Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.03.2019, Az.: 3 Ws 48/19 (StrVollz)
Vorrang der internen Therapie bei lebenslanger Verurteilung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.03.2019
- Aktenzeichen
- 3 Ws 48/19 (StrVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 36151
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 28.12.2018 - AZ: 50 StVK 191/18
Rechtsgrundlage
- § 57a Abs. 1 StGB
Amtlicher Leitsatz
Bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, gegen die keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, besteht kein Anlass, die Regelung des § 66c Abs. 2 StGB zum Vermeiden eines die Dauer von 15 Jahre übersteigenden Vollzugs entsprechend anzuwenden.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 2. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg vom 28. Dezember 2018 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Der Streitwert wird auf bis zu 500,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt derzeit wegen Mordes eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe, wobei der Ablauf der Mindestverbüßungszeit im Sinne von § 57a Abs. 1 StGB auf den 13. Februar 2021 notiert ist. Nach einem Lockerungsgutachten vom 10. März 2015 ist bei dem Antragsteller eine sozialtherapeutische Behandlung indiziert. Diese Indikation wurde im März 2016 vom psychologischen Dienst bestätigt, wobei von einer voraussichtlichen Behandlungsdauer von 2-3 Jahren ausgegangen wurde. Nach Einschätzung der Antragsgegnerin ist die Indikation aus fachlicher Sicht nach wie vor gegeben.
Zu Beginn des Jahres 2017 verweigerte der Antragsteller den Antritt einer ihm zugewiesenen Sozialtherapie in der Justizvollzugsanstalt W., signalisierte aber Ende 2017, er sei nunmehr bereit, die Behandlung in einer Sozialtherapie zu beginnen. Hieraufhin wurde der Antragsteller am 13. Februar 2018 in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt M. aufgenommen, wobei er die Teilnahme an Gruppengesprächen mit der Begründung abgelehnt hat, er wolle mit Sexualstraftätern nichts zu tun haben. Im April 2018 erklärte der Antragsteller, seine in H. lebende Lebensgefährtin sei schwer erkrankt und könne ihn in M. nicht mehr besuchen, dies gelte auch für seine in H. lebenden Söhne, außerdem passiere in der Sozialtherapie zu wenig. Im Mai 2018 erklärte der Antragsteller, er könne nicht über längere Zeit getrennt von seiner Familie sein und bat um eine möglichst schnelle Verlegung (in den Normalvollzug) nach O. Die Rückverlegung nach O. erfolgte hieraufhin am 4. Juni 2018.
Die sozialtherapeutische Abteilung in M. geht gleichwohl von einer fortbestehenden Indikation für eine Sozialtherapie aus, verknüpft dies aber mit der Erwägung, diese solle nach einer gewissen therapeutischen Ruhezeit und einer Beruhigung der familiären Situation des Antragstellers in räumlicher Nähe zu seinen Angehörigen in ca. ein bis zwei Jahren erneut in Angriff genommen werden.
Mit Schriftsatz vom 11. September 2018 hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine externe Therapie zu gewähren. Bei Berücksichtigen einer gewissen therapeutischen Ruhezeit von ca. ein bis zwei Jahren könne die Sozialtherapie nicht vor Ablauf der Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren durchgeführt werden. Der Antragsteller habe daher Anspruch auf eine vollzugliche Behandlung und Betreuung, die analog § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB geeignet ist, die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe über den 15-Jahreszeitpunkt hinaus entbehrlich zu machen. Dies sei nach der derzeitigen Planung der Antragsgegnerin nicht gewährleistet.
Die Antragsgegnerin ist dem namentlich mit der Erwägung entgegengetreten, eine externe Therapie komme nur in Betracht, wenn im konkreten Fall ausreichende (interne) Behandlungsmöglichkeiten im Vollzug fehlten. Dies sei bei dem Antragsteller aber gerade nicht der Fall. Der Antragsteller sei nicht aus der Sozialtherapie abgelöst worden, weil er mit den dortigen Mitteln nicht habe erreicht werden können, sondern vielmehr deshalb, weil er auf eigenen Wunsch unter Angabe persönlicher Gründe in den Normalvollzug zurückverlegt worden sei.
Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsteller sei nach Maßgabe von § 104 Abs. 1 NJVollzG in eine sozialtherapeutische Abteilung zu verlegen. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller keine externe Therapie zukommen zu lassen, sei nicht zu beanstanden. Für eine entsprechende Anwendung des aus § 66c Abs. 2 StGB für den angeordneten oder vorbehaltenen Vollzug der Sicherungsverwahrung herzuleitenden Ultima-Ratio-Prinzips bestehe kein Anlass, weil es - auch vor dem Hintergrund der Regelung in § 104 Abs. 3
NJVollzG - bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Die von der sozialtherapeutischen Abteilung erwähnte Ruhezeit von ein bis zwei Jahren sei nicht verbindlich. Eine externe Therapie sei allenfalls dann erforderlich, wenn der Antragsteller mit den internen vollzuglichen Mitteln nicht erreicht werden könne, dies sei vorliegend aber nicht der Fall. Hierbei sei namentlich auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller eine im Jahr 2016 angebotene Sozialtherapie zu Beginn des Jahres 2017 in der JVA W. verweigert und eine seit dem 21. Dezember 2017 in der sozialtherapeutischen Abteilung in der JVA M. begonnene Therapie allein unter Angabe persönlicher Gründe abgebrochen habe.
Gegen diese Entscheidung wendet der Antragsteller sich mit seiner Rechtsbeschwerde, mit welcher er erneut darauf abstellt, in entsprechender Anwendung der Regelung in § 66c Abs. 2 StGB sei zum Vermeiden eines die Dauer von 15 Jahren übersteigende Vollzugs der lebenslangen Freiheitsstrafe eine externe Therapie geboten.
Der zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug hat beantragt, die Rechtsbeschwerde nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die grundsätzlich statthafte und auch im Übrigen zulässig eingelegte Rechtsbeschwerde ist nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil der Senat sich zu der mit dem Rechtsmittel aufgeworfenen Rechtsfrage noch nicht geäußert hat.
III.
Die Rechtsbeschwerde bleibt indessen in der Sache ohne Erfolg. Die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und hiermit die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller keine externe Therapie anzubieten, sind nicht zu beanstanden und verletzten in Antragsteller nicht in seinen Rechten.
1. Insbesondere hat die Strafvollstreckungskammer frei von Rechtsfehlern darauf abgestellt, dass das Erfordernis einer externen Therapie nicht aus einer entsprechenden Anwendung der für den Vollzug der Freiheitsstrafe bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung geltenden Regelung in § 66c Abs. 2 StGB hergeleitet werden kann. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke; die Situation des Vollzugs einer über die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren hinausgehenden lebenslangen Freiheitsstrafe ist nicht mit jener des Vollzugs wie der Freiheitsstrafe bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung vergleichbar.
Eine gewisse Vergleichbarkeit besteht lediglich insoweit, als auch der Vollzug einer die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren übersteigenden lebenslangen Freiheitsstrafe eine gewisse Gefährlichkeitsprognose voraussetzt (in diesem Sinne etwa LG Marburg, StV 2012, 671; AK-StVollzG-Pollähne, 7. Aufl., Teil VII Rn. 22 ff., - der indessen selbst anerkennt, dass eine entsprechende Anwendung der hieraus hergeleiteten Grundsätze auf den Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafe nur de lege ferenda in Betracht zu ziehen ist). Hieraus kann aber - jedenfalls de lege lata - nicht hergeleitet werden, im Falle des Vollzugs lebenslanger Freiheitsstrafe müssten zum Vermeiden eines die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren übersteigenden Vollzugs einer lebenslangen Freiheitsstrafe im Hinblick auf therapeutische Maßnahmen dieselben Grundsätze gelten wie zum Zwecke des Vermeidens einer Sicherungsverwahrung (mit beachtlichen Argumenten kritisch hierzu auch die Anmerkung zum Beschluss des LG Marburg von Bartsch und Kreuzer, StV 2012, 674). Denn während der Vollzug der Sicherungsverwahrung zum Schutze der Allgemeinheit den Betreffenden aufgrund der ihnen innewohnenden Gefährlichkeit ein gewisses Sonderopfer abverlangt, ist und bleibt der Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe auch über den Zeitraum von 15 Jahren hinaus dem Grunde nach Vollzug von Freiheitsstrafe, die mangels Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen indessen nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
In diesem Sinne hat bereits auch das Oberlandesgericht Hamm im Hinblick auf die mit § 66c Abs. 2 StGB insoweit vergleichbare Regelung in § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB ausgeführt, dass diese nicht entsprechend auf Verurteilte mit lebenslanger Freiheitsstrafe anzuwenden sei, wenn 15 Jahre der Strafe bzw. die wegen der besonderen Schwere der Schuld angeordnete Mindestverbüßungsdauer bereits abgelaufen sei (Beschluss vom 1. September 2015, 1 Ws 379/15, zitiert nach juris). Auch das OLG Hamm hat insoweit das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke verneint, weil der Gesetzgeber eine derartige Regelung nur im Hinblick auf den Vollzug der Sicherungsverwahrung getroffen habe, um hiermit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen, wonach die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nur gerechtfertigt sein könne, wenn im Maßregelvollzug alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden, um die Gefährlichkeit des Verurteilten zu reduzieren (BverfG vom 4. Mai 2011, 2 BvR 2365/09, Rn. 112) und ihm dadurch eine realistische Entlassungsperspektive zu eröffnen. Gleichwohl habe es der Gesetzgeber in Kenntnis einer gewissen Vergleichbarkeit der Interessenlage unterlassen, auch für die Gruppe von zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Tätern eine dem § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB vergleichbare Regelung zu schaffen. Vielmehr sei nach dem Willen des Gesetzgebers die Strafe für Mord (mit oder ohne festgestellter besonderer Schwere der Schuld) die lebenslange Freiheitsstrafe, wobei lediglich die Vollstreckungsdauer von der besonderen Schwere der Schuld beeinflusst werde, wobei die Vollstreckungsdauer der Sicherungsverwahrung hingegen schuldunabhängig sei. Strafe und Maßregel unterschieden sich hiernach grundlegend in Zweck und verfassungsrechtlicher Legitimation (BGH NJW 2013, 3735 [BGH 24.10.2013 - 4 StR 124/13]). Die lebenslange Freiheitsstrafe sei in Gänze schuldabhängig und lasse sich nicht auf einen schuldabhängigen Mindestteil (bis zu 15 Jahren bzw. bis zum Ablauf der Mindestverbüßungsdauer) und einen rein gefahrenabwehrrechtlichen, darüber hinausgehenden Teil aufspalten. An dieser Konzeption habe der Gesetzgeber bisher nichts geändert.
Diese Ausführungen lassen sich auf die Regelung des § 66c Abs. 2 StGB ohne weiteres übertragen; der Senat schließt sich insoweit der Einschätzung des OLG Hamm für das vorliegende Verfahren an.
2. Dessen ungeachtet ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat auch sonst zu Recht eine externe Therapie für den Antragsteller abgelehnt.
a) Das Erfordernis einer externen Therapie kann nicht allein aus der rein zeitlichen Perspektive hergeleitet werden, eine Sozialtherapie sei bis zum Erreichen der Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht mehr zu gewährleisten. Zwar soll nach der Regelung in § 104 Abs. 3 NJVollzG die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt zu einem Zeitpunkt erfolgen, der den Abschluss der Behandlung zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt erwarten lässt. Unbeschadet der Frage, ob bei dem Antragsteller nach Ablauf von 15 Jahren eine Strafaussetzung nach derzeitigem Erkenntnisstand bereits in Erwägung zu ziehen ist, hat die Antragsgegnerin alles unternommen, dieser Regelung gerecht zu werden. Sie hat dem Antragsteller zu Beginn des Jahres 2017 - und somit erkennbar im zeitlichen Rahmen der Regelung in § 104 Abs. 3 NJVollzG - in eine sozialtherapeutische Abteilung überweisen wollen, was der Antragsteller indessen verweigert hat. Die nachfolgend im Februar 2018 begonnene Behandlung in der sozialtherapeutischen Abteilung in der JVA M. hat der Antragsteller bereits im Mai 2018 aus persönlichen, nicht aus therapeutisch motivierten Gründen beendet. Wenn hiernach zum Zeitpunkt des Ablaufs von 15 Jahren des Vollzugs der lebenslangen Freiheitsstrafe eine zu einer Aussetzung im Sinne von § 57a Abs. 1 StGB erforderliche Prognose nicht sollte begründet werden können, würde dies letztlich der Antragsteller zu verantworten haben und würde allein dies hiernach nicht zum Erfordernis einer externen Therapie führen. Insoweit wäre die Situation nicht abweichend von jener im Sinne von § 57 Abs. 1 StGB bei Aussetzung des Strafrestes einer zeitigen Freiheitsstrafe zu beurteilen, die ein der Annahme einer günstigen Sozialprognose entgegenstehendes Verhalten des Verurteilten, hierzu zählt auch der Abbruch einer Therapie, grundsätzlich ebenfalls in dessen Verantwortungsbereich verlagert.
b) Die Strafvollstreckungskammer hat ebenfalls frei von Rechtsfehlern darauf abgestellt, dass der Antragsteller nicht mit den (internen) therapeutischen Mitteln des Vollzugs nicht mehr erreichbar ist. Die Sozialtherapeutische Abteilung hat vielmehr festgestellt, dass eine Indikation für eine Behandlung im Rahmen einer Sozialtherapie nach Maßgabe von § 104 Abs. 1 NJVollzG weiterhin gegeben ist und grundsätzlich erfolgversprechende therapeutische Ansätze in deren Rahmen vorhanden sind.
Soweit in der Rechtsprechung vereinzelt das Erfordernis einer externen therapeutischen Behandlung im Falle des Vollzugs lebenslanger Freiheitsstrafe für erforderlich gehalten wurde (BVerfGE 117, 71; OLG Karlsruhe vom 23. Juli 2001, 3 Ws 50/01, zitiert nach juris), war dies erkennbar dem Umstand geschuldet, dass nach der diesen Entscheidungen zugrunde gelegten Regelung in § 9 StVollzG die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt beschränkt ist auf Gefangene, die zu zeitiger (mithin nicht zu lebenslanger) Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Diese Einschränkung gilt nach Maßgabe der in Niedersachsen geltenden Regelung in § 104 Abs. 1 NJVollzG indessen nicht, sodass die benannten Entscheidungen auf den Vollzug in Niedersachsen nicht übertragen werden können.
Dass der Antragsteller aus Gründen der Gesundheitsfürsorge eine medizinisch indizierte psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung, die mit den internen Mitteln des Vollzugs nicht bewirkt werden könnte, benötigt, ist nicht ersichtlich.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
V.
Das Festsetzen des Streitwerts beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG.
VI.
Dieser Beschluss ist nach Maßgabe von § 119 Abs. 5 StVollzG nicht anfechtbar.