Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.10.2020, Az.: 3 Ws 222/20 (StrVollz)

Unmittelbarer Zwang zwecks Verlegung eines Gefangenen in sozialtherapeutische Abteilung; Verhältnismäßigkeit zwangsweiser Verlegung in sozialtherapeutische Abteilung bei Gefahr für Allgemeinheit; Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens des Gefangenen bei zwangsweiser Verlegung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.10.2020
Aktenzeichen
3 Ws 222/20 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 63667
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2020:1019.3WS222.20STRVOLLZ.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 04.08.2020 - AZ: 17 StVK 139/20 M

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Androhung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung einer (rechtmäßigen) Anordnung der Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung ist nicht zu beanstanden.

  2. 2.

    Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre selbst dann nicht verletzt, wenn eine Verlegung mit unmittelbarem Zwang durchgeführt würde, obwohl der Gefangene eine Sozialtherapie ablehnt.

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit dem Sitz in Lingen (Ems) vom 04. August 2020 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgericht Oldenburg vom 22. April 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Gesamtfreiheitsstrafe wird in der JVA ... vollstreckt.

Am 20. Februar 2020 wurde der Gefangene - nachdem der psychologische Dienst der Antragsgegnerin die Angezeigtheit einer Sozialtherapie geprüft und bejahte - entgegen seines geäußerten Willen in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt ... verlegt. Dabei fügte sich der Antragsteller der Anordnung, nachdem ihm von der Anstaltsleiterin gesagt wurde, dass die Verlegung erfolge, "ob er wolle oder nicht".

Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25. Februar 2020 wehrte sich der Antragsteller gegen die Verlegung, des Weiteren beantragte er festzustellen, dass eine zuvor erfolgte Haftraumdurchsuchung rechtswidrig erfolgte, sowie die Herausgabe beschlagnahmter Gegenstände. Mit Schreiben vom 2. Juni 2020 und 2. Juli 2020 stellte der Antragsteller klar, dass er bezüglich der Verlegung in die Sozialtherapie die Feststellung der Rechtswidrigkeit begehre, wobei es ihm um die Art und Weise der Verlegung gehe.

Der Antragsteller wurde am 25. Juni 2020 aus Gründen, die in seiner Person liegen, in die JVA ... zurückverlegt. Gegen die erfolgte Ablösung aus der Sozialtherapie wendet sich der Antragsteller in einem gesonderten Verfahren.

Das Landgericht Osnabrück hat mit der angefochtenen Entscheidung vom 4. August 2020 den Antrag des Antragstellers vom 25.02.2020 als unbegründet zurückgewiesen, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin dem Antragsteller auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 1.000,- EURO festgesetzt. Die Entscheidung wurde dem Antragsteller am 7. August 2020 zugestellt.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner mittels Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten erhobenen Rechtsbeschwerde, die am 7. September 2020 beim Amtsgericht Lingen eingegangen ist. Der Antragsteller rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er beschränkt die Rechtsbeschwerde auf die Frage der Art und Weise der Verlegung in die Sozialtherapie und begehrt die Prüfung, ob die Androhung unmittelbaren Zwangs rechtens war, mithin die Feststellung, dass die Androhung des unmittelbaren Zwangs rechtswidrig war.

Der Antragsteller beantragt,

der Rechtsbeschwerde stattzugeben, den Beschluss aufzuheben und die Kosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

Der Zentrale juristischen Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug beantragt in seiner Stellungnahme vom 24.09.2020,

1. die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen

2. die Kostenbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Die Rechtsbeschwerde sei bereits unzulässig, weil es nicht geboten sei, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Die Zurückweisung sei ohne Rechtsfehler erfolgt, die Maßnahme der Antragsgegnerin sei rechtmäßig gewesen, insbesondere sei die Zustimmung des Gefangenen für eine Verlegung nicht erforderlich.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg

1. Gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Der Senat hat sich zur Frage der Androhung von unmittelbaren Zwang bei der Verlegung eines Gefangenen in die sozialtherapeutische Abteilung einer Justizvollzugsanstalt nach § 104 Abs. 4 Satz 1 NJVollzG noch nicht geäußert.

2. Die angefochtene Entscheidung hält - im Umfang der erfolgten Anfechtung - rechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafvollstreckungskammer hat das Vorgehen der Antragsgegnerin zutreffend als nicht rechtswidrig erachtet.

Gemäß § 104 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG wird der Gefangene, der wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB verurteilt worden ist, in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt, wenn die dortige Behandlung zur Verringerung einer erheblichen Gefährlichkeit der oder des Gefangenen für die Allgemeinheit angezeigt ist.

Die Verlegung als solche wird durch den Antragsteller nicht gerügt, sondern allein die Art und Weise, konkret die Androhung von unmittelbaren Zwang.

Unmittelbarer Zwang darf gemäß § 87 NJVollzG durch Justizvollzugsbedienstete zur Durchsetzung von rechtmäßigen Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen angewendet werden, wenn der damit verfolgte Zweck nicht auf eine andere Weise erreicht werden kann. Gemäß § 90 NJVollzG ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs im Regelfall vorher anzudrohen. Die Androhung von unmittelbaren Zwang ist nicht zu beanstanden, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von unmittelbaren Zwang vorliegen.

Die Durchsetzung einer (rechtmäßigen) Anordnung der Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung kann grundsätzlich mit unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden, wenn sich der Betroffene gegen die Vollziehung der rechtmäßigen Vollzugsmaßnahme wendet. Bei der Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung handelt es sich um eine Vollzugsmaßnahme. Der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung stellt auch der Antragsteller nicht (mehr) in Abrede. Der möglichen Anwendung unmittelbaren Zwangs steht insbesondere nicht entgegen, dass der Gefangene - wie vorliegend - seine Zustimmung zu einer sozialtherapeutischen Behandlung verweigert. Dies folgt daraus, dass eine Verlegung gemäß § 104 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu erfolgen hat. Die Zustimmung des Gefangenen ist keine normierte Voraussetzung. Die Rechtmäßigkeit einer Verlegung ist mithin nicht von der Zustimmung des Gefangenen abhängig (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Gescher, § 104 NJVollzG Rn. 10). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es Aufgabe der sozialtherapeutischen Anstalten ist, die Motivation und Mitarbeitsbereitschaft des Gefangenen zu stärken bzw. zu wecken und Verurteilte aus dem Kreis des § 9 Abs. 1 StVollzG (woran sich die Formulierung der landesrechtlichen Regelung des § 104 NJVollzG orientiert) möglichst früh in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden sollen (vgl. zu § 9 StVollzG: OLG Celle, Beschluss vom 20. 4. 2007 - 1 Ws 91/07; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 349 [OLG Frankfurt am Main 27.08.2004 - 3 Ws 845/04] m. w. N.; demgegenüber kritisch Arloth/Lückemann, StVollzG, § 9 Rn. 12).

Ebenso wie die Durchführung von unmittelbarem Zwang muss auch die Androhung desselben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen. Dieses wäre indes selbst dann nicht verletzt, wenn eine Verlegung mit unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden würde, obwohl der Gefangene eine Sozialtherapie ablehnt. Es obliegt den sozialtherapeutischen Einrichtungen, die Therapiebereitschaft und -motivation zu stärken bzw. auch erst zu werten. Aus diesem Grunde bedarf es für die Verlegung auch keiner Zustimmung des Gefangenen. Dem Umstand, dass eine erfolgreiche Behandlung auch von der Motivation und der Mitarbeitsbereitschaft des Gefangenen abhängt, wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass der Gesetzgeber in § 104 Abs. 4 NJVollzG geregelt hat, dass der Gefangene zurückzuverlegen ist, wenn der Zweck der Behandlung aus Gründen, die in der Person der oder des Gefangenen liegen, nicht erreicht werden kann.

Soweit in der fortgeltenden Niedersächsischen Ausführungsvorschrift (NAV) zu § 123 StVollzG vorgesehen ist, dass Gefangene dann nicht in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt werden, wenn die Verlegung nur unter Anwendung von unmittelbaren Zwang möglich wäre, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Unabhängig von der Frage, ob diese Verwaltungsvorschrift auf der Rechtsfolgenseite zu einer Ermessensreduzierung auf Null der Justizvollzugsbehörde führt, bezieht sich diese Vorschrift allein auf die (tatsächliche) Anwendung von unmittelbaren Zwang und nicht auf die Androhung desselben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3 Nr. 2, 65 GKG.