklagte beim ... Konsulat in ... vorstellig, wo ihm mitgeteilt wurde, dass er die ... Staatsangehörigkeit wieder erlangen könne, wenn er sich zur Ableistung seines Wehrdienstes bereit erkläre.

5

Das wollte der Angeklagte jedoch nicht, was er auch dem Ausländeramt mitteilte. Er kündigte aber an, in ein anderes Land auszureisen, was er jedoch nicht tat.

6

In der Folge forderte das Ausländeramt den Angeklagten unter Fristsetzung immer wieder auf, Nachweise über seine Anstrengungen, die ... Staatsangehörigkeit zurückzuerlangen, vorzulegen. Dem kam der Angeklagte nicht nach. Am 16. März 2004 teilte der Angeklagte der Ausländerbehörde vielmehr mit, dass er sich bislang nicht um die Aufnahme in einem anderen Land gekümmert habe.

7

Während dieses Procedere waren dem Angeklagten vom Ausländeramt immer wieder Duldungen erteilt worden, in welchen allerdings der Klammerzusatz „Ausweisersatz“ gestrichen war. Zudem war er ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Duldung kein Ausweisersatz sei, er sich vielmehr um einen ... Pass bemühen müsse.

8

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er macht geltend, eine Strafbarkeit gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG sei schon wegen der erteilten Duldungen nicht gegeben. Im Übrigen sei für ihn ein ... Pass jedenfalls nicht in zumutbarer Weise zu erlangen gewesen, weil die Ableistung von Wehrdienst keine zumutbare Anforderung mehr darstelle. Deshalb habe er jedenfalls einen Anspruch auf die Erteilung einer qualifizierten Duldung als Ausweisersatz gehabt, was ebenfalls einer Bestrafung entgegenstehe.

9

II. Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochten Urteils und Freisprechung des Angeklagten aus rechtlichen Gründen.

10

1. Die vom Landgericht getroffen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Vergehens gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht.

11

Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer sich entgegen § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 39 Abs. 1 AuslG ohne Pass und ohne Ausweisersatz im Bundesgebiet aufhält.

12

Zwar unterliegt der Angeklagte der Ausweispflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG, weil ein Ausnahmefall nach § 4 Abs. 2 AuslG offensichtlich nicht gegeben ist. Das begründet die Strafbarkeit jedoch noch nicht.

13

§ 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG setzt vielmehr weiter voraus, dass sich der passlose Ausländer auch nicht mit einem Ausweisersatz ausweisen kann (§ 39 Abs. 1 AuslG) und auch keinen Anspruch auf die Erteilung eines Ausweisersatzes hat. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist nach den Feststellungen des Landgerichts nicht erfüllt.

14

Es kann dahinstehen, ob die dem Angeklagten erteilten Duldungen nicht trotz der Streichung des Klammerzusatzes „Ausweisersatz“ qualifizierte Duldungen im Sinne des § 39 Abs. 1 AuslG darstellen und damit Ausweisersatz sind, weil es an einer rechtlichen Grundlage für die Streichung des Klammerzusatzes fehlen könnte (vgl. zur ähnl. Problematik bei den sog. „Blattduldungen“: LG Freiburg StV 2005, 28 f.). Jedenfalls hat der Angeklagte einen Anspruch auf Erteilung einer qualifizierten Duldung gemäß § 39 Abs. 1 AuslG. Denn der Angeklagte kann einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen. Das hat das Landgericht bei seiner rechtlichen Würdigung verkannt.

15

Ein Ausländer kann einen Pass dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn ihm von seinen Heimatbehörden ein Pass verweigert wird oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten kann (BayObLG NStZ-RR 2005, 21 ff. [BayObLG 23.09.2004 - 4 St RR 113/04]). Dabei dürfen die Anforderungen zur Erlangung eines Passes nicht zu hoch angesetzt werden, denn das Zumutbarkeitskriterium soll lediglich der Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit des Ausländers Einhalt gebieten. Unter Beachtung dieses Maßstabs konnte der Angeklagte im Anklagezeitraum in zumutbarer Weise einen ... Pass nicht erlangen.

16

Es erscheint schon zweifelhaft, ob überhaupt grundsätzlich von einem aus der Staatsbürgerschaft seines Heimatlandes entlassenen Ausländer verlangt werden kann, sich um die Wiedererlangung dieser Staatsbürgerschaft zu bemühen. Über die ausweisrechtlichen Pflichten, wie sie in § 40 AuslG, § 25 DVOAuslG niedergelegt sind, gehen solche Anstrengungen jedenfalls weit hinaus. Dem Verlangen des Heimatlandes, Wehrdienst abzuleisten, muss der Ausländer jedoch unter ausländerrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls nicht nachkommen. Denn die Mitwirkungspflichten des Ausländers bei der Beschaffung von Ausweispapieren sind ersichtlich nach dem Ausländerrecht auf eher formale Mitwirkungsakte (Beschaffung von Urkunden, Angabe von Personendaten, Abgabe von Anträgen u.ähnl.) beschränkt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Passerteilung stehen. Das Ausländer(straf)recht dient indes nicht dazu, die Durchsetzung anderer hoheitlicher Interessen fremder Staaten zu ermöglichen. Macht der Heimatstaat die Passerteilung von solchen sachfremden Gesichtspunkten abhängig, ist dem Ausländer die Erlangung eines Passes nicht zumutbar. Er hat deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 39 Abs. 1 AuslG mit der Folge, dass die Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG entfällt. Das hat das Landgericht vorliegend verkannt.

17

2. Da die Aufhebung des angefochtenen Urteils nach Vorstehendem allein wegen einer Verletzung des Gesetzes bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt ist und weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, hatte der Senat in der Sache gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst zu entscheiden. Aus den dargelegten Gründen war der Angeklagte freizusprechen.

18

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.