Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.11.2013, Az.: 1 Ws 333/13

Voraussetzungen für das Eintreten der Führungsaufsicht bei einem Auslandswohnsitz; Anforderungen an die Anordnung von Abstinenzkontrollen i.R.d. Führungsaufsicht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
18.11.2013
Aktenzeichen
1 Ws 333/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 49555
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2013:1118.1WS333.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 16.07.2013

Amtlicher Leitsatz

1. Die Wohnsitznahme des Verurteilten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist keine Voraussetzung für das Eintreten der Führungsaufsicht gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nach Aussetzung der Maßregel zur Bewährung. Folglich ist ein Wohnsitz in Deutschland auch nicht Voraussetzung für die Erteilung von Weisungen im Rahmen der von Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht.

2. Bei der Entscheidung, ob bzw. in welcher Form in einem solchen Fall eine Führungsaufsichtsweisung erteilt wird, ist das Ermessen der Strafvollstreckungskammer wegen der Schwierigkeit, die Einhaltung der Weisung zu überwachen, keineswegs gleichsam auf Null reduziert. Folglich ist bei Auslandswohnsitz des unter Führungsaufsicht Stehenden nicht schon aus diesem Grund von einer Weisungserteilung abzusehen, wenn die Weisung an sich verhältnismäßig, zumutbar und geeignet ist, den Verurteilten von erneuter Strafbarkeit nachhaltig abzuhalten.

3. Die Strafvollstreckungskammer hat eine ordnungsgemäße Ermessensausübung bei der Auswahl ihrer Weisungen vorzunehmen und darzulegen; fehlt sie, kann das Beschwerdegericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht überprüfen.

4. Eine Abstinenz- und Kontrollweisung darf gemäß § 68b Abs.1 Nr 10 StGB nur dann erteilt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Grund für die Annahme besteht, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird. Für eine rechtsstaatliche einwandfreie Erteilung dieser Weisung muss die Strafvollstreckungskammer die für ihre Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen feststelle und in der Begründung ihres Beschlusses mitteilen.

5. Bei den Kosten für im Rahmen der Führungsaufsicht angeordneten Abstinenzkontrollen handelt es sich nicht um Vollstreckungs- sondern um Verfahrenskosten i.S.v. §§ 464, 465 StPO. Über die Kostentragung betreffend Abstinenzkontrollen ist im Wege einer Annexentscheidung zur Weisungsanordnung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB zu entscheiden.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 16.07.2013 insoweit aufgehoben, als

der Verurteilte unter Ziffer 1 angewiesen wurde, sich vierteljährlich bei der Psychiatrischen Institutsambulanz Forensik des Maßregelvollzugszentrums Niedersachsen in Moringen, Außenstelle Hannover, zur Suchtmittelkontrolle vorzustellen (§ 68 b Abs. 1 Nr. 11 StGB), wobei die Kontrollen je nach Entscheidung des zuständigen Mitarbeiters oder Arztes entweder in Form von Atemalkohol oder Urinkontrollen (ETG-Wert) oder in Form von Blutkontrollen (CDT-Wert) zu erfolgen haben,

der Verurteilte unter Ziffer 3 des genannten Beschlusses in Verbindung mit Ziffer 4 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 18.06.2012 (50 StVK 155/12) angewiesen wurde, zu der Bewährungshelferin S L, nach deren näherer Weisung halbjährlich persönlich Kontakt zu halten und

dem Verurteilten unter Ziffer 3 des genannten Beschlusses in Verbindung mit Ziffer 5 d) des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 18.06.2012 (50 StVK 155/12) die Weisung erteilt wurde, keinen Alkohol zu sich zu nehmen.

Im Übrigen wird die Beschwerde verworfen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 05. März 2008 wurde gegen den Verurteilten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren sechs Monaten verhängt; die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Zugleich wurde bestimmt, dass zwei Jahre vier Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken sein sollten.

Die Unterbringung wurde seit dem 27. Juli 2009 vollzogen, nachdem sich der Verurteilte zuvor schon seit dem 28. März 2007 in Untersuchungshaft und seit dem 05. März 2008 im Teilvorwegvollzug der Strafe befunden hatte.

Mit Beschluss vom 18. Juni 2012 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 05. März 2008 zur Bewährung ausgesetzt. Es wurde festgestellt, dass der Verurteilte unter Führungsaufsicht steht; die Dauer der Führungs- und Bewährungsaufsicht wurde auf fünf Jahre festgesetzt. Die Führungsaufsicht wurde durch verschiedene Weisungen ausgestaltet. Der Beschluss ist seit dem 03.07.2012 rechtskräftig.

Der Verurteilte wurde am 31. Juli 2012 aus dem Maßregelvollzugszentrum entlassen. Seitdem lebt er mit seiner Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern in Polen. Bereits seit März 2012 hat der Verurteilte die polnische Staatsangehörigkeit. Er ist als Fernfahrer in einer polnischen Spedition beschäftigt.

Auf Antrag des Verurteilten hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Beschluss vom 16.07.2013 die Anordnungen zur Gestaltung der Führungsaufsicht teilweise geändert, da sich Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung ergeben hatten. Der Verurteilte wurde danach angewiesen, sich vierteljährlich (statt wie zuvor halbjährlich) bei der Psychiatrischen Institutsambulanz Forensik, Außenstelle Hannover, des Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen in Moringen, zur Suchtmittelkontrolle vorzustellen (§ 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB). Im Gegenzug wurde die Weisung 5c), sich bei außerhalb des zuvor aufgeführten Rhythmus in Deutschland stattfindenden Aufenthalten ebenfalls innerhalb von 14 Stunden sowohl bei der Bewährungshilfe als auch bei der Psychiatrischen Institutsambulanz Forensik, Außenstelle Hannover, persönlich vorzustellen, und die Weisung 5e), sich zur Prüfung seiner Abstinenz bis auf weiteres bei den zuvor genannten Aufenthalten bzw. Besuchen in Deutschland nach Aufforderung seiner Bewährungshelferin oder eines Mitarbeiters des Offenen Maßregelvollzugs Hannover oder eines Mitarbeiters der genannten psychiatrischen Institutsambulanz Forensik, Außenstelle Hannover, unregelmäßigen und unangekündigten Kontrollen zu unterziehen, aufgehoben. Die übrigen Weisungen des Beschlusses vom 18.06.2012 wurden ausdrücklich aufrechterhalten.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.09.2013 hat der Verurteilte Beschwerde eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 23.09.2013 begründet hat. Er beantragt, den Beschluss vom 16.07.2013 aufzuheben und die Führungsaufsicht zu beenden. Hilfsweise beantragt er, ihm zu genehmigen, eine durchzuführende Suchtmittelkontrolle nahe seines Wohnsitzes in Polen durchzuführen und zwar auf Kosten der Landeskasse Niedersachsen. Schon der Beschluss vom 18.06.2012 hätte so nicht erlassen werden dürfen. Insbesondere könne ihm als polnischem Staatsbürger mit Wohnsitz in Polen nicht zugemutet werden, viermal jährlich die Institutsambulanz in Hannover zur Suchtmittelkontrolle aufzusuchen. Sowohl der Zeit- als auch der Kostenaufwand zur Erfüllung dieser Weisung sei unzumutbar. Darüber hinaus sei die Weisung unter Ziffer 5d des Beschlusses vom 18.06.2012 insoweit zu weitgehend, als dass er jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 23.09.2012 (Bl. 239 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht Göttingen hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.09.2013 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig ist der Auffassung, dass die Beschwerde unbegründet sei, soweit sie sich gegen die Weisung unter Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses richtet, da ein Ermessensmissbrauch der Strafvollstreckungskammer nicht erkennbar sei. Zur Entscheidung über die beantragte Aufhebung der Führungsaufsicht sei die Strafvollstreckungskammer zuständig.

II.

1. Mit seinem Hauptantrag, den Beschluss vom 16.07.2013 (vollständig) aufzuheben und die Führungsaufsicht zu beenden, dringt der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren nicht durch. Dies stellt einen Antrag auf vorzeitige Aufhebung der Führungsaufsicht nach § 68 e Abs. 2 StGB dar, für den die Strafvollstreckungskammer zuständig ist.

2. Soweit sich der Verurteilte aber mit seiner Beschwerde gegen die im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16.07.2013 erteilten Anordnungen und Weisungen wendet, insbesondere gegen die unter Ziffer 1 erteilte Weisung, sich vierteljährlich bei der Psychiatrischen Institutsambulanz Forensik des Maßregelvollzugszentrums Niedersachsen in Moringen, Außenstelle Hannover, zur Suchtmittelkontrolle vorzustellen (§ 68 b Abs. 1 Nr. 11 StGB) und gegen die Anordnung unter Ziffer 5d des Beschlusses vom 18.06.2012, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen (§ 68 b Abs. 1 Nr. 10 StGB), ist die Beschwerde statthaft gem. §§ 463 Abs. 2, 454 Abs. 4, 453 Abs. 2 S. 1 StPO und auch im Übrigen zulässig.

3. In der Sache hat die Beschwerde zumindest vorläufigen Erfolg.

Der Senat hat insoweit lediglich die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen. Die Rechtswidrigkeit einer im Rahmen der Führungsaufsicht getroffenen Anordnung liegt vor, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder wenn sie sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 453 Rn. 12). Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (OLG Dresden, Beschl. vom 06.09.2007, 2 Ws 423/07, Rn. 7, zitiert nach [...]).

a) Gemessen hieran hat die Weisung, sich vierteljährlich bei der Psychiatrischen Institutsambulanz Forensik des Maßregelvollzugszentrums Niedersachsen in Moringen, Außenstelle Hannover, zur Suchtmittelkontrolle vorzustellen, keinen Bestand.

Die Weisung beruht auf § 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB. Dabei kann hier zunächst dahinstehen, ob angesichts der Aufhebung der Weisungen unter Ziff. 5c) und 5e) die Erhöhung der Vorstellungspflichten von halb- auf vierteljährlich verhältnismäßig gewesen ist. Denn die Strafvollstreckungskammer hat jedenfalls im Hinblick darauf, dass der Verurteilte in Polen wohnt, das ihr eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.

Dass der Verurteilte polnischer Staatsangehöriger (geworden) ist und seinen Wohnsitz nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug dauerhaft in Polen genommen hat, steht der Führungsaufsicht und den zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht getroffenen Anordnungen grundsätzlich nicht entgegen. Es ist keine gesetzliche Voraussetzung der Führungsaufsicht, dass die verurteilte Person einen Wohnsitz im Inland hat. Vielmehr kann Führungsaufsicht, wie sich aus § 463a Abs. 5 Satz 2 StPO ergibt und in BVerfG, Beschluss vom 15.03.1999, 2 BvR 2259/98, [...], vorausgesetzt wird, unter den gesetzlichen Voraussetzungen des § 68 StGB auch dann angeordnet, verlängert und ausgestaltet werden, wenn die verurteilte Person im Ausland wohnt (OLG München, Beschl. vom 08.03.2013, 1 Ws 84 - 88/13, Rn. 16, zitiert nach [...]). Folglich ist ein Wohnsitz in Deutschland auch nicht Voraussetzung für die Erteilung von Weisungen im Rahmen der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht (OLG München, Beschl. vom 02.05.2012, 1 Ws 278/12, Rn. 11, zitiert nach [...]).

Die Strafvollstreckungskammer hat im Beschluss vom 18.06.2012 die nach § 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB erteilte Weisung (seinerzeit noch halbjährliche Vorstellungspflicht) damit begründet, dass die weitere kontrollierende Anbindung an die Außenstelle der Forensischen Institutsambulanz beim Offenen Maßregelvollzug in Hannover zur Absicherung der im Maßregelvollzug erarbeiteten Lebensbedingungen erforderlich sei. Der Verurteilte habe sich mit der entsprechend ausgestalteten Führungsaufsicht im Anhörungstermin ausdrücklich einverstanden erklärt. Im Beschluss vom 16.07.2013 hat die Strafvollstreckungskammer sich mit den Schwierigkeiten der praktischen Umsetzung der Vorstellungspflichten in Hannover auseinandergesetzt. Diese resultierten u.a. daraus, dass der Verurteilte in Polen wohne, als Berufskraftfahrer tätig sei und sich daher häufiger beruflich in Deutschland aufhalte, dann jedoch oftmals in Süddeutschland oder im polnischen Grenzgebiet, er es daher aus zeitlichen Gründen nicht schaffe, dann noch jedes Mal nach Hannover zur Suchtmittelkontrolle zu fahren. Im Ergebnis hat die Strafvollstreckungskammer dann die Weisungen 5c) und 5e) aufgehoben und im Gegenzug die Vorstellungspflichten bei der Forensischen Institutsambulanz in Hannover auf vierteljährlich erhöht. Weder im Beschluss vom 18.06.2012 noch im Beschluss vom 16.07.2013 hat die Strafvollstreckungskammer die Möglichkeit erörtert, ob der Verurteilte die für erforderlich gehaltenen Suchtmittelkontrollen ggf. in einer mit der Forensischen Institutsambulanz vergleichbaren Einrichtung in Polen oder bei einem Arzt in Polen durchführen lassen könnte und ob ihn dies u.U. weniger belasten würde, als anlässlich seiner beruflichen Aufenthalte in Deutschland halbjährlich bzw. vierteljährlich die Forensische Institutsambulanz in Hannover aufzusuchen. Angesichts des bereits bei Entlassung des Verurteilten bekannten Umstandes, dass dieser seinen Wohnsitz in S G in Polen und damit mehr als 800 km von Hannover entfernt nehmen würde, hätte sich die Strafvollstreckungskammer mit dieser Möglichkeit auseinandersetzen müssen. Dass es solche Kontrollmöglichkeiten auch in Polen geben könnte, hatte auch bereits der Sachverständige Dr. S in seinem Gutachten vom 04.10.2011 erwähnt, dies aber nicht sicher beurteilen können (S. 58 und S. 59 des Gutachtens, Bl. 150/151 d.A.). Die Strafvollstreckungskammer wäre gehalten gewesen, aufzuklären, ob nahe des polnischen Wohnortes des Verurteilten geeignete Kontrollmöglichkeiten vorhanden sind und hätte die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen müssen. Indem die Strafvollstreckungskammer dies unterlassen hat, hat sie von dem ihr obliegenden Ermessen fehlerhaft keinen Gebrauch gemacht.

Eine solche Weisung scheidet auch nicht von vorneherein deswegen aus, weil eine entsprechende Überwachung dieser Weisung nicht möglich wäre. Denn im Einzelfall lässt es sich durchaus einrichten, dass eine deutsche Aufsichtsstelle vom Inland aus das Verhalten der verurteilten Person und die Erfüllung der Weisungen im Ausland überwacht (BGH, Beschl. vom 03.05.2011, 5 StR 123/11, [...]), mag die Überwachung auch erschwert sein, weil deutsche Stellen nicht vor Ort hoheitlich tätig werden dürfen. Weiterhin ist es möglich, ausländische Stellen um Überwachung im Wege der Rechtshilfe in Strafsachen zu ersuchen. Einige Staaten wie z.B. Österreich (§§ 61 ff., 64 ff. ARHG) vollstrecken seit jeher auch Überwachungen und vorbeugende Maßnahmen, zu denen die Führungsaufsicht zählt. Mit Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses 2008/947/Jl des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen (ABl. EU L 337 v. 16.12.2008 S. 102 - RB 2008/947/Jl) steht hierfür innerhalb der Union ein einheitlicher Rechtsrahmen zur Verfügung, der Führungsaufsichtsweisungen als "alternative Sanktionen" i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RB 2008/947/Jl umfasst. Zwar hat Deutschland den RB 2008/947/Jl bislang nicht ausdrücklich in innerstaatliches Recht umgesetzt. Jedoch sind zwischenstaatlich entsprechende ausgehende Ersuchen nach allgemeinen Regeln möglich, und nach Ablauf der Umsetzungsfrist gem. Art. 25 Abs. 1 RB 2008/947/Jl am 06.12.2011 ist in unionsrechtskonformer Auslegung des deutschen Rechts davon auszugehen, dass auf entsprechende eingehende Ersuchen zumindest die Vorschriften über die sonstige Rechtshilfe in Strafsachen anwendbar sind (§§ 91, 59 IRG), so dass die Gegenseitigkeit gewahrt ist.

Dass sich der Verurteilte im Rahmen seiner Anhörung mit den Vorstellungspflichten in Hannover zunächst ausdrücklich einverstanden erklärt hat, ändert nichts daran, dass die Strafvollstreckungskammer ihr Ermessen hätte ausüben und damit prüfen müssen, ob die für erforderlich gehaltene Weisung auf eine den Verurteilten zumindest zeitlich weniger belastenden Art und Weise hätte angeordnet werden können.

b) Aus den unter lit. a) genannten Gründen hat auch die Weisung, zu der Bewährungshelferin S L nach deren näherer Weisung halbjährlich persönlich Kontakt zu halten, keinen Bestand.

c) Schließlich hat auch die Beschwerde gegen die Anordnung, jeglichen Konsum von Alkohol zu unterlassen, in der Sache zumindest vorläufigen Erfolg.

Eine Abstinenz- und Kontrollweisung darf gem. § 68 b Abs. 1 Nr. 10 StGB nur dann erteilt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Grund für die Annahme besteht, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird. Für eine rechtsstaatlich einwandfreie Erteilung dieser Weisung ist es daher unerlässlich, dass die Strafvollstreckungskammer die für ihre Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen feststellt und in der Begründung ihres Beschlusses mitteilt. Verstößt sie gegen dieses Gebot, ist der Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, auch wenn die Ausgestaltung der Führungsaufsicht nach dem Akteninhalt sachgerecht sein könnte (OLG Nürnberg, Beschl. vom 15.06.2011, 1 Ws 253/11, Rn. 6, zitiert nach [...]; OLG Dresden, NStZ-RR 2010, 126 f. [OLG Dresden 30.09.2009 - 2 Ws 458/09][OLG Dresden 30.09.2009 - 2 Ws 458/09]; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 260). Vorliegend hat die Kammer nicht ausreichend mitgeteilt, auf welche Feststellungen und welche Erwägungen sich die von ihr in Bezug auf Alkohol getroffenen Anordnungen stützen. Allein die Feststellung im Urteil des Landgerichts Göttingen vom 05.03.2008, dass bei dem Verurteilten eine Abhängigkeit von Alkohol und Kokain bestehe, die zu einer Polytoxikomanie geführt habe, und bei dem Verurteilten ein Hang bestehe, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen sowie infolge dieses Hanges die Gefahr von weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten durch den Verurteilten bestehe, lässt nicht erkennen, inwieweit es beim Beschwerdeführer allein wegen des Genusses von Alkohol zukünftig zu weiteren Straftaten kommen könnte. Vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte die Anlasstaten, bei denen es sich ausschließlich um Betäubungsmitteldelikte handelte, nicht unter Alkoholeinfluss begangen hat und sich auch aus den Vorstrafen keine alkoholbedingte Straffälligkeit des Verurteilten in der Vergangenheit ergibt, hätte es einer näheren Begründung durch die Strafvollstreckungskammer bedurft, warum sie auch eine Alkoholabstinenz für erforderlich erachtet.

Ein genereller Verdacht, dass die enthemmende Wirkung des Alkohols die Gefahr, wieder Betäubungsmittel zu konsumieren, erhöht, ist nicht begründbar und nicht geeignet, die Alkoholabstinenzweisung nach Maßgabe des § 68 b Abs. 1 Nr. 10 StGB zu rechtfertigen. Zwar mag in Einzelfällen ein Zusammenhang bestehen, jedoch entbehrt die Annahme, der Konsum bestimmter, zumal grundsätzlich legaler Substanzen wie Alkohol befördere auch den Missbrauch anderer Rauschmittel, einer hinreichend konkreten, durch wissenschaftliche Erkenntnisse gesicherten Tatsachengrundlage (OLG Köln, Beschl. vom 22.11.2012, 2 Ws 776/12, Rn. 29, zitiert nach [...]; a.A. OLG München, Beschl. vom 09.08.2011, 1 Ws 645 - 648/11, Rn. 18, zitiert nach [...], das bei Vorliegen einer Polytoxikomanie die Untersagung übermäßigen Alkoholkonsums für zulässig erachtet, dabei aber verkennt, dass nur ein absolutes Konsumverbot nach § 68 b Abs. 1 Nr. 10 StGB zulässig ist [vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 11, 290]).

4. Da es dem Senat als Folge des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO verwehrt ist, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu setzen, war der angefochtene Beschluss im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass sich die Strafvollstreckungskammer mit der Frage auseinanderzusetzen haben wird, wer die Kosten für die Befolgung der ggf. erneut auszusprechenden Weisungen nach § 68b Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 StGB zu tragen hat. Der Senat geht davon aus, dass Kosten der Abstinenzkontrolle keine Kosten der Vollstreckung sondern des Verfahrens i. S. v. §§ 464, 465 StPO sind, weil Weisungen nach § 68b StGB nicht vollstreckt werden können (vgl. auch OLG Bremen, Beschl. v. 17.09.2010 - Ws 96/10, Rn. 11, zitiert nach [...]; OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.03.2009 - 1 Ws 94/09, Rn. 15, zitiert nach [...], OLGSt StPO § 453 Nr. 11 mit Anmerkung Peglau, jurisPR-StrafR 7/2010 Anm. 2; OLG Dresden, Beschl. v. 27.05.2008 - 2 Ws 256/08, NStZ 2009, 268). Vielmehr ist über die Kostentragung betreffend der Abstinenzkontrollen im Wege einer Annexentscheidung zur Weisungsanordnung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB zu entscheiden (OLG Bremen aaO.; OLG Nürnberg aaO., Rn. 19, zitiert nach [...]). Dabei sind einerseits das Veranlasserprinzip und andererseits der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Maßstab der Zumutbarkeit entsprechend § 68b Abs. 3 StGB sowie das öffentliche Interesse an der Durchführung der Kontrollen zu berücksichtigen (OLG Nürnberg aaO.; s. auch LG Regensburg - Auswärtige Strafvollstreckungskammer mit Sitz in Straubing, Beschl. v. 30.04.2012 - StVK 626/2007).