Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 30.05.2006, Az.: 9 U 57/05
Einziehung und Verwertung einer zur Sicherheit abgetretenen Forderung durch den Insolvenzverwalter; Rechtmäßigkeit des Abzugs einer Verwertungspauschale und der Umsatzsteuer vom Bruttoerlös durch den Insolvenzverwalter
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 30.05.2006
- Aktenzeichen
- 9 U 57/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 33594
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2006:0530.9U57.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 28.11.2005 - AZ: 8 O 1418/05
- nachfolgend
- BGH - 22.02.2007 - AZ: IX ZR 112/06
Rechtsgrundlagen
- § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO
- § 166 Abs. 2 InsO
- § 171 Abs. 2 InsO
- § 13 Abs. 1 Nr. 1b UStG
Fundstellen
- InVo 2007, 236-238 (Volltext mit red. LS)
- NZI (Beilage) 2007, 31 (amtl. Leitsatz)
- OLGReport Gerichtsort 2007, 499-500
Amtlicher Leitsatz
- 1.)
Die Einziehung einer zur Sicherheit abgetretenen Forderungen durch den Insolvenzverwalter führt in der Regel nicht zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer im Sinne des § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO.
- 2.)
Der Insolvenzverwalter kann die Verwertungspauschale von 5 % (§ 171 Abs. 2 Satz 1 InsO) nicht zusätzlich zu den Rechtsverfolgungskosten für die zwangsweise Durchsetzung der zur Sicherheit abgetretenen Forderungen verlangen.
In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 16.05.2006
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 28.11.2005 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D... eG , der Beklagte Insolvenzverwalter über das Vermögen der P... GmbH, . Beide Unternehmen unterhielten vor den (jeweils 2001 eröffneten) Insolvenzverfahren miteinander Geschäftsbeziehungen. Der D... eG standen erhebliche Forderungen gegen die Firma P... zu, die im Rahmen einer Globalabtretung alle bestehenden und zukünftigen Forderungen an die D... eG abgetreten hatte.
Der Beklagte anerkannte das Absonderungsrecht der D... eG und nahm aufgrund seiner Befugnisse aus § 166 Abs. 2 InsO die Verwertung der abgetretenen Forderungen vor. Über die - noch nicht abgeschlossene - Verwertung erteilte er eine Zwischenabrechnung per 30.06.2005, nach der (unstreitig) ein Bruttoerlös von 118.855,17 EUR erzielt wurde. Von dem Erlös zog der Beklagte 44.330,93 EUR für "vorläufige Kosten/Auslagen" (im wesentlichen Rechtsanwaltsgebühren und Gerichtskosten für geführte Prozesse) ab. Ferner brachte er eine Feststellungspauschale von 4 % des Bruttoerlöses (4.754,21 EUR), eine Verwertungspauschale von 5 % des Bruttoerlöses (5.942,76 EUR) sowie Umsatzsteuer in Höhe von 16.393,82 EUR in Abzug.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Abzug der Verwertungspauschale und der Umsatzsteuer nicht gerechtfertigt sei. Die Verwertungspauschale könne nicht zusätzlich zu den tatsächlichen Kosten verlangt werden, die für die Einziehung von Forderungen entstehen. Umsatzsteuer sei nicht abzuziehen, weil der Einzug von Forderungen durch den Insolvenzverwalter keine umsatzsteuerpflichtige Leistung des Insolvenzverwalters sei und die Masse deshalb nicht belaste.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 22.336,58 EUR nebst Zinsen zu verurteilen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Wegen der Feststellungen und der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er den in erster Instanz gestellten Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Das Landgericht habe die Regelungen in §§ 170, 171 InsO fehlerhaft angewendet. Die Vorschriften dienten dazu, die Masse zu entlasten und die Absonderungsberechtigten an den durch die Feststellung und Verwertung ihrer Sicherheit entstandenen Kosten zu beteiligen. Im vorliegenden Fall sei die Gläubigergesamtheit durch die Verwertung mit erheblichen Aufwendungen belastet worden, die den Abzug des Pauschalbetrages von 5 % vom Verwertungserlös rechtfertigten. Daneben seien auch die bei Dritten entstandenen Kosten für die gerichtliche Durchsetzung der abgetretenen Forderungen in Abzug zu bringen, die der Insolvenzmasse nicht zur Last fallen dürften. Es handele sich insoweit nicht um Verwertungskosten i. S. d. § 171 Abs. 2 InsO.
Auch der Umsatzsteuerbetrag sei dem Verwertungserlös zu entnehmen. Der Erlösanspruch des gesicherten Gläubigers sei auf den Nettoerlös beschränkt. Bei der Steuerschuld handele es sich um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Beklagte ist sowohl zur Zahlung des einbehaltenen Umsatzsteueranteils von 16.393,82 EUR als auch zur Zahlung der einbehaltenen Verwertungspauschale von 5.942,76 EUR verpflichtet.
1.)
Das Landgericht ist mit zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beklagte die Umsatzsteuer nicht gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO vom Verwertungserlös abziehen durfte. Die Verwertung der zur Sicherheit abgetretenen Forderungen durch den Beklagten als Insolvenzverwalter hat nicht zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer geführt. Zwar gelten Umsatzsteueransprüche, die aus Maßnahmen des Insolvenzverwalters begründet sind, als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (MünchKomm/Kling, InsO, Rn. 137 zum Insolvenzsteuerrecht). Die hier in Rede stehenden Umsatzsteueransprüche sind aber nicht erst durch Maßnahmen des Insolvenzverwalters ausgelöst worden - vielmehr war der Steuertatbestand jeweils schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Schuldnerin verwirklicht worden, sodass es sich um Insolvenzforderungen i. S. d. § 38 InsO handelt (vgl. MünchKomm/Kling, a. a. O., Rn. 129 f.).
Der Beklagte beruft sich für seine gegenteilige Auffassung ohne Erfolg auf Kling (a. a. O., Rn. 159). Dort heißt es: "Bei einer Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 b UStG entsteht die Steuerschuld mit der jeweiligen Vereinnahmung. Entsprechendes gilt für den Forderungseinzug mit der Einziehung. Insolvenzsteuerrechtlich handelt es sich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 bei den durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Verbindlichkeiten um sonstige Masseverbindlichkeit." Diese Ausführungen beziehen sich nur auf den Ausnahmefall, dass die Steuerschuld gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 b UStG i. V. m. § 20 UStG erst mit der Vereinnahmung entsteht. Für das Vorliegen einer solchen Ausnahme hat der Beklagte nichts vorgetragen. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist vielmehr davon auszugehen, dass der Regelfall des § 13 Abs. 1 Nr. 1 a UStG vorlag (Berechnung nach vereinbarten Entgelten: Entstehung der Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind) und die Steuerschulden jeweils bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden waren.
In einem solchen Fall soll die Abzugsmöglichkeit gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO nach dem Zweck der Regelung nicht bestehen. Die Vorschrift ist ausweislich der Gesetzesmaterialien auf den Fall der Veräußerung zur Sicherung übereigneter Sachen zugeschnitten, die regelmäßig einen steuerbaren Umsatz im Sinne des Umsatzsteuerrechts darstellt, sodass der Fiskus nach einer solchen Veräußerung eine Umsatzsteuerforderung - als Masseforderung - geltend machen kann. Die dadurch entstehende Belastung der Masse wird durch § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO in der Weise ausgeglichen, dass der Insolvenzverwalter nur zur Auszahlung des Nettoerlöses, also des um den Umsatzsteuerbetrag verminderten Erlöses, verpflichtet ist. Abschließend heißt es in der Gesetzesbegründung: "Bei der Einziehung zur Sicherheit abgetretener Forderungen entsteht das Problem nicht, da dieser Vorgang keine Umsatzsteuerbelastung der Masse auslöst." (SchmidtRäntsch, InsO-Materialien, § 171 Rn. 4 a. E.).
Dafür, dass die Sicherungsnehmerin aufgrund der mit der Sicherungsgeberin vereinbarten Globalabtretung nur die Nettoerlöse, nicht aber auch die in den vereinnahmten Forderungen enthaltenen Steueranteile beanspruchen konnte, haben die Parteien nichts vorgetragen. Unter Berücksichtigung der Grundsätze des BGH zur Verwertung von sicherungsübereigneten Gegenständen (BGHZ 77, 139 [142 f.]) ist deshalb davon auszugehen, dass der D... eG auch die in den abgetretenen Forderungen enthaltenen Steueranteile zustanden.
2.)
Der Beklagte kann auch nicht die Verwertungspauschale von 5 % (§ 171 Abs. 2 Satz 1 InsO) zusätzlich zu den Rechtsverfolgungskosten für die zwangsweise Durchsetzung der zur Sicherheit abgetretenen Forderungen verlangen.
Allerdings führt Lwowski (in: MünchKomm, InsO, § 170 Rn. 35, 37) im Sinne der vom Beklagten vertretenen Ansicht aus, Kosten der Verwertung seien in erster Linie die Kosten der Vorbereitung und Durchführung der Verwertung. Nicht dazu zählten die Kosten, die durch die Verwertung bei Dritten, also z. B. beim Auktionator entstehen. Diese würden ohnehin durch den Dritten vom Versteigerungserlös abgezogen. Die Pauschale von 5 % berechne sich vom Erlös, wie er vom Auktionator an die Insolvenzmasse ausgezahlt wird. Auch bei Hess (in: Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 171 Rn. 16) heißt es, zu den Verwertungskosten gehörten nicht die Kosten, die bei Dritten entstehen.
Der Bundesgerichtshof ist dem jedoch entgegen getreten und hat unter Verweis auf die anderslautende herrschende Meinung klargestellt, dass die Kosten des vom Insolvenzverwalter eingeschalteten Verwerters nicht vorab vom (Brutto) Verwertungserlös abzuziehen, sondern Teil der tatsächlich angefallenen Verwertungskosten i. S. d. § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO sind (BGH NZI 2005, 679 m. w. N.).
Die vom Beklagten vertretene Auffassung überzeugt auch nicht, denn es liegt auf der Hand, dass die zwangsweise Durchsetzung von Forderungen gegenüber zahlungsunwilligen Schuldnern zur (Durchführung der) Verwertung der Forderung gehört. Somit lässt sich kaum begründen, warum die dafür entstandenen Kosten nicht zu den Kosten der Verwertung gehören sollen. Der Insolvenzverwalter (bzw. die Insolvenzmasse) erleidet dadurch auch keinen Nachteil, weil es ihm unbenommen bleibt, bei einer erheblichen Abweichung von der fünfprozentigen Pauschale die tatsächlich entstandenen Kosten abzuziehen. Das muss sich nicht auf die Anwalts und Gerichtskosten beschränken. Er kann auch die für seine vorbereitende Tätigkeit entstandenen Kosten abziehen, muss diese aber konkretisieren und nach dem tatsächlich entstandenen Aufwand abrechnen.
Soweit der Beklagte meint, der Verwertungserlös sei im Falle der gerichtlichen Durchsetzung von Forderungen vorab um die "Kosten des Rechtsstreits" zu korrigieren, kann dem schon im Hinblick auf die vorstehend zitierte höchstrichterliche Entscheidung nicht gefolgt werden. Die Kosten des Rechtsstreits (soweit sie überhaupt vom Kläger zu tragen sind, was ein Teilunterliegen voraussetzt) werden auch nicht per se von der erstrittenen Forderung in Abzug gebracht. Abgesehen davon hat der Beklagte diesen Standpunkt selbst nicht konsequent umgesetzt, indem er die fünfprozentige Verwertungspauschale von dem vollen Verwertungserlös berechnet und die Anwalts und Gerichtskosten zusätzlich abgezogen hat.
3.)
Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.