Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.01.2004, Az.: 2 W 249/03

Erteilung eines Erbscheins an einen Nacherben ; Bestehen einer Nacherbschaft von 6 Miterben; Ausweisung eiens Miterben im Erbschein zu 5/6 durch Erwerb der Anwartschafstrechte an dem Nachlass; Einschluss des Erwerbers eines Anwartschaftsrechts in den Begriff des "Erben"; Einordnung eines Erwerbers von Anwartschaftsrechten als Erben

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.01.2004
Aktenzeichen
2 W 249/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 11634
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2004:0127.2W249.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 01.12.2003- AZ: 4 T 23/03

Fundstellen

  • ErbBstg 2004, 214
  • NJW 2004, X Heft 40 (Kurzinformation)
  • OLGReport Gerichtsort 2004, 415-416
  • ZErb 2004, 297-298 (Volltext mit amtl. LS)

In der Beschwerdesache
betreffend den Nachlass des am 6. Aug. 1959 verstorbenen A.
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 23. Dezember 2003
gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 1. Dezember 2003
am 27. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 1. Dezember 2003 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert der weiteren Beschwerde sowie - insoweit unter Abänderung der Wertfestsetzung in dem Beschluss des Landgerichts Göttingen gem. § 31 Abs. 1 Satz 2 KostO - der Beschwerde wird auf EUR 260.666,67 festgesetzt.

Gründe

1

I.

Mit letztwilliger Verfügung vom 2. Mai 1958 setzte der Erblasser seine Ehefrau als Vorerbin und seine sechs Kinder, zu denen der Antragsteller gehört, als Nacherben zu gleichen Teilen (jeweils 1/6) ein. Zwischen 1970 und 1981 schloss der Antragsteller mit vier seiner fünf Geschwister - soweit bereits verstorben mit deren Rechtsnachfolgern - notarielle Verträge, durch die er ihr jeweiliges Anwartschaftsrecht an dem Nachlass erwarb. Die Vorerbin verstarb im Jahr 1999.

2

Der Antragsteller beantragt, einen Erbschein zu erteilen, der ihn selbst als Erben zu 5/6 und seine weitere Schwester zu 1/6 ausweist. Das Amtsgericht hat die Erteilung eines Erbscheins mit dem beantragten Inhalt abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht Göttingen mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Beide Gerichte vertreten die Auffassung, ein Erbschein könne nach dem Nacherbfall allein mit dem Inhalt erteilt werden, dass der Antragsteller sowie alle anderen vom Erblasser als Nacherben eingesetzten Geschwister jeweils Miterben zu 1/6 sind; der Erwerb von Anwartschaftsrechten habe im Erbschein unberücksichtigt zu bleiben.

3

Mit der weiteren Beschwerde hält der Antragsteller an seiner abweichenden Rechtsauffassung fest und begehrt die Abänderung der Beschwerdeentscheidung dahingehend, dass das Amtsgericht angewiesen wird, den von ihm beantragten Erbschein zu erteilen.

4

II.

Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO) stand. Der Senat schließt sich der in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits vom OLG Düsseldorf (MDR 1981, 143; MDR 1991, 252 = NJW-RR 1991, 332) und BayObLG (NJW-RR 1992, 200 = FamRZ 1992, 1476; FamRZ 2002, 350) vertretenen Ansicht an, nach der eine zwischen Erbfall und Nacherbfall erfolgte Übertragung des Nacherben-Anwartschaftsrechts im Erbschein nicht anzugeben ist.

5

1.

Zwar spricht für die vom Kammergericht in einer Entscheidung vom 19. April 1939 (JFG 20, 17, 21) und vereinzelt in der Literatur (Bertelmeyer, Rpfleger 1994, 189, 193-194) vertretene gegenteilige Ansicht, dass der Erwerber eines zwischen dem Erbfall und dem Eintritt des Nacherbfalls übertragenen Nacherbenanwartschaftsrechts im Moment des Nacherbfalls unmittelbar - also ohne Durchgangserwerb des vom Erblasser ursprünglich eingesetzten Nacherben - in die Rechtsstellung des Nacherben eintritt. Ein Erbschein, der auch nach der Übertragung des Anwartschaftsrechts den ursprünglich eingesetzten Nacherben weiterhin als Nacherben bzw. - nach Eintritt des Nacherbfalls - als Erben ausweist, ist materiell-rechtlich bezogen auf die Rechtsinhaberschaft daher unrichtig (OLG Düsseldorf, MDR 1981, 143 [OLG Düsseldorf 22.08.1980 - 3 W 234/80]). Insoweit unterscheidet sich die Übertragung eines Nacherbenanwartschaftsrechts durchaus von der Übertragung eines Miterbenanteils (§ 2033 BGB), bei dem der übertragende Miterbe durch die Übertragung nicht seinen Erbteil, sondern nur den vermögensrechtlichen Anteil am Nachlass verliert (BGH NJW 1979, 1306; NJW 1971, 1264, 1265; Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2033 Rn. 7; MünchKommBGB/Grunsky, 3. Aufl., § 2033 Rn. 27). Auch sprechen praktische Gründe dafür, dass der Erbschein nach einer Übertragung nunmehr den Anwartschaftsrechtsempfänger als "Nacherben" ausweist und der im Nacherbfall zu erteilende Erbschein dem neuen, tatsächlichen Rechtsinhaber ausgestellt wird. Denn (nur) dann wäre der Erbschein geeignet, die in ihm benannte Person als denjenigen auszuweisen, dem das im Erbschein angegebene Erbrecht im Zeitpunkt seiner Ausstellung zugestanden hat.

6

2.

Den vorstehend angeführten Überlegungen steht jedoch entgegen, dass der Begriff "(Nach-)Erbe" im BGB nicht den Erwerber eines Anwartschaftsrechts einschließt (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 252). "Erbe" ist vielmehr nur ein solcher Gesamtrechtsnachfolger, der vom Erblasser selbst eingesetzt worden (§§ 2087 ff. BGB) oder aber gesetzlicher Erbe (§§ 1924 ff BGB) ist. Dadurch, dass dem Erwerber mit dem Tod des Vorerben der Nachlass sofort zufällt, wird er begrifflich nicht zwangsläufig zum "Erben" (so wohl Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2108 Rn. 8, der insoweit zu Unrecht auf MünchKommBGB/Grunsky, 3. Aufl., § 2100 Rn. 30 hinweist), sondern erhält nur die Rechtsstellung eines solchen.

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Im Übrigen sprechen praktische Gründe nicht nur dafür, sondern auch dagegen, Anwartschaftsrechtserwerber als Erben im Sinne des § 2353 BGB anzusehen. Denn dann hätte das Nachlassgericht nicht nur, wie bereits vom Landgericht ausgeführt, Erwerbsvorgänge außerhalb des Erbrechts zu prüfen, sondern ein erteilter Erbschein wäre jedes Mal einzuziehen (§ 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn ein Nacherbe bzw. dessen Rechtsnachfolger vor Eintritt des Nacherbfalls (das BGB spricht insoweit genauer vom "Eintritt des Falles der Nacherbfolge", § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB) sein Anwartschaftsrecht einem anderen überträgt. Der damit verbundene Aufwand wäre erheblich. Entsprechendes hat der Antragsteller früher auch nicht beantragt.

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Es erscheint vielmehr praktikabel und ausreichend, rechtsgeschäftliche Übertragungen im Erbscheinsverfahren unberücksichtigt zu lassen und den Erwerber darauf zu verweisen, seine Rechte mit einem auf den eingesetzten Nacherben lautenden Erbschein und dem notariell beurkundeten Übertragungsvertrag (bei einer Übertragungskette: mit Ausfertigungen aller Verträge) nachzuweisen.

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Soweit die Rechtsprechung in Abweichung von § 2363 Abs. 1 BGB die Angabe der Nacherbschaft im Erbschein dann für entbehrlich erachtet hat, wenn der Vorerbe durch Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte auf ihn zum Vollerben geworden ist (OLG Köln, 11.6.90 - 2 Wx 9/90), ist dies als Sonderfall anzusehen, der insoweit nicht mit der Übertragung eines Anwartschaftsrechts auf einen weiteren Nacherben oder einen sonstigen Dritten gleichzustellen ist.

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III.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 30 Abs. 1, 131 Abs. 2 KostO. Maßgebend ist die Bedeutung des Rechtsmittels für den Rechtsbeschwerdeführer. Dieses ist hier darauf gerichtet, an Stelle einer Miterbenstellung zu 1/6 die Miterbenstellung zu 5/6 zu erlangen. Der Wert beträgt somit 4/6 (2/3) des gem. 107 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KostO für die Erbscheinserteilung maßgeblichen Netto-Nachlasswertes. Dieser beträgt ausweislich der Wertangabe in der notariellen Kostenberechnung in dem Erbscheinerteilungsantrag vom 1. Nov. 2001 EUR 391.000,00.

11

IV.

Die Sache war nicht dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung gem. § 28 Abs. 2 FGG vorzulegen. Zwar besteht eine Vorlagepflicht auch dann, wenn ein Oberlandesgericht von einer Entscheidung eines Rechtsbeschwerdegerichts aus der Zeit vor 1950 abweichen will (BGHZ 96, 198 = NJW-RR 1986, 565). Erforderlich ist allerdings, dass die Beantwortung der umstrittenen Rechtsfrage für beide Entscheidungen erheblich ist bzw. gewesen ist. Für die Entscheidung des Kammergerichts vom 19. April 1939 trifft dies jedoch nicht zu. Zwar ist die Rechtsauffassung des Kammergerichts in einem Leitsatz widergegeben, für die Entscheidung des Kammergerichts war sie jedoch nicht von Bedeutung und in den Gründen des Beschlusses dementsprechend nur als als obiter dictum ("es mag jedoch wegweisend bemerkt werden, ...") mitgeteilt.

Streitwertbeschluss:

Der Wert der weiteren Beschwerde sowie - insoweit unter Abänderung der Wertfestsetzung in dem Beschluss des Landgerichts Göttingen gem. § 31 Abs. 1 Satz 2 KostO - der Beschwerde wird auf EUR 260.666,67 festgesetzt.