Amtsgericht Jever
Urt. v. 06.12.1990, Az.: C 697/90

Schmerzensgeld; Fehldiagnose; Unterlassen des Arztes; Telefondiagnose

Bibliographie

Gericht
AG Jever
Datum
06.12.1990
Aktenzeichen
C 697/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 13667
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGJEVER:1990:1206.C697.90.0A

Fundstellen

  • AZRT 1991, 4
  • DfS Nr. 1993/1737
  • NJW 1991, 760-761 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 1991, 483 (red. Leitsatz)
  • VersR 1992, 330 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Die verletze Person erhält 800 DM für eine aufgrund der Verweigerung eines nächtlichen Hausbesuchs durch einen Bereitschaftsarzt erstellte falsche Telefondiagnose, die dazu führte, daß die erforderliche sofortige Krankenhauseinweisung für einige Stunden unterblieb.

In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Jever
auf die mündliche Verhandlung vom 19.11.1990
durch
den Direktor des Amtsgerichts Appel
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 800,00 DM zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 21/25 und der Beklagte 4/25 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 850,00 DM abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Am Sonntag, den 22.04.1990 hatte der Beklagte ärztlichen Bereitschaftsdienst für die Gemeinde, in der der Kläger wohnt. Der Kläger bekam im Laufe des Tages starke Bauchschmerzen. Deshalb rief die damalige Lebensgefährtin des Klägers bei dem Beklagten an; sie schilderte den Zustand des Klägers. Der Beklagte empfahl, Milch zu trinken und eine Wärmflasche aufzulegen. Einen Besuch bei dem Kläger machte der Beklagte nicht. Die vom Kläger verordneten Maßnahmen brachten keine Linderung. Nach Mitternacht ließ sich der Kläger von seiner Lebensgefährtin in das Reinhard-Nieter-Krankenhaus in Wilhelmshaven bringen. Hier wurde eine Darmgasansammlung mit angedeuteter Spiegelbildung (Subileus) festgestellt. Der Kläger wurde vom 23.04.-02.05.1990 stationär behandelt.

2

Der Kläger behauptet, der Beklagte habe erklärt, daß sein Kommen nicht erforderlich sei, er würde auch nicht kommen. Selbst als seine - des Klägers - Lebensgefährtin etwa gegen 22.00 Uhr erneut angerufen habe und ihm erklärt habe, daß sich der Zustand verschlimmert habe, habe der Beklagte keine Anstalten gemacht, den Ursachen der Verschlimmerung des Zustands nachzugehen. Als er später noch einmal angerufen worden sei, um eine Überweisung in das Krankenhaus zu veranlassen, habe er auch dies verweigert. Wäre er eine Stunde später in das Krankenhaus eingeliefert worden, hätte seine Erkrankung zum Tode führen können. Aus dem Sachverhalt sei der Beklagte verpflichtet, ein Schmerzensgeld zu zahlen; 5.000,00 DM seien angemessen.

3

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.

4

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Sein Bereitschaftsdienst habe an dem Tage zwischen 10.00 und 12.00 Uhr und zwischen 17.00 und 18.00 Uhr seine Praxis geöffnet gehabt. Die Lebensgefährtin des Beklagten habe vormittags angerufen und er habe den Kläger zu sich in die Praxis bestellt; der Kläger sei jedoch nicht erschienen. Danach sei er wegen der Erkrankung des Klägers nicht mehr angerufen worden.

6

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 28.09.1990, 14.10.1990 und 13.11.1990 verwiesen.

7

Gemäß dem Beschluß vom 01.11.1990 ist Beweis erhoben worden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist in der Sitzungsniederschrift vom 19.11.1990 enthalten. Darauf wird Bezug genommen.

8

In dem Termin zur Beweisaufnahme am 19.11.1990 ist für den Kläger niemand erschienen.

9

Der Beklagte beantragt

Entscheidung nach Aktenlage.

Entscheidungsgründe

10

Gemäß § 331 a ZPO konnte hier nach Aktenlage entschieden werden, da der Sachverhalt durch die Beweisaufnahme für eine derartige Entscheidung hinreichend geklärt ist.

11

Die Klage ist begründet.

12

Nach §§ 823 I BGB in Verbindung mit § 847 BGB kann der Kläger von dem Beklagten ein Schmerzensgeld fordern, weil der Beklagte sich ihm gegenüber einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat. Der Beklagte hat durch Unterlassen gehandelt.

13

Den Beklagten traf eine Barantenpflicht, die das Handeln durch Unterlassen begründet. Diese Garantenpflicht ergab sich einmal daraus, daß er den Bereitschaftsdienst hatte (Laufs, Arztrecht, 4. Aufl., Rdn 87), zum anderen aber auch daraus, daß er die Behandlung übernommen hatte, indem er eine Diagnose stellte und eine bestimmte Art der Behandlung empfahl (Laufs a.a.O., Rdn. 89, BGH NJW 79, 1248). Die Zeugin Foerste hat glaubhaft bekundet, daß der Beklagte empfohlen habe, daß der Kläger Milch trinken sollte und er eine Wärmflasche auf den schmerzenden Bauch legen sollte.

14

Die Unterlassung, an die hier anzuknüpfen ist, liegt darin, daß der Beklagte keinen Hausbesuch gemacht hat. Dies hätte spätestens geschehen müssen, nachdem die Zeugin Foerste - wie sie ferner ausgesagt hat - den Beklagten gegen 22.00 Uhr erneut angerufen und ihm mitgeteilt hat, daß sich der Zustand des Klägers verschlimmert habe. Es gehört zu den Aufgaben des Arztes, sich von dem Leiden des Patienten ein eigenes Bild zu machen. Er darf vor allen Dingen nicht - wie hier - die Angaben Dritter übernehmen und eine Ferndiagnose stellen, wenn es sich offensichtlich um eine schwere Krankheit handelt (Laufs a.a.O., Rdn. 88, BGH NJW 79, 1248). Diese Umstände waren dem Beklagten bekannt. Die Zeugin Foerste hat ausgesagt, daß sie dem Beklagten den Zustand des Klägers geschildert habe - Schmerzen, die soweit gegangen seien, daß sich der Kläger gekrümmt habe, zu Erbrechen -; derartige Schmerzen in der Bauchhöhle sind immer ein Anlaß für die Befürchtung, daß es sich um eine lebensbedrohende Krankheit handeln kann. Sie führt sogar zu einer Haftung des Arztes nach §§ 823 II in Verbindung mit § 323 c StGB (OLG Hamm NJW 75, dd 609, Laufs a.a.O., Rdn 91). Hier kam noch das von der Zeugin geschilderte Erbrechen hinzu. Spätestens nach dem 2. Anruf mußte der Beklagte daher tätig werden.

15

Durch sein Nichttätigwerden hat er die Leiden des Klägers verlängert. Der Kläger ist erst nach 2.00 Uhr morgens richtig behandelt worden. Bei einem Tätigwerden des Beklagten zu dem früheren Zeitpunkt hätten die Leiden des Klägers verkürzt werden könne, sei es, daß der Kläger ihm zunächst eine schmerzstillende Spritze verabreichte, sei es, daß er sofort eine Überweisung in das Krankenhaus veranlaßte.

16

Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes war zu berücksichtigen, daß der Kläger keine lebensbedrohliche Erkrankung erlitten hat. Es kann nicht festgestellt werden, daß etwa der Krankenhausaufenthalt durch das Nichttätigwerden des Beklagten sich für den Kläger verlängert hat. Der von dem Beklagten vorgelegte Arztbericht spricht nicht für einen perforierten Blinddarm. Eine solche Erkrankung ist nach dem Bericht bei dem Kläger vielmehr schon 1977 behandelt worden, ebenso ist die Dünndarmresektion schon 1977 erfolgt. Bei dem Kläger lag lediglich eine Darmverschlingung im Ansatz (Subileus) vor. Der den Kläger behandelnde Arzt kommt zu dem Ergebnis, daß es sich um verwachsungsbedingte Abdominalbeschwerden gehandelt habe. Zu Lasten des Beklagten kann nur die Verlängerung der Leiden, die durch das Nichttätigwerden eingetreten sind, berücksichtigt werden. Dies rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts lediglich ein Schmerzensgeld von 800,00 DM.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

18

Vorläufig vollstreckbar ist das Urteil nach §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.

Appel Direktor des Amtsgerichts