Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.04.2016, Az.: 1 Ws 94/16

Keine Beschwer des im Verfahren verbleibenden Angeklagten bei Abtrennung eines Mitangeklagten

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
20.04.2016
Aktenzeichen
1 Ws 94/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 16791
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2016:0420.1WS94.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 11.04.2016 - AZ: 6 KLs 80/12

Fundstelle

  • NJW-Spezial 2016, 410

Amtlicher Leitsatz

1. Durch die Abtrennung des Verfahrens gegen einen Mitangeklagten wird der im Verfahren verbleibende Angeklagte regelmäßig nicht beschwert. Ein gegen die Abtrennung gerichtetes Rechtsmittel ist deshalb und zudem wegen § 305 StPO im Regelfall unzulässig.

2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Abtrennung nicht der Förderung des Verfahrens, sondern verfahrensfremden Zwecken dient oder aber in anderer Weise willkürlich ist.

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten B. gegen den Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 11. April 2016 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Angeklagte B. gegen die Abtrennung des gegen den Mitangeklagten S. geführten Verfahrens durch Beschluss der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 11. April 2016 und begehrt die Aufhebung dieses Beschlusses.

Nachdem die am 11.02.2016 begonnene Hauptverhandlung in dem Verfahren 6 KLs 80/12 bereits an 8 Verhandlungstagen, zuletzt am 18.03.2016, stattgefunden hatte, erschien der vormalig Mitangeklagte S. zum 9. Verhandlungstag am 05.04.2016 nicht. Dessen Verteidiger teilte mit, dass sein Mandant sich im Krankhaus befinde und legte eine (Notfall-)Verordnung von Krankenhausbehandlung des behandelnden Hausarztes W. vom selben Tage vor, nach der der vormalig Mitangeklagte S. an Angina Pectoris und koronarer Herzkrankheit leidet. Der Vorsitzende ermittelte bis zum nächsten Fortsetzungstermin am 06.04.2016 freibeweislich, dass dem vormalig Mitangeklagten S. am 06.04.2016 aufgrund einer instabilen Angina Pectoris im Rahmen einer Katheteruntersuchung mehrere Stents eingesetzt wurden. Der behandelnde Chefarzt PD Dr. G. teilte dem Vorsitzenden mit, dass nach seiner Einschätzung der vormalig Mitangeklagte S. zum nächsten Fortsetzungstermin am 11.04.2016 verhandlungsfähig sein würde. Am 11.04.2016 erschien der vormalig Mitangeklagte S. jedoch nicht. Sein Verteidiger teilte der Kammer mit, dass in seiner Kanzlei ein Attest des Hausarztes vom 11.04.2016 eingegangen sei, das dem Angeklagten ein Verhandlungsunfähigkeit "bis auf weiteres" bescheinige. In einem Telefonat des Vorsitzenden mit dem Hausarzt erläuterte dieser die Hintergründe seiner Einschätzung der Verhandlungsunfähigkeit. Wegen der divergierenden Stellungnahmen des PD Dr. G. und des Hausarztes W. beschloss die Kammer am 11.04.2016 nach Anhörung aller Beteiligten, ein amtsärztliches Gutachten zur Frage der Reise- und Verhandlungsfähigkeit des Mitangeklagten S. einzuholen. Ebenfalls mit Beschluss vom 11.04.2016 trennte die Kammer das Verfahren gegen den Mitangeklagten S. zu gesonderten Verhandlung und Entscheidung ab (Bl. 8f. des Beschwerdeheftes).

Gegen den Abtrennungsbeschluss hat der Angeklagte B. Beschwerde eingelegt. Er hält die Abtrennung für unrechtmäßig. Die einheitliche Verhandlung liege im Interesse der geordneten Rechtspflege, da den beiden Angeklagten ein gemeinschaftliches Zusammenwirken vorgeworfen werde, es auf die Einzelheiten diese Miteinander bzw. Untereinander ankomme und eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich sei. Die Abtrennung führe zu einer grundlegenden Veränderung des strafprozessualen Verhältnisses der Angeklagten zueinander, beeinflusse daher den weiteren Gang der Verhandlung, beschränke die Verteidigung und beeinträchtige das Gericht und die Angeklagten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 12.04.2016 Bezug genommen (Bl. 10 - 13 des Beschwerdeheftes).

Die Kammer hat der Beschwerde des Angeklagten B. nicht abgeholfen und die Sache über die Generalstaatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten B. gegen den Abtrennungsbeschluss vom 11.04.2016 ist unzulässig, denn er ist durch die Entscheidung nicht beschwert.

Durch die Abtrennung des Verfahrens gegen einen Mitangeklagten wird ein Angeklagter regelmäßig nicht beschwert (KG Berlin, Beschluss vom 05.08.1997, 1 AR 889/97 - 5 Ws 490/97; juris). Weder sind die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe geeignet darzutun noch sind andere Gründe erkennbar, dass sich die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten S. auf seine Stellung als Angeklagter im Verfahren nachteilig auswirken könnte.

Es ist anerkannt, dass eine beschlossene Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens gegen einen von mehreren Angeklagten zulässigerweise mit der Beschwerde angefochten werden kann, wenn dies lediglich zur Verzögerung des abgetrennten Teils des Verfahrens führt und nicht der Vorbereitung des Urteils dient. In diesem Fall steht der Zulässigkeit der Beschwerde die Vorschrift des § 305 Satz 1 StPO nicht entgegen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25.01.2007, 1 Ws 9/08; OLG Frankfurt, StV 1983, 92; StV 1991, 504; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 142; OLG Köln, Beschluss vom 15.07.2005, 2 Ws 223/05, juris). Demgegenüber kann eine Abtrennung, die in Vorbereitung des Urteils der Förderung des Verfahrens dient, als Entscheidung des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgeht, gem. § 305 StPO nur in Ausnahmefällen - z. B. bei willkürlichem Handeln des Gerichts oder der Verfolgung verfahrensfremder Ziele - angefochten werden (OLG Köln, Beschluss vom 15.07.2005, 2 Ws 223/05, juris).

Bei der hier erfolgten Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten S. handelt es sich um eine Entscheidung der Kammer, die einerseits das Verfahren gegen den Angeklagten B. beschleunigen soll und andererseits zu einer Verzögerung des Verfahrens gegen den Angeklagten S. führt. Hieraus ergibt sich zwangsläufig, dass nach der oben dargestellten durch die Rechtsprechung vorgenommenen Unterscheidung der Beschluss für den Angeklagten B. nur dann anfechtbar wäre, wenn die Strafkammer ihr Ermessen bei der Frage der Abtrennung in nicht nachvollziehbarer Weise ausgeübt und die Abtrennung nicht der Förderung des Verfahrens sondern verfahrensfremden Zwecken gedient hätte oder aber in anderer Weise willkürlich gewesen wäre. Dies ist hier nicht der Fall.

Unabhängig davon, dass sich der Abtrennungsbeschluss mit Blick auf das Verfahren des Angeklagten B. als förderlich erweist, ergibt sich aus den Umständen des Verfahrens im Übrigen, dass der Abtrennungsbeschluss sowohl nachvollziehbar ist als auch der sich aus dem Beschwerdeheft ergebenden Verfahrenssituation geschuldet war.

Nachdem divergierende ärztliche Stellungnahmen bzgl. der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten S. vorlagen, hat die Kammer beschlossen, ein amtsärztliches Gutachten zu dieser Frage einzuholen. Da die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten S. bis dahin an acht Verhandlungstagen stattgefunden hat, mithin die Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO gilt, hatte die Kammer spätestens am 11.04.2016 zu entscheiden, ob das Verfahren bzgl. beider Angeklagter ausgesetzt werden oder das Verfahren gegen den Angeklagten S. abgetrennt werden sollte.

Die Kammer hat sich dahin entschieden, das Verfahren gegen den Angeklagten S. aus dem Gesichtspunkt der Förderung des gegen den Angeklagten B. geführten Verfahrens abzutrennen. Verfahrensfremde Ziele sind von der Kammer ersichtlich nicht verfolgt worden.

Auch aus dem Vortrag des Beschwerdeführers zur fehlenden Prozessökonomie bei der Durchführung von zwei Verfahren ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten S. nicht auf sachlichen Erwägungen beruhen würde. Die Prozessökonomie gebietet es hier nicht, das Strafverfahren gegen beide Angeklagten auszusetzen, um es gegen beide Angeklagten gleichzeitig durchführen zu können. Derzeit ist die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten S. fraglich. Nach Einschätzung des Hausarztes beruht die Verhandlungsunfähigkeit auf einer weiteren diagnostizierten Engstelle der Herzkranzgefäße, die bislang noch nicht gestentet werden konnte. Die mit einer Hauptverhandlung verbundenen Belastungen seien mit unvertretbaren gesundheitlichen Risiken verbunden. Nach Mitteilung des PD Dr. G. soll der weitere Stent erst in ca. 6 Monaten gesetzt werden. U.U könnte die ggf. bestehende Verhandlungsunfähigkeit somit bis ca. November 2016 dauern.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten B. bis zum 11.04.2016 bereits an elf Verhandlungstagen stattgefunden hat und derzeit nur noch vier weitere Verhandlungstage anberaumt sind, ist die Entscheidung der Kammer, das Verfahren gegen den Angeklagten S. abzutrennen statt das Verfahren gegen beide Angeklagte auszusetzen, nicht ermessensfehlerhaft.

Die von dem Beschwerdeführer für die fehlende Prozessökonomie zitierte Rechtsprechung betrifft - abweichend von der hier zu entscheidenden Frage der Abtrennung während eines laufenden Verfahrens - Fälle, in denen vor Beginn der Hauptverhandlung über die Frage der gemeinsamen oder getrennten Verhandlung zu entscheiden war.

Auch erfolgte die Abtrennung ersichtlich nicht zu dem Zweck, in dem Mitangeklagten S. einen Zeugen zu finden, der den Angeklagten B. in dem gegen ihn durchgeführten Verfahren belasten könnte. Insoweit hat die Kammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 12.04.2016 ausgeführt:

"Es ist nicht beabsichtigt, den gesondert Verfolgten S. in dem Verfahren gegen den Angeklagten B. von Amts wegen als Zeugen zu vernehmen. Der gesondert Verfolgte S. hat als Angeklagter im hiesigen Verfahren bereits Angaben gemacht" (Bl. 15 des Beschwerdeheftes).

Somit sind auch hier keine Willkür oder verfahrensfremde Ziele der Kammer zu erkennen.

Nach alldem ergibt sich, dass der angefochtene Abtrennungsbeschluss den Angeklagten B. nicht beschwert, sein Verfahren durch die Abtrennung lediglich gefördert werden soll und dass auch in dem Fall einer zulässigen Anfechtung der Beschluss aus den vorgenannten Gründen Bestand hätte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.