Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.06.2003, Az.: 2 Ss (BZ) 14/03
Zulassung einer Rechtsbeschwerde im Ordnungswidrigkeitenrecht; Hinreichende Bestimmtheit eines Bußgeldtatbestandes im Bereich der Abfallentsorgung; Vorliegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot; Gestaltungsspielraum eines Gesetzgebers oder Satzungsgeber bei Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe; Vorliegen einer Analogie zu Ungunsten des Betroffenen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 30.06.2003
- Aktenzeichen
- 2 Ss (BZ) 14/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 19422
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2003:0630.2SS.BZ14.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Northeim - 04.11.2002 - AZ: 9 OWi 53 Js 23148/02
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 2 NLO
- § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG
- § 3 OWiG
- Art. 103 Abs. 2 GG
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeit nach der Abfallentsorgungssatzung des Landkreises Northeim
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit einer Bußgeldandrohung muss sich für den Normadressaten, also den Bürger, aus der Bußgeldvorschrift als solcher nach deren Wortsinn ergeben.
- 2.
Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn einer Bußgeldvorschrift hinausgehende "Interpretation" zu dem Ergebnis der Ahndbarkeit eines Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen.
- 3.
Die Gerichte müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm oder Bußgeldnorm nicht mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen.
In der Bußgeldsache
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Einzelrichter
am 30. Juni 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Northeim vom 04. November 2002 zugelassen.
Das genannte Urteil des Amtsgerichts Northeim wird aufgehoben.
Der Betroffene wird freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Verfahrenskosten sowie die dem Betroffenen im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen "Verstoßes gegen die Anzeigepflicht nach § 19 Abs.1 der Satzung über die Abfallentsorgung im Landkreis N in der Fassung des ersten Nachtrags vom 18. Dezember 1998" zu einer Geldbuße von 250,00 EUR verurteilt worden. Das Amtsgericht hat u.a. festgestellt, dass der Betroffene dem Landkreis N nicht angezeigt habe, dass sich auf seinem Hausgrundstück in die Anzahl der Hauptwohnsitze durch die Geburt eines Kindes von 5 auf 6 Personen erhöht habe und deshalb für die Abfallentsorgung das Abfallbehältervolumen von 100 l nicht auf 120 l erhöht worden sei. Das Amtsgericht stützt die Geldbuße auf die §§ 22 Abs.1 Nr.2 und 19 Abs.1 Satz 1 der genannten Satzung über die Abfallentsorgung im Landkreis N (Abfallentsorgungssatzung) sowie auf § 7 Abs.2 der Niedersächsischen Landkreisordnung (NLO). § 22 Abs.1 Nr.2 der Abfallentsorgungssatzung lautet:
"Ordnungswidrig i.S.v. § 7 Abs. 2 NLO handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig... der Anzeige- und Auskunftspflicht nicht, nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder in unrichtiger Weise nachkommt (§ 19 Abs. 1 und 2), ..."
Weiterhin heißt es in § 19 Abs. 1 Satz 1 der Abfallentsorgungssatzung:
"Die Anschlusspflichtigen haben dem Landkreis für jedes anschlusspflichtige Grundstück das Vorliegen, den Umfang sowie jede Veränderung der Anschluss- und Benutzungspflicht innerhalb eines Monats schriftlich anzuzeigen."
Darüber hinaus heißt es in § 15 unter der Überschrift "Zugelassene Abfallbehälter" unter Abs.3 Satz 1 (diese Vorschrift wird in dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Bußgeldbescheid des Landkreises N vom 20. Juni 2002 erwähnt, nicht aber im angefochtenen Urteil):
"Die Anschlusspflichtigen wählen den für die zu erwartende Restabfallmenge als ausreichend anzusehenden Restabfallbehälter aus, bei bewohnten Grundstücken mindestens eine Restabfallbehälterkapazität von 20 l pro 14 Tage und mit Hauptwohnung gemeldeter Bewohnerin oder gemeldetem Bewohner, zumindest aber einen zugelassenen festen Restabfallbehälter."
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene unter Erhebung der Verfahrens- und Sachrüge die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass der Zulassungsantrag zu verwerfen sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden. Sie war gemäß § 80 Abs.1 Nr.1 OWiG auch zuzulassen, da es geboten war, die Nachprüfung des Urteils zumindest zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Denn bereits einem vorangegangenen Verfahren gegen denselben Betroffenen ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht auf Grund der Praxis des Landkreises auch weiterhin über gleich gelagerte Fälle zu entscheiden haben wird, sodass diesbezüglich mit weiteren Fehlentscheidungen gerechnet werden kann (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 80, Rn.5 mit Rechtsprechungsnachweisen). Damit kann dahinstehen, ob es darüber hinaus auch geboten ist, die Rechtsbeschwerde auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache selbst Erfolg. Denn bereits auf die Sachrüge hin ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Betroffene freizusprechen. Zum einen stellen die Satzungsbestimmungen, auf Grund derer die genannten Verhaltensweisen als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden sollen, keinen hinreichend bestimmten Bußgeldtatbestand i.S.v. Art.103 Abs.2 GG und § 3 OWiG dar (1.). Zum anderen fällt das dem Betroffenen vorgeworfene Verhalten nicht unter den erkennbaren Wortsinn der genannten Bußgeldvorschriften; die Ahndung stellt daher eine Analogie zu Ungunsten des Betroffenen dar und verstößt damit ebenfalls gegen das verfassungsrechtlich normierte Bestimmtheitsgebot (2.).
1.
Die o. g. Bußgeldregelung ermangelt hinreichender Bestimmtheit i.S.v. Art.103 Abs.2 GG, § 3 OWiG.
Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 47, 109, 120 [BVerfG 17.01.1978 - 1 BvL 13/76]; 75, 329, 341 [BVerfG 06.05.1987 - 2 BvL 11/85]; Göhler, a.a.O., § 3 Rn. 5). Gleiches gilt für Bußgeldtatbestände (BVerfGE 71, 108, 114 [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82][BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]; Göhler, a.a.O.). Das Bestimmtheitsgebot dient einem doppelten Zweck. Zum einen soll der Normadressat vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber sowie nach dessen Ermächtigung der Satzungsgeber selbst über die Strafbarkeit oder Ahndbarkeit eines Verhaltens entscheidet. Insoweit enthält Art.103 Abs.2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung oder der Auferlegung eines Bußgeldes selbst zu entscheiden (vgl. BVerfGE 47, 109, 120 [BVerfG 17.01.1978 - 1 BvL 13/76]; 75, 329, 341) [BVerfG 06.05.1987 - 2 BvL 11/85]. Dabei sind Gesetze i.S.v. Art.103 Abs.2 GG, § 3 OWiG nicht nur solche im formellen Sinn, sondern auch Satzungen von Gemeinden und Landkreisen (vgl. BVerfGE 32, 346, 362 [BVerfG 23.02.1972 - 2 BvL 36/71]; BVerfG NStZ 1990, 394).
Andererseits dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit nicht übersteigert werden, da ohne allgemeine, normative und werterfüllungsbedürftige Begriffe "der Gesetzgeber nicht in der Lage wäre, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden" (BVerfGE 11, 237 [BVerfG 22.06.1960 - 2 BvR 125/60]). Auch ist es dem Gesetz- und Satzungsgeber nicht grundsätzlich verwehrt, in einer Vorschrift unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Bei der Frage, ob sich der Gesetz- oder Satzungsgeber unbestimmter Rechtsbegriffe bedienen darf oder ob er die Vorschrift ins Einzelne gehend zu fassen hat, verfügt er über einen Gestaltungsspielraum, wobei nicht zuletzt auch Erwägungen der praktischen Handhabbarkeit seine Entscheidung beeinflussen dürfen (BVerfGE 49, 89, 137 [BVerfG 08.08.1978 - 2 BvL 8/77]; BGH NStZ 1996, 342 [BGH 15.03.1996 - 3 StR 506/95]). So hat der Bundesgerichtshof eine Gemeindesatzung zum Schutz des Baumbestandes noch als hinreichend bestimmt angesehen, in welcher der räumliche Geltungsbereich mit den Worten "innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne" festgelegt worden war. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ist der durch diesen unbestimmten Rechtsbegriff erfasste räumliche Bereich in der weit überwiegenden Zahl der Anwendungsfälle für den Bürger ohne weiteres auf Grund der Siedlungsstruktur erkennbar. Ergeben sich in Grenzfällen - auch hinsichtlich des Geltungsbereichs der Bebauungspläne der Gemeinde - Auslegungsschwierigkeiten, so können diese beispielsweise durch Rücksprache der Gemeinde ohne weiteres behoben werden. So kann der Bürger, der Bäume fällen will, anhand der Satzungsregelung voraussehen, ob sein Verhalten bußgeldbewehrt ist, weil er in den allermeisten Fällen bereits auf Grund der Siedlungsstruktur erkennt, ob die Bäume noch innerhalb der bebauten Ortsteile oder des Geltungsbereichs der Bebauungspläne (welche durch die Presse bekannt werden) liegen, und weil er dies in den selteneren Grenzfällen durch Rücksprache bei der Gemeinde klären kann (BGH, a.a.O.; a.A. OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 615 [OLG Hamm 25.02.1993 - 3 Ss OWi 1060/92]).
Anders ist dies für die vorliegende Bußgeldvorschrift der genannten Abfallentsorgungssatzung zu beurteilen, welche ebenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet. Danach handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig seiner Anzeigepflicht nicht, nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder in unrichtiger Weise nachkommt, wobei u.a. auf § 19 Abs.1 der Satzung verwiesen wird, dessen Satz 1 (für den vorliegenden Fall einschlägig) bestimmt: "Die Anschlusspflichtigen haben dem Landkreis für jedes anschlusspflichtige Grundstück das Vorliegen, den Umfang sowie jede Veränderung der Anschluss- und Benutzungspflicht innerhalb eines Monats schriftlich anzuzeigen." Gegenstand der Anzeigepflicht ist die "Anschluss- und Benutzungspflicht", ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Inhalt sich erst nach eingehender juristischer Auswertung der ganzen Abfallentsorgungssatzung sowie weiterer Bestimmungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, des Niedersächsischen Abfallgesetzes sowie der Bestimmungsverordnung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle erschließt. Denn der bußgeldbewehrten Anzeigepflicht unterliegt - in umfassender Weise - "das Vorliegen, der Umfang sowie jede Veränderung der Anschluss- und Benutzungspflicht". Dasselbe gilt für den unbestimmten Rechtsbegriff des "Anschlusspflichtigen" sowie den des "anschlusspflichtigen Grundstücks". Wann im Einzelfall also die Anzeigepflicht verletzt ist, vermag nur der im Abfallrecht Bewanderte nach eingehender Prüfung der Satzung und der in Bezug genommenen weiteren abfallrechtlichen Gesetze und Verordnungen zu beurteilen. Normadressat der vorliegenden Bußgeldvorschrift ist jedoch jeder Eigentümer bewohnter oder bebauter Grundstücke innerhalb des Landkreises sowie jeder Erbbauberechtigte, Wohnungseigentümer, Wohnungserbbauberechtigte, Nießbraucher und sonst zur Nutzung eines Grundstücks dinglich Berechtigte (§ 3 Abs.1 der Abfallentsorgungssatzung). Für diese Normadressaten - also für den einfachen Bürger - muss erkennbar und vorhersehbar sein, ob ein tatsächliches Verhalten mit einem Bußgeld bedroht ist, wenn das Bestimmtheitsgebot des Art.103 Abs.2 GG gewahrt sein soll (BVerfGE 71, 108, 115 [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]. Hiervon ist die vorliegende Bußgeldvorschrift weit entfernt. Denn ob im Einzelfall die Anzeigepflicht verletzt ist, kann - wie oben bereits ausgeführt - nur der im Abfallrecht Bewanderte nach umfassender Prüfung der Satzung und der in Bezug genommenen abfallrechtlichen Gesetze und Verordnungen beurteilen. Damit ist der einfache Bürger als Normadressat jedoch hoffnungslos überfordert.
2.
Das dem Betroffenen vorgeworfene Verhalten fällt nicht unter den erkennbaren Wortsinn der genannten Bußgeldvorschriften; die Ahndung des Verhaltens des Betroffenen durch ein Bußgeld stellt daher eine Analogie zu Ungunsten des Betroffenen dar und ist ebenfalls mit dem verfassungsrechtlich normierten Bestimmtheitsgebot nicht vereinbar.
Das Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit i. S. des Art.103 Abs.2 GG schließt nach der Rechtsprechung eine analoge Begründung der Bestrafung bzw. bußgeldrechtlichen Ahndung aus (BVerfGE 14, 174, 185 [BVerfG 03.07.1962 - 2 BvR 15/62]; 71, 108,115) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]. Dabei ist "Analogie" nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechts-"Anwendung", die über den Inhalt einer Sanktionsnorm hinausgeht. Art.103 Abs. 2 GG zieht der Auslegung von Straf- und Bußgeldvorschriften eine verfassungsrechtliche Schranke. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext bzw. bei Satzungsbestimmungen immer nur der Text der Satzung sein kann, erweist diese sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes bzw. der Satzung markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Wenn Art.103 Abs.2 GG also die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Straf- oder Bußgeldandrohung für den Normadressaten verlangt, so kann das nur bedeuten, dass dieser Wortsinn aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen ist (BVerfGE 71, 108, 115 [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende "Interpretation" zu dem Ergebnis der Ahndbarkeit eines Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen. Die Gerichte müssen daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm oder Bußgeldnorm nicht mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen (BVerfGE 47, 109, 121 [BVerfG 17.01.1978 - 1 BvL 13/76] und 124; 71, 108, 116). Selbst wenn sich im konkreten Fall eine mögliche Ahndungslücke wegen eines Verhaltens des Betroffenen ergeben sollte, das in ähnlicher Weise ahndungswürdig erscheint, ist es den Behörden bzw. Gerichten verboten, diese Lücke auszufüllen. Insoweit muss sich der Gesetzgeber bzw. Satzungsgeber beim Wort nehmen lassen und selber entscheiden, ob er eine neue oder zusätzliche Regelung schaffen will; dem dürfen die Gerichte nicht vorgreifen (vgl. BVerfGE 47, 109, 124 [BVerfG 17.01.1978 - 1 BvL 13/76]; 71 108, 116).
Im vorliegenden Fall wird dem Betroffenen vorgeworfen, er habe gegenüber dem Landkreis N nicht angezeigt, dass sich die Anzahl der Hauptwohnsitze auf seinem Hausgrundstück in durch Geburt eines Kindes von 5 auf insgesamt 6 Personen erhöht hätte. Dieses Verhalten fällt nicht unter den Wortsinn der oben zitierten Bußgeldtatbestände des § 22 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 19 Abs.1 Satz 1 der genannten Abfallentsorgungssatzung. Danach ist für jedes anschlusspflichtige Grundstück "das Vorliegen, der Umfang sowie jede Veränderung der Anschluss- und Benutzungspflicht" anzeigepflichtig. Geht man von diesem Wortsinn aus, so wird durch die Anzahl der auf dem Hausgrundstück wohnenden Personen die im Tatbestand angesprochene "Anschluss- und Benutzungspflicht" des Grundstücks (als solche) nicht berührt. Die "Verpflichtung", das Grundstück dem Anschluss- und Benutzungszwang zu unterwerfen, ändert sich nicht dadurch, dass auf dem Hausgrundstück 5 oder 6 Personen wohnen. Allein aus diesem Wortsinn, der aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen ist (BVerfGE 71,108, 115 [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82]) [BVerfG 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82], ergibt sich also bereits, dass das dem Betroffenen vorgeworfene Verhalten nicht bußgeldbewehrt ist. Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man für die Auslegung der Begriffe des "Umfangs" und der "Veränderung" der Anschluss- und Benutzungspflicht die in der Abfallentsorgungssatzung verwandte Terminologie heranzieht. So ist in § 2 unter der Überschrift "Umfang der Abfallentsorgung" u.a. geregelt, welche Abfälle und welche Arten von Abfällen zu entsorgen und damit Gegenstand des Anschluss- und Benutzungszwangs sind. Unter § 3 sind diverse Ausnahmen vom Anschluss- und Benutzungszwang und damit von der Anschluss- und Benutzungspflicht normiert. Damit wird auch aus dem Zusammenhang der Satzung deutlich, dass es bei dem Gebot, Umfang und Veränderung der Anschluss- und Benutzungspflicht anzuzeigen, um Veränderungen hinsichtlich der Art der Abfälle oder hinsichtlich des Eintretens oder Wegfallens von Ausnahmetatbeständen geht, welche eben eine "Veränderung" der Anschluss- und Benutzungspflicht für das jeweilige Grundstück nach sich ziehen. Nur derartige Veränderungen können danach die Verpflichtung, das jeweilige Grundstück an die Abfallentsorgung anzuschließen und die vorgehaltene Abfallentsorgung zu benutzen, berühren und damit die Anzeigepflicht auslösen. Die Anzahl der Hausgrundstückbewohner hat mit der grundsätzlichen "Pflicht", das Grundstück dem Anschluss- und Benutzungszwang zu unterwerfen, und mit der Veränderung dieser Anschluss- und Benutzungspflicht (weil die Art der Abfälle sich ändert oder sich Ausnahmen von der Anschluss und Benutzungspflicht ergeben oder wegfallen) nichts zu tun.
Nichts anderes kann auch dann gelten, wenn man - wie der Landkreis dies im Bußgeldbescheid versucht hat - zusätzlich § 15 Abs.3 Satz 1 der Abfallentsorgungssatzung mit heranzieht, wo es heißt: "Die Anschlusspflichtigen wählen den für die zu erwartende Restabfallmenge als ausreichend anzusehenden Restabfallbehälter aus, bei bewohnten Grundstücken mindestens eine Restabfallbehälterkapazität von 20 l pro 14 Tage und mit Hauptwohnung gemeldeter Bewohnerin oder gemeldetem Bewohnter, zumindest aber einen zugelassenen festen Restabfallbehälter." Hieraus ergibt sich lediglich die Anweisung gegenüber dem "Anschlusspflichtigen", in welcher Größe er die Restabfallbehälter in Abhängigkeit von der Anzahl der Grundstücksbewohner auszuwählen hat. Weder ist aber auf diese Bestimmung im oben zitierten Bußgeldtatbestand Bezug genommen worden, noch enthält diese Bestimmung eine Anzeigepflicht. Damit kann sich der Bußgeldtatbestand hierauf auch nicht erstrecken, da, wie bereits oben ausgeführt, die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Bußgeldandrohung sich für den Normadressaten, also den Bürger, aus der Bußgeldvorschrift als solcher nach deren Wortsinn ergeben muss.
IV.
Auf Grund der genannten Verstöße gegen das grundgesetzlich normierte Bestimmtheitsgebot von Sanktionstatbeständen war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Betroffene freizusprechen (§ 79 Abs.6 OWiG).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 467 StPO, 46 Abs.1 OWiG.