Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.02.2005, Az.: HEs 1/05

Aufhebung eines Haftbefehls auf Grund fehlender Angabe von Ort und Zeit der Tatbegehung; Gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Kokain

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
02.02.2005
Aktenzeichen
HEs 1/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 10250
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2005:0202.HES1.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 22.07.2004 - AZ: 1 KLs 2/05

Fundstellen

  • NStZ 2005, 342 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 2005, VII Heft 5 (amtl. Leitsatz)
  • NStZ 2006, 140
  • StV 2005, 226 (Volltext mit amtl. LS)
  • StraFo 2005, 112 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz

Amtlicher Leitsatz

Ein Haftbefehl, in dem Ort und Zeit der Tatbegehung nicht angegeben sind, kann keine Grundlage für eine Untersuchungshaft sein. Im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO kann das Oberlandesgericht den Haftbefehl weder konkretisieren, noch unter Aufrechterhaltung der Haft dessen Neufassung veranlassen.

In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 2. Februar 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ...
und ...
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Haftbefehl des Amtsgerichts Oldenburg gegen den Angeschuldigten T ... vom 22. Juli 2004 (Aktz. 28 GS 2487/04) wird aufgehoben.

  2. 2.

    Der Haftbefehl des Amtsgerichts Oldenburg gegen den Angeschuldigten S ... vom 23. Juli 2004 wird aufgehoben.

Gründe

1

Die Angeschuldigten wurden am 22. Juli 2004 vorläufig festgenommen und befinden sich aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Oldenburg vom 22. Juli 2004 (T ... ) bzw. 23. Juli 2004 (S ... ) seitdem in Untersuchungshaft. Sie werden in den Haftbefehlen beschuldigt, als Mitglieder einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte, unerlaubt mit Betäubungsmitteln, nämlich Kokain, in nicht geringer Menge gewerbsmäßig Handel betrieben zu haben. Konkretisiert wird dies in den Haftbefehlen durch die Angabe, die Angeschuldigten hätten gemeinsam mit anderen Bandenmitgliedern mindestens in einem Zeitraum von über einem Jahr Kokain unter anderem an einen M ... im Umfang von wöchentlich 2 bis 3 Kugeln zu je 0,6 g (T ... ) bzw. 1 bis 3 Kugeln zu je 0,5 g (S ... ) geliefert. Ort und Zeit der Tatbegehungen werden in den Haftbefehlen nicht mitgeteilt. Als Haftgrund ist jeweils Fluchtgefahr angegeben.

2

Unter dem 29. November 2004 ist von der Staatsanwaltschaft Oldenburg Anklage zum Landgericht Oldenburg erhoben worden. Die Anklage ist dort am 5. Januar 2005 eingetroffen. Das Landgericht hat die Anklageschrift den Angeschuldigten und ihren Verteidigern mitgeteilt. Für den Fall einer Eröffnung des Hauptverfahrens soll die Hauptverhandlung ab dem 18. Februar 2005 stattfinden.

3

Das Landgericht Oldenburg hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und hat die Akten dem Oberlandesgericht zur Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vorlegen lassen. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen. Die Angeschuldigten und ihre Verteidiger haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten. Die Verteidiger haben die Aufhebung des Haftbefehls beantragt.

4

Der Senat ordnet die Aufhebung der Haftbefehle an.

5

Die Haftbefehle können keine rechtmäßige Grundlage der Untersuchungshaft sein, weil in ihnen entgegen § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO weder Zeit noch Ort der Begehung der Taten angegeben sind, derer die Angeschuldigten für dringend verdächtig angesehen wurden. Damit kann den Haftbefehlen nicht entnommen werden, welcher bestimmte Lebensvorgang ihnen zu Grunde liegt. Die Angeschuldigten können anhand der Haftbefehle nicht eindeutig erkennen, was genau ihnen zur Last gelegt wird. Dies ist aber unverzichtbarer Bestandteil eines jeden Haftbefehls, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 114 Rdn. 7 m.w.Nachw..

6

Die unzulässige Unbestimmtheit der vorliegenden Haftbefehle zeigt sich auch daran, dass bei einem Vergleich mit der Anklageschrift keineswegs feststeht, sondern nur vermutet werden kann, dass die Fälle Nr. 31 bis 34 und Nr. 118 bis 131 der Anklage diejenigen Tatvorwürfe sind, auf die sich die Haftbefehle beziehen. Es lässt sich wegen der fehlenden Konkretisierung auch nicht überprüfen, ob wegen der in den Haftbefehl unzureichend beschriebenen Handlungen der Angeschuldigten dringender Tatverdacht gegeben ist.

7

Der Senat kann im besonderen Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO den Haftbefehl nicht selbst neu fassen, vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 122 Rdn. 13, § 125 Rdn. 2 m.w.Nachw.. Er kann auch nicht unter einstweiliger Aufrechterhaltung der Haft die Sache an das zuständige Gericht zu einer Neufassung des Haftbefehls zurückgeben (so aber OLG Stuttgart, Justiz 2002, 248). Das liefe auf eine rechtswidrige Untersuchungshaft ohne Haftbefehl hinaus. Der Gesetzessystematik gemäß kann das Oberlandesgericht im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO nur Fortdauer der Untersuchungshaft aufgrund des bestehenden Haftbefehls, Haftverschonung oder Aufhebung des Haftbefehls anordnen. Die Unzulässigkeit einer zeitweisen Aufrechterhaltung der Inhaftierung im besonderen Haftprüfungsverfahren zwecks Nachbesserung eines gesetzeswidrigen Haftbefehls zeigt sich auch daran, dass nach § 121 Abs. 2 StPO ein Haftbefehl aufzuheben ist, wenn die vollzogene Untersuchungshaft länger als 6 Monate gedauert hat, es sei denn das Oberlandesgericht hat die Haftfortdauer angeordnet. Die genannte Frist ist in Fällen der in Rede stehenden Art abgelaufen. Sie ruht auch nicht nach § 121 Abs. 3 Satz 1 StPO. Denn dieses Ruhen der 6Monatsfrist ist gesetzlich vorgesehen, um dem Oberlandesgericht Zeit für die Prüfung zu geben, ob die gesetzlichen Voraussetzungen einer über 6 Monate hinausgehenden Untersuchungshaft bestehen, und nicht dazu, um solche Voraussetzungen erst zu schaffen.

8

Die Haftbefehle wären - unabhängig von ihrem unzureichenden Inhalt - im übrigen auch deshalb aufzuheben gewesen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Fortdauer der Untersuchungshaft fehlen. Nach § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug von Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur dann aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund - unter Einhaltung des in Haftsachen zu befolgenden besonderen Beschleunigungsgebotes - ein Urteil noch nicht zugelassen haben. Das ist hier nicht der Fall.

9

Der Ablauf des Verfahrens bis zur Erstellung der Anklageschrift unter dem 29. November 2004 ist insoweit allerdings nicht zu beanstanden. Jedoch ist in der Zeit danach das Verfahren rund einen Monat lang nicht gefördert worden. Die Anklageschrift traf erst am 5. Januar 2005 bei dem Landgericht ein.

10

Die Staatsanwaltschaft hat hierzu mitgeteilt, diese Verzögerung sei dadurch verursacht worden, dass die Anklageschrift noch habe korrigiert werden müssen, dass der zunächst zuständig gewesene Staatsanwalt aus der Behörde ausgeschieden sei und sowohl der Nachfolger als auch - wegen dessen zeitweiliger Erkrankung - sein Vertreter sich in die Sache hätten einarbeiten müssen, und schließlich auch dadurch, dass noch Zahlungsfreigaben vorgenommen worden seien, die der Staatsanwalt nicht habe ausführen können. Zudem sei der Dienstbetrieb in den Wochen vor und nach Weihnachten eingeschränkt gewesen.

11

Diese Umstände rechtfertigen indessen nicht die eingetretene Verzögerung. Das Einarbeiten der beiden neu mit der Sache befassten Staatsanwälte in dem schon erreichten Verfahrensstadium sowie die Korrektur der nur 6seitigen Anklageschrift wären in wenigen Tagen zu bewerkstelligen gewesen. Die Zahlungsfreigaben hätten zurückgestellt oder außerhalb der Hauptakte erledigt werden müssen. Ein eingeschränkter Dienstbetrieb kann wegen der Lage der Feiertage im Jahr 2004 nur an 2 Werktagen, nämlich dem 24. und dem 31. Dezember vorgelegen haben, wäre im übrigen aber auch nicht geeignet, das Nichtbearbeiten einer Haftsache zu rechtfertigen.

12

Die aufgezeigte Verzögerung war entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft auch nicht etwa folgenlos, weil eine Hauptverhandlung in jedem Fall nicht früher als jetzt geplant hätte stattfinden können. Wäre die Anklageschrift, was möglich und nötig gewesen wäre, Anfang Dezember 2004 beim Landgericht eingetroffen, wäre eine frühere Terminierung möglich gewesen. Der Beginn der Hauptverhandlung ist ausweislich des landgerichtlichen Vorlagebeschlusses deshalb erst für den 18. Februar 2005 vorgesehen worden, weil Rechtsanwalt K ... bei der Terminsabsprache Anfang Januar 2005 keine früheren Termine mehr frei hatte. Er hat aber mitgeteilt, dass nach seinem Kalender die Hauptverhandlung noch im Dezember hätte beginnen können, wenn die Anklage einen Monat früher beim Landgericht eingetroffen und die Terminsabsprache schon dann erfolgt wäre.