Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.10.2008, Az.: 3 U 80/08
Entschädigungsanspruch für eine Beschädigung einer Eingangstür durch eine hoheitliche Maßnahme im Zuge einer Strafverfolgung; Anspruch eines erstattungspflichtigen Landes auf Minderung eines Betrags unter dem Gesichtspunkt "neu für alt" beim Austausch einer durch einen Polizeieinsatz beschädigten Tür
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 10.10.2008
- Aktenzeichen
- 3 U 80/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 36867
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2008:1010.3U80.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 23.05.2008 - AZ: 4 O 241/07
Rechtsgrundlage
- § 839 Abs. 1 S. 2 BGB
In dem Rechtsstreit
...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S,
den Richter am Oberlandesgericht R und
den Richter am Landgericht G
am 10.10.2008
beschlossen:
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 23.05.2008 gemäߧ 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
I.
1.
Die Berufung des beklagten Landes hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Es kann dahinstehen, ob den Klägern ein Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art 34 GG) zusteht; jedenfalls können sie die verlangte Entschädigung unter dem Gesichtspunkt des enteignenden Eingriffs verlangen.
a.
Ansprüche aus enteignendem Eingriff kommen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof in Frage, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen unmittelbar zu - meist atypischen und unvorhergesehenen - Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (BGH NJW 2005, 1363 [BGH 10.02.2005 - III ZR 330/04]).
Der enteignende Eingriff wird als Anspruchsgrundlage von der Nassauskiesungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 58, 300 [BVerfG 15.07.1981 - 1 BvL 77/78]) nicht berührt, weil die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen auf der Ebene des einfachen Rechts liegen und das Haftungsinstitut als richterrechtliche Ausformung des allgemeinen Aufopferungsgedankens zu verstehen ist (BGHZ 91, 20, 26; BGH NJW 1987, 2573 [BGH 09.04.1987 - III ZR 3/86]; Staudinger/Wurm BGB [2007] § 839 Rn. 432; Krohn/Löwisch Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung 3. Aufl. Rn. 235 a und b).
Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff ist auch nicht dadurch ausgeschlossen und wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der Gesetzgeber Entschädigungen für Drittbetroffene im StrEG bewusst nicht geregelt hat. Umgekehrt gilt vielmehr wegen der Subsidiarität des Enteignungsanspruchs, dass für ihn dann kein Raum ist, wenn das den Schadensersatzausgleich fordernde Sonderopfer bereits durch anderweite Regelungen bestimmungsgemäß aufgefangen und ausgeglichen wird (RGRK/Kreft BGB 12. Aufl. Vor. § 830 Rn 161). Ist ein solcher notwendiger Ausgleich wie hier gesetzlich nicht geregelt, und zwar auch nicht durch das StrEG, macht dies gerade den Weg für die Anwendung der Grundsätze über den enteignenden Eingriff frei.
b.
Den Klägern ist mit der Beschädigung der Eingangstür auch ein Sonderopfer abverlangt worden.
Der Einsatz der Polizei diente der Strafverfolgung und damit den Interessen der Allgemeinheit. Wenn im Zuge dieser Maßnahmen die Tür der Kläger beschädigt worden ist, ist ihnen ein Sonderopfer abverlangt worden, denn sie allein sind in einem geschützten Rechtsgut (Nießbrauchsrecht) betroffen und zwar unmittelbar, denn die Beschädigung der Tür beruht auf der Eigenart der hoheitlichen Maßnahme.
Die nicht unerhebliche Beschädigung der Tür wirkt sich entsprechend nachteilig auf die Vermögenslage der Kläger aus und liegt über dem, was eine Gemeinschaft, die ihre verfassungsgemäße Ordnung in einem sozialen Rechtsstaat gefunden hat, dem Einzelnen entschädigungslos zumuten kann und will (RGRK/Kreft a.a.O. Vor § 839 Rn. 154). Den Vermögensnachteil den Klägern statt der Allgemeinheit aufzuerlegen, ist nicht hinnehmbar, wenn die den Vermögensnachteil bewirkende Maßnahme allein dem Interesse der Allgemeinheit dient.
Die Folgen des Polizeieinsatzes können auch nicht dem Vermieterrisiko und damit dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet werden. Denn die Beschädigungen sind nicht durch die Mieterin in zurechenbarer Weise verursacht worden, sondern allein durch die Polizei. Wenn der Polizeieinsatz letztlich durch ein Verhalten des Lebensgefährten der Mieterin herausgefordert sein mag, hat dieses Verhalten mit dem Mietverhältnis jedenfalls nichts zu tun. Das Schadensbild wird nicht durch die Eigenart der Benutzung der Mietsache, sondern der Eigenart des Polizeieinsatzes geprägt.
c.
Die Kläger können auch nicht auf einen Anspruch gegen die Mieterin und/oder ihren Lebensgefährten verwiesen werden. Dabei kann dahinstehen, ob ein Anspruch überhaupt rechtlich denkbar und tatsächlich durchsetzbar ist. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB enthält mit dem Verweisungsprivileg jedenfalls eine auf Ansprüche aus Amtspflichtverletzung beschränkte Ausnahmevorschrift, die auf Ansprüche aus enteignendem Eingriff keine Anwendung findet (BGHZ 13, 88; Staudinger/Wurm a.a.O. § 839 Rn. 275).
d.
Die Kläger können auch die von Ihnen verlangten 2.625,71 EUR, die sie für den Einbau einer neuen Eingangstür bezahlt haben, als Entschädigung verlangen. Dieser Betrag ist nicht unter dem Gesichtspunkt "neu für alt" zu mindern. Denn dafür wäre es erforderlich, dass sich der Einbau der neuen Tür für die Kläger wirtschaftlich günstig ausgewirkt hätte (vgl. BGH WM 1997, 422, 423 [BGH 25.10.1996 - V ZR 158/95]). Es spricht indes nichts dafür, dass die neue Tür den maßgeblichen Gesamtwert des Grundstücks spürbar erhöht, selbst wenn die frühere Tür sich "vorher nicht in einem völlig einwandfreien und neuen Zustand befunden" haben mag. Ein Vermögenszuwachs ist deshalb nicht feststellbar; die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht erforderlich (§ 287 Abs. 2 S. 2 ZPO).
e.
Nach allem ist die Berufung nicht begründet.
Soweit das Landgericht den Klägern entgegen dem erstinstanzlich gestellten Antrag, der zu Recht auf § 432 BGB abstellt, den Anspruch in Verkennung der Rechtslage als Gesamtgläubigern (§ 428 BGB) zugesprochen hat, kann dieser Fehler nicht nach § 316 ZPO berichtigt werden, weil nicht erkennbar ist, ob dieser Fehler nicht auf einer fehlerhaften Willensbildung des Gerichts beruht. Anschlussberufung haben die Kläger nicht eingelegt.
Bei einer Entscheidung in der Sache kann indes von Amts wegen (§ 308 Abs. 2 ZPO) die Kostenentscheidung korrigiert werden, soweit das Landgericht es versäumt hat, den Klägern gemäß § 281 Abs. 3 S. 2 ZPO die Mehrkosten aufzuerlegen, die durch die Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts Göttingen entstanden sind.
2.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO), denn es ist nicht über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, die klärungsbedürftig, klärungsfähig und entscheidungserheblich ist und das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH WM 2003, 402, 403 [BGH 07.01.2003 - X ZR 82/02]; WM 2003, 1346, 1347). Vorliegend geht allein um die Anwendung feststehender - wenn auch von der Berufung in Zweifel gezogener - Rechtssätze auf den konkreten Fall. Mangels eines Klärungsbedarfs ist dabei auch ohne Bedeutung, dass es nahe liegt, dass sich eine derartige Fallgestaltung durchaus wiederholen kann.
Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern auch nicht eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO). Die Entscheidung steht nicht im Widerspruch zu einer Entscheidung eines Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs.
II.
Dem beklagten Land wird Gelegenheit gegeben, zu I. dieses Beschlusses binnen drei Wochen Stellung zu nehmen oder die Berufung zurückzunehmen.