Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.10.1983, Az.: 8 C 2/83
Religionsbezogene Aylmerkmale; Änderung des Geschäftsverteilungsplanes am Verwaltungsgericht; Normenkontrollantrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.10.1983
- Aktenzeichen
- 8 C 2/83
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1983, 12032
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1983:1028.8C2.83.0A
Fundstellen
- DVBL 1984, 95 (Volltext mit amtl. LS)
- DVBl 1984, 95 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1984, 627 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1984, 250 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Gültigkeit der Änderung eines Geschäftsverteilungsplanes.
Prozessführer
1. des Arbeiters ...
2. der Hausfrau ... beide wohnhaft: ...
Prozessgegner
das Präsidium des Verwaltungsgerichts Stade,
durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Stade, Am Sande 4 a, Stade,
Der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg hat
ohne mündliche Verhandlung am 28. Oktober 1983
durch
die Richter am Oberverwaltungsgericht Stelling und
Dr. Marx,
den Richter am Verwaltungsgericht Mädler sowie
die ehrenamtlichen Richter Nolte und
Meier
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragsteller, die als türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischer Religion in einem bei dem Verwaltungsgericht Stade anhängigen Verfahren (4 VG A 787/81, zwischenzeitlich; 5 VG A 787/81) ihre Anerkennung als Asylberechtigte betreiben, haben bei dem beschließenden Gericht am 15. Juli 1983 einen die am 7. März 1983 erfolgte Änderung des Geschäftsverteilungsplanes des Verwaltungsgerichts Stade vom 10. Dezember 1982 für das Geschäftsjahr 1983 betreffenden Normenkontrollantrag gestellt. Sie fühlen sich dadurch beschwert, daß durch den Änderungsbeschluß des Präsidiums des Verwaltungsgerichts vom 7. März 1983 ihr Asylverfahren zusammen mit den übrigen bis dahin bei der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade anhängig gewesenen ausländer- und asylrechtlichen Streitigkeiten, soweit diese wie ihr Verfahren noch nicht bei der 5. Kammer für April 1983 terminiert waren, mit Wirkung vom 1. April 1983 in die Zuständigkeit der 4. Kammer Stade überging. Sie meinen vor allem, der Änderungsbeschluß sei auf Einwirkungen interessierter behördlicher Stellen zurückzuführen, die mit der Rechtsprechung der 5. Kammer Stade zur Frage der Asylberechtigung der Jeziden nicht einverstanden gewesen seien. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, daß die 5. Kammer, die wie auch die jetzt zuständige 4. Kammer Jeziden allgemein als asylberechtigt anerkannt habe, seit Januar 1983 die Berufung gegen ihre diesbezüglichen Urteile nicht mehr zugelassen habe, während dahinstehe, wie die 4. Kammer in dieser Hinsicht entscheiden werde. Aufgrund der Änderung des Geschäftsverteilungsplanes liege auch die besondere Sachkunde, die sich die Richter der 5. Kammer hinsichtlich der Jezidenfrage angeeignet hätten, brach.
Die Antragsteller beantragen,
die am 7, März 1983 beschlossene Änderung des Geschäftsverteilungsplanes des Verwaltungsgerichts Stade für das Geschäftsjahr 1983 vom 10. Dezember 1982 für nichtig zu erklären, soweit asyl- und ausländerrechtliche Streitigkeiten ausschließlich der 4. Kammer Stade zugewiesen werden, auch wenn sie bis einschließlich März 1983 bei der 5. Kammer Stade anhängig und noch nicht terminiert waren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält den Antrag für unzulässig, weil nicht ersichtlich sei, daß Geschäftsverteilungspläne der Verwaltungsgerichtsbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle unterworfen werden sollten, während es eine entsprechende Kontrolle für die Geschäftsverteilungspläne der übrigen Gerichtszweige nicht gebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist unzulässig, weil er sich nicht gemäß SS 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, 9 Nds. VwGG auf eine landesrechtliche Verordnung oder eine andere im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift bezieht. Der Beschluß des Beklagten vom 7. März 1983 über die Änderung des Geschäftsverteilungsplanes für das Verwaltungsgericht Stade für das Geschäftsjahr 1983 ist keine Rechtsvorschrift im Sinne der genannten Regelungen.
Die verfahrensrechtlichen Regelungen über die Normenkontrolle erweitern die gerichtliche Überprüfbarkeit hoheitlichen Handelns auf Akte der Rechts Setzung. Die dem Erlaß und der Wirkung von Rechtssätzen entsprechenden besonderen Rechtswirkungen derartiger gerichtlicher Entscheidungen (Nichtigerklärung, Veröffentlichung, vgl. § 47 Abs. G VwGO) bedingen, daß die Überprüfung sich auf Hoheitsakte mit förmlichem Normcharakter beschränkt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich materiell um hoheitliche Regelungen mehr abstrakten oder konkreten Inhalts handelt (was für Geschäftsverteilungspläne ohnehin nicht einheitlich zu beantworten ist). Entscheidend ist vielmehr allein, ob sie - gegebenenfalls abgesehen von hier nicht interessierenden Fällen des Gewohnheitsrechts - als Rechtssätze in Kraft gesetzt worden sind und als solche in der Rechtsordnung anerkannt werden (Kopp, VwGO, 5. Aufl., RdNr. 13 zu § 47; Redeker/von Oertzen, VwGO, 7. Aufl., RdNr. 16 zu § 47; OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.11.1975 - 1 C 3/74 -, NJW 1976, 2281, 2282) [OVG Niedersachsen 05.11.1975 - I C 3/74] - wie Verordnungen (in ihren unterschiedlichen Ausgestaltungen), Satzungen und rechtsetzende Vereinbarungen (vgl. Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl., RdNr. 12 ff. zu § 47: Redeker/von Oertzen, aaO, RdNr. 12 ff. zu S 47; Kopp, aaO, RdNr, 12 zu § 47). Gerichtliche Geschäftsverteilungspläne genügen diesen Anforderungen nicht, wie auch im Rahmen der sehr widersprüchlichen Äußerungen in Rechtsprechung und Schrifttum zur Frage des Rechtscharakters von Geschäftsverteilungsplänen weitgehend nicht verkannt wird (Kissel, GVG, 1981, RdNr. 93 zu § 21 e; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 41. Aufl., Anm. 7 zu § 21 e GVG; Eyermann/Fröhler, aaO, RdNr. 6 zu § 47; BayVerfGH, Entsch. v. 15.12.1977 - Vf 5-VII-77 -, NJW 1978, 1515, 1516 [VerfGH Bayern 15.12.1977 - Vf VII 5/77]; offengelassen in BVerwG, Urt. v. 28.11.1975 - 7 C 47/73 -, NJW 1976, 1224 [BVerwG 28.11.1975 - VII C 47/73]; BayVGH, Beschl. v. 25.10.1978 - Nr. 271 IX 78 -, BayVBl 1979, 272, 273). Der Senat hält es jedenfalls für ausgeschlossen, alle hoheitlichen Entscheidungen generalisierenden Inhalts, wie sie teilweise auch in Geschäftsverteilungsplänen enthalten sind, allein schon wegen dieses Inhalts, ohne daß ihnen eine in der Rechtsordnung anerkannte Rechtssatz form zukäme, der gerichtlichen Normenkontrolle zu unterwerfen. Soweit der abstrakt regelnde Teil des Geschäftsverteilungsplanes als Rechtsnorm bezeichnet wird (Kornblum, NJW 1977, 666, 667; Erichsen, VerwArch., Bd. 68, 1977, 179, 182 f; Wolf, DRiZ 1976, 364), wird überwiegend nur auf diese Eigenschaft abgestellt, die für eine Qualifizierung als Rechtssatz wie dargelegt jedoch nicht ausreichend ist. Darüber hinaus hat aber auch der Teil des Geschäftsverteilungsplans, der die Antragsteller betrifft, keinen abstrakt-generellen Charakter. Die gerügte Zuweisung einer bereits bei Gericht anhängigen Sache an einen anderen Spruchkörper stellt vielmehr - anders als die Regelung für zukünftig eingehende Verfahren - inhaltlich eine in sich geschlossene Individualregelung dar, selbst wenn mehrere gleichartige Verfahren betroffen sind. Solche Bestimmungen für eine Reihe von konkreten Einzelfällen könnten im Rahmen einer Normenkontrolle, hielte man sie auch grundsätzlich wegen der abstrakt-generellen Teile des Geschäftsverteilungsplanes für statthaft, ohnehin nicht überprüft werden.
Der Rechtssatzcharakter gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne läßt sich auch nicht daraus ableiten, daß diese über die interne Arbeitsverteilung des Gerichts hinaus für den Rechtsuchenden letztlich den "gesetzlichen" Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) konkretisieren. Der "gesetzliche Richter" läßt sich nicht vollständig durch Gesetz bestimmen. Dem verfassungsrechtlichen Anliegen ist bereits damit genügt, daß die Geschäftsverteilung als der nicht durch Gesetz regelbare Bereich einzelgerichtlicher Einteilungen und Zuweisungen von einer in richterlicher Unabhängigkeit handelnden und mit Richtern besetzten Stelle autonom und - soweit erforderlich - in inhaltlich abstrakten Regelungen beschlossen wird (vgl. Fraundorf, DÖV 1980, 553). Einer Rechtskontrolle unterliegt diese Geschäftsverteilung unter Gesichtspunkten des gesetzlichen Richters für den einzelnen Rechtsuchenden ohnehin in dem von ihm geführten konkreten Verfahren (BVerwG, Beschl, v. 07.04.1981 - 7 B 80/81 -, NJW 1982, 900). Sollte der Rechtssatzcharakter gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne bereits wegen der Regelung des "gesetzlichen Richters" angenommen werden, so müßte dies auch für die von dem Vorsitzenden vorzunehmende, insoweit ebenfalls bedeutsame Geschäftsverteilung innerhalb eines Spruchkörpers, der mit mehr Richtern als der gesetzlichen Richterzahl besetzt ist, gelten - eine Auffassung, die bisher in Rechtsprechung und Lehre noch nicht vertreten worden ist.
Nach allem sieht der Senat im gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan einen nicht der Normenkontrolle nach § 47 VwGO unterliegenden Justizhoheitsakt, dessen näherer Bestimmung es hier nicht bedarf.
Der Senat legt die Sache nicht gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. Eine Vorlage würde nicht zur Klärung grundsätzlicher Fragen führen. Im Mittelpunkt der Prüfung steht allein die während des Geschäftsjahres 1983 getroffene, bis zum 31. Dezember 1983 befristete ("auslaufende") Anordnung des Präsidiums (§ 21 e Abs. 1 Satz 2 GVG), ein bestimmtes bereits anhängiges Verfahren einer anderen Kammer zuzuteilen. Die Frage, ob eine solche Bestimmung Rechtscharakter hat, ist nach Auffassung des Senats eindeutig zu beantworten. Die Prüfung setzt nicht die generelle Klärung voraus, ob gerichtliche Geschäftsverteilungspläne allgemein als Rechtsvorschriften im Sinn des § 47 VwGO anzusehen sind.
Die Kostenentscheidung geruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.