Landgericht Göttingen
Beschl. v. 07.03.2013, Az.: 10 T 18/13

Pfändbarkeit des Pkw eines auf die Nutzung des Pkw angewiesenen Schwerbehinderten i.R.d. Zwangsvollstreckung im Verbraucherinsolvenzverfahren

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
07.03.2013
Aktenzeichen
10 T 18/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 52214
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2013:0307.10T18.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 22.02.2013 - AZ: 71 IK 129/12

Fundstellen

  • NZI 2013, 10
  • VuR 2013, 434-435
  • ZInsO 2014, 1174-1175
  • ZVI 2013, 159-160

In dem Verbraucherinsolvenzverfahren
über das Vermögen des A, Aa, Ab, vertreten durch die Schuldnerberatungsstelle des Ac, Ad, Ae,
Schuldner und Beschwerdeführer
am Verfahren beteiligt:
Dipl.-Rechtspfleger B, Ba, Bb
Treuhänder
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht C als Einzelrichterin auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 26.02.2013 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 22.02.2013 - 71 IK 129/12 -
am 07.03.2013
beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Amtsgericht -Insolvenzgericht - wird angewiesen, in der Sache zu entscheiden.

Gründe

Mit Beschluss vom 19.12.2012 hat das Amtsgericht das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, ihm die Stundung der Verfahrenskosten bewilligt und den Dipl.-Rechtspfleger B zum Treuhänder bestellt.

Der 64jährige Schuldner ist zu 80 % schwerbehindert. Sein Schwerbehindertenausweis trägt zum einen den Vermerk, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung nachgewiesen ist, ferner trägt der Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "G" sowie "aG". Hierdurch ist gekennzeichnet, dass der Schuldner unter einer außergewöhnlichen Gehbehinderung leidet. Seit dem Jahr 2007 ist der Schuldner nierenerkrankt und muss dreimal pro Woche zur Dialyse nach E fahren. Der Schuldner lebt in dem Dorf F, in dem es weder Einkaufsmöglichkeiten noch eine allgemeinmedizinische Versorgung gibt.

Der Schuldner ist Eigentümer eines Pkw Mercedes 260 E, Baujahr 1991 mit einer Laufleistung von 210.000 km.

Der Schuldner hat beantragt, diesen Pkw aus dem Insolvenzbeschlag freizugeben, weil er im Hinblick auf seine Behinderung und die damit erforderlichen Arztbesuche dringend auf die Nutzung des Pkw angewiesen sei.

Der Treuhänder hat die Freigabe des Kraftfahrzeugs aus dem Insolvenzbeschlag abgelehnt und ausgeführt, das Kraftfahrzeug sei nur dann unpfändbar, wenn der Schuldner es zur Berufsausübung benötige. Der Treuhänder hat den Wert des Fahrzeugs mit 1.000,00 Euro angenommen und dem Schuldner angeboten, den Pkw durch monatliche Zahlungen von 100,00 Euro an die Insolvenzmasse aus dem Insolvenzbeschlag zu lösen.

Der Schuldner vertritt demgegenüber die Auffassung, dass der Pkw unpfändbar sei, weil er aufgrund seiner Behinderung und insbesondere der starken Beeinträchtigung beim Gehen dringend auf die Nutzung des Pkw angewiesen sei.

Mit Beschluss vom 22.02.2013 hat das Amtsgericht den Antrag des Schuldners auf Freigabe des Pkw aus dem Insolvenzbeschlag zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, das Insolvenzgericht sei zur Entscheidung über diesen Antrag unzuständig. Gemäß § 36 Abs. 4 InsO sei das Insolvenzgericht für die Entscheidung, ob ein Gegenstand nach § 36 Abs. 1 S. 2 InsO dem Insolvenzbeschlag unterliege nur dann zuständig, wenn es sich um Gegenstände handele, die unter die Vorschriften der §§ 850, 850 a, 850 c, 850 e, 850 f Abs. 1, §§ 850 g bis 850 k, 851 c und 851 d ZPO fielen. Für die anderen Fälle, in denen streitig sei, ob Gegenstände zur Masse gehörten, sei nach allgemeinen Grundsätzen das Prozessgericht zuständig. Die Frage der Massezugehörigkeit eines Pkw des Schuldners sei deshalb vor dem Prozessgericht zu klären.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Schuldner mit der sofortigen Beschwerde.

Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gemäß § 793 ZPO zulässig und insoweit begründet, als die Sache an das Amtsgericht zur eigenen Entscheidung in der Sache zurückzuverweisen ist. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts obliegt ihm als Insolvenzgericht die Entscheidung darüber, ob dem Schuldner der Pkw zu belassen ist oder ihn der Insolvenzverwalter in Besitz nehmen kann, da er dem Insolvenzbeschlag unterliegt. Diese Frage hängt hier davon ab, ob der in Rede stehende Pkw der Zwangsvollstreckung unterliegt, denn gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Der Schuldner macht hier geltend, dass der Pkw nicht der Zwangsvollstreckung unterliege, weil er, der Schuldner aufgrund seiner besonderen Behinderung auf die Nutzung des eigenen Pkw angewiesen sei. Entgegen der Auffassung des Treuhänders kommt jedoch die Freigabe des Pkw nicht nur dann in Betracht, wenn der Schuldner ihn für seine Berufsausübung benötigt. Vielmehr unterliegt der Pkw eines gehbehinderten Schuldners dann nicht der Pfändung, wenn die Benutzung des Pkw erforderlich ist, um die Gehbehinderung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des Schuldners in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern (BGH NJW-RR 2011, 1367 = ZInsO 2011, 1420). Dies folgt aus § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO. Der Zweck des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO liegt darin, die aus einem Gebrechen oder einer Behinderung resultierenden Nachteile auszugleichen oder zu verringern. Die Pfändung eines Fahrzeugs hat deshalb zu unterbleiben, wenn sie dazu führen würde, dass der Schuldner in seiner Lebensführung stark eingeschränkt und im Vergleich zu einem nicht behinderten Menschen entscheidend benachteiligt wird. Ein Pfändungsverbot ist deshalb dann anzunehmen, wenn die Benutzung des Pkw dazu erforderlich ist, um die Gehbehinderung des Schuldners teilweise zu kompensieren und ihm die Teilnahme bzw. die Eingliederung in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern (BGH a.a.O. und BGH NJW-RR 2004, 789 [BGH 19.03.2004 - IXa ZB 321/03]).

Wenn jedoch im Vordergrund des Streits zwischen dem Schuldner und dem Insolvenzverwalter/Treuhänder die Frage steht, ob ein Gegenstand zur Masse gehört, weil er pfändbar oder unpfändbar ist, dann entscheidet das Insolvenzgericht im Rahmen des § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 InsO als Vollstreckungsgericht (vgl. BGH NZI 2012, 672 = ZInsO 2012, 1260 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier vor, denn der Schuldner und Insolvenzverwalter streiten nicht um die Massegehörigkeit des Pkw als solcher sondern darüber, ob der Pkw als unpfändbarer Gegenstand im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO anzusehen ist. Damit ist die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts gegeben. Es muss hier als besonderes Vollstreckungsgericht entscheiden. Der vorliegende Fall ist nicht anders zu beurteilen, als der, in welchem der Insolvenzverwalter Gegenstände zur Insolvenzmasse übernehmen will und sich der Schuldner hiergegen mit der Behauptung wehrt, die betreffenden Gegenstände gehörten nicht zur Insolvenzmasse, weil sie unpfändbar seien. Auch in diesem Fall entscheidet nicht das Vollstreckungsgericht, sondern das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht (vgl. AG Göttingen ZInsO 2011, 1659 = Nds. Rpfl. 2011, 241 sowie BGH Beschluss vom 26.04.2012 - IXZB 273/11 -).

Da das Amtsgericht vorliegend nur über seine Zuständigkeit entschieden hat, mithin in der Sache selbst keine Entscheidung getroffen hat, sieht die Kammer davon ab in der Sache zu entscheiden, da den Parteien andernfalls die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Sachentscheidung genommen würde.