Amtsgericht Verden
Urt. v. 09.07.2003, Az.: 2 C 913/02 (I)
Schadensersatzansprüche auf Grund eines Verkehrsunfalls; Begriff des "unabwendbaren Ereignisses"
Bibliographie
- Gericht
- AG Verden
- Datum
- 09.07.2003
- Aktenzeichen
- 2 C 913/02 (I)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 31866
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGVERDN:2003:0709.2C913.02I.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 7 Abs. 2 StVG
- § 17 Abs. 1 S. 2 StVG
- § 9 Abs. 3 StVO
- § 3 StVO
- § 823 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- MtblAGVR 2003, 176-178 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Verden
auf die mündliche Verhandlung vom 18.06.2003
durch
den Richter am Amtsgericht Krüger
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.098,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu %, und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 3A.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des für die Beklagten aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den Kläger aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 29.07.2002 gegen die Beklagten geltend.
Der Kläger war Fahrer, Halter und Eigentümer des Pkws Mercedes Benz mit dem amtlichen Kennzeichen VER-JS 128. Der Beklagte zu 1) war Fahrer, Halter und Eigentümer des Motorrades mit dem amtlichen Kennzeichen VER - OT 9, das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.
Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Mercedes Benz am 29.07.2002 gegen 20.35 Uhr die Hauptstraße (L 171) in Kirchlinteln aus Richtung Verden kommend in Richtung Visselhövede. Der Beklagte zu 1) befuhr mit seinem Motorrad Typ Honda die Hauptstraße (L171) in Kirchlinteln aus Richtung Visselhövede kommend in Richtung Verden. An der Ampelkreuzung Hauptstraße (L 171) / Schulstraße - Weitzmühler Straße beabsichtigte der Kläger links in die Schulstraße abzubiegen. Der Beklagte zu 1) befand sich hinter einem Kraftfahrzeug Typ Mitsubishi L-300 Bus, dessen Fahrer den Fahrtrichtungsanzeiger nach links gesetzt hatte. Der Fahrer beabsichtigte aus Sicht des Klägers rechts in die Weitzmühler Straße abzubiegen. Als die Lichtanzeige der Ampelanlage auf Grün schaltete, fuhren die genannten Kraftfahrzeuge an, wobei der Beklagte zu 1) beabsichtigte die Hauptstraße in Kirchlinteln Richtung Verden geradeaus weiterzufahren. Der Beklagte zu 1) und der sich im links in die Schulstraße Abbiegen befindliche Kläger kollidierten. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.09.2002 machte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 2) folgenden ihm aus dem Verkehrsunfall entstanden Schaden, Wertbeschaffungswert nach Abzuges des Restwertes gemäß Gutachten in Höhe von EUR 1.900,00, Sachverständigenkosten in Höhe von EUR 197,90, Ab- und Anmeldekostenpauschale in Höhe von EUR 75,00 und Auslagenkostenpauschale in Höhe von EUR 25,00 geltend. Zugleich wurde die Beklagte zu 2) aufgefordert, die Summe in Höhe von EUR 2.197,90 bis zum 09.10.2002 zu zahlen. Eine Zahlung der Beklagten zu 2) erfolgte bislang nicht.
Der Kläger behauptet, er habe seinen Fahrrichtungsanzeiger nach links gesetzt, er habe sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet und er habe verkehrsbedingt auf der Hauptstraße angehalten. So dann habe er sich langsam vorgetastet. Der Beklagte zu 1) habe den Mitsubishi Bus rechts überholt und sei mit überhöhter Geschwindigkeit geradeaus Richtung Verden weitergefahren, woraufhin es zu der Kollision gekommen sei.
Ferner behauptet der Kläger, der Beklagte zu 1) sei hinter dem Mitsubishi Bus nicht zu erkennen gewesen. Ein Vorbeifahren des Beklagten zu 1) an dem Mitsubishi Bus sei auf Grund der Fahrbahnbreite nicht möglich gewesen,
so dass der Beklagte zu 1) beim Überholvorgang die gestrichelte Line, die die Hauptstraße von der Schulstraße trennt, überfahren habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 1.472,59 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.10.2002 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Kläger sei in einem Zug nach links in die Schulstraße abgebogen. Ferner sei der Beklagte zu 1), als er an dem Mitsubishi Bus vorbeigefahren ist, nicht durch diesen verdeckt gewesen, da der Fahrzeugführer des Busses bereits die Fahrbahn geräumt gehabt habe, um nach links in die Weitzmühler Straße abzubiegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat die Bußgeldakte der Staatsanwaltschaft Verden AZ. 32 1.02211375 dem Verfahren beigezogen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 30.04.2003. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 30.04.2003 und 18.06.2003 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F. i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG nur in Höhe von EUR 1.098,95 gegenüber den Beklagten zu.
Bei dem Betrieb des Motorrades Typ Honda, mit dem amtlichen Kennzeichen VER-OT 9, ist der Pkw Daimler Benz des Klägers, mit dem amtlichen Kennzeichen VER-JS 128, beschädigt worden.
Zwischen der Kollision der beiden Kraftfahrzeuge und dem Betrieb des Motorrades besteht ein äquivalenter Kausalzusammenhang. Die Inbetriebnahme des Motorrades kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Beschädigung des Pkws des Klägers entfiele. Die Betriebsgefahr des Kraftrades hat sich durch die Bewegung im öffentlichen Verkehrsbereich realisiert.
Der Beklagte zu 1) ist Halter des Motorrades und zum Zeitpunkt des Unfalls am 29.07.2002 auch Fahrzeugführer gewesen.
Die Haftung der Beklagten ist nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG a.F. ausgeschlossen. Die Verursachung des Unfalls ist nicht auf ein unabwendbares Ereignis zurückzuführen. Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte.
Der Beklagte zu 1) hat diese äußerst mögliche Sorgfalt nicht angewandt. Auch wenn er Vorfahrtsberechtigter gem. § 9 Abs. 3 StVO in der konkreten Situation gewesen ist, hat er auf eine von links drohende Vorfahrtsverletzung zu achten gehabt, so dass er die Kollision der beiden Kraftfahrzeuge hätte abwenden können. Zudem ist er verpflichtet gewesen gemäß § 3 StVO, auf Sicht zu fahren. Dies wäre dem Idealfahrer in der streitgegenständlichen Situation möglich gewesen. Dies steht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme vom 30.04.2003 fest. Der Zeuge Friedhelm Dehnbostel, Fahrzeugführer des vor dem Beklagten zu 1) damals befindlichen Mitsubishi Busses, hat glaubhaft ausgesagt, für ihn wäre es erkennbar gewesen, dass der Kläger nach links in die Schulstraße abbiegen wollte. Nach Aussage des Zeugen Dehnbostel hatte er sich schon zu diesem Zeitpunkt etwas links hin zur Fahrbahnmitte eingeordnet. Dies lässt den Schluss zu, dass der Beklagte 1) in der Lage gewesen ist, den entgegenkommenden Verkehr visuell wahrzunehmen. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre gerade dann der Idealfahrer auf Grund der versperrten Sicht mit äußerst erhöhter Aufmerksamkeit auf die Kreuzung gefahren.
Ferner hat der Zeuge Dehnbostel ausgesagt, der Kläger sei ohne Anzuhalten nach links abgebogen. Auch dies vermag nicht, ein unabwendbares Ereignis zu begründen. Wäre der Beklagte zu 1) auf Sicht gefahren, hätte er die Absicht des Klägers nach links abzubiegen erkennen können.
Zu der Frage, ob der Kläger durch Setzten des linken Blinkers diese Absicht angezeigt habe, konnte der Zeuge Dehnbostel keine sicheren Angaben machen. An der Richtigkeit seiner Aussage besteht dennoch kein Zweifel. Es ist kein eigenes Interesse des Zeugen Dehnbostel an dem Ausgang des Rechtsstreits zu erkennen.
Gemäß § 15 StVG a.F. hat der Kläger fristgerecht binnen zwei Monate den Unfall den Beklagten angezeigt. Der Unfall ereignete sich am 29.07.2002. Mit anwaltlichen Schreiben vom 25.09.2002 hat der Kläger den Unfall der Beklagten zu 2) angezeigt.
Die Beklagten haben den aus dem Unfall resultierenden Schaden dem Kläger gem. § 7 Abs. 1 StVG a.F. i.V.m. §§ 249 ff. BGB zu ersetzen. Die Beklagten haben dieselbe Vermögenslage wieder herzustellen, in welcher sich der Kläger vor dem Unfallereignis befand.
Der Unfall hat einen Totalschaden am Pkw des Klägers verursacht. Die Beklagten haben den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes in Höhe von EUR 1.900,00, die Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens in Höhe von EUR 197,90 sowie die geltend gemachte An- und Ab-
meldepauschale in Höhe von EUR 75,00 und die Unfallnebenkostenpauschale in Höhe von EUR 25,00 zu ersetzen. Die An- und Abmeldepauschale in Höhe von EUR 75,00 steht dem Kläger selbst dann zu, wenn sich der Kläger überhaupt kein anderes Kraftfahrzeug kauft. Nach der örtlichen ständigen Rechtssprechung ist die Höhe der Unfallnebenkostenpauschale von EUR 25,00 angemessen.
Den Kläger trifft jedoch eine Mithaftung gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F.
Auch der Kläger hat seinen Pkw Mercedes Benz, mit dem amtlichen Kennzeichen VER-JS 128, in Betrieb gehabt. Während des Betriebes des Pkws ist das Kraftrad des Beklagten zu 1) beschädigt und der Beklagte zu 1) selbst verletzt worden. Der Betrieb des Pkws kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Beschädigung des Kraftrades und die Verletzung des Beklagten zu 1) entfiele. Die Betriebsgefahr des Pkws hat sich durch die Bewegung im öffentlichen Verkehrsbereich realisiert.
Zum Zeitpunkt der Kollision ist der Kläger Halter und Fahrzeugführer des Pkws, mit dem amtlichen Kennzeichen VER-JS 128 gewesen.
Ein die Haftung des Klägers ausschließendes unabwendbares Ereignis gemäß § 7 Abs. 2 StVG a.F. ist nicht zu bejahen. Bei Anwendung der äußerst möglichen Sorgfalt hätte der Kläger den Verkehrsunfall vermeiden können.
Dem Kläger hat als Linksabbieger in der streitgegenständlichen Situation die Pflicht oblegen, wegen der auf Grund des vor ihm versetzt stehenden Mitsubishi Busses des Zeugen Dehnbostel versperrten Sicht, gemäß § 9 Abs. 3 StVO zu warten.
Die behauptete erhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) könnte zwar ein unabwendbares Ereignis begründen, jedoch ist hierfür kein Beweis erbracht worden. Der Zeuge Friedhelm Dehnbostel sowie der Zeuge Arne Jacobs, damaliger Fahrzeugführer des Kraftfahrzeuges, das sich hinter dem Beklagten zu 1) befunden hatte, haben glaubhaft ausgesagt, der Beklagte zu 1) sei nach ihrem Empfinden weder mit einer hohen Beschleunigung angefahren noch mit erhöhter Geschwindigkeit über die Kreuzung gefahren.
Auch für die Behauptung des Klägers, der Beklagte zu 1) sei beim Überholen des Kraftfahrzeuges des Zeugen Dehnbostel über die rechte Fahrbahnbegrenzung gefahren, ist der Beweis nicht erbracht worden.
Der Zeuge Dehnbostel und der Zeuge Jacobs konnten zur Frage des Überfahrens der Fahrbahnbegrenzung durch den Beklagten zu 1) keine genauen Angaben machen.
Der Zeuge Uwe Haroth, herbeigerufener Polizeikommissar, der den Unfall aufgenommen hatte, hat glaubhaft ausgesagt, die Fahrbahn sei in dem Bereich breit genug, so dass, wenn der Zeuge Dehnbostel sich bereits zum Linksabbiegen zur Mittellinie eingeordnet hatte, der Beklagte zu 1) an diesem hätte rechts vorbeifahren können.
Auch die auf den Fotos erkennbaren Kratzspuren der Fußrasten, die sich rechts der Fahrbahnbegrenzung befinden, liefern keinen Beweis. Es konnte nicht aufgeklärt werden, ob sie von einem sog. Kavalierstart des Beklagten zu 1) herrühren oder aus einem Ausweichmanöver.
Ferner wurde ein verkehrswidriges Rechtsüberholen gemäß § 5 StVO des Beklagten zu 1) nicht bewiesen.
Zu der Frage, ob sich der Zeuge Dehnbostel zum Zeitpunkt, als der Beklagte zu 1) ihn rechts überholt hatte, bereits richtig links eingeordnet hatte, konnte der Zeuge Dehnbostel nur angeben, dass er sich bereits etwas links eingeordnet gehabt hätte. Exaktere Angaben waren dem Zeugen Dehnbostel nicht möglich.
Die Aussagen der Zeuginnen Renate und Svenja Dehnbostel waren insgesamt unergiebig.
Die Parteien haften jeweils mit 50 % gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F..
Die sich realisierte Betriebsgefahr beider Kraftfahrzeuge ist vorliegend gleichwertig. Beide Kraftfahrzeugführer haben im gleichen Maße mangelnde Sorgfalt im Straßenverkehr walten lassen. Der Kläger hätte seiner Wartepflicht gemäß § 9 Abs. 3 StVO gerade bei eingeschränkter Sicht nachkommen müssen. Der Beklagte zu 1) ist, seiner Pflicht auf Sicht zu fahren gemäß § 3 StVO, nicht nachgekommen.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von EUR 1.098,95 gem. § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten.
Der Beklagte zu 1) hat das Eigentum des Klägers, seinen Pkw Mercedes Benz, verletzt. Er ist mit seinem Kraftrad mit dem Pkw des kollidiert. Das Fahren mit dem Kraftrad ist kausal für die Eigentumsverletzung gewesen. Die Eigentumsverletzung ist rechtswidrig gewesen. Der Beklagte zu 1) hat seine Pflicht, auf Sicht zu fahren gemäß § 3 StVO, verletzt. Der Beklagte zu 1) hat fahrlässig gehandelt. Er hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Wäre der Beklagte zu 1) auf Sicht gefahren und hätte er auf eine mögliche von links kommende Vorfahrtsverletzung geachtet, hätte er den Unfall voraussehen und vermeiden können. Die Beklagten haben dem Kläger
alle durch die Eigentumsverletzung adäquat und zurechenbar entstanden Schäden zu ersetzten, gekürzt um die Mithaftung des Klägers von 50 % gem. §17 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F..
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verzugszinsen gem. § 288 BGB.
Die mit anwaltlichen Schreiben vom 25.09.2002 geforderte Zahlung von der Beklagten zu 2) war eine Zuvielforderung.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen gemäß § 291 BGB zu.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4, 708 Nr. 11,711 ZPO.