Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 27.11.2008, Az.: 8 U 58/07

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.11.2008
Aktenzeichen
8 U 58/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 42401
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2008:1127.8U58.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 07.03.2007 - AZ: 8 O 179/06

Fundstellen

  • BauR 2010, 87-88
  • IBR 2009, 504
  • OLGR Braunschweig 2009, 676-677

In dem Rechtsstreit

...

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Krüger-Doyé, die Richterin am Oberlandesgericht Hahn und den Richter am Oberlandesgericht Wichmann auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7. März 2007 - 8 O 179/06 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.

  2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 760,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2004 zu zahlen.

  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  4. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  6. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  7. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  8. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 6. November 2008 auf 50 425,92 € und für die Zeit danach auf 49 665,92 € festgesetzt.

  9. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohnes.

2

Wegen des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU Seite 2-4, Bl. 92 ff.d.A.) Bezug genommen.

3

Das Landgericht hat der Zahlungsklage weitgehend in Höhe von 50 425,92 € stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Klägerin ein restlicher Werklohn für die bewehrte Betonschalung (Kappe mit Berührungsschutzplatte - Pos. 01.06.0090) in Höhe von 48 906,70 € sowie die Mehraufwendungen bis zur Genehmigung der weiteren Behelfsbrücke in Höhe von 1 519,22 € zustünden.

4

Die Parteien hätten einvernehmlich die Masseangaben in dem ursprünglichen Leistungsverzeichnis dahingehend abgeändert, dass die streitgegenständliche Kappe mit Berührungsschutzplatte entsprechend Pos. 01.06.0090 des Leistungsverzeichnisses als einheitlicher monolithischer Block zu fertigen gewesen sei. Dies ergebe sich bereits aus der Entwurfsplanung der Beklagten (Schnitt C-C, M 1: 100). Die entsprechende Ausführungszeichnung der Klägerin, die vom Ingenieurbüro der Beklagten abgezeichnet worden sei, entspräche dieser Planung. Es könne daher dahinstehen, ob nach den einschlägigen Richtlinien des Bundesministeriums für Verkehr für derartige Brücken eine monolithische Bauweise vorgesehen sei.

5

Weiter stünden der Klägerin die geltend gemachten Mehraufwendungen bis zur Genehmigungsfähigkeit einer weiteren Behelfsbrücke gem. Pos. 01.16.0210.N ihrer Schlussrechnung zu.

6

Gegen dieses der Beklagten am 09.03.2007 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 21.03.2007, eingegangen bei Gericht am 23.03.2007, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 04.05.2007, eingegangen bei Gericht am 08.05.2007, begründet.

7

Hinsichtlich der Erschwernis bzgl. der Behelfsbrücke haben die Parteien eine Mehrforderung der Klägerin in Höhe von 760,00 € im Termin vor dem Senat unstreitig gestellt.

8

Die Beklagte greift das Urteil hinsichtlich der Abrechnungspositionen 01.06.0080 und 01.06.0090 an. Zur Begründung führt sie aus, dass das Landgericht beide Abrechnungspositionen unzutreffend ausgelegt habe. Auch wenn beide Bauteile monolithisch miteinander verbunden seien, seien sie doch getrennt abzurechnen. Die Klägerin habe die Position 01.06.0080 zu einem Einheitspreis von 1 028,75 DM, die Position 01.06.0090 dagegen zu einem Einheitspreis von 3 018,20 DM angeboten. Auch ergebe sich aus dem Leistungsverzeichnis für Erstere eine Menge von 52 m3 und für Letztere eine geschätzte Menge von 8 m3. Gleiches folge auch aus den Zeichnungen, die der Auftragsvergabe zugrunde gelegen haben. Die Aufspaltung in zwei Positionen des Leistungsverzeichnisses sei auch gerechtfertigt, weil beide Bauteile unterschiedlich hergestellt werden. Es bedürfe für die Erstellung der Berührungsschutzplatte einer deutlich aufwendigeren Schalung. Die Klägerin habe ausweislich ihrer eigenen Berechnung (Urkalkulation) die Leistungspositionen im gleichen Sinne wie die Beklagte verstanden und kalkuliert. Selbst wenn man der Auffassung der Klägerin folgen wolle, habe sie - wie unstreitig sei - im Laufe des Bauvorhabens eine deutliche Massenüberschreitung bei der Position 01.06.0090 nicht angezeigt.

9

Die Beklagte beantragt,

  1. das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7. März 2007 - 8 O 179/06 - dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird, soweit sie zur Zahlung von mehr als 760,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2004 verurteilt worden ist.

10

Die Klägerin beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

11

Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Die Beklagte müsse sich an dem von ihr selbst gewählten Wortlaut der streitgegenständlichen Positionen festhalten lassen. Es handele sich bei den Positionen 01.06.0080 und 01.06.0090 um gesondert ausgeschriebene Leistungen. Beide Bauteile seien verschieden sowie funktional und konstruktiv selbständig und voneinander durch Fugen getrennt. Die Kappe selbst (Pos. 01.06.0080) liege auf den so genannten Flügeln der Brückenwiderlager, während sich die Kappe mit Berührungsschutzplatte (Pos. 01.06.0090) auf dem Brückenüberbau zwischen den sog. Übergangskonstruktionen befinde. Es handele sich um ein einheitliches, monolithisches Bauteil, welches in einem einzigen Arbeitsgang zunächst bewehrt und anschließend betoniert werde. Dem entspreche auch die eigene Entwurfsplanung der Beklagten und die freigegebene Ausführungsplanung der Klägerin. Im Übrigen stehe die Ausschreibung auch mit der einschlägigen Abrechnungsvorschrift nach DIN 18331 (dort Ziff. 5.1.1.5) in Übereinstimmung. Die entsprechende DIN-Vorschrift sei Teil der VOB/C und damit in die vertragliche Vereinbarung einbezogen. Die Klägerin habe ihr Angebot auf der Basis von Vordersätzen gefertigt, die von der Ausführung - und der damit hier streitgegenständlichen Abrechnung - abweiche. Diese Abweichung beruhe allein darauf, dass die Beklagte die Massen selbst in ihrem Angebotsvordruck vorgegeben habe. Die Klägerin habe die Massen nicht überprüft.

12

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die bis zum 6. November 2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsätze im Übrigen Bezug genommen.

13

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

14

1.

Die Beklagte ist zur Zahlung von 760,00 € nebst Zinsen bzgl. der Position 01.16.0210.N der Schlussrechnung verpflichtet. Insofern besteht zwischen den Parteien nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 06.11.2008 Einigkeit, dass der Klägerin eine Mehrforderung in dieser Höhe zusteht.

15

2.

Der Klägerin steht dagegen keine restliche Mehrforderung in Höhe von 48 906,70€ bzgl. der Position 01.06.0090 zu. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Positionen 01.06.0080 und 01.06.0090 des Leistungsverzeichnisses im Vertragsverhältnis der Parteien dahingehend auszulegen, dass die Position 01.06.0080 insgesamt die Kappen und die Position 01.06.0090 allein den Umfang der Berührungsschutzplatte und nicht auch die damit als einheitliches Bauteil verbundene Kappe enthalten, §§ 133, 157 BGB. Im Einzelnen:

16

a.

Auszugehen ist vom Wortlaut der Vertragsbestimmung. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass eine Ausschreibung vorausgegangen ist. Das für die Auslegung der Ausschreibung maßgebliche Verständnis der Leistungsbeschreibung wird mit dem Zuschlag Inhalt des Werkvertrages. Die Ausschreibung nach VOB/A ist ein den Vertragsabschluss regelndes Vorbereitungs- und Abschlussverfahren, bei dem von den beteiligten Kreisen zu erwarten ist, dass sie die Regeln des Verfahrens kennen und sich auf sie als Grundlage der Vertragsverhandlungen einstellen. Deshalb ist für die Auslegung der Leistungsbeschreibung der objektive Empfängerhorizont, also die Sicht der Bieter, maßgebend. Dabei ist nicht auf einen einzelnen Bieter, sondern auf den angesprochenen Empfängerkreis insgesamt abzustellen. Das ergibt sich aus den Regelungen der VOB/A, nach denen die Ausschreibung der Leistungen auf das möglichst einheitliche Verständnis des Empfängerkreises hin zu formulieren ist ( § 9 Nr. 1 VOB/A ), und aus dem Zweck dieser Regelungen, eine gleiche und faire Wettbewerbssituation der Bieter zu gewährleisten (vgl. BGH BauR 1993, 595, 596). Bei der danach maßgeblichen Auslegung kommt dem Wortlaut der Erklärung aus der Sicht eines im voraus nicht übersehbaren Kreises von Erklärungsempfängern besondere Bedeutung zu. Nicht ausgesprochene Einschränkungen sind aber nicht völlig zu vernachlässigen, doch können sie nur zum Tragen kommen, wenn sie jeder der gedachten Empfänger als solche verstehen konnte und im Zweifel auch so verstehen musste (vgl. BGH BauR 1993, 595, 596).

17

b.

Legt man den Text des Leistungsverzeichnisses zugrunde, wird in den Positionen 01.06.0080 und 01.06.0090 zwischen zwei Bauteilen unterschieden. Zum Einen soll eine Kappe, zum Anderen eine Kappe mit Berührungsschutzplatte erstellt werden.

18

Nach Ziff. 5.1.1.5 der einschlägigen Abrechnuhgsvorschrift (DIN 18331) werden die Bauteile, die jeweils durch Betonfugen baulich voneinander abgegrenzt werden, auch getrennt voneinander abgerechnet. Da zwischen Kappe und Berührungsschutzplatte keine Fuge ausgebildet worden ist und entgegen dem landgerichtlichen Urteil auch nach der Planung der Beklagten nicht vorgesehen gewesen ist, könnte der Text der Ausschreibung dieser Positionen für die Abrechnungsweise der Klägerin sprechen. Allerdings greifen die Abrechnungsregeln der VOB/C nur dann ein, wenn die Parteien keine abweichenden Vereinbarungen getroffen haben.

19

c.

Indes kommt es auf den Wortlaut dieser streitbefangenen Positionen nicht entscheidend an, weil die Parteien übereinstimmend bei Vertragsschluss etwas anderes gewollt haben.

20

aa.

Auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gelten die Grundsätze der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB (vgl. BGH BauR 1993, 595, 596; BauR 2002, 935, 936). Besteht ein feststellbarer übereinstimmender Wille der Parteien, so ist allein dieser rechtlich maßgeblich, selbst wenn er im Inhalt der Erklärungen keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (vgl. BGH NJW 2002, 1038 [BGH 07.12.2001 - V ZR 65/01]; BGH NJW 1996, 1679; OLG Celle IBR 2001, 298; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 133 Rz. 8).

21

bb.

Die Klägerin hat ausweislich ihrer Urkalkulation (Anlage B 2 und B 7) die Position 01.06.0080 und 01.06.0090 entsprechend der Darstellung der Beklagten berechnet. In der Anlage B 7 kalkuliert sie die Position 01.06.0080 mit einer Länge von 56,70 m auf der Westseite und 39,60 m auf der Ostseite. Insgesamt ermittelt die Klägerin bei dieser Position eine Menge von 50,34 m3. Bei der Position 01.06.0090 (Anlage B 7) geht sie von einer Menge von 6,33 m3 aus. Hierbei legt sie eine durchschnittliche Länge der Berührungsschutzplatte von lediglich 14,98 m auf der Ostseite zugrunde. Diese mittelt sie aus der Strecke von 16,10 m auf der längeren Seite und 13,85 m auf der kürzeren Seite. In gleicher Weise errechnet sie die Massen auf der Westseite, Insgesamt kalkuliert die Klägerin für die Pos. 01.06.0090 daher eine Menge von 6,33 m3. Diese Masse hat sie ihrer Berechnung der Einheitspreise im Angebot zugrunde gelegt.

22

cc.

Die Beklagte hat auf die gleiche Weise die Mengen im Leistungsverzeichnis berechnet. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie im Vordersatz für die Pos. 01.06.0090 von einer Masse von 8 m3, dagegen bei der Pos. 01.06.0080 von einer Masse von 52 m3 ausgegangen ist. Dem entspricht die Kalkulation der Klägerin, die für letztere Position eine Masse von 50,34 m3 zugrunde gelegt hat. Mithin hat zwischen den Parteien bei Vertragsschluss Einigkeit darüber bestanden, dass die Berührungsschutzplatte als eigenständiges Bauteil ohne Kappe abgerechnet wird.

23

dd.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Massen von der Beklagten vorgegeben und von ihr nicht überprüft worden seien, ist das unzutreffend. Denn die Klägerin hat sehr wohl in ihrer Kalkulation und damit in ihrem Angebot die Mengen zu den Leistungspositionen selbst berechnet. Das hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch nicht in Zweifel gezogen.

24

ee.

Entgegen den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich die Bauweise zwischen Angebotserstellung und späterer Errichtung der Brücke nicht geändert. Die der Ausschreibung beiliegenden Pläne (Bl. 24 der Baubeschreibung - Anlage K 16 Bauwerksplan) sehen im fraglichen Bereich keine Fugen vor. Auch der von der Klägerin erstellte Schal- und Bewehrungsplan (Bl. Nr. 27a), der von den Ingenieuren der Beklagten genehmigt worden ist, lässt keine Fugen erkennen. Dementsprechend hat die Beklagte trotz geplanter monolithischer Bauweise ihren Werklohn so kalkuliert, als ob im fraglichen Bereich eine Fuge vorhanden wäre. Die Klägerin hat die Ausschreibung auch entgegen lit. A Ziff. 1 der Bewerbungsbedingungen (HVA-StB-Bewerbungsbedingungen/E 1 - Anl 8) nicht zum Anlass genommen, auf Unklarheiten in den Vergabeunterlagen hinzuweisen. Hätte sie den Inhalt des Leistungsverzeichnisses tatsächlich so verstanden, wie sie es nunmehr ihrer Abrechnung zugrunde gelegt hat, hätte sie die Beklagte hierauf hinweisen müssen (vgl. BGH BauR 1987, 683). Da sie solches unterlassen hat, ist auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Kalkulation der Schluss gerechtfertigt, dass sie den Inhalt der Ausschreibung so wie die Beklagte verstanden hat.

25

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

26

Die Revision war nicht zuzulassen, weil es an den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO fehlt.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert bestimmt sich nach § 3 ZPO.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 20. November 2008 begründet kein Recht auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 ZPO.

Dr. Krüger-Doyé
Hahn
Wichmann