Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 25.05.2016, Az.: 5 Qs 171/16

Vertretung von mehreren Betroffenen als Verstoß eines Verteidigers gegen das Doppelverteidigungsverbot

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
25.05.2016
Aktenzeichen
5 Qs 171/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 18065
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2016:0525.5QS171.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Cloppenburg - 21.03.2016 - AZ: 25 OWi 115/15

In der Bußgeldsache
gegen
XXX
XXX
XXX
Verteidiger:
Rechtsanwalt XXX
XXX
wegen Ordnungswidrigkeit
hat die 5. große Strafkammer des Landgerichts in Oldenburg am 25.05.2016 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde vom 15.04.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts Cloppenburg vom 21.03.2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen an das Amtsgericht Cloppenburg zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Der Verteidiger hat unterschiedliche Betroffene in den nachstehend genannten behördlichen und gerichtlichen Bußgeldverfahren vertreten:

Dem Betroffenen Anthony B wurde im Verfahren 01.1509.400016.7 durch Bußgeldbescheid des Landkreises Cloppenburg vom 15.05.2014 zur Last gelegt, als Verantwortlicher des Absenders von Gefahrgut (zwei leere ungereinigte Tankcontainer) nicht dafür gesorgt zu haben, dass ein Beförderungspapier mitgegeben wurde, das die gesetzlich geforderten Angaben und Hinweise enthielt.

Durch Bußgeldbescheid des Landkreises Cloppenburg vom 15.05.2014 (Az. 01.1509.400019.1) wurde dem Betroffenen Andreas A zur Last gelegt, als Fahrzeugführer eines Fahrzeuges mit Gefahrgut (zwei leere ungereinigte Tankcontainer) die Großzettel (Placards) nicht angebracht zu haben.

Schließlich hat der Landkreis Cloppenburg durch Bußgeldbescheid vom 15.05.2014 (Az. 01.1509.400017.5) dem Betroffenen Anthony B vorgeworfen, als Verantwortlicher des Beförderers von Gefahrgut (2 leere und gereinigte Tankcontainer) im Straßenverkehr nicht dafür gesorgt zu haben, das das nach den gesetzlichen Vorschriften erforderliche Beförderungspapier übergeben wurde.

Alle Vorwürfe bezogen sich auf eine Fahrt des Betroffenen A vom 18.09.2013 in Saterland-Sedelsberg auf der Bundesstraße 401.

Das Amtsgericht Cloppenburg hat die Verfahren durch Beschlüsse vom 07.12.2015 allesamt gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt und die Kosten der Verfahren sowie die notwendigen Auslagen der jeweiligen Betroffenen der Staatskasse auferlegt.

Das Amtsgericht hat die Kostenfestsetzungsanträge der Betroffenen jeweils durch Beschluss vom 21.03.2016 zurückgewiesen, da der Verteidiger nach Auffassung des Amtsgerichts gegen das Verbot der Doppelverteidigung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 146 StPO verstoßen habe. Hiergegen richten sich die sofortigen Beschwerden, die hier in den Verfahren 5 Qs 171/16, 5 Qs 172/16 und 5 Qs 173/16 geführt werden.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Zu Unrecht ist das Amtsgericht von einem Verstoß des Verteidigers gegen das Doppelverteidigungsverbot nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m § 146 StPO ausgegangen. Danach darf der Verteidiger nicht gleichzeitig mehrere Betroffene vertreten, denen dieselbe Tat zur Last gelegt wird. Dies ist hier jedoch auch nicht geschehen, da den jeweils Betroffenen unterschiedliche Taten zur Last gelegt wurden.

Der Tatbegriff des § 146 Satz 1 StPO bezieht sich auf die verfahrensrechtliche Tat i.S.v. § 264 StPO (Laufhütte, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl., § 146 Rn. 7). Danach bezeichnet die Tat das geschichtliche Vorkommnis, das nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet (Kuckein, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O., § 264 Rn. 3 m.w.N.). Die Vorwürfe gegen die Betroffenen B und A. betreffen zwar die gleiche Fahrt, knüpfen aber an unterschiedlichen Verhaltensweisen an: Der Betroffene B soll gegen § 10 Abs. 1 Nr. 1 GGBefG i.V.m. § 37 Abs. 1 Nr. 4 h) GGVSEB i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 8 GGVSEB bzw. gegen § 10 Abs. 1 Nr. 1 GGBefG i.V.m. § 37 Abs. 1 Nr. 6 e) GGVSEB i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 5 a) GGVSEB verstoßen haben, indem er als Verantwortlicher des Absenders von Gefahrgut (Bußgeldbescheid 01.1509.400016.7) bzw. als Verantwortlicher des Beförderers von Gefahrgut (Bußgeldbescheid 01.1509.400017.5) nicht dafür gesorgt habe, dass dem Fahrzeugführer vor Fahrtantritt bestimmte Beförderungspapiere mit den gesetzlich geforderten Angaben übergeben worden sind. Diese Vorwürfe sind bereits in zeitlicher Hinsicht in den Bußgeldbescheiden falsch bezeichnet worden, da sie jeweils naturgemäß auf einen Zeitpunkt vor der Fahrzeugkontrolle am 18.09.2013 um 13:15 Uhr abzielen. Sie bilden auch keinen einheitlichen Lebensvorgang mit dem Vorwurf, der dem Betroffenen A gemacht wird. Dieser soll als Fahrer versäumt haben, die nach § 28 Nr. 6 GGVSEB geforderten Großzettel (Placards) am Fahrzeug anzubringen. Die an die beiden Betroffenen gerichteten Vorwürfe liegen damit weder in zeitlicher Hinsicht beieinander noch betreffen sie inhaltlich den gleichen Vorwurf. Vielmehr sind lediglich im Rahmen einer Kontrolle mehrere (vermeintliche) Versäumnisse - begangen durch unterschiedliche Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten - offenbar geworden. Dies allein reicht zur Verklammerung zu einem einheitlichen Lebenssachverhalt allerdings nicht aus.

Da die den Betroffenen B und A angelasteten Vorwürfe somit nicht dieselbe Tat im Sinne von § 146 Satz 1 StPO betreffen, ist es belanglos, ob hier die Möglichkeit einer Interessenkollision durch die Tätigkeit desselben Verteidigers bestanden hat. Denn ebenso wenig wie im Falle einer prozessualen Tat der Nachweis geführt werden kann, dass keine Interessenkollision besteht, ist umgekehrt der Nachweis möglich, dass trotz Fehlens einer prozessualen Tat eine Konfliktlage gegeben ist (LG Waldshut-Tiengen NStZ 2002, 156 [LG Waldshut-Tiengen 29.11.2001 - 4 Qs 104/01] m.w.N.). Die von der Bezirksrevision zitierte Gegenansicht, wonach Tatidentität auch in Fällen bestehe, in denen verschiedenen Taten mehrerer Betroffener in einem so engen Sachzusammenhang stehen, dass ein Interessenkonflikt naheliegt (Kurz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl., § 60 Rn. 82; Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten 18. Auflage, Loseblattkommentar, Stand 2013, § 60 Rn. 35b), ist nicht überzeugend. Eine solche Auslegung verstößt ersichtlich gegen den Wortlaut des § 146 StPO, der nun einmal dieselbe Tat (und nicht: verschiedene Taten, die in einem Sachzusammenhang stehen) verlangt. Für ihre vom Wortlaut abweichende Ansicht liefern die genannten Kommentarstellen auch keinerlei Gründe, sondern erschöpfen sich in Verweisen auf die jeweils andere Kommentarstelle und - unzulässigerweise - auf Meyer-Goßner (StPO, 56. Aufl., § 146 Rn. 14), wo aber das Gegenteil dessen steht, was belegt werden sollte. Ebenso wie die wohl herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Kommentarliteratur (LG Berlin, Beschluss vom 01.11.2001, Az. 519 Qs 276/01, zitiert nah ; LG Waldshut-Tiengen a.a.O.; LG Hamburg, Beschluss vom 01.03.1990, Az. 603 Qs 189/19, zitiert nach ; LG Verden, Beschluss vom 19.11.1990, Az. 2 Qs 115/19, zitiert nach ; Meyer-Goßner a.a.O.; Laufhütte, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O., § 146 Rn. 7) folgt die Kammer daher der Auffassung, dass allein die Identität der prozessualen Tat das Verbot der Doppelverteidigung nach § 146 Satz 1 StPO auslöst.

Da das Amtsgericht die Reichweite des § 146 Satz 1 StPO verkannt und sich dementsprechend überhaupt nicht mit der Höhe der jeweils geltend gemachten Gebühren auseinandergesetzt und die Bezirksrevision hierzu auch nicht Stellung genommen hat, sieht sich die Kammer an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Die Sache war daher zur erneuten Entscheidung über die Höhe der notwendigen Auslagen an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.