Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.03.2017, Az.: 1 UF 106/16
Gegenstandswert der Geltendmachung der Nutzungsentschädigung für das ehemalige Familienheim durch einen geschiedenen Ehegatten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.03.2017
- Aktenzeichen
- 1 UF 106/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 36702
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wolfenbüttel - 13.05.2016 - AZ: 20 F 1072/15
Rechtsgrundlagen
- BGB § 745 Abs. 2
- FamGKG § 42 Abs. 1
- FamGKG § 51 Abs. 1
- FamGKG § 48
- GKG § 41 Abs. 1
- GKG § 41 Abs. 2
- GKG § 41 Abs. 5
- GKG § 48 Abs. 1
- ZPO § 3
- ZPO § 9
Amtlicher Leitsatz
Es entspricht regelmäßig billigem Ermessen, den Wert eines gegen den geschiedenen Ehegatten geltend gemachten Anspruchs auf Nutzungsentschädigung auf den 12-fachen Betrag der geforderten monatlichen Leistung festzusetzen.
Tenor:
Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 13.911,36 € festgesetzt. Für den vor dem Güterichter abgeschlossenen Vergleich vom 09.11.2016 wird der Wert auf insgesamt 63.911,36 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten, die seit dem 17.04.2007 geschiedene Eheleute sind, sind weiterhin gemeinsame Eigentümer des ehemaligen Familienheims..., das seit der Trennung im Jahr 2005 von der Antragsgegnerin - zunächst mit den gemeinsamen Kindern, mittlerweile allein - bewohnt wird.
Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller eine Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Mai 2015 in Höhe von monatlich 450,00 € sowie für die von ihm getragenen Finanzierungslasten einen Gesamtschuldnerausgleich in Höhe von monatlich 212,91 € ab April 2015 verlangt, ferner einen aus beiden Positionen errechneten Rückstandsbetrag.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.05.2016 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Wolfenbüttel dem Antragsteller für die Zeit ab Mai 2016 eine Nutzungsentschädigung in Höhe von monatlich 350,00 € zugesprochen und den Antrag für die davor liegende Zeit und die weitergehende Forderung zurückgewiesen; den Anträgen auf Zahlung eines Gesamtschuldnerausgleichs und auf die geltend gemachten Rückstände hat das Amtsgericht ebenfalls teilweise stattgegeben.
Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.
Nach Durchführung einer Mediationsverhandlung bei dem Güterichter des Oberlandesgerichts haben die Beteiligten eine Vereinbarung getroffen, die mit Beschluss vom 09.11.2016 festgestellt wurde. Dabei haben sich die Beteiligten auf eine Übernahme der Immobilie durch den Antragsteller nach Einholung eines Wertgutachtens, über eine Ausgleichszahlung und über die Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit bis zur Herausgabe des Grundstücks an den Antragsteller geeinigt. In der Güterichterverhandlung haben die Beteiligten für das Beschwerdeverfahren einen Wert von 15.700,00 € und für den Vergleich einen Mehrwert von 50.000,00 € vorgeschlagen.
II.
Nachdem die Beteiligten das Verfahren nach einer Verhandlung vor dem Güterichter am 18.10.2016 durch den im Güterichterverfahren mit Beschluss vom 09.11.2016 festgestellten schriftlichen Vergleich beendet haben, ist der Wert für das Beschwerdeverfahren und den abgeschlossenen Vergleich festzusetzen.
1. Beschwerdewert:
a) laufende Nutzungsentschädigung
Welcher Verfahrenswert für einen nach der Trennungszeit aus § 745 Abs. 2 BGB geltend gemachten Anspruch auf Nutzungsentschädigung festzusetzen ist, wird in der Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet.
Nach einer Ansicht bemisst sich der Verfahrenswert für einen solchen Entschädigungsanspruch auch im Nachscheidungsfall nach § 48 FamGKG, der für Ansprüche auf Nutzungsvergütung während der Trennung gemäß § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB einen Regelverfahrenswert von 3.000,00 € vorsieht (OLG Hamm FamRZ 2013 1421; FamRZ 2011, 892).
Nach überwiegender Ansicht enthält das Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG) keine Wertvorschrift für Ansprüche gemäß § 745 Abs. 2 BGB, so dass der Verfahrenswert gemäß § 42 Abs. 1 FamGKG nach billigem Ermessen zu bestimmen ist.
Hierzu wird teilweise an die §§ 48 GKG, 9 ZPO angeknüpft und der 3 1/2-fache Jahresbetrag der verlangten Nutzungsvergütung festgesetzt (OLG Frankfurt FamRZ 2014, 1732; so auch vor Einführung des FamGKG OLG Hamm FamRZ 2008, 1208; OLG Celle NdsRpfl 2000, 319), während nach anderer Auffassung die für Unterhaltssachen anzuwendende Regelung des § 51 FamGKG entweder analog oder nach seinem Rechtsgedanken herangezogen und der Verfahrenswert nach dem Jahresbetrag der geforderten Nutzungsvergütung bemessen wird (OLG des Landes Sachsen-Anhalt - Naumburg -, Beschluss vom 02.09.2014, 3 UF 229/13 - juris; Schneider/Herget-Thiel, Streitwertkommentar, 14. Aufl., 2016, Rn. 8027q; Meyer, Kommentar zum GKG/FamGKG, 14. Aufl., § 48 FamGKG Rn. 2).
Die Anwendung von § 48 FamGKG schließt der Senat aus. Bei dem Anspruch auf Nutzungsentschädigung gemäß § 745 Abs. 2 BGB handelt es sich nicht um eine Ehewohnungssache im Sinne des § 200 FamFG, sondern um eine sonstige Familienstreitsache nach § 266 FamFG. Während Ansprüche auf Nutzungsvergütung während der Trennungszeit gemäß § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB im Wohnungszuweisungsverfahren geltend gemacht werden können, ist diese Möglichkeit für entsprechende Ansprüche nach der Scheidung in § 1568 a BGB gerade nicht vorgesehen (vgl. OLG Naumburg a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2014, 1 WF 104/14 - über juris), so dass hierin keine Wohnungssache im Sinne des Kostenrechts gesehen werden kann.
Der Verfahrenswert ist vielmehr mit der herrschenden Meinung gemäß § 42 Abs. 1 FamGKG nach billigem Ermessen zu bestimmen, da das FamGKG keine Wertvorschrift für aus der Gemeinschaft folgende Ansprüche zwischen Miteigentümern aus § 745 Abs. 2 BGB enthält.
Hierfür kann grundsätzlich der Rechtsgedanke des § 51 Abs. 1 FamGKG herangezogen werden, der als einzige Vorschrift im FamGKG den Kostenwert für wiederkehrende Leistungen betrifft. Der Regelungszweck besteht darin, aus sozialen Erwägungen ein übermäßiges Anwachsen des Verfahrenswertes zu verhindern (Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl., 2017, § 51 FamGKG Rn. 1 unter Verweis auf § 41 GKG Rn. 2; Schneider/Herget-Thiel, Streitwertkommentar, 14. Aufl., 2016, Rn. 8027q). Dieser Gedanke kann auch im Rahmen der Ermessensausübung nach § 42 FamGKG für die Bewertung der Nutzungsentschädigung herangezogen werden. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass durch Trennung und Scheidung häufig eine angespannte finanzielle Situation eintritt, in der die Familie nicht durch erhöhte Gerichts- und Anwaltskosten zusätzlich belastet werden soll. Dafür spricht zudem eine gewisse Nähe der wiederkehrenden Nutzungsentschädigung zum Unterhaltsrecht. Das Wohnen eines Ehegatten in dem ehemaligen Familienheim wird regelmäßig als Mietvorteil bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt, wobei mit Rücksicht auf die Nutzung der ehemaligen Ehewohnung von der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs abgesehen werden kann.
Herangezogen werden kann ferner der Rechtsgedanke des § 41 Abs. 1, 2 und 5 GKG, der für bestimmte, aus einem Miet-, Pacht- oder ähnlichen Nutzungsverhältnis folgende Ansprüche - Bestehen des Nutzungsverhältnisses, Räumung, Mieterhöhung - ebenfalls auf den Jahresbetrag der Nutzungsvergütung abstellt. Dieser Regelung liegt ebenfalls der soziale Schutzgedanke zu Grunde, ein übermäßiges Anwachsen der Verfahrenskosten zu verhindern (vgl. BGH NJW 1967, 1863; OLG Frankfurt a. M. AnwBl. 1984, 203; OLG Köln FamRZ 2001, 239; Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl., 2017, § 41 GKG Rn. 2; BeckOK KostR/Schindler GKG § 41, vor Rn. 1; Binz/Dörndorfer GKG, FamGKG, JVEG, 3. Aufl., 2014, § 41 Rn. 1, - über beck-online; Schneider/Herget-Thiel, Streitwertkommentar, 14. Aufl., 2016, Rn. 8027q). Auch für Ansprüche auf Nutzungsentschädigung, die von dem für das Zivilrecht geltenden § 41 Abs. 1 GKG nicht direkt erfasst sind (vgl. BGH NJW-RR 2005, 938 [BGH 20.04.2005 - XII ZR 248/04]), kann hierauf im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 42 Abs. 1 FamGKG zurückgegriffen werden.
Die Auffassung, die auch für Ansprüche auf Nutzungsentschädigung zwischen geschiedenen Eheleuten gemäß §§ 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 9 ZPO den 42-fachen Betrag der geforderten monatlichen Leistung als Gebührenwert ansetzt (OLG Frankfurt FamRZ 2014, 1732), führt dagegen nicht zu sachgerechten und angemessenen Ergebnissen. Zudem begegnet die Heranziehung des § 48 Abs. 1 GKG, der für ungeregelte Kostentatbestände auf die Vorschriften der ZPO über den Zuständigkeitsstreitwert verweist, systematischen Bedenken, da nicht hinreichend berücksichtigt wird, dass das Gerichtskostengesetz und das Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen jeweils eigenständige Auffangregelungen enthalten. Dabei kann dahinstehen, ob - wie von einigen Zivilgerichten angenommen (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 31. Aufl., § 3 Rn. 16, Stichwort Mietstreitigkeiten, Nutzungsentschädigung m.w.N.) - der Wert einer Klage auf künftige Nutzungsentschädigung auch im Zivilrecht im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 48 GKG i.v.m. § 3 ZPO auf den einfachen Jahresbetrag festgesetzt werden kann, da die Wertfestsetzung nach § 42 Abs. 1 FamGKG ohnehin nach billigem Ermessen zu erfolgen hat.
Aus den dargelegten Gründen entspricht es billigem Ermessen im Sinne des § 42 FamGKG, für Ansprüche auf Nutzungsentschädigung zwischen geschiedenen Eheleuten regelmäßig den 12-fachen Wert der geforderten Nutzungsentschädigung anzusetzen, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalles einen abweichenden Zeitraum für die Wertfestsetzung angemessen erscheinen lassen.
Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich. Zwar war gleichzeitig beim Amtsgericht ein Zwangsversteigerungsverfahren über die betroffene Immobilie anhängig. Dies führt jedoch nicht zur Ansetzung eines kürzeren Nutzungszeitraums, da offen ist, wann dieses Verfahren zu einem Auszug der Antragsgegnerin und damit zu einem Ende des Nutzungsverhältnisses geführt hätte.
Da das Amtsgericht den Antrag das Antragstellers auf Zahlung einer Nutzungsvergütung ab Mai 2015 für den Zeitraum von Mai 2015 bis April 2016 zurückgewiesen hat, bemisst sich der Beschwerdewert insoweit auf den 12-fachen Betrag von 450,00 €, somit auf 5.400,00 €.
b) Gesamtschuldnerausgleich
Der Antragsteller hat ferner Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich erhoben, die in der Beschwerdeinstanz nur noch teilweise anhängig waren.
Da das FamGKG auch für Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich keine besondere Wertvorschrift enthält, bestimmt sich der Wert ebenfalls gemäß § 42 Abs. 1 FamGKG nach billigem Ermessen.
Der Antragsteller hat seine Anträge hinsichtlich des Gesamtschuldnerausgleichs in erster Instanz mehrfach umgestellt. Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 08.04.2016 gestellten modifizierten Antrag aus dem Schriftsatz vom 01.12.2015 hat er zuletzt einen Gesamtschuldnerausgleich in Höhe von monatlich 212,91 € ab April 2015 verlangt. Diesem Antrag hat das Amtsgericht für April 2015 nicht, für Mai 2015 in Höhe von 113,29 €, für die Zeit von Juni bis November 2015 in Höhe von jeweils 105,30 €, für Dezember 2015 in Höhe von 142,80 € und ab Januar 2016 vollständig stattgegeben. Von dem für die Zeit von April bis Dezember 2015 begehrten Betrag von 1.916,19 € (212,91 € x 9 Monate) wurde somit ein Teilbetrag von 887,89 € zugesprochen, in Höhe von 1.028,30 € wurde der Antrag abgewiesen und ist noch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gewesen.
Da für den Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich, soweit die Finanzierungsraten nach Verfahrenseinleitung fällig geworden sind, im Beschwerdeverfahren nur noch ein Betrag von 1.028,30 € streitig war, entspricht es billigem Ermessen, den Beschwerdewert auf diesen Betrag festzusetzen.
c) Rückständige Ansprüche auf Nutzungsentschädigung und Gesamtschuldnerausgleich
Der Antragsteller hat die bei Verfahrenseinleitung rückständigen Beträge sowohl für die Nutzungsentschädigung als auch für den Gesamtschuldnerausgleich einheitlich als Betrag in Höhe von 7.483,06 € geltend gemacht. Das Amtsgericht hat den Antrag abgewiesen. Dieser Betrag ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und gemäß § 35 FamGKG bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen.
Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 01.12.2015 einen Rückstand in Höhe von 9.619,48 € für die Zeit von November 2012 bis November 2015 geltend gemacht hat, sind hierin Beträge enthalten, die nach Verfahrenseinleitung fällig geworden und bereits bei der Wertfestsetzung für die laufenden Ansprüche berücksichtigt sind.
Der Verfahrenswert bemisst sich damit auf
5.400,00 € + 1.028,30 € + 7.483,06 € = 13.911,36 €.
2. Wert des Vergleichs
Die Beteiligten haben sich im Vergleich vom 09.11.2016 zusätzlich über die Vermögensauseinandersetzung hinsichtlich des gemeinsamen Hauses geeinigt. Gegen den für den Mehrwert vorgeschlagenen Wert von 50.000,00 € bestehen keine Bedenken, so dass der Wert für den Vergleich auf insgesamt 63.911,36 € festzusetzen ist.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§§ 59 Abs. 1 Satz 5, 57 Abs. 7 FamGKG).