Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 06.10.2006, Az.: 6 U 224/05

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
06.10.2006
Aktenzeichen
6 U 224/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 42648
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2006:1006.6U224.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 13.07.2005 - AZ: 5 O 1445/02
nachfolgend
BGH - 22.11.2007 - AZ: III ZR 280/06

In dem Rechtsstreit

...

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 15.9.2006 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.7.2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich aufgehoben.

  2. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

  3. Der Rechtsstreit wird zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Berufung zu entscheiden hat.

  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  5. Die Revision wird nicht zugelassen.

  6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 21 000,- € festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Kläger ist Landwirt und Mitglied des beklagten Entwässerungsverbandes. Er ist Eigentümer von im R.... H.... gelegenen Flächen, die sich im Einzugsbereich des Schöpfwerkes M.... des beklagten Verbandes befinden.

2

Der Kläger macht Schadensersatzforderungen mit der Behauptung geltend, infolge schuldhaften Fehlverhaltens des beklagten Verbandes sei es ab September 2001 zu Überschwemmungen auf seinen landwirtschaftlich genutzten Flächen gekommen. Über 40 Hektar seien für ca. zwei Monate ca. 10 bis 20 cm überschwemmt und nicht als Weide nutzbar gewesen.

3

Unstreitig war das Schöpfwerk M.... aufgrund von Bauarbeiten zwischen April und Oktober 2001 außer Betrieb. Im September 2001 waren überdurchschnittliche Regenmengen zu verzeichnen.

4

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Zwar seien die Überschwemmungen als solche bewiesen, nicht jedoch die Verantwortlichkeit des beklagten Verbandes hierfür. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing.B.... könne die vorübergehende Schließung des Schöpfwerks M.... als Ursache nicht nachvollzogen werden. Vielmehr kämen mehrere Ursachen in Betracht (z.B. unzureichende Unterhaltung der Entwässerungsgräben, starke Regenfälle, unzureichende Vorflut in Stufenschöpfwerken). Jedenfalls fehlt es nach Auffassung des Landgerichts an einem Verschulden des beklagten Verbandes, der Vorkehrungen dafür getroffen habe, wie die Wassermengen anderweit abgeschlagen werden könnten.

5

Die Berufung macht im wesentlichen geltend: Dass es zu den behaupteten Überschwemmungen gekommen ist, sei bewiesen. Als Ursache auszuschließen seien "von innen wirkende Vernässungen", z.B. aufgrund mangelnder Pflege der Gräben durch den Kläger. Der Schaden sei auch nicht durch eine Wetterkatastrophe o.ä. eingetreten, sondern falle in den Verantwortungsbereich des beklagten Verbandes. Die Baumaßnahme "Schöpfwerk" hätte bei gebotener Planung bis September 2001 abgeschlossen sein müssen. Der beklagte Verband hätte ferner für den Fall von Überschwemmungen Großpumpen vorhalten müssen, anstatt sich auf unzureichende Absprachen mit benachbarten Verbänden zu verlassen. Eine weitere Ursache sei, dass der beklagte Verband - unstreitig - Unterschöpfwerke zeitweise abgeschaltet habe.

6

Der Kläger beantragt, den beklagten Verband zur Zahlung von Sachschadensersatz gemäß einem Privatgutachten des Landwirtschaftsmeisters E.... vom 4.3.2002 in Höhe von 19 499, 64 € sowie zur Erstattung der Kosten für dieses Gutachten in Höhe von 639, 16 € zu verurteilen. Hilfsweise beantragt der Kläger wie erkannt.

7

Der beklagte Verband beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

8

Der beklagte Verband verteidigt das angefochtene Urteil. Es habe sich nicht um "Überschwemmungen" gehandelt, sondern nur um "Staunässe" infolge der starken Niederschläge. Die gemessenen Pegelstände schlössen eine Überschwemmung aus. Er habe die gebotenen Vorbereitungen getroffen, um den zeitweisen Ausfall des Schöpfwerks zu kompensieren. Der Kläger müsse sich ein Mitverschulden anrechnen lassen, da er die Verantwortlichen nicht von den angeblichen Überschwemmungen in Kenntnis gesetzt und Gelegenheit zur Abhilfe gegeben habe.

9

II.

Die Berufung ist begründet.

10

Der beklagte Verband haftet dem Kläger auf Schadensersatz, da er seine gegenüber dem Kläger als Mitglied bestehenden Verpflichtungen, die Entwässerung der Weideflächen zu gewährleisten, schuldhaft nicht erfüllt hat, § 839 Abs. 1 BGB. Ob daneben auch eine Haftung aus öffentlich-rechtlichem Leistungsverhältnis tritt (vgl. BGH NJW 1987, 768), kann dahinstehen.

11

Der Kläger ist Mitglied des beklagten Verbandes. Als Gegenleistung für den vom Kläger entrichteten Mitgliedsbeitrag (in Höhe von ca. 13 € pro Hektar pro Jahr) schuldet der Beklagte vor allem die Entwässerung der landwirtschaftlich genutzten Flächen des Klägers. Diese Verpflichtung hat der beklagte Verband nicht erfüllt.

12

Mit dem Landgericht hält es der Senat für bewiesen, dass es im September 2001 zu Überschwemmungen gekommen ist, die das Maß bloßer Durchnässungen deutlich überstiegen und den Kläger zwangen, Tiere von Weideflächen abzuholen und anderweit unterzubringen. Auf die Würdigung im angefochtenen Urteil (UA, S. 4, 5) wird verwiesen.

13

Die Überschwemmungen sind auf ein schuldhaftes Fehlverhalten zurückzuführen.

14

Unstreitig hatte sich der beklagte Verband entschlossen, das Hauptschöpfwerk M.... für einen Zeitraum von mehreren Monaten komplett und die Stufenschöpfwerke als "2. Ebene" zeitweise ab- und auf "Handbetrieb" umzuschalten. Es ist offensichtlich, dass hierdurch die Leistungsfähigkeit des Gesamtentwässerungssystems, das auf einer aufeinander abgestimmten Kombination verschiedener Subsysteme beruht, empfindlich beeinträchtigt wurde.

15

Zwar war der Austausch der Pumpen im Schöpfwerk zum Zwecke der Modernisierung der Anlage offensichtlich erforderlich, so dass das Abschalten der Anlage als solches noch keine Pflichtverletzung darstellt.

16

Indes war der beklagte Verband verpflichtet, für die Zeit der Reparatur und des Ausfalls des Schöpfwerks Vorsorge zu treffen, um die Entwässerung trotz der vorhandenen Einschränkungen sicherzustellen. Dies hat der beklagte Verband nicht hinreichend getan. Vielmehr war er auf die Betriebsbeeinträchtigungen, die jedenfalls teilweise auf die ungeplant lange Bau- und Reparaturzeit zurückzuführen waren, nicht ausreichend vorbereitet. Wie sich bereits daraus ergibt, dass es erwiesenermaßen zu Überschwemmungen gekommen ist, die den Grad bloßer Durchnässungen nach den glaubhaften Bekundungen der vom Landgericht vernommenen Augenzeugen deutlich überschritten, reichte die Mitinanspruchnahme der Kesselschleuse E.... und der B.... Schleuse nebst Handbetrieb der Stufenschöpfwerke gerade nicht aus, um das Wasser bei Auftreten überdurchschnittlicher Regenmengen von den Weiden abzuschlagen.

17

Der Vertreter des beklagten Verbandes hat zudem im Termin vom 15.9.2006 dargelegt, dass der beklagte Verband im Schöpfwerk über "eine alte Pumpe" verfügt habe. Diese sei aber nicht zum Einsatz gekommen, da man habe "weiter arbeiten wollen" und diese Maßnahme auch nicht erforderlich gewesen sei.

18

Angesichts der Bedeutung, die eine funktionierende Entwässerung für die Mitglieder hat, wäre der beklagte Verband verpflichtet gewesen, diese Pumpe in Betrieb zu nehmen und - ggfls. darüber hinaus - mobile Pumpen anzumieten, um auch Spitzenbelastungen bewältigen zu können.

19

Die Pflichtverletzung - unzureichende Vorsorge - war für den eingetretenen Schaden kausal.

20

Zwar ist richtig, dass es nach dem Gutachten des Sachverständigen B.... vom 23.1.2004 eine Mehrzahl möglicher Überschwemmungsursachen gibt, die zudem in nicht eindeutig unterscheidbarer Weise zusammengewirkt und einander beeinflusst haben können ("Überlagerung").

21

Diese Kumulation in Betracht kommender Ursachen entlastet allerdings den beklagten Verband haftungsrechtlich nicht.

22

Denn in Fällen einer möglichen Überlagerung mehrerer Schadensursachen (sog. Gesamtkausalität) reicht Mitursächlichkeit zur Haftungsbegründung aus. Ein Zurechnungszusammenhang ist auch dann gegeben, wenn die Handlung des Schädigers den Schaden nicht allein, sondern nur im Zusammenwirken mit anderen Ursachen herbeiführen konnte (vgl.u.a. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., Vorb v § 249 Rdnr. 86 mwN).

23

Dass ein Fehlverhalten auf Seiten des beklagten Verbandes jedenfalls als mitursächlich für den eingetretenen Schaden in Betracht kommt, hat der Sachverständige B.... bestätigt. So hat er in seinem Gutachten vom 23.1.2004 z.B. dargelegt, dass die zeitweise Stillegung der Stufenschöpfwerke R.... und I.... bzw. deren "zu lange" Abschaltung für die Überschwemmungen auf den Flächen des Klägers verantwortlich sein könnte.

24

Dem Kläger kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugute.

25

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl.u.a. VersR 1991, 460, 461 [BGH 06.03.1991 - IV ZR 82/90]; NJW-RR 1993, 1117, 1118 [BGH 12.05.1993 - IV ZR 120/92]) kommt der Beweis des ersten Anscheins auch bei der Feststellung von Schadensursachen in Betracht, und zwar auch dann, wenn von einem festgestellten Erfolg - hier: Überschwemmungen - auf eine Ursache - hier: Abschalten des Schöpfwerks bei nicht ausreichender Vorsorge - geschlossen werden soll (vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., Vor § 284 Rdnr. 30a mwN).

26

Der für einen Anscheinsbeweis erforderliche typische Geschehensablauf, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann (Typizität), ist darin zu sehen, dass es gerade zu einem Zeitpunkt zu den festgestellten, im Ausmaß unüblichen Überschwemmungen gekommen ist, in dem das Entwässerungssystem des Beklagten wie dargelegt teilweise lahmgelegt war.

27

Zwar kann der Beweis des ersten Anscheins durch einen Gegenbeweis erschüttert werden. Hierzu müssen die Tatsachen, aus denen der Schluss auf die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des gewöhnlichen Ablaufs abgeleitet werden soll, voll bewiesen werden (vgl. Zöller/Greger, aa0, Vor § 284 Rdnr. 29 mwN).

28

Für derartige Tatsachen hat der beklagte Verband keinen geeigneten Beweis angetreten. Soweit er sich darauf beruft, dass eine Überschwemmung schon angesichts der gemessenen Pegelstände ausgeschlossen sei, fehlt es an der Geeignetheit des Beweisantritts. Allein daraus, dass sich die Pegelstände möglicherweise rekonstruieren lassen, lässt sich nichts Endgültiges herleiten. Vielmehr müssten auch Feststellungen zur Höhe des Landes zum Zeitpunkt der Überschwemmungen getroffen werden können. Dies ist angesichts der ohnehin vorhandenen, naturgegebenen Höhenunterschiede, des Zeitablaufs von annähernd fünf Jahren sowie des Umstands, dass es nach Auffassung des Sachverständigen bereits auf Differenzen von 1-2 dm ankommt (vgl. Protokoll vom 13.4.2005) nicht möglich.

29

Der beklagte Verband hat fahrlässig gehandelt, indem er die erforderliche Vorsorge nicht getroffen hat, obwohl den Verantwortlichen hätte klar sein müssen, dass die Vorkehrungen für Belastungen durch überdurchschnittlich hohe Regenmengen möglicherweise nicht ausreichen würden. Zwar hat der Zeuge W.... bekundet, man habe "Vorkehrungen dafür getroffen", dass die anfallenden Wassermengen anderweitig abgeschlagen werden konnten. Dies besagt aber nichts darüber, ob die getroffenen Vorkehrungen auch ausreichend waren.

30

Anhaltspunkte für ein etwaiges Mitverschulden des Klägers sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger, wie u.a. der Zeuge S.... vor dem Landgericht bekundet hat, bei dem beklagten Verband angerufen und diesen von den Überschwemmungen in Kenntnis gesetzt. Dies hat der Zeuge W...., ein Angestellter des beklagten Verbandes, bestätigt.

31

III.

Der Streit über den Betrag des Anspruchs ist noch nicht zur Entscheidung reif. Die Klagforderung stützt sich auf das Privatgutachten des Landwirtschaftlichen Sachverständigen E.... vom 4.3.2002, gegen das die Beklagte in der Klageerwiderung Einwendungen erhoben hat, die weiterer Klärung bedürfen.

32

Die Sache ist deshalb gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO antragsgemäß insoweit an das Landgericht zurückzuverweisen.

33

IV.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 S. 1, 544 ZPO iVm § 26 Nr. 8 EGZPO.

34

Von einer Abwendungsbefugnis war abzusehen. Zwar war das Urteil iSd § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären, da erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils das Vollstreckungsorgan nach §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO dazu nötigt, eine etwa eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffenen Maßnahmen aufzuheben (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 538 Rdnr. 59; Münchener Kommentar/Krüger, ZPO, 2. Aufl., § 704 Rdnr. 6, jeweils mwN). In einem solchen Fall fehlt es jedoch regelmäßig an einem bezifferbaren Substrat für die Bemessung der Höhe der zu leistenden Sicherheit.