Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 05.07.2010, Az.: S 34 SF 168/09 E

Anforderungen an eine Kostenerstattung im Verfahren über Erinnerungen gegen Festsetzungen von außergerichtlichen Kosten; Abdeckung der anwaltlichen Gebühr die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
05.07.2010
Aktenzeichen
S 34 SF 168/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2010:0705.S34SF168.09E.0A

Tenor:

Der Antrag, dem Erinnerungsgegner die Kosten des Erinnerungsverfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Mit seinem Antrag, dem Erinnerungsgegner die Kosten des Erinnerungsverfahrens aufzuerlegen, hat der Erinnerungsführer keinen Erfolg, denn das Erinnerungsverfahren ist kostenfrei.

2

Verfahren über Erinnerungen gegen Festsetzungen von außergerichtlichen Kosten sind im sozialgerichtlichen Verfahren gebührenfrei. Für eine Kostenerstattung fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Gem. § 193 Abs. 1 Satz 1 ist in einem Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Eine entsprechende Regelung enthält das Sozialgerichtsgesetz für Erinnerungsverfahren nicht. Auch die im SGG die Erinnerung betreffenden Normen (§§ 178, 189, 197 SGG) enthalten keine Bestimmung, aus denen sich eine Pflicht des Gerichts zur Entscheidung über die Kosten des Erinnerungsverfahrens ergibt. Das Gericht sieht auch keine Veranlassung zur analogen Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (so aber Beschluss des SG Cottbus vom 28. Oktober 2009 - S 27 SF 87/09 E -, Beschluss des SG Fulda vom 10. Februar 2010 - S 3 SF 22/09 E -, Beschluss des SG Berlin vom 24. Februar 2010 - S 164 SF 1396/09 E -, anderer Auffassung jedoch ohne Begründung Meyer/Ladewig, SGG 9. Aufl., § 197, Rd.-Nr. 10). Eine analoge Anwendung einer Norm setzt eine planwidrige Gesetzeslücke voraus (vgl. BSG vom 25. Juni 2009 - B 10 EG 8/08 R -). Eine solche Planwidrigkeit vermag das Gericht nicht zu erkennen. Der Wortlaut des § 193 Abs. 1 Satz 1 ist eindeutig. Ebenso lassen die die Erinnerung betreffenden Normen (§§ 178, 189, 197 SGG) nicht erkennen, dass der Gesetzgeber entgegen seiner Intentionen die Regelung einer Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren unterlassen hat. Für die Planwidrigkeit spricht auch nicht die Nr. 3501 VV RVG, die eine spezielle Verfahrensgebühr für Verfahren vor Gericht in der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und die Erinnerung vorsieht, wenn in den Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen.

3

Kosten des Erinnerungsverfahrens werden auch nicht von § 193 Abs. 2 SGG erfasst. Gem. § 193 Abs. 2 SGG sind Kosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Hierzu zählen alle außergerichtlichen Aufwendungen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit zu führen. Zu diesen Kosten gehören z.B. die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder Rechtsbeistandes (vgl. § 193 Abs. 3 SGG).

4

Nach der Systematik des anwaltlichen Gebührenrechts wird von der anwaltlichen Gebühr die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit abgedeckt (vgl. § 15 Abs. 1 RVG). Für dieselbe Angelegenheit kann ein Anwalt Gebühren nur einmal, und zwar für jeden Rechtszug getrennt, fordern (§ 15 Abs. 2 RVG). Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 RVG gehören zu einem Rechtszug alle Vorbereitungs-, Neben- und Abwicklungstätigkeiten und solche Verfahren, die mit dem Rechtszug zusammenhängen. Etwas anderes gilt, wenn es sich bei dieser Tätigkeit als um eine besondere Angelegenheit i.S. des § 18 RVG handelt. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 (vormals Nr. 5) RVG ist jedes Beschwerdeverfahren und jedes Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, eine besondere Angelegenheit, soweit sich aus § 16 Nr. 10 nichts anderes ergibt. Dem Wortlaut nach ist eine Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG ausgeschlossen. Denn diese Vorschrift verlangt die Entscheidung eines Rechtspflegers. Im sozialgerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren werden die Entscheidungen jedoch von Urkundsbeamten getroffen. Für eine analoge Anwendung des § 18 Abs. Nr. 3 RVG auf Entscheidungen des Rechtspflegers sieht das Gericht entgegen der wohl überwiegenden Meinung keine Rechtsgrundlage. Diese geht davon aus, dass die Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts den Entscheidungen des Rechtspflegers i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG gleichzusetzen sind und daher auch Erinnerungen gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten eine besondere Angelegenheit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG darstellen. Weiter wird darauf hingewiesen, dass der Begriff des Urkundsbeamten nicht beamten- oder dienstrechtlich definiert ist. Es handele sich dabei um einen prozessualen Funktionsbegriff. Funktional betrachtet erfülle der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit der Kostenfestsetzung dieselben Aufgaben, die in der ordentlichen Gerichtsbarkeit dem Rechtspfleger zugewiesen seien. Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG sei daher im Wege der berichtigenden Auslegung auf Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten zu erstrecken (so Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. Juni 2007 - 4 KSt 1002/07 -). Ergänzend wird hierzu ausgeführt, das SGG kenne den Rechtspfleger nicht. Aus dem Gebührentatbestand der Nr. 3501 VV RVG ergebe sich eindeutig, dass eine Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und der Erinnerung, in denen Betragsrahmengebühren entstünden, umfasst sei (so SG Berlin, Beschluss vom 06. März 2009 - S 164 SF 118/09 E -).

5

Dem steht jedoch zunächst der eindeutige Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG entgegen. Denn nach diesem Wortlaut muss es sich bei der Erinnerung um eine Entscheidung eines Rechtspflegers handeln. In der Sozialgerichtsbarkeit werden die Kostenfestsetzungen hingegen von Urkundsbeamten getroffen (vgl. Beschluss des VG Regensburg vom 01. Juli 2005 - RN 11 S 03.2905 -). Das VG Regensburg vertritt die Meinung, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, eine besondere Angelegenheit nach § 18 Nr. 5 RVG darstellen.

6

Das Gericht folgt im Ergebnis dem VG Regensburg. Denn § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG ist nicht im Wege der berichtigenden Auslegung auf Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten zu erstrecken. Eine Ausweitung der Anwendung einer Vorschrift im Wege der Analogie setzt eine unbewusste Regelungslücke im Gesetz voraus (vgl. BSG vom 25. Juni 2009 - B 10 EG 8/08 R -). Es muss offensichtlich sein, dass der Gesetzgeber die Auslegung, die im Wege der Analogie erfolgt, gewollt hat. Hierfür müssen besondere Anhaltspunkte zu erkennen sein. Gegen eine Ausweitung im Wege der Analogie spricht zunächst, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt hätte, durch eine Gesetzesänderung seinen tatsächlichen Willen auch vom Wortlaut her zum Ausdruck zu bringen. Dies ist nicht erfolgt. Zudem weiß der Gesetzgeber auch begrifflich zwischen Urkundsbeamten und Rechtspflegern zu unterscheiden (vgl. § 573 ZPO).

7

Die Voraussetzungen für die Tätigkeit als Rechtspfleger sind in § 2 des Rechtspflegergesetzes (RPflG) geregelt. In § 3 dieses Gesetzes sind die Geschäfte aufgeführt, die auf den Rechtspfleger übertragen werden dürfen. Nach § 11 ist gegen die Entscheidungen des Rechtspflegers das nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften zulässige Rechtsmittel gegeben. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist das Kostenfestsetzungsverfahren in § 197 SGG geregelt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle führt die Kostengrundentscheidung des erkennenden Gerichts (§§ 192 ff., 197a SGG) aus. Der Kostenerstattungsanspruch ist in § 197 SGG abschließend geregelt. Er kann nicht im Klagewege durchgesetzt werden. Zuständig ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges. Dieser wird nur auf Antrag tätig. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist als unselbständiges Verfahren ausgestaltet. Es schließt sich auf Antrag unmittelbar an das Hauptsacheverfahren an und ist Bestandteil des Rechtszuges. Die Zuständigkeit der Urkundsbeamten im Rahmen der Kostenfestsetzung erfolgt nicht durch Übertragung von einer richterlichen Zuständigkeit unter Anwendung des § 3 RPflG. Es handelt sich bei dem Kostenfestsetzungsverfahren i.S.d. § 197 SGG um ein Annex zum Hauptsacheverfahren. Es ist entbehrlich, wenn das Gericht bereits einen bestimmten Betrag festgesetzt hat oder wenn in einem Vergleich eine bestimmte Kostenregelung getroffen worden ist (vgl. Meyer/Ladewig, SGG, § 197 Anm. 4 m.w.N.). Diese Einordnung des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 197 verdeutlicht den Charakter als Folgeverfahren. Es mangelt an einer Vergleichbarkeit mit den Verfahren, die in § 3 des Rechtspflegergesetzes als übertragungsfähig aufgeführt sind. Für die Rechtsauffassung der Kammer spricht ferner, dass die Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten ursprünglich in der Verfahrensakte fortgeführt wurden. Die zunehmende Belastung der Sozialgerichtsbarkeit erforderte eine Konzentrierung der Kostenverfahren in gesonderten Kammern. Denn durch diese Konzentrierung in den sog. "SF-Kammern" wurde nicht nur die Vereinheitlichung einer Kostenrechtssprechung ermöglicht, sondern die erkennenden Kammern wurden von den Kostenentscheidungen entlastet. Den Präsidien der Gerichte bleibt es unbenommen, zu jedem neuen Geschäftsjahr die Kostenkammern als Fachkammern aufzulösen und die Entscheidungen über die Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen der Urkundsbeamten der für die Hauptsache zuständigen Kammer zu übertragen.

8

Dem steht nicht entgegen, dass in der Nr. 3501 VVRVG eine gesonderte Verfahrensgebühr vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und die Erinnerung ausgewiesen ist.

9

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).